Rückblick
Wir haben über konventionelle Objekte gesprochen, bei denen es sich um Dinge handelt, die gültig als dieses oder jenes erkannt werden können: als ein Lehrer, als ein Schüler, als eine bestimmte Aktivität wie Lehren oder Lernen, als ein gewisses Objekt wie ein Tisch oder ein Stuhl, sowie auch in Bezug auf Adjektive, wie lang oder kurz.
Wir haben uns die Frage gestellt, wie man die Tatsache begründen kann, dass es konventionell solche Dinge gibt und man sie gültig erkennen kann. Denn was tun wir hier, wenn es so etwas wie Lehrer und Lernen nicht gibt? Was studieren wir und was tun wir überhaupt, wenn es keinen Buddhismus und keine Lehren gibt? Hierbei handelt es sich nicht nur um eine theoretische, abstrakte Angelegenheit. Es geht darum, wie wir mit unserer konventionellen Realität umgehen.
Was studieren wir, wenn es so etwas wie den Buddhismus nicht gibt? Was wollen wir lernen? Was kann ich tun, wenn es so etwas wie Lernen nicht gibt? Was tue ich dann? Und von wem kann ich etwas lernen, wenn es keine Lehrer gibt? Oder kann einfach jeder von sich behaupten, ein Lehrer zu sein? Das sind wesentliche Fragen in Bezug darauf, wie wir mit unserem Leben zurechtkommen.
Gültig erkennbare Objekte sind nicht selbst-begründet
Wir haben uns gefragt, wodurch begründet wird, dass es diese Dinge gibt? Was erklärt die Tatsache, dass es so etwas gibt? Sind all diese Dinge selbst-begründet oder entstehen sie in Abhängigkeit von anderen Faktoren?
Wir wissen: es ist unmöglich, dass sie selbst-begründet sind. Wir sind nicht alle logischen Gründe durchgegangen, um es zu beweisen, aber das ist ein wichtiger Aspekt beim Studium der Leerheit. Es ist notwendig, zu einer logischen Überzeugung zu gelangen, dass es bestimmte Weisen des Begründens von Dingen gibt, die einfach unmöglich sind. Eine davon ist, zu sagen, Dinge wären aus eigener Kraft selbst-begründet und unabhängig von jeglichem fremden Einfluss. Die völlige Abwesenheit einer Wirklichkeit, die der selbst-begründeten Existenz entspricht, ist die Leerheit oder Leere.
Wir haben auch gesehen, dass alles zwei Wesensnaturen hat.
- Die oberflächliche Wesensnatur bezieht sich auf das, als was sie erscheinen – also konventionell dieses oder jenes zu sein – und darauf, dass ihre täuschende Erscheinung durch eine selbst-begründende Natur festgelegt wird, obwohl es so etwas nicht gibt.
- Ihre tiefste Wesensnatur ist die völlige Abwesenheit einer tatsächlichen Weise des Begründens ihrer konventionellen Existenz, die dieser täuschenden Erscheinung entspricht.
Wenn wir sagen, etwas scheine auf unmögliche Weise begründet zu sein, ist es vielleicht einfacher, es als subjektive Erfahrung zu betrachten, denn es fühlt sich so an und scheint so zu sein. Es geht darum, wie Dinge erfahren werden. Es fühlt sich beispielsweise so an, als gäbe es da etwas Solides innerhalb des Objektes oder Phänomens, das es grundsätzlich gut oder schlecht machen würde.
Wie fühlt es sich zum Beispiel an, wenn wir schlechte Laune haben? Es fühlt sich so an, als gäbe es da eine festgelegte schlechte Laune, die in uns weilt und dazu führt, dass wir schlechte Laune haben. Wir machen eine große Sache aus dieser schlechten Laune, handeln dann dementsprechend und sagen: „Lass mich in Ruhe, ich habe schlechte Laune.“ Wie ein Hund bellen wir jeden an, der uns zu nahe kommt.
Es gibt jedoch keine selbst-begründete schlechte Laune, die wie ein Monster in uns weilt, nicht wahr? Die schlechte Laune ist abhängig von anderen Faktoren entstanden: was uns auf der Arbeit passiert ist, welche körperlichen Probleme wir haben – vielleicht haben wir Kopfschmerzen oder haben nicht genug geschlafen – oder wir haben Probleme in unserer Familie, sind psychologisch vorbelastet, all diese Dinge.
