Ich wurde gebeten, an diesem Wochenende über Selbstleerheit und Anderesleerheit zu sprechen, die im Tibetischen Rangtong (rang-stong) und Zhentong (gzhan-stong; shentong) genannt werden. Hierbei handelt es sich um ein wirklich fortgeschrittenes, kompliziertes und wichtiges Thema, das viel Geduld und Zeit erfordert, um erst einmal einen Zugang zu dieser Art von Lehren zu finden.
Mein Plan besteht darin, euch eine gewisse Arbeitsgrundlage zu geben, die notwendig und hoffentlich hilfreich ist, um tiefer in dieses Thema eintauchen zu können. Wir sollten jedoch verstehen, dass es viel Zeit und Bemühung braucht, um erst einmal ein Verständnis dafür zu entwickeln, worum es hierbei geht. Aber irgendwo müssen wir alle anfangen und eine Möglichkeit ist, sich einen Überblick darüber zu verschaffen, was damit verbunden ist.
Geistige und emotionale Blockaden, die hinderlich für das Verständnis sind
Eine Sache, die mit der Herausforderung des Verstehens dieses Lehrstoffs einhergeht und wirklich unerlässlich dafür ist, besteht darin, genügend positive Kraft aufzubauen, damit unser Geist offen genug ist und wir empfänglich sind, ihn zu verstehen. Dieses Wort, das ich als „positive Kraft“ (tib. bsod-nams, Skt. puṇya) übersetze, wird normalerweise mit Verdienst übersetzt, aber ich denke, dass dies eine irreführende Übersetzung ist, denn es ist nicht so, als müssten wir, wie im geschäftlichen Sinne, etwas verdienen oder genügend Punkte bekommen, um zur Belohnung die Leerheit verstehen zu können; darum geht es ganz bestimmt nicht.
Das Problem ist, dass diese Art von Lehrstoff, wie gesagt, nicht leicht zu verstehen ist. Viele von uns haben keinen offenen Geist und haben zahlreiche geistige und emotionale Blockaden, die uns daran hindern, ihn zu verstehen. Diese geistigen Blockaden können die Form von ganz einfachen Dingen annehmen, wie das Gefühl: „Ich kann das nicht verstehen. Es ist viel zu schwierig. Warum ist es so kompliziert? Warum mussten sie es so kompliziert machen? Warum kann es nicht einfacher sein?“ Oder wir könnten, nachdem wir ein wenig verstanden haben, sagen: „Das reicht. Weiter will ich wirklich nicht gehen. Das ist viel zu intellektuell und irgendwie langweilig.“ Oder wir sind frustriert, wenn wir es nicht verstehen können und sind deswegen emotional genervt. Wir können sogar wütend werden, wenn jemand versucht uns zu überzeugen, dass es wirklich hilfreich sein kann, es zu verstehen. Wir könnten ein verwirrtes Verständnis der Leerheit haben und daran festhalten. Versucht dann jemand, unser Verständnis zu korrigieren, sind wir engstirnig und werden zornig und feindselig. Besonders was dieses Thema der Selbstleerheit und Anderesleerheit betrifft, was ja darauf hindeutet, dass es mehrere Weisen gibt, die Leerheit zu verstehen und mit ihr zu arbeiten: Wenn wir nicht verstehen, dass es sich so verhält, könnten wir an unserem eigenen Verständnis oder dem, was wir studiert haben, hängen, sektiererisch und ziemlich feindselig gegenüber einer der anderen Sichtweisen werden, die alle gleichermaßen gültig sind.
Das sind recht ernsthafte geistige und emotionale Blockaden, die uns daran hindern, nicht nur die Leerheit, sondern irgendetwas in den buddhistischen Lehren zu verstehen; und nicht nur in den buddhistischen Lehren, sie könnten uns daran hindern, irgendetwas zu verstehen. Positive Kraft aufzubauen, um unseren Geist zu öffnen und empfänglicher zu werden, ist wirklich ziemlich essenziell. Es ist wichtig, diesen Aspekt der Lehren nicht für geringfügig zu halten und diese Art der Bemühung nicht auf Dinge zu begrenzen, wie 100.000 Niederwerfungen zu machen, die wir auch in einem Fitness-Klub als eine Übung oder Methode ausführen könnten, um abzunehmen. Da das Ausführen von Niederwerfungen auch eine buddhistische Praxis ist, bekommen wir somit zwei Dinge für den Preis von einem – wir nehmen ab und bauen positives Potenzial auf!
Positive Kraft aufbauen, indem man anderen Menschen hilft
Die effektivste Weise, positive Kraft aufzubauen, besteht darin, tatsächlich über Mitgefühl, Liebe und Bodhichitta zu meditieren, und nicht nur das, sondern auch hinzugehen und anderen wirklich zu helfen. Wir sollten ernsthaft über unserer eigenes Leben, das Leiden und die verschiedenen Schwierigkeiten, die wir im Leben haben, nachdenken und, wenn wir mit anderen Menschen arbeiten, erkennen, dass sie die gleichen Probleme, die gleichen Leiden haben, sowie dass ihre Leiden und Probleme genauso schmerzhaft für sie sind, wie unsere Leiden und Probleme es für uns sind. Daraufhin sollten wir uns fragen, wie wir anderen helfen können, wenn wir selbst wütend, gierig, egoistisch und faul sind. Das lernen wir besonders, wenn wir anderen helfen, denn wir müssen das Gefühl, ihnen nicht helfen zu wollen und keine Lust dazu zu haben, überwinden.
Öffnen wir unseren Geist – und nicht nur unseren Geist, sondern auch unser Herz – gegenüber unserem Leiden und dem Leiden anderer, gestehen wir es ein und fühlen es, hilft uns das, einen Blick darauf zu werfen, was die Ursachen dafür sind, ob es möglich ist, sie zu beenden und wie wir sie beenden können, wie in den vier edlen Wahrheiten. Denken wir immer tiefer über die vier edlen Wahrheiten nach und arbeiten mit ihnen, beruhend auf unserer Erfahrung, anderen zu helfen, beginnen wir, die Wichtigkeit und Notwendigkeit zu erkennen, ein Leerheitsverständnis zu entwickeln. Mit der positiven Kraft, die durch diesen Vorgang aufgebaut wird, werden wir immer empfänglicher dafür, die Leerheit zu verstehen, denn wir erkennen, dass wir ein Leerheitsverständnis haben müssen, um unsere Faulheit und Selbstbezogenheit, sowie all diese anderen Dinge zu überwinden, die uns davon abhalten, anderen zu helfen.
Indem wir unseren Geist und unser Herz auf diese Weise öffnen, wird eine große Liebe gegenüber dem Thema der Leerheit in all seiner Kompliziertheit und Komplexität entstehen. Alle großen indischen Meister haben gesagt, dass das empfänglichste Behältnis oder der empfänglichste Geist für das Leerheitsverständnis jener ist, der eine große Liebe gegenüber der Leerheit hat. Er liebt es, über sie zu hören, er liebt es, über sie nachzudenken, er liebt es, über sie zu meditieren, und nicht nur, weil sie intellektuell interessant ist, sondern weil er eine Wertschätzung gegenüber der absoluten Notwendigkeit und Wichtigkeit des Verwirklichens der Leerheit hat.
Ich denke, wir können das verstehen. Wenn wir nicht lieben, was wir tun, werden wir es leid. Wir wollen nicht damit weitermachen, werden frustriert und genervt. Das bezeichnen wir als „geistige und emotionale Blockaden“. Besonders, wenn wir nicht die Notwendigkeit und Wichtigkeit dessen erkennen, was wir tun – wenn es uns sinnlos und trivial erscheint – ist es ziemlich schwer, irgendwelche Energie hineinzustecken und dann verschließen wir uns.
