Wir haben über das abhängige Entstehen gesprochen und gesehen, dass es mit dem Thema Leerheit einhergeht. So etwas, wie eine selbst-begründende Natur, die aus eigener Kraft die Existenz von konventionellen Objekten und dem, was sie konventionell darstellen, begründet, gibt es nicht. Ihre Existenz und das, was sie konventionell darstellen, entsteht in Abhängigkeit von anderen Faktoren, als den eigenen.
So, wie Dinge, nicht durch etwas Innewohnendes begründet werden, sind auch diese anderen Faktoren, aus denen sie abhängig entstehen, frei von einer selbst-begründenden Natur. Es ist notwendig, das abhängige Entstehen mit einer viel weiteren Sichtweise und einem breiteren Verständnis zu betrachten.
Abhängiges Entstehen relativ betrachtet
Abhängiges Entstehen ist eine Tatsache auf zahlreichen verschiedenen Ebenen. Wir haben über die Relativität von Dingen gesprochen, also darüber, dass man kurz und lang, sowie gut und schlecht nur relativ oder in Relation zu etwas begründen kann. Dinge sind nicht von sich aus kurz oder lang, wie beispielsweise unser Ringfinger. Wir haben erkannt, dass Lehrer und Schüler voneinander abhängig sind. Wir können keine Lehrer ohne Schüler und auch keine Eltern ohne Kinder sein – diese Dinge entstehen in Abhängigkeit voneinander.
Das absolutistische Extrem wäre hier, sich selbst auf absolute Weise als klein zu betrachten, obwohl es Menschen gibt, die kleiner sind als wir. Das nihilistische Extrem wäre, die Tatsache nicht anzuerkennen, dass wir zu klein und somit nicht für die militärischen Streitkräfte geeignet sind. Ein anderes Beispiel wäre, keine Schüler zu haben, sich aber trotzdem als Lehrer zu sehen oder ein Kind zu haben, aber nicht die Verantwortung als Elternteil zu akzeptieren.
Abhängiges Entstehen in Bezug auf das Erfüllen einer Funktion
Außerdem haben wir gesehen, dass man lehren muss, um ein Lehrer zu sein. Mit anderen Worten ist es notwendig, eine entsprechende Funktion zu erfüllen, um etwas zu sein. Ein Schüler zu sein hängt davon ab, zu studieren und etwas zu lernen. Das Bild eines Computers ist kein Computer, denn es kann nicht wie ein Computer funktionieren und arbeiten.
Das absolutistische Extrem wäre, sich selbst als verwirklichten Praktizierenden des Buddhismus zu betrachten, wenn man nicht einmal mit den eigenen Eltern klarkommt, und das nihilistische Extrem würde darin bestehen zu leugnen, einen Fehler gemacht zu haben.
Abhängiges Entstehen in Bezug auf Ursache und Wirkung
Ursache und Wirkung sind ebenfalls abhängig voneinander. Eine schlechte Laune kann nicht unabhängig von Ursachen entstehen. Etwas ist keine Ursache, wenn es nicht ein Resultat hervorbringt.
Das absolutistische Extrem wäre zu denken, wir würden durch das Benutzen von kalorienarmen künstlichen Süßstoff in unserem Kaffee abnehmen, wenn wir gleichzeitig in jeder Kaffeepause auch noch Kuchen dazu essen. Ein nihilistisches Extrem wäre es zu denken, das Rauchen würde keinen Einfluss auf unsere Gesundheit haben.
Abhängiges Entstehen in Bezug auf das Ganze und seine Teile
Darauf sind wir zwar noch nicht eingegangen, aber ein Ganzes kann nicht unabhängig von Teilen existieren. Eine schlechte Laune als ein Ganzes ist abhängig von vielen Teilen, also zahlreichen Geistesfaktoren, wie das Unglücklichsein, mangelnde Aufmerksamkeit, geistige Dumpfheit usw. Sie erstreckt sich auch über einen Zeitraum und wir fühlen uns nicht jeden Augenblick genau gleich. Ein Ganzes ist daher abhängig von Teilen.
