Herausragende Eigenschaften von Autor und Text

Das Florieren des Dharma 

In der Zeit, als Buddha selbst in Indien lebte, befand sich das Land Tibet größtenteils unter Wasser. Buddha prophezeite das Abfließen und Verschwinden diesen Wassers, worauf das Land Tibets zu festen Boden werden würde, auf dem die Lehren erblühten. Er sagte auch voraus, dass die Lehren in diesem Land im Norden, also in Tibet, durch Avalokiteshvara beschützt und behütet werden würden. Dort in diesem nördlichen Land, dem Land der roten Gesichter, würden sie sich ganz besonders entfalten.

Und tatsächlich haben sich die Lehren in Tibet unter der Führung der Inkarnation Avalokiteshvaras, Seiner Heiligkeit des Vierzehnten Dalai Lamas, enorm entfaltet. Gäbe es nicht jemanden, wie Seine Heiligkeit den Dalai Lama, der sich als ein Inkarnation Avalokiteshvaras inkarniert, um die Wünsche und Gedanken Buddhas zu erfüllen, wäre eine Entfaltung dieser Lehren, wie sie heute stattfindet, ausgesprochen schwierig. Unter seiner Führung waren all die verschiedenen Linien der Gelugpa-, Nyingma-, Kagyü- und Sakya-Schulen in der Lage, prächtig zu gedeihen. Derzeit befinden sie sich in einem wirklich guten Zustand, denn wir haben noch nicht die vorausgesagte Zeit erreicht, in der die buddhistischen Lehren völlig aussterben. In der Vergangenheit haben sich die Lehren von Tibet aus nicht über Zentralasien hinaus verbreitet; heutzutage weiten sie sich jedoch auf immer mehr Länder in der ganzen Welt aus. Das ist etwas äußerst Nützliches für die Menschen hier. 

Buddhas Lehren      

Die eigentlichen Lehren Buddhas kann man auf zwei verschiedene Arten betrachten. Es gibt die schriftlichen Lehren (tib. lung-bstan) und die Lehren der Verwirklichung (tib. rtogs-bstan). Laut Definition ist eine Lehre etwas, das als eine Methode dient, um zu verhindern, dass wir in einem niederen Bereich oder mit großem Leiden wiedergeboren werden. Sie ist auch ein Mittel, um eine günstigere Wiedergeburt als ein Mensch oder Gott herbeiführen zu können. Diese zwei Aspekte der Lehren zu wahren heißt also, sie beide in unserem geistigen Kontinuum zu halten.

Alle Lebewesen sind in dem Sinne gleich, dass sie glücklich sein und nicht leiden wollen. Jeder, der über ein Leben verfügt, hat diese gleichen Ziele – den Wunsch glücklich und nicht unglücklich zu sein. Dennoch kann man die völlige Beseitigung allen Leidens und das vollkommene Erlangen letztendlichen Glücks nur in der Buddhaschaft erreichen. Und nur mit der Arbeitsgrundlage eines kostbaren menschlichen Körpers ist es möglich, diesen Zustand der Buddhaschaft zu verwirklichen. Ohne ihn ist es nicht möglich. 

Die Lehren sind das, was uns die Methoden zum Herbeiführen dieses letztendlichen Zustands der Buddhaschaft und einstweilen zum Erlangen des Zustandes eines menschlichen Wesens oder Gottes lehren, um auf diesen Zustand hinzuarbeiten. Das ist die Definition der Lehren. Sie lehren diese Methoden zum Herbeiführen dieser Ziele. Die eigentlichen Texte, in denen diese Lehren angeboten werden, bezeichnet man als „schriftliche Lehren“.

Schriftliche Lehren 

Wir können sehen, dass es beispielsweise momentan in der Welt die 108 Bände des Kangyur, der tibetischen Übersetzung der Sammlung der gesprochenen Worte des Buddhas gibt. Das wären die schriftlichen Lehren, die zu dieser Kategorie gehören. Dann gibt es auch die 224 Bände des Tengyur, der tibetischen Übersetzung der gesammelten Kommentare der großen buddhistischen Meister Indiens. Auch sie gehören zu den schriftlichen Lehren. In ähnlicher Weise gibt es viele Nyingma-Texte aus der frühen Blüte des Dharma von Guru Rinpoche selbst und seinen 25 Schülern. Es gibt auch Werke, die während der späteren Entfaltung des Dharma verfasst wurden, und dabei handelt es sich um Texte der Kagyü-, Sakya- und Gelugpa-Linien, sowie um Werke der großen Kadampa-Meister. 