Diese ganze Diskussion, die wir gerade über das Aufbauen positiver Kraft hatten, wird oft einfach mit der Phrase: „die Motivation bekräftigen und stärken“ zusammengefasst. Wenn wir es jedoch einfach nur mit diesen Worten ausdrücken, verlieren wir manchmal die Bedeutung dessen, was es wirklich ist. Diese ganze Darstellung ist jedoch entscheidend, um die Leerheit und irgendetwas in den Lehren verstehen zu können.
Inspiration von einem spirituellen Lehrer
Eine interessante Frage ist nun natürlich folgende: Wenn das die Methoden zum Überwinden geistiger und emotionaler Blockaden, sowie des Problems sind, sich nicht öffnen zu können, wie überwinden wir dann die geistigen und emotionalen Blockaden, sowie diese Verschlossenheit gegenüber dem Hören, wie man geistige und emotionale Blockaden, sowie Verschlossenheit überwindet? Nun, ganz allgemein ist hier eine gesunde Beziehung zu einem spirituellen Lehrer als am hilfreichsten. „Gesund“ bedeutet, dass sie nicht auf einer Art neurotischer Abhängigkeit oder Heldenverehrung beruht. Der eigentliche Zweck der Beziehung zu einem spirituellen Lehrer besteht nicht nur darin, Anweisungen zu bekommen, sondern inspiriert zu werden.
Dieses Wort, was normalerweise mit „Hingabe“ (tib. bsten-pa) übersetzt wird, wie in dem Begriff „Hingabe zum Guru“, ist im Grunde ein Wort, das nicht nur in Verbindung mit einem spirituellen Lehrer benutzt wird, sondern eine angemessene Beziehung zu einem Arzt charakterisiert. Es ist verbunden mit dem tibetischen Wort „sich auf jemanden verlassen“ (tib. brten-pa), das aber auch zusätzlich noch eine eher kausative Assoziation hat: „was dazu führt, sich auf jemanden zu verlassen“, und dabei geht es grundsätzlich um Vertrauen und Überzeugung. Wir haben die Person überprüft, entweder den Arzt oder den spirituellen Lehrer, und wir haben sie als qualifiziert befunden, wir haben ihre Güte erkannt und miterlebt – wir sind also überzeugt, dass sie uns nur helfen will und uns nicht verletzen wird – und damit können wir ihr vertrauen und vertrauen uns ihr an. „Sich selbst jemandem anzuvertrauen“ heißt, dass wir offen und empfänglich gegenüber der Person sind, besonders, was ihren so genannten Einfluss, ihren positiven Einfluss betrifft, und somit öffnen wir uns, um uns von ihr inspirieren zu lassen.
Wir denken darüber nach, wie sie so geworden sind. Hier werfen wir wieder einen Blick auf die Texte der großen indischen Meister, die sagen, dass sie Buddhaschaft erlangt haben oder große Meister geworden sind, indem sie ein Leerheitsverständnis entwickelt haben. Aryadeva hat es so ausgedrückt. Hier geht es darum, ein Buddha zu werden oder, wenn sie keine Buddhas waren, ein großer spiritueller Meister zu werden. Was haben hingegen jene erreicht, die einfach nur völlig verwirrt hinsichtlich der Realität waren und meinten, Dinge würden auf unmögliche Weise existieren? Sie haben nur noch mehr Leiden und Probleme bekommen; diese Zwei kann man also miteinander vergleichen.
Wie haben Buddha und die großen spirituellen Meister die Leerheit verwirklicht und verstanden? Es ist passiert, weil sie, ein Leben nach dem anderen, unglaublich viel Zeit damit verbrachten, positive Kraft aufzubauen, indem sie nicht nur den Lehren zuhörten, über sie nachdachten und über sie meditierten, sondern anderen auch tatsächlich halfen. Durch den Einfluss und die Inspiration eines qualifizierten – keines unqualifizierten, sondern eines qualifizierten – spirituellen Lehrers und die förderlichen Umstände anderer, die ähnliche Interessen hatten – andere Schüler, welche diesen spirituellen Dingen nachgingen oder zumindest an ihnen interessiert waren – beginnen wir, uns durch diese Unterstützung (die Unterstützung des Lehrers und der Gemeinschaft anderer) dafür zu öffnen, die Ursachen dafür aufzubauen, um die Leerheit so zu verstehen, wie unser Lehrer sie verstanden hat. Das bedeutet, dass wir positive Kraft aufbauen, indem wir anderen tatsächlich helfen und uns um ihr Wohlergehen kümmern.
Betrachten wir die Biografie von Tsongkhapa, dem Gründer der Gelug-Tradition, finden wir eine Auflistung seiner vier großen Taten. Diese Vier umfassen nicht all die Belehrungen, die er gegeben, die Werke, die er verfasst und all die Retreats, die er ausgeführt hat. Sie umfassen keines dieser Dinge, aber was umfassen sie dann?
- Sie umfassen die Tatsache, dass er den Vinaya (die Mönchsgelübde der Disziplin) gelehrt und die Wichtigkeit betont hat, sie rein zu halten.
- Er restaurierte und stellte eine riesige Statue von Maitreya, dem nächsten Buddha, wieder her.
- Er setzte dem Jowo – der heiligsten Buddhastatue – in Lhasa ein Krone auf und zeigte damit, dass sie nicht nur ein Nirmanakaya, sondern ein Sambhogakaya-Buddha war, was heißt, dass sie immer da sein und lehren wird, bis jeder Befreiung aus Samsara erlangt hat.
- Und er rief das Mönlam-Festival ins Leben, das große Festival der Gebete in Lhasa, zu dem die Mönche aus all den verschiedenen Klöstern und Traditionen zusammenkamen und alle möglichen Gebete rezitierten und viele positive Praktiken zusammen ausführten.
Was bedeutet es, diese Dinge als die großen Taten von Tsongkhapa zu bezeichnen, und nicht die 3,5 Millionen Niederwerfungen, die er ausgeführt hat, und solche Dinge? Es zeigt die Wichtigkeit, positive Kraft aufzubauen, ethische Disziplin zu wahren, Lehren, wie jenen von Maitreya in der Zukunft und dem Sambhogakaya, der ewig da sein wird, zu fördern, sowie dem ein jährliches Gebetsfest abzuhalten, um eine durch die Institution festgelegte Zeit zu haben, die dem Aufbauen positiver Kraft gewidmet ist.
Was hat Tsongkhapa selbst getan, um eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit zu erlangen? Er war der Gelehrteste seiner Zeit. Er hatte all die Texte der großen Nalanda-Meister Indiens gelesen, hatte mit den großen Meistern aller tibetischen Traditionen seiner Zeit studiert, hatte von ihnen immer wieder Belehrungen über die Leerheit empfangen und diesbezüglich viele Retreats ausgeführt. Doch er war mit seinem Verständnis nicht zufrieden, da er wusste, dass er noch keine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit hatte.
Was tat er also? Er war bereits ein wirklich fortgeschrittener Praktizierender – er hatte auch zahlreiche tantrische Retreats ausgeführt – jenseits aller Ebenen, die wir uns vorstellen können. Er nahm eine Gruppe seiner Schüler und ging mit ihnen in einen langen Retreat. Ich habe vergessen, wie lang er war, ich glaube, ein paar Jahre, und in diesem Retreat machten sie Niederwerfungen. Sie führten 100.000 Niederwerfungen zu jedem der 35 Buddhas des Eingestehens aus, was 3,5 Millionen Niederwerfungen sind, und sie brachten 1.800.000 Mandala-Opfer dar. Warum taten sie das? Offenbar, um immer mehr positive Kraft aufzubauen. Er hatte bereits hart daran gearbeitet, anderen zu helfen, doch er sah, dass das Ausführen dieser vorbereitenden Übungen notwendig war, um weiterzukommen.