Das absolutistische Extrem wäre, sich nach wie vor als Teil eines Ehepaares zu betrachten, nachdem der Ehepartner verstorben ist, und nicht bereit zu sein, andere Singles zu treffen. Das nihilistische Extrem wäre, unsere Rolle als Mitglied eines Teams bei der Arbeit nicht ernst zu nehmen und unabhängig zu handeln, ohne sich mit den anderen Teammitgliedern abzusprechen.
Zuschreibung, Geistiges Bezeichnen und Benennen
Eine weitere Ebene des abhängigen Entstehens, über die ich gern reden würde, ist das abhängige Entstehen in Bezug auf das geistige Bezeichnen. Zunächst ist es jedoch notwendig zu verstehen, was geistiges Bezeichnen ist.
Geistiges Bezeichnen ist eine Sache, die etwas mit Kategorien zu tun hat. Da gibt es die Kategorie eines „Lehrers“ oder die Kategorie einer „schlechten Laune“. Im Westen würden wir sagen, wir haben eine Vorstellung davon, was ein Lehrer oder was eine schlechte Laune ist. Diese Vorstellung wird auf bestimmte Weise definiert: was ein Lehrer ist und was eine schlechte Laune ist. Wir benennen diese Kategorie oder Vorstellung mit einem Wort, das lediglich eine Kombination von Klängen ist, auf die sich eine Gesellschaft in Bezug auf diese Kategorie geeinigt hat.
Wenn wir nun verschiedene Dinge in unserem Leben erfahren, bezeichnen wir sie geistig als Mitglied dieser oder jener Kategorie. Diese Person ordnen wir der Kategorie eines „Lehrers“ zu und das Wort oder den Namen, den wir der Kategorie geben, ist „Lehrer“ und daher bezeichnen wir die Person mit diesem Namen.
Um diese zwei Vorgänge zu unterscheiden, ist es glaube ich hilfreich, verschiedene Begriffe zu benutzen: „geistiges Bezeichnen“ für Kategorien und „Benennen“ für Worte. Was Kategorien betrifft, haben wir beim geistigen Bezeichnen ein Konzept davon, was diese Kategorien ausmacht – unser Konzept davon, was ein Lehrer ist oder unser Konzept davon, was gut oder was schlecht ist. Das sind feste Vorstellungen davon, was diese Kategorie bedeutet. Unsere festen Vorstellungen davon, was sie bedeuten, könnte mit anderen festen Vorstellungen über sie ersetzt werden, aber Vorstellungen wachsen nicht auf die gleiche Weise wie Blumen. Aus der Sichtweise der buddhistischen Analyse handelt es sich um statische Entitäten. Sowohl das geistige Bezeichnen, mit einer Vorstellung, einem Konzept oder einer Kategorie von etwas, als auch das Benennen mit einem Wort, sind konzeptuelle Vorgänge.
Um es noch einmal klar zu machen, denn oft wird diese Unterscheidung nicht erwähnt: den Begriff „Zuschreibung“ benutze ich für etwas anderes. Beispielsweise schreiben wir ein Ganzes seinen Teilen zu; wir schreiben die Bewegung der Betrachtung eines Objektes zu, das fortlaufend seine Position leicht verändert. Diese Art von Dingen, die zugeschrieben werden, können nicht nur konzeptuell, sondern auch nichtkonzeptuell erkannt werden. Wir können einen Tisch als Ganzes sehen oder an ihn denken und wir können die Bewegung eines geworfenen Balls sehen und uns daran erinnern. Aber eine Kategorie oder eine Vorstellung von etwas kann lediglich konzeptuell erkannt werden. Und ein Wort, mit der eine Kategorie benannt wird, kann man ebenfalls nur konzeptuell kennen. Wir können den Klang eines Wortes nichtkonzeptuell hören, das jemand ausspricht. Aber wir erkennen den Klang nur als Klang eines Wortes, indem wir es der Hörkategorie zuordnen, welches den Klang des Wortes umfasst, das mit jeder Stimme, mit jedem Akzent und jeder Lautstärke ausgesprochen werden kann, und indem wir es der bedeutungsbezogenen Kategorie zuordnen, welche die Bedeutung des Wortes kennzeichnet.
