Wir haben über unmögliche Existenzweisen von Personen gesprochen. Die Abwesenheit irgendeines tatsächlichen Bezugsgegenstands solcher unmöglichen Existenzweisen ist das, was Leerheit bedeutet. Wenn wir tiefer auf dieses Thema eingehen wollen, müssen wir über unmögliche Existenzweisen aller Phänomene sprechen – dies schließt Personen und Individuelles mit ein. Einige dieser vermeintlichen Existenzweisen haben wir möglicherweise durch ein bestimmtes Lehrsystem gelernt und sie beruhen somit auf Lehrmeinungen. Sie können aber auch automatisch auftreten. Auf die genaue Unterscheidung dessen werden wir hier nicht weiter eingehen. Wir können auch in unsere Erkenntnis, was unmöglich ist, und in dessen Widerlegung immer tiefer gehen und sie immer weiter verfeinern.
Zuerst müssen wir verstehen, dass Phänomene, die von etwas anderem abhängen, nicht statisch sind, sondern sich von Augenblick zu Augenblick verändern, aufgrund von Ursachen und Umständen entstehen und nicht auf dieselbe Art und Weise existieren wie völlig begriffsbestimmte Objekte, beispielsweise Kategorien. Etwas, das von anderen Dingen abhängig ist und sich von Augenblick zu Augenblick verändert, existiert nicht so wie eine Kategorie, die etwas ausschließlich Begriffliches ist.
Eine Kategorie ist etwas Festgelegtes. Wir haben zum Beispiel die Kategorie „Tisch“, die auf bestimmte Weise definiert ist, und sie trifft dann in dieser Form auf verschiedene Gegenstände zu; sie verändert sich nicht. Dinge, die abhängig von etwas anderem sind und in Abhängigkeit von Ursachen und Umständen entstehen, existieren nicht so wie irgendeine Art Kategorie. „Ich“ bin nicht bloß eine Art Kategorie. Es gibt ein „ich“, und es verändert sich von Augenblick zu Augenblick usw. Es ist zwar etwas, das einem Kontinuum sich ständig verändernder Aggregate zugeschrieben wird, aber es ist nicht so etwas wie die Kategorie „Tisch“, die einem Objekt zugeschrieben wird; es ist nicht nur eine erfundene Vorstellung.
Die anfänglichen Sichtweise, mit der wir uns jetzt befassen, besagt, dass das „ich“ von sich aus bestimmte definierende Charakteristika hat, die es zu einer individuellen, erkennbaren Person machen – eben zu „mir“ und nicht zu „dir“. Es gibt definierende Merkmale, z.B. allgemeine, wie etwa das Alter usw. Ein Körper – das gilt auch für andere Phänomene – hat bestimmte Merkmale, z.B. seine Größe usw. Nicht vorhanden ist jedoch eine Grundlage für die Festlegung eines Namens oder einer Eigenschaft – so wird das in Fachbegriffen ausgedrückt. Das bedeutet, dass das Objekt nicht von sich aus „Alex“ oder „Fifi“ oder dergleichen ist, sondern dies hängt von mehreren Faktoren ab. Ich bin ein Individuum, aber der Name ist nicht von Seiten des Objekts begründet. Die Größe des Objekts ist von Seiten des Objekts vorhanden, aber die Bezeichnung als „groß“ oder „klein“ ist nicht von Seiten des Objekts begründet. Sie steht in Beziehung zu etwas anderem: groß im Vergleich mit einer Ameise, klein im Vergleich mit einem Dinosaurier.
Das Objekt ist also vorhanden und es hat Merkmale, die es definieren. Ein bestimmtes Objekt hat charakteristische Merkmale. Eine flache Oberfläche und Beine, auf denen sie ruht, kann die Funktion erfüllen, etwas darauf Platziertes zu halten. Doch von sich aus existiert so etwas nicht als „Tisch“ oder „tavolo“ usw. Das sind Namen, die ihm zugeschrieben werden, ihm als Benennung zugefügt werden. Von sich aus hat das Objekt keinen bestimmten Namen und keine Qualität wie „gut“, „schlecht“, „groß“ oder „klein“. All das ist relativ.
Diese Tatsache ist ziemlich bedeutsam, wenn wir sie auf das „ich“ übertragen. Wir sagen: „Ich bin dumm“, „Ich tauge nichts“, „Ich bin dies, ich bin das“ – aber von Seiten des „ich“ ist nichts dergleichen vorhanden. All das ist relativ; es sind Bezeichnungen usw. Doch es gibt ein „ich“ und definierende Merkmale, die „mich“ zu einem Individuum machen usw. Es ist nicht nur eine erfundene Vorstellung oder eine Kategorie.