Zu schwache und zu starke Widerlegungen als die zwei Extreme
Wir sollten auch nicht ins nihilistische Extrem fallen, es einfach ignorieren und nichts dagegen unternehmen, denn konventionell gesehen haben wir schlechte Laune. Das wäre die zu starke Widerlegung: wir leugnen nicht nur das Monster in uns, das diese schlechte Laune verursacht, sondern verbinden es mit der konventionellen Wahrheit schlechte Laune zu haben und verwerfen beides. Wenn wir das tun, verwerfen wir die Tatsache, konventionell gesehen schlechte Laune zu haben und wenden keine Gegenkräfte an, um unsere Stimmung, in der wir uns befinden, zu ändern. Damit leugnen wir es ganz offensichtlich.
Wenn wir verstehen, dass die schlechte Laune durch alle möglichen Ursachen und Bedingungen entstanden ist und es nichts Solides darin gibt, können wir weitergehen und erkennen, dass ein Ändern der Ursachen, Bedingungen und Umstände unsere Stimmung beeinflussen kann. Wir unternehmen Schritte, setzen uns mit der schlechten Laune auseinander und wandeln sie um, indem wir unser Verständnis von Ursache und Wirkung – vom abhängigen Entstehen – anwenden.
Das andere Extrem, in das wir fallen könnten, ist die zu schwache Widerlegung, mit der wir meinen: „Ich habe diese furchtbare Laune, die etwas ganz Solides ist, jedoch durch Ursachen und Bedingungen entstanden und von anderen Dingen abhängig ist; aber sie befindet sich nach wie vor als etwas Solides in mir. Das wäre das absolutistische Extrem. Wir widerlegen sie also nur ein wenig und leugnen, dass sie ganz für sich steht. Daraus schlussfolgern wir dann, dass sie zwar aus Ursachen und Bedingungen hervorgegangen ist, es jedoch trotz allem etwas Solides in ihr gibt. Widerlegen wir sie auf zu schwache Weise, kommen wir zu der Schlussfolgerung, dass es nichts gibt, was man dagegen tun könnte. Mit der zu starken Widerlegung meinen wir, nichts tun zu müssen, weil sie nicht existiert und mit der zu schwachen Widerlegung denken wir nichts tun zu können, um diese Laune zu ändern, weil sie aus Ursachen und Bedingungen hervorgegangen und somit solide ist.
Darum geht es im Allgemeinen bei der Bedeutung dieser Thematik: das abhängige Entstehen, das Verständnis der Leerheit, sowie das Verstehen des abhängigen Entstehens als Teil der Leerheit – was im Grunde ziemlich praktisch in Bezug darauf ist, wie wir mit allen Dingen im Leben umgehen.
Nehmen wir uns einfach ein paar Minuten Zeit, um dies einwirken zu lassen, damit wir wirklich eine ganz grundlegende Vorstellung davon bekommen, die noch gewöhnlicher ist, als das, was wir bis jetzt besprochen haben.
Untersucht euch selbst. Wie begründet ihr eure schlechte Laune? Meint ihr einfach: „so ist es nun einmal, ich habe schlechte Laune“, oder ist sie aus Ursachen und Bedingungen entstanden? Und haben diese Ursachen und Bedingungen diese schlechte Laune erzeugt, in der wir uns befinden und nun wirklich feststecken, oder gibt es da nichts Solides, dass sie aufrechterhält und haben wir einen Einfluss darauf, wie wir uns fühlen, indem wir die sie formenden Ursachen und Bedingungen verändern? Wenn wir an Letzteres glauben, tun wir etwas, um die Ursachen und Bedingungen zu modifizieren, die beeinflussen, wie wir uns fühlen, ohne jedoch zu leugnen, dass wir schlechte Laune haben. Um unsere Geisteshaltung zu ändern, versuchen wir vielleicht hinauszugehen und frische Luft zu schnappen oder uns etwas hinzulegen. Aber wir identifizieren uns nicht mit dieser soliden Auffassung, diese schrecklich schlechte Laune zu haben und einfach jeden anzuschreien, der uns zu nahe kommt.
Lassen wir uns das für ein paar Minuten durch den Kopf gehen und denken darüber nach, wie wir damit umgehen, schlechte Laune zu haben. Ich bin mir sicher, dass wir alle zuweilen Stimmungsschwankungen haben. Wie Tsongkhapa betonte, ist es notwendig das Objekt der Widerlegung zu erkennen – also dieses Gefühl, da gäbe es eine solide schlechte Laune, in der wir uns befinden, als wäre sie selbst-begründet und einfach da.