All diese gehören ebenfalls zu den schriftlichen Lehren. Die schriftlichen Lehren zu wahren, heißt zum Beispiel, diese verschiedenen schriftlichen Texte auswendig zu lernen und sie rezitieren zu können. Das ist das Wahren schriftlicher Lehren. In Indien gab es beispielsweise den berühmten Bruder Asangas, einen der Meister, über die wir gestern gesprochen haben: Vasubandhu. Er war dafür bekannt, alle Worte des Buddha auswendig gelernt zu haben. 

Vasubandhu  

Wie gestern erwähnt, war Asangas Mutter Prakashashila eine Frau der brahmanischen Kaste. Ihr erster Mann entstammte der königlichen Kaste und aus dieser Verbindung kam ein Sohn, Asanga. Später heiratete sie einen anderen Mann aus der Brahmanenkaste und der Sohn, der aus dieser Verbindung hervorging, war Vasubandhu. Diese zwei, Asanga und Vasubandhu, hatten die gleiche Mutter, aber unterschiedliche Väter. 

Vasubandhu konnte alle Worte des Buddhas rezitieren, und diese Rezitation dauerte 15 Tage. Diese Texte so lange zu rezitieren brachte jedoch die Energien in seinem Körper durcheinander. Im Tibetischen bezeichnet man dies als „Lung“, eine Störung der Winde oder Energien im System. Um dieses Übel zu vermeiden, setzte er sich in eine große Kupferwanne, die mit Öl gefüllt war. Während er in dieser Wanne saß, rezitierte er alle Werke des Buddhas und vermied es, dabei eine Nervenkrankheit zu bekommen. 

Es gab eine Taube, die in der Nähe saß, während er rezitierte. Eines Morgens, während Vasubandhu diese Werke rezitierte, flog die Taube davon, um etwas Nahrung zu suchen. Sie kam jedoch wieder zurück und setzte sich erneut neben ihn, um weiter den Worten des Buddhas zuzuhören, die Vasubandhu rezitierte. Nachdem die Taube starb, wurde sie als ein Mensch in einem entfernten Grenzgebiet Indiens wiedergeboren. Vasubandhu lebte zu der Zeit in Nalanda, was sich im zentralen Teil Indiens befindet. Als dieses Kind zwei oder drei Jahre alt war, sagte es zu seinen Eltern: „Mein Guru ist Vasubandhu.“ 

Es gab viele Händler, die aus dem zentralen Teil Indiens in diese Grenzgebiete reisten und so fragte der Vater diese reisenden Händler, ob es denn tatsächlich in Zentralindien einen Guru mit dem Namen Vasubandhu gab. Die Händler antworteten: „Ja, es gibt einen Meister dort mit dem Namen Vasubandhu.“ Somit gab der Vater sein junges Kind in die Obhut dieser Händler, die es zu diesem Meister bringen sollten, um bei ihm zu bleiben und die Texte zu studieren.

In der Nähe von Vasubandhus Wohnort gab es eine Tara-Statue. Das Kind lief in ein Feld und pflückte ein paar Bohnen, brachte sie der Statue und legte sie als eine Opfergabe in den Schoß dieser Tara-Statue. Da das Kind noch klein war, legte es die Bohnen nicht sehr sorgfältig dorthin, worauf die Bohnen herunterrollten und auf den Boden fielen. Das Kind begann zu weinen und sagte: „Wenn du die Bohnen nicht essen willst, werde auch ich meine Bohnen nicht essen.“ In diesem Moment sprach die Tara-Statue und sagte: „Ich werde diese Bohnen annehmen.“ Auf diese Weise bekam das Kind den Segen von Tara und durch die Eindrücke, die es durch das Hören der Lehren im früheren Leben als eine Taube gesammelt hatte, wurde es sehr gelehrt in den Dharma-Schriften, besonders im Gebiet des „Abhidharma“, den speziellen Themen des Wissens. Sein Name war Abhidharma-Meister Sthiramati. 