Im Sanskrit und im Tibetischen gibt es nur ein Wort, das diese drei Bedeutungen des geistigen Bezeichnens, des Benennens und des Zuschreibens umfasst. Der Grund dafür ist, dass diese drei aus der Sichtweise, die nicht zur Prasangika-Schule gehört, eine Gemeinsamkeit haben. Es geht um die Behauptung, die definierende Charakteristik dessen, was geistig bezeichnet, benannt oder zugeschrieben wird, wäre seitens der Grundlage der Bezeichnung, der Grundlage der Benennung oder der Grundlage der Zuschreibung auffindbar. Aus Sicht der Prasangika-Schule ist das ein absolutistisches Extrem: die definierende Charakteristik ist auf Seiten der Grundlage in allen drei Fällen nicht auffindbar. Trotz dieser Gemeinsamkeit ist es wichtig, sie voneinander zu unterscheiden, um Missverständnisse zu vermeiden.
Die Zuschreibung, die geistige Bezeichnung und Benennung des „Ichs“
Nehmen wir einmal eine Person, zum Beispiel mich. Ich bin eine Zuschreibung auf all die verschiedenen Augenblicke, die meine Erfahrung ausmachen. Betrachte ich ein Bild von mir, kann ich sagen: „Das bin ich“. Es ist nicht nur konzeptuell; ich kann sehen, dass ich es bin. Jedoch eine Vorstellung von mir und davon zu haben, wer ich bin – das ich die geistige Bezeichnung eines Konzeptes oder einer Vorstellung. Oder wenn wir verschiedene Bilder von uns betrachten, die zu unterschiedlichen Zeiten unseres Lebens aufgenommen wurden, kann man sehen, dass sie alle sehr verschieden sind. Bei jedem können wir jedoch sagen: „Das bin ich“. Wie ist das möglich? Es ist möglich, weil wir eine Kategorie, eine feste Vorstellung, ein Konzept von uns haben und wir all diese Bilder der Kategorie zuordnen. Das ist geistiges Bezeichnen, und sie alle als „Ich“ zu benennen ist die Benennung. Aber das „Ich“ ist eine Zuschreibung der Form oder des Körpers der Person, die wir hier sehen.
Das sind äußerst feine Unterschiede, aber wenn wir sie nicht verstehen, könnten wir das ganze Thema des geistigen Bezeichnens fürchterlich missverstehen. Das „Ich“ als eine Person ist etwas ganz anderes, als die feste Vorstellung von dem „Ich“, die ich oder ein anderer, der mich kennt, von mir hat. Es ist auch etwas anderes als das Wort „Ich“.
Die Analogie, nur einen Teil des Raumes zu sehen, um den Raum zu sehen
Konventionell existiere ich als eine individuelle Person. Da bin ich, aber das „Ich“ entsteht abhängig von einem Körper, dem Geist, Emotionen usw. Niemand muss das „Ich“ diesem Körper, dem Geist und den Emotionen zuschreiben, damit ich existiere und gültig als eine Zuschreibung auf der Grundlage dieser Dinge erkennbar bin. Die Beziehung zwischen dem „Ich“ und dem Körper, dem Geist und den Emotionen ist der Beziehung zwischen einem Ganzen und seinen Teilen recht ähnlich, auch wenn es nicht genau das Gleiche ist.
Was seht ihr, wenn ihr nach vorn schaut? Es ist ganz klar, dass ihr einen Raum seht. Seht ihr den gesamten Raum? Nein, denn ihr seht nicht, was hinter euch ist. Ihr seht nur einen Teil des Raumes. Der Teil eines Raumes ist nicht das Gleiche wie der ganze Raum. Aber die Zuschreibung eines Raumes auf seine Teile erstreckt sich auf all seine Teile als die Grundlage der Zuschreibung. Es erstreckt sich also auch auf den Teil des Raumes, den ihr nicht seht.