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Den Ballon unserer falschen Projektionen zum Platzen bringen
Haben wir erst einmal dieses Objekt der Widerlegung erkannt – also diese solide schlechte Laune oder das, was eine schlechte Laune zu sein scheint, die aus eigener Kraft in uns entstanden ist – und verstehen wir, dass dies unmöglich ist und dass es so etwas nicht gibt, betrachten wir es wie einen Ballon, der sich um diese Situation, um diese schlechte Laune, aufgeblasen hat und es zu einer soliden Sache macht. Und unser Verständnis, dass es so etwas nicht gibt und dass es unmöglich ist, bringt den Ballon zum Platzen. Das ist eine Möglichkeit, sich dieses Verständnis der Leerheit vorzustellen. So etwas gibt es ganz einfach nicht und schon ist es vorbei mit der Fantasie. Wir sollten es jedoch nicht auf dualistische Weise betrachten und uns als etwas Getrenntes sehen, als jemanden, der den Ballon mit einer Nadel zum Platzen bringt. Er zerplatzt ganz einfach, denn so etwas gibt es nicht.
Haben wir den Ballon erst einmal zum Platzen gebracht, können wir uns auf das abhängige Entstehen richten, also auf das Entstehen der schlechten Laune durch Ursachen und Bedingungen, die verändert werden können. Zunächst müssen wir jedoch den eingebildeten Ballon erkennen, den wir projiziert, gefühlt und an den wir geglaubt haben und ihn dann durch unser Verständnis zum Platzen bringen. Der Ballon muss zerplatzen, bevor wir uns auf das abhängige Entstehen richten können, denn sonst ist unsere Widerlegung zu schwach und wir meinen, der Ballon wäre noch immer da. Auf diese Weise nehmen wir einfach an, er wäre aus Ursachen und Bedingungen hervorgegangen und unser Verständnis kann sich nicht weiterentwickeln.
Das ist auch ein Hinweis darauf, warum ich im Englischen das Wort „voidness“ für „Leerheit“ dem Wort „emptiness“ vorziehe. „Emptiness“, die Leere, könnte in dieser Vorstellung darauf hindeuten, dass wir den Ballon immer noch haben, er jedoch leer ist. Das ist aber nicht der Fall. Wir wollen den Ballon zum Platzen bringen, denn so etwas wie diesen Ballon gibt es nicht. Daher ziehe ich das Wort „voidness“ dem Wort „emptiness“ vor. Es ist nicht so, dass die konventionelle Realität da, jedoch von innen hohl ist. Und durch dieses Wort „voidness“ leugnen wir auf der anderen Seite die konventionelle Realität nicht. Wir streiten nicht ab, dass es dieses und jenes gibt und dass wir schlechte Laune haben. Es gibt da nichts Solides; es gibt keine festgelegte Sache, die von innen leer ist und durch nichts gestützt wird.
Aus diesem Grund ist es so schwer, Madhyamaka, den „mittleren Weg“, korrekt zu verstehen; diese zwei Extreme zu vermeiden ist eine wirklich sehr subtile Sache: entweder zu meinen, es gäbe eine solide, konventionelle Realität, die innerlich hohl oder leer ist – das absolutistische Extrem, oder davon auszugehen, es gäbe keine konventionelle Realität – das nihilistische Extrem. Diese zwei Extreme gilt es zu vermeiden. Es ist auch nicht so, dass es aus einer Sicht dieses und aus einer anderen Sicht jenes ist. Auch ist es nicht keines von beiden; es ist nicht etwas Transzendentales, bei dem wir, wenn wir uns von allem befreien und sämtliche Dinge rein, wie ein Mandala, betrachten, alles transzendieren und in einen reinen Bereich entschwinden. Das ist ebenfalls nicht der Fall.
Die vier Extreme
Das sind die so genannten „vier Extreme“: nicht dieses, nicht jenes, nicht beides (aus einer Sicht dieses und aus der anderen jenes) und auch nicht keines von beiden, was darauf hindeuten würde, dass es irgendeine Alternative gäbe.