An jedem Abend führten sie in diesem Retreat außerdem die Selbst-Initiation von Yamantaka aus, was keine kleine Sache ist, sondern eine eher lange und komplizierte Praxis. Warum führen wir eine Selbst-Initiation aus? Wir tun es, weil es eine Methode ist, um unsere gebrochenen Bodhisattva- und tantrischen Gelübde zu erneuern und zu reinigen. Dies in Verbindung mit Yamantaka zu tun, ist von Bedeutung. Yamantaka ist die kraftvolle Form Manjushris – die Verkörperung der Weisheit oder des unterscheidenden Gewahrseins all der Buddhas – und so repräsentiert er äußerst kraftvolle Energie, um geistige und emotionale Blockaden, Hindernisse und ähnliches zu durchtrennen, die uns beispielsweise daran hindern würden, Leerheit zu verstehen. Warum wollen wir reine ethische Disziplin einhalten, wenn wir ein Meditationsretreat ausführen? Nun, ethische Disziplin bedeutet, destruktives Verhalten zu unterlassen. Handeln wir destruktiv, wird dadurch negative karmische Kraft aufgebaut. Wir unterlassen destruktives Handeln und handeln stattdessen konstruktiv, da dadurch positive Kraft aufgebaut wird. Damit kommen wir wieder zurück zu dem gleichen Punkt, der Notwendigkeit, positive Kraft aufzubauen, um geistige und emotionale Blockaden und Hindernisse zu durchbrechen.
Auch wenn wir keinen so großen Zugang zu lebenden spirituellen Lehrern haben, die wirklich hochqualifiziert sind und uns inspirieren können, ist es möglich, sich immer ein Beispiel an den großen Meistern der Vergangenheit zu nehmen, wie Tsongkhapa, um Inspiration aus ihren Beispielen und Taten zu erfahren, damit wir überzeugt davon werden, was wir tun müssen. Was macht uns so besonders, dass wir keine positive Kraft aufbauen müssen, Tsongkhapa es jedoch tun musste?
Als mein eigener Lehrer, Serkong Rinpoche, von einem jungen Hippie um Belehrungen zu den sechs Yogas von Naropa gebeten wurde, nahm er ihn sehr ernst. Das war in der Hippie-Zeit und der Mann stand wahrscheinlich unter Drogen, als er kam. Doch anstatt ihn davonzujagen und zu sagen: „Sei nicht albern, das ist ja viel zu fortgeschritten“, antwortete er: „Wie schön, dass es dich interessiert, so etwas zu lernen. Wenn du wirklich die sechs Yogas lernen und praktizieren willst, musst du folgendermaßen beginnen.“ Daraufhin sprach er zu ihm über die ersten Schritte, die es zu unternehmen galt, um die notwendige Grundlage und die positive Kraft zu schaffen, damit er tatsächlich diese sechs Yogas von Naropa praktizieren konnte.
Natürlich sind wir keine Gruppe von unter Drogen stehenden Hippies und manche oder viele von euch sind vielleicht schon ziemlich fortgeschrittene Praktizierende; ich kenne hier nicht jeden Einzelnen, doch wenn Tsongkhapa auf seiner Ebene des Fortschritts noch mehr positive Kraft aufbauen musste, um Leerheit zu verstehen, bin ich mir sicher, dass wir alle, auch ich, dasselbe tun müssen. Daher habe ich, als Einführung zu diesem Wochenende, erklärt, wo wir beginnen müssen, wenn wir wirklich Selbstleerheit und Anderesleerheit verstehen wollen, was, wie gesagt, sehr fortgeschritten, kompliziert und wirklich schwierig zu verstehen ist. Wir müssen offen dafür sein, von einem spirituellen Lehrer oder durch Beispiele spiritueller Lehrer der Vergangenheit inspiriert zu werden, ethische Disziplin einzuhalten und immer mehr positive Kraft aufzubauen, insbesondere indem wir über Liebe und Mitgefühl nachdenken oder Meditieren und tatsächlich hinausgehen und anderen helfen.
Leiden durch das Verständnis der Leerheit überwinden
Zuvor habe ich kurz erwähnt, dass wir, wenn wir anderen helfen wollen, merken, nicht wirklich effektiv sein zu können, weil wir uns ärgern, selbstsüchtig sind, keine Lust dazu haben und so weiter. Das bringt uns dann dazu, es im Sinne der vier edlen Wahrheiten in Bezug auf unsere eigene persönliche Erfahrung und die Erfahrung anderer zu betrachten.
Wir mögen nun in der Lage sein, die vier edlen Wahrheiten aufzuzählen, aber reicht das aus? Keine Angst, ich werde euch nicht abfragen, aber vielleicht könnt ihr selbst überprüfen, ob ihr die vier edlen Wahrheiten in eurem Geist aufzählen könnt. Ich gebe euch ein paar Momente Zeit dafür.
[Pause]
Habt ihr sie zusammenbekommen? Wie dem auch sei, sogar wenn wir sie aufzählen können, ist es nicht nur wichtig, sie wie in einem Quiz abzufragen, sondern herauszufinden, wie tief wir sie tatsächlich verstanden haben. Der Grund, warum ich das erwähne, liegt darin, dass die Leerheit und das Verständnis der Leerheit tief mit dem Verständnis und der Erklärung der vier edlen Wahrheiten verbunden ist; das ist der Zusammenhang. Ohne einen Zusammenhang und ohne den richtigen Kontext sind die Lehren über die Leerheit, sowie unsere Versuche, sie zu verstehen, nur eine intellektuelle Übung, die bestenfalls interessant ist. Wie Aryadeva jedoch sagte, lehrte Buddha die Leerheit, um uns zu helfen, Leiden zu überwinden. Das ist der einzige Grund, warum Buddha sie lehrte und es ist der einzige Grund, warum wir versuchen, sie zu verwirklichen.
Daher sollten wir verstehen, wovon wir hier eigentlich reden, wenn es um Leiden geht, und wie uns das Verständnis der Leerheit davon befreit. Wir sollten überzeugt sein, dass das Verständnis der Leerheit tatsächlich all unsere Leiden beseitigt, sodass sie niemals wieder auftreten werden. Nur dann können wir mit unserer Motivation weitergehen, indem wir überzeugt davon sind, dass uns das Verständnis der Leerheit hilft, unser eigenes Leiden zu überwinden und uns damit befähigt, anderen besser helfen zu können, ihr Leiden zu überwinden.
Das ist ziemlich interessant, denn hier haben wir einen Kreislauf: wir benötigen die Motivation, um zu verstehen, und wir benötigen Verständnis, um Motivation zu entwickeln. Je mehr wir verstehen, desto mehr erkennen wir, dass wir wirklich die Leerheit verstehen müssen, und das verstärkt unsere Motivation. Diese zwei verstärken sich also gegenseitig.