Vasubandhu hatte nicht nur dieses große Wissen der schriftlichen Texte und die Fähigkeit, all die Worte des Buddhas auswendig zu rezitieren, sondern hatte auch durch die Kraft seiner Meditation viele große Verwirklichungen. Auf diese Weise bewahrte er die schriftlichen Lehren und durch all seine Verwirklichungen bewahrte er auch die Lehren der Verwirklichung. Er war ein recht großer Meister und hatte mehr als 500 Schüler.

Einmal ging Vasubandhu nach Nepal auf Pilgerreise, um die verschiedenen Stupas dort zu umrunden. Er begegnete einer Manifestation Maras, dem großen Unruhestifter. Diese Manifestation erschien in der Form eines Mannes in einem Mönchsgewand, der eine große Flasche „Chang“ bei sich trug, was eine Art von Alkohol ist. Vasubandhu war sehr betrübt und niedergeschlagen, und sagte: „Oh je, die Lehren des Buddhas sind so verfallen, dass wir Mönche sehen, die Flaschen mit Alkohol bei sich tragen.“ In diesem äußerst bedrückten Zustand starb er. Daraus können wir ein wenig verstehen, was es bedeutet, sowohl die schriftlichen Lehren als auch die Lehren der Verwirklichung zu bewahren. 

Als in ich Tibet war, gab es dort einen Geshe vom Drepung Kloster, dessen Name Losang Chengyang war, und der ebenfalls die 108 Bände des Kangyur auswendig gelernt hatte und sie rezitieren konnte. Ich habe das selbst in diesem Leben mit eigenen Augen gesehen: jemand der die schriftlichen Lehren auf diese großartige Weise bewahrte. Ich habe auch viele Menschen gesehen, die all die verschiedenen Verwirklichungen und Erkenntnisse in ihrem geistigen Kontinuum hatten. Gäbe es keine lebendigen Beispiele, wären all die Geschichten, die ich gerade erzählt habe, wie Märchen; da ich jedoch lebendige Beispiele all dessen mit meinen eigenen Augen gesehen habe, bringt es mich dazu, völliges Vertrauen darin zu haben, dass all dies wahr ist. 

Die Lehren, die so beschrieben werden, benötigen kein äußeres Kloster. Es ist erforderlich, diese Lehren in unserem eigenen Geist zu haben. Haben wir sie auswendig gelernt und bewahren irgendeine der verschiedenen Schriften in unserem geistigen Kontinuum, sind wir Bewahrer der schriftlichen Lehren des Buddhas. Auch wenn wir nur den Bodhichitta-Widmungsvers, den wir regelmäßig rezitieren, auswendig kennen, bewahren wir die schriftlichen Lehren. Und haben wir eine erleuchtende Bodhichitta-Motivation in unserem geistigen Kontinuum entwickelt, sind wir Bewahrer der Lehren der Verwirklichung. 

Herausragende Qualitäten des Autors Atisha 

Es ist üblich, hier die herausragenden Eigenschaften des Autor dieses Werkes zu würdigen. Zu diesem Zweck haben wir uns in der letzten Sitzung ein wenig mit der Biografie von Atisha befasst und damit, wie er seinen Geist völlig von seiner königlichen Herkunft abwandte und begann, den Dharma zu praktizieren. Darüber haben wir kurz gesprochen. 

Würden wir einen vollständigen und ausführlichen Diskurs über die herausragenden Eigenschaften des Autors halten, müssten wir die Biografien aller Mitglieder der Übertragungslinie von Buddha Shakyamuni bis hin zu Atisha miteinbeziehen. Wir würden es jedoch nicht schaffen, all diese Biografien durchzugehen, und daher sind wir dieses Mal nur auf die kurze Biografie Atishas eingegangen. Und weil wir nicht genug Zeit hatten, war es nur eine grob abgekürzte Darstellung der Biografie Atishas. Auf diese Weise haben wir uns mit den herausragenden Qualitäten des Autors dieses Textes befasst und als nächstes werden wir über die herausragenden Qualitäten des Textes sprechen. 

Herausragende Qualitäten des Textes 

Eine der herausragenden Qualitäten dieses Textes besteht darin, dass die wenigen Worte wie ein Generalschlüssel sind, mit dem wir eine Dharma-Tür nach der anderen öffnen können. Mit ihnen können wir die Bedeutung all der großen Schriften von Sutra und Tantra in all den verschiedenen großen Bänden entschlüsseln. Wir sind in der Lage, deren essenzielle Bedeutung zu verstehen, wenn wir die Bedeutung dieses Textes verstehen können. 