Ich weiß nicht, ob es sich lohnt darauf einzugehen, aber ich denke, es ist relevant: Tsongkhapa weist auf den Unterschied zwischen „entweder/oder“ und „weder/noch“ hin. Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge. Sagen wir beispielsweise: „Das ist entweder ein Tisch oder ein Stuhl“, muss es eins von beiden sein; es gibt keine andere Möglichkeit. Aber wenn wir behaupten: „Das ist weder eine Katze, noch ein Hund“, lässt das die Möglichkeit zu, ein Tisch zu sein. Mit „weder/noch“ gibt es eine Alternative, wohingegen es mit „entweder/oder“ keine Alternative gibt. Das ist also etwas ganz anderes.
Stellt euch das zum Beispiel in der Physik vor – es ist schön, wenn wir es so betrachten: entweder eine Welle oder ein Teilchen. Was sind Dinge? Etwas ist nicht einzig und allein eine Welle, denn in anderen Situationen ist es ein Teilchen. Und es ist nicht wahrhaft ein Teilchen, denn in anderen Situationen ist es eine Welle. Außerdem ist es auch nicht wahrhaft beides, sondern wird nur von dieser oder jener Seite betrachtet. Und es ist auch nicht keines von beiden, denn das würde bedeuten, es wäre etwas anderes. Und es ist auch nicht nichts. Auf diese Weise können wir uns in der komplexeren Form des Madhyamaka mit dem abhängigen Entstehen beschäftigen.
Betrachten wir es mit begrenztem Werkzeug, wie unserem begrenzten Körper und unserem begrenzten Geist, handelt es sich konventionell gesehen entweder um eine Welle oder ein Teilchen. Andere würden dem zustimmen, wenn sie es mit den gleichen Instrumenten betrachten und es scheint, als wäre es wirklich selbst-begründet eins von diesen beiden, aber so ist es nicht. Es hängt von dem Werkzeug ab, ob es dieses oder jenes ist – das ist abhängiges Entstehen.
Mit diesem Beispiel können wir es dann auf Dinge anwenden, die für uns in unserem Leben von Bedeutung sind. Bin ich eine Mutter? Oder bin ich eine Wissenschaftlerin? Bin ich nur eine Mutter, und bin ich nur eine Wissenschaftlerin? Bin ich wahrhaft eine Mutter, wenn ich zuhause bin und wahrhaft ein Wissenschaftlerin, wenn ich im Büro bin? Das wäre „entweder/oder“. Oder bin ich keines von beiden und etwas anderes? Vielleicht bin ich auch nichts? Wie ist es, dass ich konventionell gesehen eine Mutter und auch eine Wissenschaftlerin bin? Wodurch wird es begründet? Versucht man, mit diesen zwei Rollen zurechtzukommen, muss man verstehen, wie man selbst festgelegt wird. Ansonsten scheint es einen Konflikt zu geben oder man weiß einfach nicht, wie man damit umgehen soll. Dieses Thema ist im Grunde recht praktisch. Man geht ins Büro und denkt: „Oh, aber ich bin doch eine Mutter!“ Auf diese Weise identifiziert man sich mit dem einen oder dem anderen und ist frustriert, weil man die Dinge für selbst-begründet hält. Und das ist ein Problem, denn es fühlt sich wirklich so an.
Es wird sogar noch komplexer, denn wenn man konventionell gesehen sowohl eine Mutter als auch eine Wissenschaftlerin ist, braucht man individualisierendes tiefes Gewahrsein. „In der einen Situation bin ich eine Mutter und in der anderen eine Wissenschaftlerin. Wenn ich bei meinen Kindern bin, wäre es unangemessen, mich als Wissenschaftlerin und meine Kinder als ein Experiment zu betrachten. Auf der anderen Seite existieren diese zwei Rollen jedoch ohne große Abgrenzungen. Ich verhalte mich trotzdem vernünftig gegenüber meinen Kindern und ich kümmere mich um alle meine Kollegen auf der Arbeit, ohne sie jedoch zu bemuttern.“ Wie gleicht man diese verschiedenen Rollen aus, ohne sie als selbst-begründet zu betrachten? Man lässt den Ballon platzen.
Sind die Kinder ein Experiment? Ist man im Büro die Mutter, die allen Kaffee macht und sich darum kümmert, dass alle einen bequemen Stuhl zum Sitzen haben und Ähnliches? Putzt man ihnen die Nase? Wie wird man handeln?
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Fragen zur schlechten Laune
Wenn wir schlechte Laune haben, ist es doch hilfreich, wenn wir versuchen zu erkennen, unter dem Einfluss welcher störenden Emotion wir stehen: Anhaftung, Abneigung/Wut oder Unwissenheit/Naivität, oder nicht?