Wenn wir uns genauer mit diesem Bereich befassen, wird es sehr interessant. Wir können von einem Objekt nur im Zusammenhang mit unserer Erfahrung davon sprechen. „Was ist dieser Tisch?“ „Was ist eine Person?“ Wenn man darüber spricht, so geschieht dies in Verbindung mit einem Bewusstsein, mit dem darüber gesprochen wird. Sieht man das Objekt, so steht es in Verbindung mit einem Bewusstsein, das es sieht. Denkt man darüber nach, so steht es in Verbindung mit einem Geist, der darüber nachdenkt. Unabhängig von einem Geist ergibt „dieser Tisch“ keinen Sinn, denn wir sprechen ja darüber und das steht in Verbindung mit dem Geist. „Aber was ist mit dem Urknall oder mit der Erde, bevor es Leben darauf gab?“ Nun, wir sehen sie nicht, aber wir sprechen davon, also steht das in Beziehung zum Geist.
Alles, womit wir uns befassen können, sind eigentlich die Erscheinungen von etwas, steht also im Zusammenhang mit unserer Wahrnehmung davon. Im Rahmen der anfänglichen Erklärung, die ich gerade beschrieben habe, klingt es so, als würde man sagen, dass Objekte etwa so wie eine leere Diskette oder dergleichen sind, die eine bestimmte Größe hat und eine individuelle Diskette ist, und der dann „gut“ oder „schlecht, „Alex“ oder „Fifi“ oder was auch immer aufgedruckt wird. Und obwohl das der Fall ist, muss man verstehen, dass all das im Zusammenhang mit einem Bewusstsein steht. Es ist nicht so, dass Gegenstände allein für sich dort draußen als leere Kassetten oder Disketten existieren.
Das ist die Sichtweise der Chittamatra-Philosophie, die Sichtweise von „nur Geist“. Sagen wir, ich hätte einen Angehörigen, jemanden, den ich liebe. Es ist nicht so, dass er dort draußen wie eine Art leere Diskette existieren würde, als Individuum mit einer bestimmten Größe, einem Alter und dergleichen. Denn wenn ich an ihn denke, ihn liebe, ihn sehe usw., kann ich mich mit dieser Person nur im Zusammenhang mit meiner Erfahrung dieser Person befassen, damit, dass ich sie sehe, an sie denke usw.
Wir können nur im Zusammenhang mit unserer Erfahrung von etwas darüber reden, daran denken usw. In der jeweiligen Wahrnehmung kann ich es in Begriffe von „gut“ oder „schlecht“, „angenehm“ oder „nicht angenehm“, „hübsch“ oder „hässlich“ und dergleichen fassen, aber von sich aus, von Seiten dieser Erscheinung, ist es nicht so; ich projiziere das bloß. In meiner Wahrnehmung kann ich darauf zeigen; von seiner eigenen Seite aus ist es wie ein leeres Ding, auf das all diese Vorzüge usw. projiziert werden; doch es ist nicht so, dass es dort draußen als leere Diskette existiert.
Es geht hier um unsere Wahrnehmung von Menschen, Objekten usw., und in Bezug auf diese Wahrnehmung oder Erkenntnis müssen wir differenzieren, dass die Person oder das Objekt nicht auf dieselbe Art und Weise existiert wie jene Kategorien, etwa „gut“, „schlecht“, „hübsch“, „hässlich“ usw. Das ist eine sehr komplexe Sichtweise, die nicht einfach zu verstehen ist, und die eigentlich sehr tiefgründig ist.
Wir haben nicht sonderlich viel Zeit, und für gewöhnlich verfährt man so, dass am Ende die höchst komplizierten, schwierigen Inhalte ziemlich schnell abgehandelt werden. Die Theorie, die dieser Vorgehensweise zugrunde liegt, besagt: Entweder man versteht es oder aber man ist noch nicht so recht reif dafür, und dann wird man es auch nicht verstehen, wenn stundenlang darüber geredet wird, denn es erfordert eine Menge Überlegungen und Nachdenken, diese Inhalte zu verstehen. Wenn wir aus all dem zumindest den Punkt verstehen, das die Person nicht von sich aus „wundervoll“ oder „grässlich“ oder „Claudia“ (oder mit irgendeinem anderen Namen versehen) oder „ein Engel“ oder „ein Scheusal“ oder so etwas ist, d.h. wenn uns klar wird, dass dies nicht auf Seiten des Objekts besteht, sondern bloß etwas ist, das ihm sozusagen übergestülpt wird, und dass niemand von sich aus so existiert, dann ist das immerhin schon von großem Nutzen.