Die eigentlichen Worte, welche die buddhistischen Lehren vermitteln, sind in den Drei Körben des Tripitaka integriert. Die Themen, die in ihnen behandelt werden, sind die drei höheren Schulungen – die Schulungen in ethischer Selbstdisziplin, höherer Konzentration und höherem unterscheidenden Gewahrsein. Alle essenziellen Punkte von Sutra und Tantra sind hier, in diesem Text, zu finden. Er ist keineswegs unvollständig. Es ist beispielsweise so, als würden wir in einen großen Supermarkt gehen, in eines dieser riesigen Geschäfte, in denen man alles kaufen kann. Wir wollen insbesondere in der Lage sein, all dies völlig in unserem eigenen Geist zu verankern, und daher wurde dieser Text auf eine Weise geschrieben, die es uns leicht macht, den Inhalt in die Praxis umzusetzen. 

Wie wir letztes Mal besprochen haben, hatte Atisha zwei vollständige Übertragungslinien: eine, die von Asanga bis zu seinem Guru Maitriyogi reichte, und die andere von Nagarjuna zu einem anderen seiner Lehrer, Vidyakokila. Da Atisha diese vollständigen Übertragungslinien hatte, ist dieser Text bedeutender als andere. 

In den verschiedenen schriftlichen Lehren können wir zudem sehen, dass es beispielsweise in den Sutras heißt, wir sollten keinen Alkohol trinken und in den Tantras an manchen Stellen, dass das Trinken von Alkohol erlaubt ist und wir ihn trinken können. Studieren wir diesen Text, so besteht eine weitere der herausragenden Qualitäten darin, dass wir in der Lage sein werden zu verstehen, dass es in diesen zwei scheinbar so widersprüchlichen Aussagen keine Widersprüche gibt. Es ist, als würde es zwei ärztliche Verordnungen geben: eine für jemanden, der Fieber hat und kein Fleisch essen darf, und eine andere für jemanden ohne Fieber, der jedoch eine energetische Störung des Nervensystems hat und genau das Gegenteil davon tun sollte, nämlich Fleisch essen. Wir können erkennen, dass diese Verordnungen für zwei verschiedene Situationen gelten. Obwohl die Worte der Verordnungen scheinbar widersprüchlich sind und in der einen gesagt wird „iss kein Fleisch“, während man laut der anderen Fleisch essen sollte, gibt es dennoch keinen Widerspruch, weil es um zwei unterschiedliche Situationen geht. 

Darüber hinaus werden wir durch das Studium dieses Textes sehen können, dass alle schriftlichen Lehren, alle richtungsweisenden Anleitungen für die eigene Praxis gedacht sind, also für uns. Praktizieren wir nun die Lehren, die in diesem Text hier beschrieben sind, werden wir verstehen, wie wir ein gütiges Herz und eine erleuchtende Bodhichitta-Motivation entwickeln können. Außerdem können wir verstehen, dass es unterschiedliche Weisen gibt, diese Thematik zu präsentieren. So wird sie zum Beispiel in den Traditionen des Sakya, Gelugpa und Nyingma etwas anders dargestellt. Es gibt viele verschiedene Weisen der Darstellung dieser Thematik, aber ungeachtet dessen, wie sie präsentiert wird, werden wir in der Lage sein zu verstehen, dass sich all diese Lehren mit der gleichen Sache befassen: wie man ein gütiges Herz und eine erleuchtende Bodhichitta-Motivation entwickelt. Wir werden erkennen, dass wir sie alle in die Praxis umsetzen sollten. 

Vielleicht ist es einfacher zu verstehen, wenn wir es anhand eines Beispiels beschreiben. Nehmen wir einmal die Porzellantassen, die wir haben, welche in England, Japan, Tibet oder wo auch immer hergestellt wurden: sie alle dienen dem gleichen Zweck, nämlich Tee oder irgendetwas Heißes daraus zu trinken. Nur weil wir eine andere Art der Porzellantasse haben, vielleicht eine chinesische, heißt das nicht, wir könnten sie nicht auch zum Trinken von Tee benutzen. Stoßen wir in ähnlicher Weise auf einen Text, der sich mit der Praxis von Bodhichitta befasst, sollten wir nicht denken, wir könnten ihn nicht in die Praxis umsetzen, weil er vielleicht von einer anderen Übertragungslinie, wie der Sakya-Linie, stammt. Wie in diesem Beispiel von Porzellantassen dienen sie alle dem gleichen Zweck. Das ist die Bedeutung, wenn es heißt, all die schriftlichen Texte als richtungsweisende Anleitungen dessen zu nehmen, was wir tun sollten. 

