Arten von karmischen Folgen: Gebrauch von technischen Begriffen

09:18
Andere Sprache

Die Sautrantika-, Chittamatra- und Yogachara-Svatantrika-Systeme  

Karmische Impulse und karmische Handlungen

Es gibt keinen gemeinsamen Nenner (tib. gzhi-mthun) für einen karmischen Impuls (tib. las, Skt. karma) und eine karmische Handlung, d.h. es gibt nichts, das beides ist. Alle karmischen Impulse sind Geistesfaktoren (tib. sems-byung, Nebengewahrsein) – nämlich der Geistesfaktor eines Dranges (tib. sems-pa). Einige karmische Impulse gehen einer körperlichen, verbalen oder geistigen Handlung unmittelbar voraus und drängen uns dazu, uns auf diese Handlung einzulassen. Andere begleiten die Handlung selbst als Dränge, die Handlung zu initiieren, aufrechtzuerhalten und sie schließlich zu beenden. Das Karma jedoch ist nicht die Handlung selbst.

Eine Handlung als Ganzes ist eine nichtkongruente beeinflussende Variable (tib. ldan-min ‘du-byed), eine nichtstatische Zuschreibung, die weder die Form eines physischen Phänomens, noch eine Weise, sich etwas gewahr zu sein, ist und fünf Dinge mit dem Primärbewusstsein, die es begleitet, gemeinsam hat. Als eine Zuschreibung ist eine Handlung eine nichtstatische Synthese, die physische und geistige Komponenten, sowie Komponenten, die keine von beiden sind, umfasst.

Karmische Impulse und karmische Handlungen können konstruktiv (tib. dge-ba, tugendhaft), destruktiv (tib. mi-dge-ba, untugendhaft), oder nicht spezifiziert (tib. lung-ma-bstan, neutral) sein.

  • „Konstruktiv“ bezieht sich hier auf befleckte konstruktive karmische Impulse. „Befleckt“ (tib. zag-bcas) heißt, dass sie mit mangelndem Gewahrsein (Unwissenheit) darüber, wie Dinge existieren, vermischt sind und man durch sie in eine weitere samsarische Wiedergeburt geworfen wird.
  • „Unspezifiziert“ bedeutet, dass Buddha sie weder als konstruktiv noch als destruktiv spezifiziert hat. Sie nehmen den ethischen Status dessen an, was sie begleitet. Hier bezieht sich unspezifiziert auf hinderliche unspezifizierte karmische Impulse (tib. bsgribs-pa'i lung-ma-bstan). Dabei handelt es sich um karmische Impulse, die von einer der fünf störenden Geisteshaltungen mit einer Lebensauffassung (tib. nyong-mongs lta-ba-can, fünf verblendete Auffassungen), welche selbst hinderliche, unspezifizierte Phänomene sind, begleitet werden, jedoch nicht von einer der fünf störenden Emotionen ohne Lebensauffassung (tib. lta-ba-min nyon-mongs), welche selbst störende Phänomene sind, noch von einer der konstruktiven Emotionen.     

Zwei Phasen der karmischen Kraft

Im Gegensatz zu karmischen Impulsen und karmischen Handlungen, kann die karmische Kraft nur befleckt konstruktiv oder destruktiv sein und daher gibt es positive karmische Kraft (tib. bsod-nams, Verdienst) und negative karmische Kraft (tib. sdig-pa, Sünde).

Jede dieser zwei Arten der karmischen Kraft hat zwei Phasen:

  • Die erste Phase der karmischen Kraft besteht in der karmischen Handlung selbst, sei es nun eine körperliche, verbale oder geistige karmische Handlung.
  • Die zweite Phase erscheint, nachdem die Handlung aufhört und die karmische Kraft als karmische Handlung eine Phasenumwandlung durchgeht. Sie wird dann zu einer karmischen Kraft, welche die Wesensnatur einer karmischen Tendenz (tib. sa-bon-gyi ngo-bor gyur-ba) angenommen hat. Diese zweite Phase karmischer Kraft ist sowohl eine karmische Kraft als auch eine karmische Tendenz (tib. sa-bon, Skt. bija). Sie ist weiterhin entweder eine positive oder eine negative karmische Kraft und somit weiterhin entweder ein beflecktes konstruktives oder ein destruktives Phänomen. Denn wenn etwas eine positive oder eine negative karmische Kraft ist, ist es ganz automatisch befleckt konstruktiv oder destruktiv.