Es ist lediglich so, dass ich in dem Moment meiner Erfahrung dieser Person, also wenn ich an sie denke oder sie sehe usw., auf die bloße Person „Scheusal“ oder „Engel“ oder „wundervoll“ usw. etwas projiziere; doch es gibt eine Person, und jedes Mal, wenn ich sie erlebe oder an sie denke, projiziere ich möglicherweise etwas anderes auf sie, und wenn jemand anders sie wahrnimmt, projiziert er wieder etwas anderes auf sie. Was abwesend ist, ist also: dass die Objekte selbst „als das erwiesen sind, was sie tatsächlich sind“. Das ist nicht der Fall. Obwohl die Person einem sich dauernd ändernden Strom von Aggregaten – Körper, Geist usw. als Benennung zugeschrieben wird, ist das nicht dasselbe wie wenn einem Objekt die Bezeichnung „gut“ oder „schlecht“ zugeschrieben wird.
O.k, eine kurze Frage – ich möchte hier aber nicht zu viele Fragen anschließen, denn dann werden wir nie fertig. Es gibt nämlich noch zwei weitere Standpunkte, die zu erklären sind.
Wenn man die Dinge ausschließlich auf diese Weise betrachtet, ist es unmöglich, sich zu verlieben.
Ja, in gewisser Weise stimmt das. Sich zu verlieben ist ein ziemlich verstörter Geisteszustand. Wir können jemanden lieben, aber sich zu verlieben beinhaltet normalerweise, dass man Qualitäten der Person total übertreibt. Das ist ein verstörter Geisteszustand, denn wir leiden, wenn die Person nicht da ist, wir geraten ganz außer Fassung, denn in diesem Zustand ignorieren wir alle anderen in unserem Leben, unsere Arbeit usw.
Also keine Liebeslieder mehr …
Keine Liebeslieder mehr. Aber das schließt Liebe nicht aus. Liebe ist der Wunsch, dass die andere Person glücklich sein möge, dass sie die Ursachen für Glück haben möge, was auch immer sie tun mag und ungeachtet dessen, wie sie sich mir gegenüber verhält, ungeachtet dessen, wie sich anderen gegenüber verhält, sondern einfach weil sie ein Lebewesen ist und weil jedes Lebewesen glücklich sein möchte und keines unglücklich sein möchte.
Wenn wir alle Projektionen beseitigen, ist dann die Person noch da?
Ja, so ist es. Gemäß dieser Sichtweise ja. Zu Anfang habe ich das Wort „Projektion“ ganz allgemein verwendet, aber wir müssen hier differenzieren zwischen dem geistigem Hologramm der Person, das bei ihrer Wahrnehmung hervorgebracht wird, und der Projektion von „gut“, „schlecht“, „nett“, „wundervoll“, „abscheulich“ usw. Es ist nicht so, dass diese Bezeichnungen „gut“, „schlecht“ usw. falsch wären. Es kann durchaus sein, dass sie in Übereinstimmung mit einer bestimmten Konvention, was gutes Verhalten und was abscheuliches Verhalten ist, konventionell korrekt sind. Aber das ist relativ. So etwas ist nicht auf Seiten der Person vorhanden. Ein Beispiel: Man tischt jemandem eine Mahlzeit auf und nach dem Essen rülpst er. In der arabischen Gesellschaft gilt das als höflich; es zeigt, dass er das Essen genossen hat. In der westlichen Gesellschaft gilt das als sehr ungehobelt. Aufstoßen ist bloß Aufstoßen, egal wie man es nennt, aber im Rahmen einer Konvention, einer Gesellschaft ist es gültig, das „höflich“ oder aber „unhöflich“ zu nennen.
Also existiert das Objekt nicht, wenn wir es nicht erkennen?
Nein, es ist nicht so, dass das Objekt nicht existieren würde, wenn wir es nicht erkennen; aber wie können wir über ein Objekt sprechen außer im Kontext eines Gesprächs darüber? Wie kann man an ein Objekt denken außer im Kontext der Gedanken daran? Das ergäbe keinen Sinn. Die Folgerung daraus ist: Sorgen Sie sich nicht darum, wie die Objekte allein für sich aussehen. Wenn wir Leiden überwinden wollen, befassen Sie sich damit in Sinne von etwas, das man sieht oder hört, an das man denkt oder über das man spricht. Das ist der Zusammenhang. Worum geht es im Buddhismus? Es geht darum, Leiden zu überwinden. Das steht im Zusammenhang mit unserer Erfahrung.
Wenn z.B. in Bezug auf den Tisch alle begrifflichen Vorstellungen wie „gut“, „schlecht“, „groß“, „klein“ usw. beseitigen, was bleibt dann vom Tisch übrig?