Sehen wir nur diesen Teil des Raumes, sagen wir konventionell, dass wir den Raum sehen. Wir ordnen den Teil, den wir sehen, dem Konzept oder der Vorstellung des gesamten Raumes zu – oder fachlich ausgedrückt würden wir sagen, wir bezeichnen ihn geistig als Kategorie „Raum“. Und weil wir diese Kategorie mit dem Wort „Raum“ benennen, legen wir den Teil des Raumes, den wir sehen, mit dem Satz: „Ich sehe den Raum“ fest. Das ist konventionell gültig. Es ist nicht so, dass wir nichts sehen – das wäre ein nihilistischer Standpunkt. Wir sehen einen Raum. Aber ein Raum ist etwas anderes als die Kategorie oder das Konzept eines Raumes und auch etwas anderes als das Wort „Raum“.
In ähnlicher Weise ist das „Ich“ eine Zuschreibung des Körpers, des Geistes, der Emotionen usw. und sie erstreckt sich auf einen Zeitraum. Sehen wir jedoch ein Bild unseres Körpers, können wir es gültig als Kategorie „Ich“ geistig bezeichnen und es gültig als „Bild von mir“ benennen. Schreiben wir das „Ich“ als eine ganze Person dem Kontinuum eines Körpers, eines Geistes und der Emotionen zu, erstreckt es sich ebenso auf diese Repräsentation eines Augenblickes meines Körpers. Diese Zuschreibung des „Ichs“ ist ein gültiges Mitglied der Kategorie „Ich“.
Betrachte ich das Bild und erkenne es als „Ich“, sehe ich sicherlich nicht die Gesamtheit von mir als Person. Trotzdem erkenne ich es, wie in dem Beispiel mit dem Raum und dem Teil des Raumes, als „Ich“, weil ich es dem Konzept oder der Kategorie „Ich“ zuordne, das ich von mir selbst habe. Und weil ich diese Vorstellung von mir selbst mit dem Wort „Ich“ benenne, kann ich, wenn ich das Foto betrachte, gültig sagen: „Das bin ich“. Seht ihr den Unterschied?
Sehe ich den Teil eines Raumes, kann ich gültig sagen, dass ich den Raum sehe, obwohl ich nur einen Teil davon sehe. Denn der ganze Raum ist eine Zuschreibung der Teile und das Teil ist eines der Komponenten, die der Kategorie „dieser Raum“ zugeordnet werden. Auch wenn wir mit unserem Smartphone mit jemandem sprechen, ist alles, was wir hören, ein Geräusch. Ungeachtet dessen ist es jedoch gültig zu sagen, dass wir mit der Person sprechen, da sie die Zuschreibung einer Person auf der Grundlage von Teilen ist, und was wir hören, ist eins dieser Teile, die der Kategorie „diese Person“ zugeordnet werden. Und es ist nicht einmal ihre Stimme, die wir hören, sondern lediglich eine elektronische Version davon. Trotz allem sagen wir gültig: „Ich spreche mit dieser Person. Ich höre sie.“ Das ist schon erstaunlich, nicht wahr?
Dann haben wir eine feste Vorstellung der Person und allem was mit ihr verbunden ist, all der Emotionen, die mir ihr einhergehen usw. Das ist geistiges Bezeichnen, mit einer Vorstellung, einem Konzept, einer Kategorie. Es ist etwas ganz anderes, wenn wir fragen: Wem höre ich zu? Ich höre Denis zu, und nicht Mary. Konventionell ist es Denis, nicht Mary. Das ist wiederum etwas anderes als meine Vorstellung von Denis und all dem, was für mich emotional mit ihm verbunden ist. Jedes Mal, wenn ich ihn sehe, bezeichne ich ihn geistig mit dieser festen Vorstellung, diesem Konzept.