Sowohl karmische Kraft als eine karmische Handlung, als auch karmische Kraft, welche die Wesensnatur einer karmischen Tendenz angenommen hat, sind nichtkongruente beeinflussende Variablen.

Wir müssen diese Art von karmischer Kraft, welche die Wesensnatur einer karmischen Tendenz angenommen hat, von der zweiten Art karmischer Hinterlassenschaft – karmische Tendenzen, die weder eine positive noch eine negative karmische Kraft und somit hinderliche unspezifizierte Phänomene sind – unterscheiden. Sie sind weder als konstruktiv noch als destruktiv festgelegt: Sie sind ethisch neutrale Phänomene, die dennoch die Befreiung behindern. Beide Arten der karmischen Tendenz sind jedoch auch nichtkongruente beeinflussende Variablen (tib. ldan-min ‘du-byed).

Um das Verständnis zu erleichtern, wollen wir die karmischen Tendenzen, die karmische Kräfte sind, als „karmische Potenziale“ bezeichnen – entweder positive oder negative karmische Potentiale. Die karmischen Tendenzen, die keine karmischen Kräfte sind, nennen wir einfach „karmische Tendenzen“. Als gemeinsamen Oberbegriff für beide Arten von karmischen Tendenzen nutzen wir den Begriff „karmisches Vermächtnis“.

Um Verwirrung zu vermeiden, wollen wir außerdem den Begriff „offensichtliches karmische Potenzial“ für die karmische Kraft gebrauchen und „nicht offensichtliches karmisches Potenzial“ für die karmische Kraft als ein karmisches Vermächtnis, die einfach die Handlung und nicht deren Vermächtnis ist. Somit ist die erste Phase einer karmischen Kraft das offensichtliche positive oder negative karmische Potenzial und die zweite Phase das nicht offensichtliche positive oder negative karmische Potenzial.

Zwei Arten karmischer Gewohnheit

Es gibt auch zwei Arten karmischer Gewohnheit (tib. bag-chags): anhaltende karmische Gewohnheiten und karmische Vermächtnisse, die beide nichtkongruente beeinflussende Variablen sind. Der Unterschied ist folgender: Solange wir nicht ihre wahre Beendigung (tib. ‘gog-bden) verwirklicht haben, lassen die anhaltenden karmischen Gewohnheiten immerfort kontinuierlich ihre Wirkungen entstehen, während die karmischen Vermächtnisse in Abständen ihre Wirkungen hervorbringen, bis sie auf natürliche Weise enden. Des Weiteren sind anhaltende karmische Gewohnheiten behindernde unspezifizierte Phänomene, während karmische Vermächtnisse sowohl behindernde unspezifizierte karmische Tendenzen und nicht offensichtliche befleckte konstruktive karmische Potenziale oder destruktive karmische Potenziale umfassen.

Der Begriff „bagchag“ (karmische Gewohnheit) wird hier sowohl für die allgemeine Kategorie (karmische Gewohnheit) als auch für ein bestimmtes Element in dieser Kategorie (anhaltende karmische Gewohnheit) benutzt. Als allgemeinen Begriff für die beiden Arten von karmischen Gewohnheiten wollen wir „karmische Latenzen“ benutzen, um Verwirrungen zu vermindern.

Zusammenfassend gesagt, gibt es zwei Arten karmischer Kraft: Wir werden sie „offensichtliches karmisches Potenzial“ und „nicht offensichtliches karmisches Potenzial“ nennen. Es gibt auch zwei Arten karmischer Vermächtnisse: Wir werden sie „nicht offensichtliches karmisches Potenzial“ und „karmische Tendenz“ nennen. Und es gibt zwei Arten karmischer Latenzen: Wir werden sie „karmisches Vermächtnis” und „anhaltende karmische Gewohnheit“ nennen.