Gemäß dieser Sichtweise: die definierenden Merkmale, ein individuelles Objekt in unserer Wahrnehmung, auf das wir zeigen können – „Dort ist das Objekt“, es hat eine Größe und eine Farbe. Aber wie wir das nennen, ist in gewisser Weise subjektiv. Es kann sein, dass ich es „gelb“ nenne und Sie nennen es vielleicht „braun“. Aber was macht das für einen Unterschied? Warum sollten wir uns darüber streiten? – Nun könnten Sie natürlich fragen: „Existiert denn der Tisch im Zimmer, wenn niemand ihn anschaut?“ Doch wir sprechen ja über ihn. Wir stellen diese Frage, also steht das in Verbindung mit einem Bewusstsein. Wenn man eine Frage dazu stellt – „Existiert er im Zimmer, wenn niemand darin ist?“ – schon ist er da, in Verbindung mit dem Geist, der die Frage stellt.
Letzte Frage.
Wenn sich im anderen Zimmer jemand befindet, der leidet, leidet er dann tatsächlich?
Ja, in meinen Gedanken an die leidende Person im anderen Zimmer leidet die Person. Sie existieren nicht nur in meinem Geist, und auch die andere Person existiert nicht nur in meinem Geist. Aber ich kann sie nur in Verbindung mit meinem Denken an sie oder damit, dass ich sie sehe oder über sie spreche, einschätzen. Außerhalb dieses Kontextes ergibt das keinen Sinn.
Es handelt sich hier um Mahayana-Sichtweisen. Es gibt Mitgefühl, Liebe, hilfreiches Verhalten gegenüber allen Lebewesen. Es geht nicht nur um etwas, das bloß wie eine erdachte Vorstellung im Kopf existiert. Aber wie gesagt, es handelt sich um eine Sichtweise, deren Verständnis überaus schwierig ist. Dafür sind viele Überlegungen und Erwägungen erforderlich, und wenn Sie noch nie von dieser Sichtweise gehört haben, betrachten Sie diese Erklärung als Einführung dazu. Erwarten Sie nicht, dass Sie sie sofort verstehen. Das ist schwierig und überaus tiefschürfend.
Die einfache Version: Wenn wir verstehen, dass jemand nicht von sich aus „gut“ oder „schlecht“ oder „wundervoll“ usw. ist, ist das ein guter Anfang. Wenn wir nämlich glauben, er würde von sich aus so existieren – „Du bist wahrhaft eine schreckliche Person“ -, dann steigt natürlich die störende Emotion Ärger in uns auf.
Natürlich muss man das alles im Zusammenhang mit der Leerheit von einer unmöglichen Seele von Personen verstehen, was ebenfalls besagt, dass jemand nicht dauerhaft und statisch „schrecklich“ ist, quasi ganz unabhängig davon, was ihm im Leben passiert ist, was er getan hat und dergleichen mehr. Das Verständnis, wie das Selbst existiert bzw. wie die Dinge existieren, steht in Verbindung mit dieser umfassenderen Darlegung.
Lassen Sie uns jetzt eine Minute Zeit nehmen, das aufzunehmen und zu verdauen, und dann machen wir weiter.
Die nächste Frage, die wir untersuchen müssen, lautet: Wodurch wird die Existenz von etwas erwiesen? Wodurch wird erwiesen, dass etwas existiert? Es geht nicht darum, wodurch etwas erschaffen wird. Es geht darum, was beweist, dass es existiert. Einige weniger ausgeklügelte Standpunkte würden geltend machen: „Wenn es eine Funktion erfüllt, existiert es. Dadurch ist erwiesen, dass es existiert.“ Und natürlich wird etwas dadurch, dass es eine Funktion erfüllt, nicht erschaffen. Wodurch ist erwiesen, dass Feuer heiß ist? Ich halte meinen Finger hinein und verbrenne mich. Dass mein Finger Verbrennungen aufweist, bewirkt nicht, dass das Feuer heiß ist; es erschafft nicht die Tatsache, dass Feuer heiß ist. Es beweist nur, dass es heiß ist. Das ist keine sonderlich ausgeklügelte Sichtweise. Wir können in unserer Betrachtung erheblich tiefer gehen. Es ergeben sich einige Probleme aus dieser Sichtweise, auf die wir aber nicht näher eingehen werden.
Die nächste Sichtweise besagt: „Nun, es wurde bereits die Verbindung mit dem Geist erwähnt, und das hatte mit der Erscheinung der Dinge zu tun. Jetzt lassen Sie uns über die Verbindung mit dem Geist im Hinblick darauf sprechen, wie erwiesen wird, dass etwas existiert.“ Das bringt uns zu dem tiefgründigen Thema geistiger Benennung. Was beweist, dass etwas existiert? Es wird dadurch erwiesen, dass es einen Namen bzw. eine Benennung, einen Begriff, gibt, der sich, wenn er auf eine angemessene Grundlage angewendet wird, auf etwas bezieht. Er kann ihr zugeschrieben werden. Die Existenz von etwas ist erwiesen, wenn es einer Grundlage gültig zugeschrieben werden kann – gültig, wohlgemerkt, denn sonst könnte man ja beliebig irgendetwas zuschreiben. Das klassische Beispiel dafür ist, dass ich sonst die Benennung „König“ einfach irgendwem zuschreiben könnte – ich könnte sie einem Bettler zuschreiben, ich könnte sie einem Hund zuschreiben. Gemäß dieser Sichtweise gibt es jedoch auf Seiten des Objekts bestimmte Merkmale, die in Verbindung mit dem Begriff „König“ beweisen, dass dies ein König ist.