Denken wir ein paar Minuten darüber nach. Es ist schon ziemlich subtil, aber wirklich sehr wichtig. Hiermit entfernen wir uns ein wenig von unserer Thematik, aber über diese Unterscheidung zwischen dem Zuschreiben, dem geistigen Bezeichnen und der Benennung wird nicht so oft gesprochen. Hier bin ich. Ich bin eine Person, nicht nur das Konzept einer Person. Da ist das „Ich“ und die Vorstellung vom „Ich“; ich und meine Vorstellung, die ich von mir selbst habe; ich und was andere Menschen von mir denken. Das ist ein großer Unterschied. Aber die Frage, die wir stellen werden, lautet: Gibt es ein wahres „Ich“, das sich in mir befindet und mich zu mir und nicht zu dir macht?
Nehmen wir uns einen Moment Zeit und denken einmal über all das nach.
[Pause]
Abhängiges Entstehen in Bezug auf das geistige Bezeichnen
Nachdem wir uns mit all dem beschäftigt haben, können wir nun zur eigentlichen Sache kommen. Dies möchte ich anhand der Analogie einer Ausstechform für Plätzchen erklären. Kennt ihr das Wort Ausstechform? Man hat Teig und sticht mit einer Ausstechform ein Teil heraus, um ein Plätzchen zu bekommen. Das ist die Analogie.
Nun zieht einmal die Tatsache in Betracht, dass es so viele verschiedene Dinge gibt, die wir als eine Person tun und sie ändern sich ständig. Sie sind wie der Teig. Dann haben wir die konzeptuelle Ausstechform des geistigen Bezeichnens. Aus all diesen unterschiedlichen Dingen, die wir tun, stechen wir ein Plätzchen aus und geben ihm eine Definition und einen Namen, beispielsweise „Lernen“ oder „Lehren“. Aber im Grunde werden diese Dinge nur herausgestochen und von all den anderen Dingen, die wir tun, isoliert, nicht wahr? Konventionell ist es so, dass ihr lernt und ich lehre. Dies zu leugnen wäre das nihilistische Extrem. Zu meinen, dies wäre alles, was wir in diesem Augenblick tun – und wir würden nicht auch sitzen, atmen usw. – oder zu meinen, Lernen und Lehren wären unsere einzigen Aktivitäten, wäre das absolutistische Extrem. Versteht ihr das?
Wodurch wird nun begründet, dass wir lernen oder lehren? Nun, durch diese geistige Ausstechform eines Konzeptes. Die Existenz dessen, was wir tun um zu lernen, entsteht abhängig von der geistigen Bezeichnung der Kategorie „Lernen“, mit der unsere Tätigkeit bezeichnet wird. Würde es so etwas wie eine Kategorie nicht gehen, die von Menschen definiert und der das Wort „Lernen“ zugewiesen wurde, würdet ihr trotzdem hier lernen. Dies zu leugnen wäre das nihilistische Extrem. Es ist nicht so, dass ihr nichts tut; ihr tut etwas, denn ihr lernt.
Es wird jedoch als Lernen festgelegt, indem wir es abgrenzen und der Kategorie „Lernen“ zuordnen; wir stechen es aus dem Teig von allem anderen, was wir tun, aus und benennen es mit dem Klang eines Wortes. Es erscheint, als wäre das, was wir tun, selbst-begründetes „Lernen“, aber eigentlich existiert es nur als Lernen, weil es geistig mit einer Kategorie bezeichnet und mit einem Wort benannt wurde, das man auf bestimmte Weise definiert hat und dessen man sich laut Konvention einig ist. Und was ist das „Lernen“? Es ist lediglich das, worauf sich das Konzept und das Wort „Lernen“ auf der Grundlage bezieht, hier zu sitzen und meinen Worten zuzuhören.