Andere Verwendungen der Fachbegriffe

Diese Terminologie kann uns auch dabei helfen, den Sinn besser zu verstehen, wenn die Begriffe „sabon“ (Samen) und „bagchag“ (Gewohnheit) in Verbindung mit Dingen wie störenden Emotionen und Geisteshaltungen (tib. nyon-mongs, plagende Emotionen), dem Greifen nach wahrer Existenz (tib. bden-‘dzin) und mit dem, was wir im Westen als „Erinnerungen“ bezeichnen, verwendet wird. Sie sind alle Latenzen (tib. bagchag) und behindernde unspezifizierte Phänomene.

  • Unter den störenden Emotionen und Geisteshaltungen gibt es beide Arten von Latenz: Tendenzen (tib. sa-bon), die ihre Wirkung in Abständen hervorbringen und anhaltende Gewohnheiten (tib. bagchag), die kontinuierlich ihre Wirkung entstehen lassen.
  • Beim Greifen nach wahrer Existenz gibt es nur Latenzen (tib. bagchag); diese sind allerdings immer die Art von Latenz, welche eine anhaltende Gewohnheit ist, da die Wirkung, die sie hervorbringt, ständig entsteht.
  • Erinnerungen werden nur Latenzen (tib. bagchag) genannt; sie sind jedoch die einzige Art von Latenzen, die Tendenzen sind, denn sie bringen nur in Abständen Wirkungen hervor.

Weitere Begriffe

Der Begriff Netzwerk positiver Kraft (tib. bsod-nams-kyi tshogs, Ansammlung von Verdienst) erscheint als Fachbegriff nur in Bezug auf ein erleuchtungsbildendes Netzwerk positiver Kraft, das mit Bodhichitta aufgebaut wird und in der Erleuchtung resultiert. Aber ich denke, dass man, um die Erklärung des Mechanismus von Karma leichter verständlich zu machen, auch von einem „Samsara-bildendem Netzwerk positiver Kraft“ sprechen kann. Akzeptieren wir diese Konvention, können wir auch von einem „Samsara-bildendem Netzwerk negativer Kraft“ sprechen und als allgemeinen Begriff für beide die Formulierung „Netzwerke karmischer Kraft“ verwenden. Ein Netzwerk karmischer Kraft würde beide Phasen karmischer Kraft umfassen: die Phase, in der die karmische Kraft offensichtliches karmisches Potenzial ist, und die Phase, in der sie nicht offensichtliches karmisches Potenzial ist. 

Mir scheint, der Begriff „Netzwerk” vermittelt ein klareres Verständnis als das Wort „Ansammlung”. Ein Netzwerk verbindet viele verschiedene Punkte, sodass eine Art kollektiver Interaktion stattfindet. All diese Punkte verbinden sich auf verschiedene Weise miteinander.

Als allgemeiner Terminus umfasst der von mir geprägte Begriff „karmische Hinterlassenschaft“ nicht nur die karmischen Vermächtnisse – die nicht offensichtlichen karmischen Potenziale, Tendenzen und anhaltenden Gewohnheiten, sondern die gesamten Netzwerke der karmischen Kraft, die beide Phasen karmischer Kraft mit einschließen – nicht nur die Phase des nicht offensichtlichen karmischen Potenzials, sondern auch die Phase des offensichtlichen karmischen Potenzials während der Handlung selbst. „Hinterlassenschaft“ bezieht sich hier auf die Zeit nach dem karmischen Drang, nicht darauf, wenn die Handlung bereits aufgehört hat.

Die Vaibhashika-, Sautrantika-Svatantrika- und Prasangika-Systeme 

In den Lehrsystemen des Vaibhashika, Sautrantika-Svatantrika und Prasangika wird größtenteils dieselbe Verwendung der Fachbegriffe und deren Durchdringungen akzeptiert, wie in den Sautrantika-, Chittamatra- und Yogachara-Svatantrika-Systemen, allerdings mit einigen wesentlichen Unterschieden. 

Zwei Aspekte der karmischen Kraft körperlicher und verbaler Handlungen, die jeweils zwei Phasen haben

Die karmische Kraft körperlicher und verbaler Handlungen hat zwei Aspekte, die jeweils zwei Phasen haben:

Karmische Kraft in Bezug auf offenbarende Formen

Der erste Aspekt der karmischen Kraft körperlicher und verbaler Handlungen bezieht sich auf die offenbarenden Formen (tib. rnam-par rig-byed-kyi gzugs) der Handlungen – nämlich die sich ändernde Form des Körpers und der sich ändernde Klang der Stimme während dem Ablauf der Handlung. Die offenbarenden Formen sind Formen physischer Phänomene, welche die sie antreibenden Motivationen offenbaren und so lange andauern, wie die körperlichen und verbalen Handlungen stattfinden.