Vielleicht haben wir schon gehört, wie dieser Punkt mit anderen Worten erklärt wurde, insbesondere bezüglich der Darstellung des so genannten „Hervorbringens der zwei Ansammlungen“. Ich mag das Wort „Ansammlungen“ nicht wirklich, weil es auf ein Sammeln von Dingen hindeutet, wie das Sammeln von Briefmarken. Es ist jedoch nichts Triviales, wie in einem Spiel, indem wir Punkte ansammeln, um zu gewinnen. Ich übersetze den Begriff lieber als „zwei Netzwerke“. Es handelt sich hierbei um ein interaktives, recht dynamisches, zweifaches System des Aufbauens positiver Kraft und tiefen Gewahrseins. All die Aspekte der zwei Netzwerke stehen miteinander in Wechselwirkung, was sie beide festigt und stärkt. Wir sammeln nicht nur Punkte im Sinne von Verdiensten und Erkenntnissen, die wir dann in ein kleines Buch einkleben. So ist es nicht, sondern sehr viel komplexer. Wie gesagt, verstärken sich die Motivation dieses Netzwerks positiver Kraft und das Verständnis dieses Netzwerks tiefen Gewahrseins gegenseitig.
Konzeptuelle und nichtkonzeptuelle Wahrnehmung
Betrachten wir als Einführung die vier edlen Wahrheiten etwas eingehender. Diese vier Punkte, die Buddha lehrte, werden für gewöhnlich als die „edlen Wahrheiten“ übersetzt. Dieses Wort „edel“, das hier benutzt wird, ist die normale Übersetzung für einen Arya. „Aryas“ sind hochverwirklichte Wesen, die eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der vier edlen Wahrheiten hatten. Genauer gesagt, hatten sie eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten: vier für jede Wahrheit.
Reden wir hier über nicht-konzeptuelle Wahrnehmung, sprechen wir nicht von Sinneswahrnehmung, wie das Sehen, die auch nicht-konzeptuell ist. Vielmehr geht es dabei um nicht-konzeptuelle „yogische“ Wahrnehmung. Dieser Begriff bedeutet, dass die nicht-konzeptuelle Wahrnehmung mit einem geistigen Bewusstsein stattfindet, mit dem man die Vollkommenheit von Shamatha und Vipashyana erlangt hat. Das sind die Sanskrit-Worte und auf Tibetisch sprechen wir von „zhiney“ (zhi-gnas, ruhiges Verweilen) und „lhagtong“ (lhag mthong, besondere Einsicht).
- „Shamatha“ bedeutet „ein still gewordener und zur Ruhe gekommener Geisteszustand“. Er ist vollkommen beruhigt von jeglicher geistiger Dumpfheit, Flatterhaftigkeit des Geistes und geistigem Abschweifen, und er ist mit vollkommener Konzentration auf ein Objekt gerichtet. Außerdem ist er mit einem Gefühl der Leistungsfähigkeit verbunden, mit dem Körper und Geist beflügelt werden und man sich auf etwas so lange konzentrieren kann, wie man möchte.
- „Vipashyana“ bedeutet wörtlich „Geisteszustand von außergewöhnlicher Wahrnehmungsfähigkeit“. Es handelt sich um einen Geisteszustand, der zusätzlich zum Shamatha erlangt wird. Wir verfügen bereits über Shamatha und dann haben wir zusätzlich dazu ein zweites Gefühl der Leistungsfähigkeit, mit der wir mit dem Geist nicht nur in der Lage sind, uns so lange wir wollen auf ein Objekt auszurichten, sondern auch tiefgreifend alle Einzelheiten dessen verstehen und nachvollziehen können, worauf wir uns fokussieren oder wie es existiert.
Diese yogische Wahrnehmung auf der Grundlage von Shamatha und Vipashyana kann entweder konzeptuell oder nicht-konzeptuell sein und sich auf fast alles richten. Hier ist sie, was die Aryas betrifft, auf diese 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten gerichtet, und zwar nicht-konzeptuell, also nicht durch das Medium einer Kategorie.
Es ist wichtig zu verstehen, was wir hier mit Kategorie (tib. spyi) meinen. Das ist der Schlüssel dafür, den Unterschied zwischen konzeptueller und nicht-konzeptueller Wahrnehmung zu verstehen. Eine Kategorie ist eine konzeptuelle Klassifizierung, in die ähnliche Dinge mit gemeinsamen charakteristischen Merkmalen passen, wie die Kategorie „Apfel“, in die viele Arten einer bestimmten Frucht und individuelle Früchte passen – es sind alles Äpfel. Eine Kategorie ist wie das Konzept oder die Vorstellung, die wir davon haben, was ein Apfel ist.
Wenn wir an einen spezifischen Apfel denken, denken wir im Sinne einer Kategorie „Apfel“ an ihn: „das ist ein Apfel“. Um an einen Apfel zu denken, müssen wir ihn jedoch durch etwas darstellen, das in unserem Geist erscheint. Es könnte ein geistiges Bild davon sein, wie ein Apfel aussieht, oder es könnte ein geistiges Bild davon sein, wie ein Apfel schmeckt. Es könnten viele verschiedene Arten von geistigen Bildern sein. Mit „Bild“ meine ich nicht unbedingt etwas Visuelles, sondern ein geistiges Hologramm eines Sinnesmerkmals. Wir könnten auch die Kategorie „Apfel“ mit dem Wort „Apfel“ benennen und an einen Apfel nur durch den geistigen Klang „Apfel“ denken, der wie durch eine Stimme in unserem Kopf entsteht. Mit konzeptueller Wahrnehmung denken wir an Dinge immer durch Kategorien.
Die nicht-konzeptuelle Wahrnehmung findet ohne eine Kategorie statt. Es ist nicht so schwer zu verstehen, wie Sinneswahrnehmung nicht-konzeptuell sein kann. Wenn wir einen Apfel sehen, entsteht ein geistiges Hologramm eines Apfels in unserer Wahrnehmung, aber keine Kategorie. Es ist jedoch ziemlich schwer zu verstehen, wie nicht-konzeptuelle Wahrnehmung funktioniert, wenn sie mit geistigem Bewusstsein stattfindet. Wie denken wir ohne die Kategorie „Apfel“ an einen Apfel? Vielleicht kommt die Verwirrung durch die Konnotation des Wortes „denken“.
Wenn wir an ein Objekt, an ein individuelles, spezifisches Objekt, denken, wissen wir, was es ist. Es ist nicht so, dass wir es nicht wissen und irgendwie benommen sind. Doch wenn wir an etwas nicht-konzeptuell denken, ist es nicht mit einer allgemeinen Kategorie oder einem Wort verbunden. Wie wissen wir also, was es ist? Es ist ziemlich schwierig sich auch nur vorzustellen wie das wäre, denn sich etwas vorzustellen ist mit Kategorien und Konzepten verbunden.
Reden wir von der nicht-konzeptuellen Wahrnehmung eines Aryas, solltet ihr nicht denken, es ginge dabei um unser gewöhnliches Denken oder um eine mystische Erfahrung. Eine „mystische Erfahrung“ ist eine Kategorie und was sie bedeutet ist ziemlich vage. Vielmehr geht es um etwas ganz spezifisches, wenn wir über die nicht-konzeptuelle yogische Wahrnehmung eines Aryas reden.
Was verstehen die Aryas, wenn sie sich auf diese 16 Aspekte der vier Fakten richten? Was sie mit Shamatha und Vipashyana wahrnehmen und verstehen, ist nicht die Bedeutung dieser 16 Aspekte, sondern auch, dass sie wahr und korrekt sind. Gewöhnliche Menschen oder Praktizierende anderer nicht-buddhistischer indischer Traditionen würden sie nicht für wahr halten, doch Aryas, die sich auf sie fokussieren, verstehen, dass sie wahr sind. Das ist es, was eine edle Wahrheit ist. Obwohl wir uns – beispielsweise in Bezug auf die erste edle Wahrheit – auf alle möglichen verschiedenen Beispiele des Leidens richten und sie zusammen der Kategorie „Leiden“ oder „wahres Leiden“ zuordnen können, würden sich Aryas auf ein individuelles Beispiel des Leidens richten und es als das verstehen, was es ist, ohne es mit einer Kategorie verbinden zu müssen. Wie gesagt ist es wirklich ziemlich schwierig sich vorzustellen, was es wirklich ist.