Die Lehren einander zuordnen 

In unserem Text haben wir all die verschiedenen Lehren, wie zum Beispiel für Menschen der drei stufenweisen Ebenen der Motivation: der anfänglichen, mittleren und fortgeschrittenen.  Um sie selbst in der richtigen Reihenfolge, von einer Ebene zur nächsten, in die Praxis umzusetzen, ist es notwendig, einen Überblick darüber zu haben, wie alle Lehren zusammenpassen. Das werden wir verstehen können, wenn wir diesen Text studieren. Haben wir einen Überblick über dieses System, werden wir, wenn wir die verschiedenen Texte der Traditionen des Nyingma, Kagyü, Gelug oder Sakya lesen und auf etwas stoßen, was mit der Thematik der anfänglichen, mittleren oder fortgeschrittenen Stufe der Motivation zu tun hat, wissen, wie wir es diesem Schema zuordnen und in die Praxis umsetzen können. 

In unserer Küche gibt es beispielsweise verschiedene Behälter, einen für Reis, einen für Mehl, einen für Zucker und einen für Salz. Gehen wir los und kaufen Zucker, so füllen wir ihn stets in die Zuckerdose. Kaufen wir Salz, füllen wir es in den dementsprechenden Behälter und gleichermaßen verfahren wir mit Mehl und Reis. Das ist ein Beispiel, durch das wir verstehen können, was es heißt, all die Lehren als richtungsweisende Anleitungen zu nehmen und sie richtig zuordnen zu können. 

Schulen wir uns mit diesen Lehren, wie sie in diesem Text dargestellt sind, werden wir auch all die Methoden kennen, diese Lehren tatsächlich in die Praxis umzusetzen. Wir werden wissen, wie sie zu üben sind. Studieren wir einen anderen Text, wie „Ein Filigranschmuck der Verwirklichungen“ (tib. mNgon-rtogs rgyan, Skt. Abhisamayalankara), so beginnt dieser Text damit, die Allwissenheit der Buddhaschaft zu erörtern. Hier ist es recht schwierig, den Inhalt dieses Textes in der Reihenfolge in die Praxis umzusetzen, wie er präsentiert wird. Studieren wir jedoch unseren heutigen Text, so wird die Thematik in einer ganz geordneten Weise dargeboten. In der Schule beginnen wir zum Beispiel mit den niedrigeren Klassenstufen und arbeiten uns dann langsam nach oben. Weil in diesem Text die Thematik in so einer geordneten Praxis dargestellt wird, ist es also recht einfach, sie auf praktische Weise umzusetzen. 

Auch Shantidevas „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva“ (tib.sPyod-‘jug, Skt. Bodhicharyavatara) beginnt mit einer Darlegung der erleuchtenden Bodhichitta-Motivation. Auch dies ist recht schwierig, sofort in die Praxis umzusetzen, ohne all die Ebenen der Entwicklung solch eines Geistes selbst durchzugehen. Unser Text, „Lampe für den Pfad zur Erleuchtung“ beginnt jedoch auf der anfänglichen Ebene der Lehren und arbeitet sich dann der Reihe nach langsam nach oben. Daher ist es leicht, ihn in der Praxis anzuwenden und wenn wir ihn studieren, werden wir all die anderen Lehren des Buddha ganz leicht verstehen können. 

Der größte Fehler 

Folgen wir diesen Lehren und studieren sie gründlich, werden wir nicht Gefahr laufen, den so genannten größten Fehler zu begehen. Was ist dieser größte Fehler, der größte Irrtum, den wir begehen könnten? Er besteht darin zu sagen, manche Lehren des Buddhas wären gut und andere schlecht, und somit Buddhas Lehren zu verleumden und zu kritisieren. Würden wir zum Beispiel sagen, die Nyingma-Lehren sind gut und die Gelupa nicht oder die Sakya sind gut und die Nyingma nicht, wäre all das ein großer Fehler, eine äußerst fehlerhafte Handlung. Setzen wir die Lehren dieses Textes in die Praxis um, können wir verstehen, dass alle Dharma-Lehren herausragend sind, und vermeiden, die große fehlerhafte Handlung des Verleumdens der Lehren Buddhas zu begehen. 