  • Während der ersten Phase dieses ersten Aspektes der karmischen Kraft, ist die karmische Kraft eine offenbarende Form. Nennen wir die karmische Kraft während dieser Phase „offensichtliches karmisches Potenzial als grobe Form eines physischen Phänomens“.
  • Während der zweiten Phase, wenn die körperliche oder verbale Handlung aufhört, geht das offensichtliche karmische Potenzial als grobe Form eines physischen Phänomens seine Phasenumwandlung durch und wird zu einem „nicht offensichtlichen karmischen Potenzial als eine nichtkongruente beeinflussende Variable“.

Karmische Kraft in Bezug auf nichtoffenbarende Formen

Der zweite Aspekt der karmischen Kraft körperlicher und verbaler Handlungen bezieht sich auf die nichtoffenbarenden Formen (tib. rnam-par rig-byed ma-yin-pa’i gzugs) der Handlungen. Nichtoffenbarende Formen sind ein wenig wie die dynamische Energie der Handlungen und offenbaren nicht die Motivationen, die sie antreiben. Sie entstehen mit der Aufnahme der Handlung und setzen sich mit dem geistigen Kontinuum fort, auch wenn die körperlichen und verbalen Handlungen aufgehört haben. Sie dauern nur so lange an, bis man aufhört, die Handlung zu wiederholen, indem man beispielsweise ein Gelübde ablegt, sie zu unterlassen.

  • Während der ersten Phase dieses zweiten Aspektes der karmischen Kraft, ist die karmische Kraft eine nichtoffenbarende Form. Nennen wir die karmische Kraft während dieser Phase „nicht offensichtliches karmisches Potenzial als subtile Form eines physischen Phänomens“.
  • Während der zweiten Phase, wenn man beispielsweise mit einem Gelübde aufgehört hat, die Handlung zu wiederholen, geht das nichtoffensichtliche karmische Potenzial als subtile Form eines physischen Phänomens seine Phasenumwandlung durch und wird zu einem „nichtoffensichtlichen karmischen Potenzial als eine nichtkongruente beeinflussende Variable“, wie im Fall während der zweiten Phase der karmischen Kraft in Bezug auf offenbarende Formen.

Das Karma und die karmischen Kräfte von körperlichen und verbalen Handlungen

Im Sautrantika-Svatantrika und Prasangika akzeptiert man die Vaibhashika-Behauptung bezüglich körperlicher und verbaler Handlungen, dass deren offensichtliches karmisches Potenzial als grobe Form eines physischen Phänomens und deren nichtoffensichtliches karmisches Potenzial als subtile Form eines physischen Phänomens beides karmische Impules (Karma) sind. 

Die karmische Kraft geistiger Handlungen

Im Vaibhashika, Sautrantika-Svatantrika and Prasangika akzeptiert man die Behauptungen bezüglich der karmischen Kraft von geistigen Handlungen, die von den Systemen des Sautrantika, Chittamatra und des Yogachara-Svatantrika gleichermaßen vertreten werden. Die karmische Kraft geistiger Handlungen hat zwei Phasen:

  • Die erste Phase karmischer Kraft ist die geistige karmische Handlung selbst. Während dieser Phase ist sie „offensichtliches karmisches Potenzial“.
  • Die zweite Phase entsteht, nachdem die geistige karmische Handlung des Denkens aufhört, wenn die karmische Kraft als eine karmische Handlung eine Phasenumwandlung durchgeht. Sie wird dann zu „nichtoffensichtlichem karmischen Potenzial“.
  • Sowohl die offensichtlichen als auch die nichtoffensichtlichen karmischen Potenziale geistiger Handlungen sind nichtkongruente beeinflussende Variablen.
  • Geistige Handlungen – die als offensichtliche karmische Potenziale fungieren – sind keine karmischen Impulse (Karma). 

Top