Ja, wenn wir schlechte Laune haben, sollten wir natürlich versuchen zu erkennen, was die Gründe dafür sind, wie sie entstanden ist usw. Die schlechte Laune könnte mit einer dieser störenden Emotionen vermischt sein oder auch nicht. Die störende Emotion könnte sich einfach darauf beziehen, auf naive Weise zu denken: „ich habe wirklich eine schlechte Laune und das ist nicht zu ändern.“ Es könnte jedoch eine schlechte Laune sein, die sich mit Wut oder mit Anhaftung mischt, wenn wir jemanden ganz schrecklich vermissen und deswegen schlecht drauf sind. Oder wir könnten schlechte Laune haben, weil es uns nicht gut geht. Indem wir es untersuchen, wird uns klar, woran wir arbeiten müssen.
Wenn ich schlechte Laune habe, finde ich es schwierig den Grund für das Problem zu finden. Es liegt nicht an der Umgebung und auch nicht an einem bestimmten Problem in meiner Beziehung oder auf der Arbeit. Könnte ich erkennen, was der Grund für meine schlechte Laune ist, wäre es mir möglich, damit zurechtzukommen. Wie kann man damit umgehen, wenn man schlechte Laune hat, obwohl es gar keine Probleme gibt?
Das ist eine wichtige Frage. In manchen Situationen können wir den Auslöser für unsere schlechte Laune identifizieren – vielleicht hat jemand etwas gesagt, auf der Arbeit ist etwas passiert, wir haben nicht genug geschlafen oder Ähnliches. In anderen Situationen scheint die schlechte Laune aus keinem bestimmten Grund aufzutreten – wir sind einfach mit dem falschen Fuß aufgestanden, wie wir auf Deutsch sagen würden.
Da stellt sich zunächst die Frage: Was ist denn eigentlich schlechte Laune? Die wesentliche Eigenschaft besteht darin, unglücklich zu sein. Wie definiert man Glücklichsein und Unglücklichsein? Man definiert sie als Weisen, das Reifen unseres Karmas – oder, genauer gesagt, das Reifen unserer karmischen Potenziale zu erfahren. Was wir während des Tages erfahren, beispielsweise in dieser oder jener Situation zu sein, ist etwas, das, zusätzlich zu vielen anderen Ursachen, aus unseren karmischen Potenzialen herangereift ist. Was aus karmischen Potenzialen zur Reife kommt ist das, was wir erleben.
Schreit uns beispielsweise jemand an, sind unsere karmischen Potenziale als diese Erfahrung herangereift. Sie haben nicht dazu geführt, dass die andere Person uns anschreit – der Grund dafür liegt in der Vergangenheit und in den störenden Emotionen der anderen Person. Unsere karmischen Potenziale reifen einfach zu dem heran, was wir erfahren. Wie erleben wir nun dieses Heranreifen? Wir erleben es irgendwo auf dem Spektrum zwischen einem Gefühl des Glücklichseins oder des Unglücklichseins.
Vielleicht esse ich jeden Tag das Gleiche zum Frühstück. Es ist eine Art Tendenz, dass ich jeden Tag zum Frühstück Müsli esse. Manchmal bin ich glücklich, wenn ich Müsli esse und manchmal nicht. Wie erlebe ich das Reifen dieser Tendenz, immer das Gleiche zum Frühstück zu essen? Macht es mich unglücklich, könnte ich diese Erfahrung als schlechte Laune beschreiben.
Dieses Unglücklichsein, das ich beim Frühstückessen erfahre, ist nicht selbst-begründet – es entstand nicht einfach so. Es ist ein Reifen karmischen Potenzials; es gibt also bestimmte Ursachen, die dazu führen. Es ist nicht einfach, wirklich zu verstehen, warum während dem Reifen dieses ganz bestimmten Karmas in Form meiner Frühstücks-Erfahrung noch etwas anderes heranreift und mich unglücklich macht. Wie kamen diese beiden Dingen zusammen und welchen Einfluss hat das Eine auf das Andere? Oder ist das Essen des Frühstücks nur der Rahmen des Heranreifens einer schlechten Laune und gibt es viele andere Umstände und Bedingungen, die zum Reifen eines anderen karmischen Potenzials und schließlich zu meiner schlechten Laune führen? Das ist wirklich schwer zu sagen. Nur ein allwissender Buddha kennt alle Details von karmischer Ursache und Wirkung.