Die Erste Edle Wahrheit
Die erste edle Wahrheit ist wahres Leiden. Es gibt drei Arten von Leiden. Die ersten zwei Arten des Leidens sind Dinge, die auch in vielen anderen religiösen Systemen als Leiden betrachten werden; es handelt sich dabei nicht wirklich um die tiefgründigsten Leiden oder die wahren Leiden, um die es hier geht.
Was sind diese ersten zwei Arten des Leidens? Das erste ist das Leid des Leidens, was sich auf das Leid des Unglücklichseins bezieht. Unglücklichsein kann verschiedene Grade der Intensität haben und es kann entweder die Sinneswahrnehmung von etwas begleiten – etwas mit dem Gefühl des Unglücklichseins zu sehen oder Schmerz mit dem Gefühl des Unglücklichseins zu empfinden – oder es kann die geistige Wahrnehmung begleiten, wie an etwas mit dem Gefühl des Unglücklichseins zu denken. Sogar Tiere können diese Art des Leidens erkennen und versuchen, es zu vermeiden.
Dann gibt es das Leid der Veränderung, was sich im Wesentlichen auf unser gewöhnliches Glücklichsein bezieht. Dieses gewöhnliche Glücklichsein ist etwas, das nicht andauert und nie zufriedenstellend ist – wir wollen immer noch mehr. Wenn es dann endet, wissen wir nie, was als nächstes kommen wird; es ist also auch unsicher. Und wäre dieses gewöhnliche Glücklichsein wahres oder letztendliches Glück, wären wir um so glücklicher, je mehr wir davon bekämen. Essen wir zum Beispiel unsere Lieblingsspeise, ein Eis, würden wir um so glücklicher sein, je mehr wir davon essen. Sind es jedoch zwei, fünf oder zehn Portionen, müssten wir immer glücklicher werden, je mehr wir davon essen. An einem bestimmten Punkt wird aus dem Glücksgefühl jedoch großes Leid und Übelkeit, wenn wir zehn Portionen Eis auf einmal essen. Das ist wirklich komisch, denn einerseits können wir nie genug bekommen. Schon am nächsten Tag werden wir mehr haben wollen, doch essen wir alles auf einmal, kann es tatsächlich irgendwann zu viel sein. Dies überwinden zu wollen, ist keine rein buddhistische Sache; es gibt viele Religionen, in denen davon die Rede ist, weltliches flüchtiges Glück aufzugeben, um zum Beispiel das ewige Glück im Himmel zu erlangen.
Auch wenn das Leid des Leidens und das Leid der Veränderung wahre Leiden sind, geht es bei ihnen nicht um das Eigentliche, worüber der Buddha als wahres Leiden sprach und was die Aryas nicht-konzeptuell als wahr erkennen. Das Leiden, das nur der Buddha und die Aryas erkennen und auf das sie sich nicht-konzeptuell als wahr ausrichten, ist die dritte Art des Leidens, das in den tibetischen Kommentaren wörtlich als „alles umfassende beeinflussende Art des Leidens“, in den früheren indischen Texten aber lediglich als „die beeinflussende Art des Leidens“ bezeichnet wird. Dies wird ausschließlich im Buddhismus so vertreten.
Es gibt zwei Erklärungen dieser dritten Art des Leidens. Die erste, wie man sie in den indischen Texten findet, ist häufiger und bezieht sich auf unsere gewöhnlichen Aggregate, oder einfach gesagt, auf unseren Körper und Geist. Es ist „alles umfassend“, weil unsere Aggregate jeden Moment unserer Erfahrung umfassen, ob dieser Moment nun mit gewöhnlichem Glücklichsein oder Unglücklichsein verbunden ist. Es ist „beeinflussend“, weil es die Grundlage ist, die einen Einfluss auf die Tatsache hat, dass wir die ersten beiden Arten des Leidens erfahren werden. Daher wird es als „alles umfassende beeinflussende Art des Leidens bezeichnet: kyab-par duche-gyi dug-ngel (khyab-pa ’du-byed-kyi sdug-bsngal).
Dieses wahre Leiden bezieht sich somit auf die Tatsache, dass wir unkontrollierbar sich wiederholende, befleckte Aggregate haben. Dieser Begriff ist etwas technisch. „Befleckt“ (tib. zag-pa) – manchmal übersetzt als „verunreinigt“ – bedeutet mit Unwissenheit befleckt. Wir werden immer wieder mit einem Körper, einem Geist und Emotionen geboren, die wir aufgrund unseres mangelnden Gewahrseins gegenüber der Realität (unserer Unwissenheit) und unserer Verwirrung herbeiführen. Aus diesem Grund sind unsere Aggregate mit diesem mangelnden Gewahrsein und Verwirrung vermischt und werden daher auch als „herbeiführende Aggregate“ (tib. nyer-len-gyi phung-po) bezeichnet, da sie zu immer mehr Aggregaten führen, die ebenfalls mit mangelndem Gewahrsein und Verwirrung verbunden sind. Sie finden unkontrollierbar statt – das ist Samsara – und sie setzen sich immer weiter fort, außerhalb unserer Kontrolle, also ob wir es wollen oder nicht. Diese Art von Körper und Geist mit all dieser Verwirrung bekommen wir immer wieder, in jeder Wiedergeburt, und das ist die Grundlage dafür, das Leid des Unglücklichseins und das Leid des gewöhnlichen Glücklichseins zu erfahren. Das ist das wahre Problem, das wahre Leiden.
Die zweite Erklärung des alles umfassenden beeinflussenden Leidens, das man in den tibetischen Kommentaren findet, bezieht sich auf das neutrale Gefühl des Gleichmuts, frei von Gefühlen des Unglücklichseins oder Glücklichseins, das wir auf der Basis von Shamatha erfahren, wenn wir noch tiefer in die vierte Ebene der geistigen Beständigkeit (den vierten Dhyana) und jenseits der vier tieferen formlosen Vertiefungen versunken sind. Dieses neutrale Gefühl ist „beeinflussend“, weil es, wenn es für einen Zustand der Befreiung gehalten wird, zu einem Abfallen in einen der schlechten Wiedergeburtszustände führt. Es ist „alles umfassend“, weil es die Wurzel dafür ist, wiederholt die ersten zwei Arten des Leidens – Unglücklichsein und gewöhnliches Glücklichsein – mit den befleckten Aggregaten in allen nachfolgenden Wiedergeburten zu erfahren.
Diese zweite Erklärung ist wirklich relevant, da Praktizierende vieler nicht-buddhistischer indischer Traditionen die Erfahrung dieses neutralen Gefühls des Gleichmuts, welche sie in diesen tiefen Dhyana-Zuständen machen, für die Erfahrung der Befreiung von unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt, Samsara, halten und meinen, es wäre das, was der befreite Atman erfährt. Buddha und die Aryas sind die Einzigen, die erkennen, dass dieses neutrale Gefühl in diesen Dhyanas wahres Leiden und keine Befreiung ist. Alle anderen sind sich dieser Tatsache nicht bewusst.