Es gibt Wörter und begriffliche Vorstellungen für etwas. Aber die Wörter und Begriffe erschaffen die Dinge nicht. Woher weiß man, wie beweist man, dass es so etwas wie eine Wand gibt? Nun, es gibt den Begriff „Wand“. Ich kann ihn dieser ebenmäßigen Fläche zwischen Boden und Decke zuschreiben, und es gibt in diesem Zusammenhang ein charakteristisches Merkmal – „ebenmäßige Fläche zwischen Boden und Decke“ -, das ich als „Wand“ benenne. Die Kombination eines auffindbaren charakteristischen Merkmals auf Seiten des Objekts zusammen mit dem Wort bzw. Begriff „Wand“ – was ja eine Kategorie ist beweist, dass da eine Wand existiert; es beweist die Existenz einer Wand.
„Wand“ ist eine Kategorie. Der Begriff hat eine Definition. Aber um ein Objekt korrekt damit benennen zu können, müssen auf dessen Seite die charakteristischen Merkmale vorhanden sein, die der Definition entsprechen. Möglicherweise werden „Muro“ und „Wand“ auf dieselbe Weise definiert, vielleicht aber auch nicht. Aber um etwas „Muro“ und „Wand“ nennen zu können, muss es auf Seiten des Objekts ein charakteristisches Merkmal geben, das in Verbindung mit der Benennung erweist, dass es eine Wand ist. Die Wand wird dadurch nicht erschaffen. Sie wurde aus Stein und Verputz gemacht.
Auch wenn wir uns nicht darauf einlassen, sie „Wand“ oder „muro“ oder sonst etwas zu nennen, gibt es auf Seiten des Objekts etwas, das es zu einem „erkennbaren Objekt“ macht. Es gibt z.B. etwas auf Seiten des Objekts, dass es von der Decke und von dem Fußboden unterscheidet, dass es zu einem individuellen erkennbaren Objekt macht, nämlich das charakteristische Merkmal eines „erkennbaren Objekts“, das in Verbindung mit der Bezeichnung „erkennbares Objekt“, „Ding“ oder dergleichen erweist, dass es ein Ding ist.
Nun übertragen wir diese Überlegungen auf Personen. Was ist eine Person? Ich kann eine „Person“ zuschreiben. Sie ist das, worauf sich das Wort „Person“ bezieht, auf der Grundlage der sich ständig ändernden Aggregate. Doch es gibt auf Seiten der Aggregate etwas, das sie, wie ein charakteristisches Merkmal, zu einem Individuum macht, sodass „ich“ es bin, nicht „Sie“. Ein Tisch ist keine geeignete Grundlage für die Bezeichnung „ich“; er ist keine gültige Grundlage dafür, obwohl wir manchmal wirklich verrückte Ausdrucksweisen gebrauchen. Ich weiß nicht ob man sich auf Italienisch auch so ausdrückt, aber auf Englisch fragt man z.B., wenn man jemandem nach seinem geparkten Auto fragt: „Wo parkst du?“, und die Antwort könnte lauten: „Ich bin da drüben.“ „Ich“? Es ist ja der Wagen, der dort steht. Wirklich eine komische Art, sich auszudrücken.
Jedenfalls ist die soeben beschriebene Sichtweise die des Svatantrika-Systems, das der Madhyamaka-Philosophie zugeordnet wird. Klar: Ich bin nicht nur eine Kategorie. Wenn wir die Benennung einer bestimmten Kategorie verwenden, verwenden wir sie für ein individuelles Objekt wie z.B. einen Tisch. Dieser Gegenstand hier hat die charakteristischen Merkmale eines Tisches, und jener Gegenstand dort vor ihnen hat ebenfalls die charakteristischen Merkmale eines Tisches und er hat die charakteristischen Merkmale eines individuellen, erkennbaren Objekts. Dieser Tisch ist nicht jener Tisch. Doch was ihn als Tisch erweist, ist das Wort bzw. der Begriff „Tisch“ zusammen mit der Grundlage, die die charakteristischen Merkmale aufweist, durch die das Wort bzw. der Begriff „Tisch“definiert wird.