Noch einmal: es ist nicht so, dass ihr nichts tut, denn ihr lernt. Und ihr müsst nicht aktiv denken: „jetzt lerne ich“ oder sagen: „ich lerne gerade“, damit das Lernen korrekt und gültig ist. Durch das geistige Bezeichnen wird nicht die Tatsache des Lernens erschaffen. Die oberflächliche Wesensnatur dessen, was ihr hier tut, ist das Lernen – und nicht zum Beispiel Fußball zu spielen – und es scheint uns, als wäre das Lernen eine Aktivität, die aus eigener Kraft als die „Aktivität des Lernens“ begründet wird. Es scheint, als wäre diese Aktivität umgrenzt, was sie als solide Entität festlegt, sie in Plastik einhüllt und von allen anderen Aktivitäten absondert. Dies entspricht jedoch nicht dem, wodurch es tatsächlich als eine bestimmte Aktivität und als „Lernen“ begründet wird. Als „Lernen“ entsteht es einzig und allein in Abhängigkeit von der Tatsache, dass es ein Konzept gibt, auf das man sich konventionell geeinigt hat, eine Kategorie „Lernen“, durch die wir mit einer Ausstechform etwas Spezifisches aus der Gesamtheit dessen, was wir tun, herausstechen. Aber diese Gesamtheit ist auch nicht einfach da, wie ein großes Stück Teig.
Haben wir ein Konzept oder eine Vorstellung von etwas, isoliert unser Geist es von allem anderen und aus diesem Grund erscheint es, als wäre es selbst-begründet. Daher sagen wir, eine konventionelle Natur scheint selbst-begründet zu sein, was sie jedoch nicht ist – sie entsteht abhängig von geistigem Bezeichnen, entweder mit oder ohne einem Namen. Das trifft sogar für einen Wurm zu, obwohl ein Wurm nichts mit einem Namen benennt. In Bezug auf alle Dinge, die ein Wurm sieht, gibt es eine Kategorie, die geistig als Nahrung bezeichnet wird, jedoch ohne Worte.
Das meinen wir damit, wenn wir sagen, dass die Existenz aller Dinge nur als das begründet werden kann, auf was sich eine Kategorie, ein Konzept, eine geistige Bezeichnung auf der Basis einer „Grundlage der Benennung“ bezieht.
Praktische Anwendung des Verständnisses des abhängigen Entstehens in Bezug auf das geistige Bezeichnen
Versuchen wir praktische Beispiele für dessen Anwendung zu finden. Eine Sache, die mir gerade einfällt, ist folgende: Können wir sowohl Eltern als auch Freunde für unsere Kinder sein? Oder ein Chef und ein Freund für unsere Angestellten? Welche Teile all der Momente des Austausches, die wir mit unserem Kind haben, werden wir mit unserer Ausstechform herausstechen und als elterliche Beziehung und welche werden wir als freundschaftliche Beziehung bezeichnen? Sind sie völlig abgetrennt voneinander? Überschneiden sie sich? Wie nimmt unser Kind das wahr?
Hier wird es wirklich sehr interessant. Wenn ich sowohl ein Elternteil als auch ein Freund für mein Kind sein kann, wie mache ich das, ohne dass es für mich und für das Kind vollkommen schwierig und problematisch wird? Muss ich nur eins von beiden sein? Und was bedeutet es denn eigentlich, Vater, Mutter oder Freund zu sein? Das hängt sehr davon ab, wie wir einen Freund definieren. Definieren wir eine freundschaftliche Beziehung als etwas, bei dem beide Seiten gleich sind, und meinen, wir könnten all unsere Probleme und Schwierigkeiten dem Kind mitteilen, weil wir uns ja auch die Probleme unseres Kindes anhören und dies unserer Vorstellung von einer Freundschaft entspricht, wäre das natürlich unangemessen. Aber es könnte Dinge geben, die etwas mit Freundschaft zu tun haben und die angemessen sind, wie zusammen Ball zu spielen. All diese Angelegenheiten sind äußerst relevant in Bezug auf die Rollen, wie wir miteinander spielen. Denn es sind Rollen, die wir einnehmen und sie sind wie Ausstechformen für Plätzchen.