Wir können die vier Aspekte der ersten edlen Wahrheit verstehen, wenn diese edle Wahrheit als ein neutrales Gefühl des Gleichmuts festgelegt wird. Sie sind:
- nicht-statisch – nicht statisch, wie es die Nicht-Buddhisten glauben;
- eine Art des Leidens – kein Zustand, der frei von Leiden ist, wie sie es auch glauben;
- frei von einem statischen, teilelosen Atman, der unabhängig von einem Körper oder Geist existiert – nicht was so ein Atman erfährt, wenn er befreit ist; sowie
- ohne einem Atman, der eigenständig und unabhängig von einem Körper oder Geist erkannt werden kann – also nicht, was solch ein Atman erfährt, wenn er befreit ist.
Die Zweite Edle Wahrheit
Was ist in dieser ersten Erklärung des wahren Leidens die Ursache, die wahre Ursache dafür, diese unkontrollierbar sich wiederholenden befleckten Aggregate zu haben, die jeden Moment unserer Erfahrung durchdringen und unsere wiederholenden Höhen und Tiefen des Erfahrens von Unglücklichsein und gewöhnlichem Glücklichsein beeinflussen und „herbeiführen“? Was sind ihre Ursachen? Das führt uns zur zweiten edlen Wahrheit: die wahre Ursache dieses wahren Leidens.
Um diesen Punkt zu begreifen, ist es notwendig zu verstehen, dass sowohl Glücklichsein als auch Unglücklichsein Gefühle sind, Empfindungen eines Grades an Glücklichsein oder Unglücklichsein. Sprechen wir vom Aggregat der Empfindungen, geht es um diese Sache. Eine „Empfindung“ wird definiert, als wie wir das Reifen unseres Karmas erfahren. Glücklichsein ist, wie wir das Reifen unseres positiven Karmas oder konstruktiven Karmas erfahren, und Unglücklichsein ist, wie wir das Reifen unseres negativen oder destruktiven Karmas erfahren.
Genauer gesagt erfahren wir Unglücklichsein als das Reifen der negativen karmischen Hinterlassenschaft, die durch das Denken, Ausführen oder Sagen von etwas Destruktivem aufgebaut wird. Diese negative karmische Hinterlassenschaft besteht aus negativer karmischer Kraft (tib. sdig-pa, Skt. pāpa) und unspezifischen karmischen Tendenzen (tib. sa-bon, Skt. bīja). „Unspezifisch“ bedeutet, dass Buddha sie nicht als entweder konstruktiv oder destruktiv festgelegt hat. Ich werde hier nicht weiter auf die Unterschiede zwischen diesen zwei Arten der karmischen Hinterlassenschaft eingehen. Glücklichsein, gewöhnliches Glück, ist, wie wir das Reifen positiver karmischer Kraft (tib. bsod-nams, Skt. puṇya) erfahren und Unglücklichsein, wie wir das Reifen negativer karmischer Kraft erfahren. Obgleich es etwas komplizierter ist, kann man vereinfacht sagen, dass sich die karmischen Kräfte und karmischen Tendenzen mit dem Geisteskontinuum fortsetzen, nachdem die karmischen Handlungen ihre beabsichtigten Ziele erreicht haben.
Damit diese karmischen Kräfte und karmischen Tendenzen reifen und unsere Erfahrungen von Unglücklichsein oder gewöhnlichem Glücklichsein hervorbringen, müssen sie aktiviert werden. Der Mechanismus dafür wird mit den zwölf Gliedern des abhängigen Entstehens beschrieben.
Kurzum, was sie aktiviert, ist zunächst das Verlangen (tib. sred-pa, Skt. tṛṣṇā). Was bedeutet Verlangen? Wir erfahren gewöhnliches Glücklichsein und wollen nicht davon getrennt werden. Wenn wir ein Gefühl des Unglücklichseins erfahren, wollen wir davon getrennt werden. Das Verlangen ist ein sehr starker Wunsch, eine störende Emotion. Wir verlangen, nicht von dem Gefühl des Glücklichseins getrennt zu werden und verlangen, von dem Gefühl des Unglücklichseins getrennt zu werden. Das Sanskrit-Wort, das meist als „Verlangen“ übersetzt wird, bedeutet übrigens wörtlich „dürsten“. Wir dürsten nach etwas und wollen unseren Durst stillen. Es ist fast ein körperlicher Zwang. Wir wollen nicht von diesem Gefühl des Glücklichseins getrennt werden und wollen wirklich frei von diesem Gefühl des Unglücklichseins sein.
Der zweite Faktor, der diese karmische Hinterlassenschaft aktiviert, wird als ein „Herbeiführer“ (tib. nyer-len, Skt. upādāna) bezeichnet. Er ist eine Geisteshaltung oder eine störende Emotion, die für uns im Grunde die Aggregate einer zukünftigen Wiedergeburt herbeiführen wird, die weder destruktiv noch konstruktiv sind, wie der Körper, die Art des Bewusstseins und Geistesfaktoren, wie Aufmerksamkeit und so weiter. Es gibt fünf verschiedene Arten von herbeiführenden Emotionen und Geisteshaltungen, doch die markanteste ist hier, sich mit dem zu identifizieren, was gerade stattfindet: „Ich, dieses solide Ich, darf nicht von dem Gefühl des Glücklichseins getrennt werden. Ich, dieses solide Ich, muss von dem Gefühl des Unglücklichseins getrennt werden.
Diese störende Emotion des Verlangens und diese herbeiführende Geisteshaltung aktivieren zusammen die karmische Kraft und karmische Tendenzen. Sie werden in der Form eines karmischen Impulses, eines „werfenden karmischen Impulses“ aktiviert, der das Geisteskontinuum antreibt, sich mit den Aggregaten (Körper und Geist) der nächsten Wiedergeburt zu verbinden, welche die Basis dafür ist, die Gefühle des Unglücklichseins oder gewöhnlichen Glücklichseins zu erfahren. Das ist die wahre Ursache oder der wahre Ursprung des Leidens und das ist es, was wir loswerden wollen. Die große Frage ist: Können wir die unkontrollierbar sich wiederholenden befleckten Aggregate mit einem Körper und Geist loswerden, welche die Basis für das Erfahren des Leids des Leidens und des Leids der Veränderung sind? Das bedeutet: „Können wir frei von den störenden Emotionen und herbeiführenden Geisteshaltungen werden, welche diese karmische Hinterlassenschaft aktivieren?“
Was ist die Basis für wahres Leiden und die wahren Ursprünge des Leidens? Es ist das Geisteskontinuum. Das Geisteskontinuum enthält die Erfahrungen der Gefühle des Glücklichseins und des Unglücklichseins, sowie die störenden Emotionen, und aufgrund des Geisteskontinuums haben wir karmische Kräfte und karmische Tendenzen.
Im Sinne der zweiten Erklärung des wahren Leidens – der neutralen Gefühle des Gleichmuts, die in den höheren Zuständen des Dhyana erfahren werden – ist der wahre Ursprung oder die Ursache dieses wahren Leidens, wenn wir es erfahren, das Verlangen oder Dürsten danach, dass es niemals abnimmt und wenn „ich“ es in einem Zustand der Befreiung, in dem ich unabhängig von einem Körper und einem Geist existiere, nie als abnehmend erfahre.
Die dritte edle Wahrheit
Die Frage ist nun, ob diese störenden Emotionen und Geisteshaltungen, sowie diese karmische Hinterlassenschaft wesentliche Bestandteile der Natur des Geisteskontinuums oder der Natur des Geistes sind, die nie beseitigt werden können, weil sie Teil dieser Natur und somit jeden Moment da sind, oder ob sie beseitigt werden könnten, sodass sie niemals wieder auftreten. Das ist die Frage, die mit der dritten edlen Wahrheit, den wahre Beendigungen der Leiden und deren Ursprünge oder Ursachen beantwortet wird.