Ist das Objekt etwas, das nur begrifflich erkannt werden kann? Nein. Ich sehe es, und ich sehe, dass es ein erkennbares Objekt ist. Wodurch wird erwiesen, dass es ein erkennbares Objekt ist? Es gibt eine Benennung, den Begriff eines erkennbaren Objekts plus dessen charakteristisches Merkmal. Wenn ich es „Tisch“ nenne und als „Tisch“ daran denke, dann ist das ein begriffliches Erkennen. Aber ich muss nicht „Tisch“ oder so etwas sagen, um dieses Objekt zu sehen. Das ist eine Erklärung, die nicht ganz einfach zu verstehen ist, etwas, womit wir uns wirklich intensiv beschäftigen müssen: mit dem Thema der geistigen Benennung. Die geistige Benennung ist etwas, das erweist, dass etwas existiert, aber sie erschafft die Dinge nicht. Ich erschaffe keinen Tisch, bloß indem ich ihm den Namen „Tisch“ gebe. Wie beweisen wir die Existenz des Tisches bzw. eines erkennbaren Objekts? Nun, es handelt sich um das, worauf sich das Wort „Tisch“ bezieht, und zwar auf einer bestimmten Grundlage, und diese Grundlage muss die definierenden Merkmale haben, die die korrekte Bezeichnung ermöglichen.
Untersuchen wir den Satz: „Ich bin in jemanden verliebt“. Was ist eine „Person“? Eine Person ist das, was den sich ständig ändernden Aggregaten eines Körpers und Geistes usw. als Benennung zugeschrieben wird. Es ist ja nicht so, dass ich in einen Tisch verliebt bin oder in jenes Objekt dort drüben, das ich „Person“ nenne. Wenn ich in eine bestimmte Person verliebt bin und an sie denke und sie als schön bezeichne, so geschieht das aufgrund einiger charakteristischer Merkmale in meiner Definition dessen, was schön ist, die ich in dieser Person finde. Wir können nur in Verbindung mit Begriffen, Worten und Benennungen erweisen, dass etwas etwas ist, dass irgendetwas etwas Bestimmtes ist. Andernfalls könnten wir nicht miteinander kommunizieren.
Die Prasangika-Sichtweise in der Madhyamaka-Philosophie geht noch einen Schritt weiter und vertritt den Standpunkt: „Das einzige, was dies beweist, ist lediglich das, worauf sich das Wort bzw. die Benennung bezieht. Aber es gibt kein definierendes Merkmal, das man auf Seiten des Objekts finden kann. Selbst das definierende Merkmal ist zugeschrieben.“
Das Beispiel, das ich dafür immer verwende, ist einfach zu verstehen, finde ich, nämlich „Farbe“. Welche Farbe hat dieser Teppich? Nun, ich könnte ihn als „rot“ bezeichnen und jemand anders könnte ihn als „orange“ bezeichnen. Was beweist, dass er rot oder orange ist? Besteht eine bestimmte Wellenlänge auf Seiten des Objekts, die rot oder orange ist? Wenn wir die Wellenlänge von Licht untersuchen, ist festzustellen, dass es auf Seiten des Lichts keine Grenzlinie gibt, die besagt: „Auf dieser Seite die Grenzlinie wird es ‚rot‘ genannt und auf jener Seite der Grenzlinie wird es ‚orange‘ genannt.
Die Kategorie wird von einem Bewusstsein erstellt: so wird etwas definiert. Je mehr wir darüber nachdenken, umso tiefgründiger wird diese Erklärung. Zum Beispiel Gefühle – existieren Gefühle in einer Art Schubladen? Auf dieser Seite der Grenzlinie ist es Liebe, und auf jener Seite der Grenzlinie ist es etwas anderes? Sogar die definierenden Merkmale sind geistig zugeschrieben: etwas vom Geist Erdachtes.
Sagen wir, wir empfinden Eifersucht. War jeder Moment und jeder Vorfall von Eifersucht in unserem Leben genau gleich? Ist das, was ich empfinde, wenn ich eifersüchtig bin, und was ich „Eifersucht“ nenne, dasselbe, was Sie so nennen und empfinden? Nein, aber es gibt den Begriff „Eifersucht“ und das Wort „Eifersucht“, und es bezieht sich auf etwas. Aber das ist nicht von seiner eigenen Seite aus bewiesen, mit einer dicken Linie drumherum oder eine Plastikhülle, die es zu einem gesonderten Ding namens „Eifersucht“ macht.