Haben wir feste Vorstellungen und meinen: „ich bin eine Mutter oder ein Vater“ oder „so wird eine Mutter oder ein Vater wahrhaft definiert“ und „ich muss immer so sein“, dann sind wir völlig unflexibel. Dann machen wir eine solide Sache aus einem Konzept, aus der Kategorie „Eltern“. Wenn wir diesen ganzen Punkt in Bezug auf das geistige Bezeichnen, die Konzepte und Kategorien missverstehen, kommt es zu allen möglichen Komplikationen.
Besonders komplex und schwierig wird es, wenn wir verschiedene Rollen mit jemandem spielen. Das kenne ich aus eigener Erfahrung, denn für einige Menschen bin ich ihr Lehrer, ihr Chef (weil ich sie anstelle und bezahle), sowie ihr Freund. Manchmal spreche ich zu ihnen als ein Freund und wenn sie mich dann geistig als einen Chef bezeichnen, wundern sie sich, warum ihr Chef wie ein Freund mit ihnen spricht und meinen, er sollte doch eigentlich wie ein Chef handeln. Spielen wir auf diese Weise verschiedene Rollen in zwischenmenschlichen Beziehungen, kann das sehr vertrackt und schwierig werden.
Eine Möglichkeit besteht darin, einfach nur eine Rolle zu spielen. Das ist die einfache Lösung. Aber mehrere Rollen zu spielen, in denen beide Seiten nicht verwirrt werden, ist nicht so einfach. Tatsächlich ist es jedoch im Leben so, dass wir viele verschiedene Rollen gegenüber Menschen einnehmen. Haben wir jedoch das Verständnis, dass keine Rolle selbst-begründet, sondern vielmehr durch Konventionen begründet wird, ist das hilfreich. Daran muss man arbeiten. Es ist nicht etwas, was man hier in allen Einzelheiten lösen kann. Wir können uns jedoch die Mittel zulegen und anfangen, darüber nachzudenken und es zu analysieren. Eine Rolle ist ein Konzept. Sie ist eine Kategorie, wie eine Ausstechform. Sie scheint selbst-begründet und von allem anderen isoliert zu sein, aber das ist sie nicht.
Bevor wir zum Ende kommen, gebe ich euch noch ein weiteres Beispiel: Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt, wenn er Unterweisungen erteilt: „Ich bin nur ein Mensch, wie alle anderen auch.“ Wenn er dann eine Initiation gibt, sitzt er auf einem hohen Thron und sagt: „Betrachtet mich jetzt bitte als den tantrischen Meister“ – und das ist eine völlig andere Rolle. Er hilft den Menschen jedoch, indem er ihnen sagt, in welcher Rolle sie ihn sehen sollen. Das ist der Schlüssel, wenn wir gegenüber jemandem verschiedene Rollen einnehmen und es dabei zu Verwirrung kommt. Wir können es eine Art Hinweis geben, indem wir sagen: „Ich spreche jetzt als ein Freund zu dir“ oder „jetzt rede ich mir dir als Mutter, als Vater, als Frau oder als Mann“.
Und auch der Dalai Lama ist nicht wahrhaft als das eine oder andere festgelegt, sondern kann konventionell dieses oder jenes sein. Das gibt uns eine Ahnung davon, wie wir mit diesem Material arbeiten können. Indem wir das abhängige Entstehen in Bezug auf das geistige Bezeichnen verstehen, können wir das Extrem des Absolutismus vermeiden, bei dem wir nur eine Rolle als unsere „wahre Rolle“ im Leben spielen, sowie das Extrem des Nihilismus, bei dem wir konventionell keine Rollen im Leben von anderen spielen.
Widmung
Lasst uns mit einer Widmung enden. Wir denken: Möge jegliches Verständnis, jegliche positive Kraft, die aus all dem entstanden ist, sich immer weiter vertiefen und als Ursache dafür wirken, all unsere Verwirrung darüber, wie Dinge existieren und wie wir Dinge begründen, zu überwinden und den erleuchteten Zustand eines Buddhas zum Nutzen aller zu erlangen. Vielen Dank.