Sprechen wir von den Schleiern des Geistes, geht es um zwei Arten: emotionale Schleier (tib. nyon-sgrib) und kognitive Schleier (tib. shes-sgrib). Gemäß der Gelug-Prasangika-Erklärung sind die emotionalen Schleier all diese störenden Emotionen und Geisteshaltungen, sowie deren Tendenzen und auch die karmischen Kräfte und karmischen Tendenzen. All das gibt es auf Seiten der emotionalen Schleier. Fassen wir sie zusammen, ist der eigentliche emotionale Schleier das mangelnde Gewahrsein oder die Unwissenheit in Bezug darauf, wie wir, andere und alle Dinge existieren, die unser Greifen nach unmöglichen Existenzweisen begleitet. Darum geht es beim mangelnden Gewahrsein oder der Verwirrung: um das Greifen danach, dass Dinge auf eine unmögliche Weise existieren.
Die kognitiven Schleier sind die ständigen karmischen Gewohnheiten und die anhaltenden Gewohnheiten der störenden Emotionen und Geisteshaltungen. Sie bringen den Geist dazu, in jedem Moment Erscheinungen unmöglicher Existenzweisen hervorzubringen. Beruhend auf dem ständigen Entstehen dieser trügerischen Erscheinungen greifen wir danach, dass diese Erscheinungen dem entsprechen, wie Dinge tatsächlich existieren – wir glauben, dass diese trügerischen Erscheinungen wahr sind. Das ist es also, was wir hier untersuchen. Sind die störenden Emotionen und Geisteshaltungen, diese Erscheinungen unmöglicher Existenzweisen, das mangelnde Gewahrsein, dass sie falsch sind, und das Greifen nach deren Wahrheit – sind sie wesentliche Bestandteile der Natur des Geistes oder nicht?
Wenn diese Schleier Teil der innewohnenden Natur des Geistes, des Geisteskontinuums, sind, sollten sie in jedem Moment da sein und wir sollten sie alle in jedem Moment erfahren. Die gültige Erfahrung dieser Aryas zeigt jedoch etwas anderes, denn wenn diese Aryas nicht-konzeptuell mit perfektem Shamatha und Vipashyana vollkommen auf Leerheit ausgerichtet sind, wobei sich Leerheit darauf bezieht, dass es so etwas, wie diese unmögliche Existenzweise nicht gibt, findet kein Hervorbringen von unmöglichen Existenzweisen statt und somit keine Unwissenheit darüber, dass sie falsch sind, also auch kein Greifen und Glauben, dass sie wahr sind, sowie keine störenden Emotionen oder Geisteshaltungen beruhend auf diesem falschen Glauben. Wären sie wesentliche Bestandteile der Natur des Geistes, würden sie in dieser Situation für die Aryas da sein, aber sie sind es nicht. Das zeigt, dass sie keine wesentliche Bestandteile der Natur des Geistes sind.
Es gibt eine andere Situation, in der der Geist keine Erscheinung einer unmöglichen Existenzweise hervorbringt und nicht danach greift, dass sie wahr ist, die während der Erfahrung des Geistes klaren Lichts (tib. ’od-gsal) auftritt, insbesondere des Geistes klaren Lichts, der sich zum Zeitpunkt des Todes manifestiert, bevor das Bardo des nächsten Lebens beginnt. Diese Klare-Licht-Ebene des Geistes, die subtilste Ebene des Geistes, die jeder während der sogenannten „Todes-Existenz“ erlebt, bringt keine Erscheinung einer unmöglichen Existenzweise hervor und kann daher nicht mit mangelndem Gewahrsein oder störenden Emotionen oder Geisteshaltungen danach greifen, als wären sie wahr. Die Aryas können diese Klare-Licht-Ebene des Geistes auch schon während des Lebens mit nicht-konzeptueller Wahrnehmung der Leerheit erfahren und manifestieren, wenn sie den Anuttarayoga-Praktiken der höchsten Tantra-Klasse im neuen Tantra-Klassifizierungsschema folgen oder Dzogchen im alten (oder Nyingma-) System praktizieren. Der Unterschied ist, dass ein Arya, der den Geist des klaren Lichts in der Meditation erlebt, sich nicht-konzeptuell auf die Leerheit richtet, während es bei gewöhnlichen Menschen, wie uns, im klaren Licht des Todes nicht diese nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit gibt. Tantrische Yogis sind in der Lage, diesen Geist des klaren Lichts im Tod mit einem vollkommenen Verständnis der Leerheit zu nutzen, während gewöhnliche Menschen dies nicht können.
Nach dem Tod kommt jedenfalls der Zwischenzustand des Bardo und dann ein nächstes Leben, wobei während beider Perioden das Hervorbringen von Erscheinungen unmöglicher Existenzweisen und das Greifen danach stattfindet. Dasselbe geschieht, wenn ein Arya aus dieser völligen Vertiefung in Leerheit oder dieser Klares-Licht-Meditation der Leerheit herauskommt. Es findet wieder das Hervorbringen von unmöglichen Existenzweisen statt und nach wie vor eine Ebene des Greifens nach deren Wahrheit. Verschiedene Systeme definierten die Stufen des Beseitigens dieses Greifens anders, aber darauf werden wir nicht weiter eingehen. Das Erzeugen dieser unmöglichen Erscheinungen des Geistes und das Greifen danach, dass sie der Realität entsprechen und wahr sind, wiederholen sich. Das Hervorbringen von Erscheinungen wiederholt sich, weil die kognitiven Schleier (die ständigen karmischen Gewohnheiten und anhaltenden Gewohnheiten der störenden Emotionen) sowie unser Greifen nach ihnen sich wiederholt, denn die emotionalen Schleier (die störenden Emotionen und Geisteshaltungen, sowie deren Tendenzen) sind noch immer da. Die Frage ist: Wie können wir all das loswerden?
Könnten wir in diesen zwei Situationen fokussiert bleiben, in denen es kein Hervorbringen von unmöglichen Existenzweisen und kein Greifen danach gibt, dass sie der Realität entsprechen – also wenn wir nicht-konzeptuell auf Leerheit fokussiert bleiben und dies insbesondere mit einem Geist des klaren Lichts, dem subtilsten Geist, tun könnten – und immer in diesem Zustand bleiben, würde es kein Hervorbringen von unmöglichen Existenzweisen und kein Greifen nach ihnen mehr geben. Das wäre eine wahre Beendigung der wahren Leiden und deren wahren Ursachen.
Die Vierte Edle Wahrheit
Wir können nur sagen, dass es eine Tendenz und eine Gewohnheit gibt, wenn sie ein zukünftiges Reifen erzeugen können. Können sie kein zukünftiges Reifen erzeugen, ist alles, was wir sagen können, dass es eine frühere Tendenz und eine frühere Gewohnheit gab, sie jedoch gegenwärtig nicht existieren. Gäbe es gegenwärtig Existierende, müssten sie ein Resultat erzeugen können. Doch wenn es keine Gegenwärtigen mehr gibt, würden wir eine wahre Beendigung der Leiden und deren Ursprünge oder Ursachen erlangen – das ist die dritte edle Wahrheit. Wir erlangen es durch die vierte edle Wahrheit, die ein wahrer Pfad des Geistes ist. Die Rede ist hier nicht von einem Pfad, den wir entlanggehen, sondern von einem Geist, der als ein Pfad dient, um diesen Zustand zu erreichen, der die fortwährende nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit ist, insbesondere jene mit dem subtilsten Geist klaren Lichts. Das ist die vierte edle Wahrheit.