Wir müssen gemäß dieser Sichtweise zwischen dem „Objekt, auf das sich eine Bezeichnung bezieht“ und einem so genannten „Bezugs-Ding“ Bezugsgegenstand unterscheiden. Wenn ich das Wort „Eifersucht“ oder das Wort „gut“ oder „rot“ oder „orange“ verwende, bezieht es sich auf etwas; es gibt ein Objekt, worauf es sich bezieht. Was ist eine Person? Eine Person ist das, worauf sich das Wort „Person“ bezieht, z.B. auf der Grundlage der Aggregate. Es handelt sich um ein Objekt, worauf sich etwas bezieht. Ein „Bezugs-Ding“ wäre etwas, das von seiner Seite aus „in dieser Schublade“ existiert. Ich denke, das ist der Unterschied, ganz einfach ausgedrückt. Die Dinge existieren nicht in Schubladen, so, wie unsere Wörterbücher das nahe legen: „Hier ist es, in dieser Rubrik des Wörterbuchs, und so muss es auch dort draußen existieren, nämlich in dieser Rubrik.“ Aber so existieren die Dinge nicht.
Doch Wörter und Begriffe beziehen sich auf etwas, und die einzige Art, wie wir beweisen können, dass etwas existiert, ist in unserer Kommunikation und in unserem Denken – es ist das, worauf sich unsere Worte und Gedanken beziehen.
Auch Wörter bestehen bloß durch Konventionen. Die Geräusche selbst haben keine Bedeutung in sich. Menschen haben in grauer Vorzeit Töne zusammengefügt und gesagt „Dieses Geräusch bedeutet jenes Objekt dort drüben.“ Selbst die Bedeutung der Wörter ist also bloß geistig erwiesen, begründet durch Benennung. Und trotzdem – genau wie bei der Tatsache, dass man nicht durch den Stuhl fällt – übermitteln Worte etwas, nicht wahr?
Wer ist also diese Person, die ich liebe? Es gibt eine Person. Sie hat eine Geschichte; es gibt ein ganzes Kontinuum von Bewusstseinsmomenten und Objekten, derer sie sich bewusst ist, und all das wurde beeinflusst durch all die Menschen, mit denen sie zu tun gehabt hat, und alles, was sie je getan hat, und ihre Emotionen und vieles mehr. In wen bin ich also verliebt? Nun, in die Person. Ich kann die Person benennen. Jeder kann eine Person benennen, aber welche Charakteristika usw. ich dieser Person zuschreibe, beruht auf meinem eigenen persönlichen Wörterbuch dieser Begriffe. Gibt es eine Person? Ja, die gibt es. Wie beweist man, dass es eine Person gibt? Ich habe den Begriff einer „Person“. Wie erkenne ich diese Person? Anhand eines Körpers. Ich kann nicht bloß die Person erkennen; es erscheint also ein Körper oder ich denke an etwas, das sie getan hat, oder so etwas in der Art. Wir müssen hier nicht alles ausführen, was wir schon besprochen haben.
Wenn wir auf Erklärungen stoßen, in denen es heißt: „Versuchen Sie, ihren Geist zu finden. Befindet er sich in ihrer Nase? Hat er eine Farbe?“ und dergleichen, und nicht dieses ganze Hintergrundwissen haben, lautet unser Fazit wie gesagt nur: „Na und?“ Aber wenn wir das im Zusammenhang mit dieser ganzen Darstellung verstehen, dieser ganzen Abfolge von Verständnisschritten – worum geht es dann? Es geht um dies: Man kann kein Ding namens Geist finden, wie in Plastik gehüllt, mit einem definierenden Merkmal, das es zu „Geist“ macht, und dem man das Wort „Geist“ geben kann.
Wo ist die Hand? Ist sie in diesem Finger oder in jenem Finger oder in jenem? Wo ist der Finger? Kann man einen „Finger“ finden? Es gibt die Gliedmaßen und Gelenke. Ist er nur dieses Gelenk oder jenes? Man kann ihn nicht finden. Gibt es eine Hand? Sicher, es gibt eine Hand. Wie beweist man das? Es gibt den Begriff „Hand“ und er bezieht sich auf etwas: es kann Tätigkeiten verrichten usw. In Schwierigkeiten geraten wir, wenn wir sagen: „Iih, meine Hand ist hässlich“, „Hach, meine Finger sind zu kurz“ und dergleichen. Dann müssen wir auf das zurückkommen, was wir zuvor gesagt haben: „Nun, das steht in Relation zu verschiedenen anderen Dingen. Es gibt nichts auf ihrer eigenen Seite, das sie „hässlich“ oder „kurz“ usw. machen würde.
Wir leugnen nicht die Existenz von Dingen. Wenn wir von Leerheit sprechen, geht es um die Abwesenheit der unmöglichen Arten zu existieren, nämlich als tatsächliches Bezugs-Ding zu existieren, das man finden kann, das man aufzeigen kann und dem die Wörter und Begriffe – im Englischen können wir diesen Unterschied machen – entsprechen. Sie „entsprechen“ nicht diesen Dingen; sie „beziehen sich“ auf etwas. „Entsprechen“ würde bedeuten, dass es sich tatsächlich dort draußen in einer Schublade namens „rot“ oder in einer Schublade namens „gut“ oder in einer Schublade namens „schlecht“ befindet, wie in einer Wörterbuch-Rubrik. Davon ist es leer. Das kann nicht sein. Nichts existiert auf diese Weise. Doch unsere Wörter beziehen sich auf etwas und wir erkennen es und andere Menschen stimmen dem zu usw.