Letztendlich geht es darum, wie wir mit diesem Gefühl des Unglücklichseins umgehen, das einfach so aufgetaucht ist. Wir müssen verstehen, dass dieses als schlechte Laune erlebte Unglücklichsein aus schädlichem Verhalten in der Vergangenheit, entweder in diesem oder einem früheren Leben, herangereift ist. Das ist Samsara und die Natur von Samsara ist nun einmal, dass es auf und ab geht. Manchmal sind wir glücklich, dann wieder unglücklich – daran ist nichts Besonderes. Es ist nicht so, dass wir das Gefühl des Unglücklichseins ignorieren, aber wir sehen es als nichts Außergewöhnliches und essen einfach unser Frühstück. Wir sagen uns: „Ich bin unglücklich, na und?“
Wir geben es zu und verfallen nicht dem nihilistischen Extrem. Wir erkennen, dass nicht der ganze Tag einfach nur furchtbar sein wird und wissen, dass es sich ändern kann. Hiermit kommen wir zum Verständnis der Vergänglichkeit. Vergänglichkeit heißt nicht, dass Dinge immer nur noch schlechter werden, sondern, dass sie auch besser werden können. Das trifft insbesondere dann zu, wenn es um das Gefühl von Glück und Leid geht – diese Dinge bewegen sich auf und ab. Hier lassen wir wiederum den Ballon platzen, diese Gedanken: „Oh, ich bin unglücklich, ich habe schlechte Laune, nun wird der ganze Tag furchtbar werden.“
Wenn wir es wirklich tiefgründig analysieren, ist es auch spannend, sich folgende Frage zu stellen: Gibt es da eine Art minderwertiges Gefühl oder eine subtile störende Emotion, wenn wir schlechte Laune haben? Sind wir wegen etwas verärgert, haben wir das Gefühl etwas zu verpassen oder bemitleiden wir uns vielleicht? Denn wenn es da eine störende Emotion gibt, sind wir nicht gerade glücklich – wir fühlen uns gestört und beunruhigt. Auf diese Weise können wir es betrachten, um eine Vorstellung davon zu bekommen, woran wir arbeiten müssen. Manchmal wissen wir auch nicht, worüber wir uns ärgern, sondern sind einfach verärgert – ich bin mir sicher, dass wir das alle schon erlebt haben. Oder das Gefühl etwas haben zu wollen: wir wissen nicht genau was, aber wir wollen etwas haben. Dann denken wir: „Was könnte ich essen“, oder „was kann ich im Internet finden“ oder „welches Lied könnte ich mir anhören“ – was immer es auch ist, dem wir uns zuwenden. Wir meinen: „ich will einfach etwas haben“, „ich ärgere mich über etwas“ oder „ich langweile mich“ – was bedeutet, dass wir etwas Interessantes erleben oder eine Art Befriedigung erfahren wollen. Interessant, uninteressant, Unzufriedenheit, Dopamin – wie auch immer wir es zu ergründen suchen.
Durch das Verständnis des abhängigen Entstehens, begreifen wir, dass Auswirkungen nicht unabhängig von Ursachen und Situationen existieren. Sehen wir uns die Ursachen an: wenn das Gefühl des Unglücklichseins aufgrund störender Emotionen entsteht, arbeiten wir an ihnen. Erkennen wir, dass wir wegen der karmischen Hinterlassenschaft unseres schädlichen Verhaltens als der so genannten „herbeiführenden Ursache“ – also dessen, wodurch das Resultat herbeigeführt wird – unglücklich sind, arbeiten wir daran, jegliches weitere schädliche Verhalten zu unterlassen und so gut es uns möglich ist konstruktiv zu handeln. Schädliches Verhalten wird durch störende Emotionen angeregt; es ist also alles miteinander verbunden. Wenn wir nicht ständig schlechte Laune haben wollen, versuchen wir uns in konstruktivem Verhalten zu üben und an unseren störenden Emotionen zu arbeiten.
Dann finden wir Beispiele von Menschen wie Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, der trotz aller Proteste und der Chinesen, sowie all dieser anderen Dinge stets glücklich ist und lacht. Wie kommt das? Ist es selbst-begründet, oder ist es das Resultat davon, über unzählige Leben hinweg viel an sich selbst gearbeitet zu haben? Und es ist möglich, auch so zu werden und dies sogar noch zu übertreffen und Buddhaschaft zu erlangen. Aber die meisten von uns wären wohl damit zufrieden, so zu werden wie Seine Heiligkeit!