Mit dieser fortwährenden nicht-konzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit im Geist des klaren Lichts beseitigen wir vollständig all die Faktoren, welche die Tendenzen und Gewohnheiten heranreifen lassen würden – nämlich das Verlangen und die herbeiführenden Geisteshaltungen, die aufgrund von mangelndem Gewahrsein und Greifen entstehen. Und wenn es nichts gibt, was die Tendenzen und Gewohnheiten heranreifen lässt, haben wir nicht mehr diese Tendenzen und Gewohnheiten, um es vereinfacht auszudrücken. Wir können fokussiert bei diesem Verständnis der Leerheit und auf der Klaren-Licht-Ebene des Geistes bleiben, wenn wir genügend positive Kraft aufgebaut haben. Wir sprechen hier nicht über karmische positive Kraft, sondern über erleuchtungsbildende positive Kraft und erleuchtungsbildendes tiefes Gewahrsein, die mit der Leerheitsmeditation eines Aryas aufgebaut und mit Bodhichitta dem Erlangen der Erleuchtung aller gewidmet wurden.
Das bringt uns zurück zum Anfang der Geschichte, wo es um das Aufbauen positiver Kraft und immer tieferen Gewahrseins ging – also um immer mehr Erfahrung im Fokussieren auf Leerheit – und wir durch das Aufbauen dieser zwei Netzwerke einen wahren Pfad des Geistes erlangen, der immer da und daher eine wahre Beendigung der Leiden und deren Ursachen ist. Das sind die vier edlen Wahrheiten.
Selbstleerheit und Anderesleerheit
Sprechen wir von der Leerheit dessen, was unmöglich ist, geht es, ganz allgemein gesagt, um die Selbstleerheit, und sprechen wir von dem Geist des klaren Lichts, der subtilsten Ebene des Geistes, der frei von bestimmten anderen Phänomenen ist, geht es um die Anderesleerheit. Innerhalb dieser Definitionen gibt es jedoch eine breite Palette noch spezifischerer Definitionen für jeden Begriff in den verschiedenen tibetischen Traditionen und sogar der verschiedenen Meister innerhalb einer jeden Tradition. Je nachdem, wie sie noch spezifischer definiert werden, sind diese zwei Arten der Leerheit entweder einzeln oder zusammen wahre Pfade des Geistes (die vierte edle Wahrheit), welche die dritte edle Wahrheit (eine immerwährende wahre Beendigung) der ersten zwei edlen Wahrheiten (wahres Leiden und dessen wahre Ursprünge oder wahre Ursachen) bewirken.
Es ist nicht gerade leicht zu verstehen, wie das funktioniert und erfordert, dass wir viel darüber nachdenken und uns in Meditation darauf konzentrieren. Im Grunde ist es das, was die Aryas tun: sie fokussieren sich auf diese vier edlen Wahrheiten und erkennen sie mit vollem Verständnis auf nicht-konzeptuelle Weise. Verstehen wir Selbstleerheit und Anderesleerheit in diesem Kontext der vier edlen Wahrheiten, erkennen wir, wie wichtig es ist, Selbstleerheit und Anderesleerheit nicht nur zu studieren, sondern auch zu verinnerlichen, um sowohl unser eigenes Leiden, als auch das der anderen zu überwinden. Wir werden in der Lage sein, all das auf der Basis eines Aufbauens von immer mehr positiver Kraft und tiefen Gewahrseins durch das Hören der Lehren, sowie durch das Nachdenken und Meditieren über sie zu verstehen.
Zusammenfassung
Damit schließen wir die Einleitung zu diesem Thema der Selbstleerheit und Anderesleerheit an diesem Wochenende ab. Natürlich ist nicht einmal die Einleitung selbst wirklich einfach, aber wir können nicht erwarten, die Leerheit – und genauer gesagt die Selbstleerheit und Anderesleerheit – ohne den Kontext der vier edlen Wahrheiten zu verstehen. Wie ich ganz am Anfang dieser Vorlesung gesagt habe, kann diese Thematik der Leerheit ziemlich leicht eine rein intellektuelle Sache werden, die bestenfalls interessant ist, wenn wir sie nicht im Kontext der vier edlen Wahrheiten verstehen; sie jedoch nur als etwas Interessantes zu betrachten, wird uns auf unserem spirituellen Pfad nicht sehr weit bringen.
Je tiefer wir verstehen, wie das Fokussieren auf Selbstleerheit und Anderesleerheit wirklich eine wahre Beendigung dessen bewirkt, was wahre Leiden und deren wahre Ursachen sind, desto mehr werden wir uns bemühen, sie zu studieren und zu verstehen. Doch wenn wir nicht die Wichtigkeit des Begreifens dieser zwei Leerheiten im Kontext der vier edlen Wahrheiten verstehen, werden wir nicht von der Notwendigkeit des Leerheitsverständnisses überzeugt sein und auch nicht überzeugt davon sein, dass es uns oder anderen wirklich helfen kann. Je mehr wir sie im Sinne der vier edlen Wahrheiten verstehen, desto überzeugter werden wir, dass Leerheit korrekt ist und tatsächlich Leiden und deren Ursachen beseitigen kann, sodass sie niemals wieder entstehen. Dann werden wir die Motivation haben, wirklich zu versuchen, sie zu verstehen.
Widmung
Durch das Teilnehmen und durch das Hören dieser Einleitung wurde in jedem von uns hoffentlich ein wenig positive Kraft und etwas Verständnis aufgebaut, falls ihr nicht eingeschlafen seid. Je nachdem wie empfänglich jeder von uns war und wie viel Hintergrundwissen jeder von uns hat, wird das Maß an Verständnis, das wir aufgebaut haben, und das Maß an positiver Kraft durch unsere offene Geisteshaltung und Motivation anders sein. Das ist in Ordnung, aber wir wollen sie widmen und das heißt, diese positive Kraft mit dem Netzwerk all der anderen positiven Kraft zu verbinden, die wir in der Vergangenheit aufgebaut haben, und sie in das restliche Netzwerk unseres Verständnisses und tiefen Gewahrseins, das wir in der Vergangenheit aufgebaut haben, zu integrieren. Das ist die Bedeutung davon, etwas zu widmen. Wir wollen es integrieren, es zu einem Teil dieses Netzwerks machen, damit es immer stärker und tatsächlich unser Erlangen der Befreiung und Erleuchtung zum Wohle aller bewirken wird.
So eine Widmung ist ein wenig wie die Absicht, die wir zu Beginn gefasst haben. Sie ist in etwa so, als würden wir diese positive Kraft und dieses Verständnis gewissermaßen dazu bringen, einzuwirken und sich mit all dem zu verbinden, was wir bereits verstanden haben, sowie mit all der positiven Kraft, die wir in der Vergangenheit aufgebaut haben. Das ist die Widmung. Normalerweise formulieren wir sie mit ganz einfachen Worten. „Möge dies als Ursache wirken, um Erleuchtung zum Wohle aller zu erlangen“, doch wir sollten es nicht nur beim Rezitieren von leeren Worten in unserem Geist belassen: „ich widme es meiner Erleuchtung“. Die Widmung sollte nicht bedeutungslos sein. Wir wiederholen diese ganz einfachen Worte, aber wir sollten sie nicht nur denken, sondern versuchen, der positiven Kraft eine Art geistigen Antrieb hin zur Erleuchtung zu geben.
„Möge alle positive Kraft, alles Verständnis, die durch all dies entstanden sind, sich immer weiter vertiefen und als Ursache dafür wirken, zum Wohle aller Wesen Erleuchtung zu erlangen.“