Das ist überaus tiefgründig. Ich existiere, Sie existieren; aber was beweist, dass ich existiere? Ist das etwas auf meiner eigenen Seite? Kann man es finden – irgendein definierendes Merkmal, das mich zu „mir“ macht? Wir könnten sagen: „Es ist ein bestimmtes Genom.“ Aber was ist ein Genom? Es besteht aus lauter Teilen – ist es dieses Teil oder jenes? „Ich bin etwas Besonderes“ - wir alle haben diese komische Vorstellung. Wir sind individuell, das ist richtig. Ich bin nicht Sie; aber gibt es irgendetwas Besonderes, das „mich“ zu mir macht? Was könnte es geben, das man finden könnte und das „mich“ zu mir macht? Wir denken jedoch, es gäbe etwas, das „dich“ zu dir macht, und dass du deswegen etwas Besonderes bist, und dass ich von dir geliebt werden muss. Jemand anders zählt nicht. Ich muss von dir geliebt werden. Wenn wir diese Sichtweise verstehen, sind wir imstande, die Verwirrung, die zu unserem Leiden führt, wesentlich tiefer gehend aufzulösen.
Wenn wir eine sehr verstörende Art von Liebe haben, die mit Anhaftung und Verlangen verbunden ist, und uns elend fühlen, wenn wir nicht mit dieser Person zusammen sind usw., dann ist es erforderlich, diese aufeinanderfolgenden Stufen der Untersuchung durchzugehen. Warum liebe ich diese Person? Was ist eine Person? Was ist es, das ich liebe? Was ist es, woran ich so hänge? Und wer ist dieses „ich“, das irgendwie das Gefühl hat, dass ich etwas dadurch gewinnen würde, diese Liebe zu erlangen? Das ist die Art und Weise, wie wir dieses Verständnis der Leerheit anwenden und diese Inhalte auseinandernehmen.
Dann finden wir eine vernünftigere Basis, die andere Person zu lieben – nicht, weil sie „so etwas Besonderes!“ oder dies oder jenes ist, das meinem Begriff von „schön“ usw. entspricht. Was bleibt, ist, dass jeder glücklich sein möchte und keiner unglücklich sein möchte.
Wir mögen denken: „Vielleicht haben wir eine karmische Verbindung“ – dann müssen wir uns mit der Leerheit von Ursache und Wirkung dieser so ganz besonderen karmischen Verbindung beschäftigen, die wir haben könnten. Wo ist diese besondere Verbindung? Was ist sie? Wie existiert sie? Ist sie ein auffindbares Band zwischen uns, etwa so wie ein Stab, der zwei Kugeln verbindet? Worin besteht sie? Die Untersuchung geht immer weiter.
Warum liebe ich jemanden? Ich könnte sagen: „Weil du so nett zu mir bist und bewirkst, dass ich mich gut fühle. Du schenkst mir Zuneigung“ usw., aber das ist meine eigene Definition. Vielleicht findet man sie auch in einem Wörterbuch unter „Was ist‚ liebenswert‘?“ Doch bist du wirklich von seiner eigenen Seite aus liebenswert? Und was ist: „Du schenkst mir Zuneigung“? Ist das immer dasselbe in jedem Moment? Was hast du dabei eigentlich getan? Lag es an deinem Finger, der mich berührt hat? Etwas anderes? Was war es? Wo war das? – Auf diese Weise nehmen wir es auseinander. „Ooh, ich liebe dich wegen diesem und jenem“ – es ist nicht so, dass wir ganz ohne Gefühle zurückbleiben. Aber es ist keine Übertreibung dabei, keine Verstörung. Und was bleibt, sind liebevolle, herzliche Gefühle für jeden. Jeder ist gleich.
Auf der Grundlage einer gleichmäßigen Einstellung gegenüber allen, ohne Bevorzugte, können wir dann irgendwann schließlich als ein Buddha wirken, um jedem von Nutzen zu sein. Natürlich werden einige Menschen uns gegenüber empfänglicher sein als andere. Das ist eine andere Geschichte. Aber unsere Bereitschaft, unsere Einstellung, ist gegenüber jedem dieselbe – ohne Favoriten.
Lassen Sie uns nun mit einer Widmung schließen. Wir denken: Möge jegliches Verständnis, jegliche positive Kraft sich in diese Richtung entwickeln, sodass wir die Leerheit auf diese Weise verstehen und jedem mit gleicher Einstellung und Verständnis von Nutzen sein können.