Gestern sprach ich über die allgemeine Bedeutung des Dharma als etwas, das seine eigene Selbstnatur erfasst. In diesem Sinne sind alle Dharma-Lehren etwas, das die Selbstnatur dessen erfasst, eine Methode zu sein, um Glück zu bewirken. Auf diese Weise sind alle Dharma-Lehren gültig. Würden die Dharma-Lehren sagen, wir sollten losgehen und stehlen, um reich und glücklich zu werden, könnte man dies nicht als Methode zum Herbeiführen von Glück betrachten. In der Tat wird dies jedoch nicht im Dharma gelehrt. Der Dharma bietet diverse Lehren und effektive Methoden, in denen es darum geht, wie man Glück erlangt, und die nicht widerlegt werden können, wenn man sie in der Praxis anwendet. Daher kann der Dharma, wie er in Atishas Text gelehrt wird, als wahr anerkannt und akzeptiert werden.

Das sind die verschiedenen herausragenden Qualitäten und Vorzüge, die entstehen, wenn man die Lehren in diesem Text praktiziert. 

Einleitende Zeilen der Ehrerbietung und des Versprechens (etwas) zu verfassen 

Beginnen wir also mit dem Text selbst. Der Text beginnt folgendermaßen mit den Zeilen der Ehrerbietung: 

Ich werfe mich vor dem jugendhaften Bodhisattva Manjushri nieder.

Danach folgt der Vers des Preisens und Niederwerfens, in dem Atishas Absicht des Verfassens des Textes, sein „Versprechen des Verfassens“, verkündet wird:

(1) Nachdem ich mich voller Respekt vor den Siegreichen der drei Zeiten, vor ihrem Dharma und der Sangha-Gemeinschaft verbeugt habe, möchte ich, da mich mein ausgezeichneter Schüler Dschangtschub-Ö dazu gedrängt hat, eine Lampe für den Pfad zur Erleuchtung anzünden.

Wenn es in dem Text um die Siegreichen geht, bezieht sich das auf die Buddhas der drei Zeiten: der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Als ein Beispiel vergangener Buddhas haben wir Buddha Dipamkara (tib. Mar-me mdzad), ein Buddha, den es vor vielen großen Zeitaltern gab. Hier geht es nicht um Atisha, dessen Name auch Dipamkara ist – Dipamkara Shrijnana. Der gegenwärtige Buddha ist Buddha Shakyamuni, und der zukünftig Buddha wird Maitreya (tib. Byams-pa) sein. Das sind nur Darstellungen oder Beispiele von Buddhas der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Worum es in dem Text geht, sind im Grunde die Lehren aller Buddhas und daher sollte allen Buddhas großer Respekt dargebracht werden. 

Die erleuchtenden Körper eines Buddhas 

Ein Buddha besitzt drei erleuchtende Körper. Da gibt es den Dharmakaya oder den Alles umfassenden, erleuchtenden Körper, einen Sambhogakaya oder Körper vollen Gebrauchs und einen Nirmanakaya oder Ausstrahlungskörper. Der Dharmakaya bezieht sich auf den Geist eines Buddhas und er hat zwei Aspekte: die Allwissenheit des Geistes eines Buddhas, der als der Körper des tiefen allumfassenden Gewahrseins bekannt ist, und den Zustand des Aufgebens oder die wahre Beendigung der zwei Schleier: des emotionalen sowie des kognitiven. Diesen Zustand kennt man als den Svabhavakaya, den alles umfassenden Körper der essentiellen Natur.

Der Dharmakaya kann nur durch die Buddhas selbst erkannt werden. Sambhogakaya-Körpern kann man nur als Bodhisattva der Arya-Klasse und darüber hinaus begegnen. Jene, die unter dieser Ebene der Verwirklichung stehen, können nicht auf Buddhas in ihren Sambhogakaya-Formen treffen. Nirmanakaya-Körper werden unterteilt in Höchste Ausstrahlungskörper, Ausstrahlungskörper als Künstler und Ausstrahlungskörper als Person. 

Buddha Shakyamuni ist ein Beispiel eines Höchsten Ausstrahlungskörpers. Er ist vollständig geschmückt mit all den großen und kleinen körperlichen Merkmalen und Eigenschaften eines Buddhas, und lehrt den Dharma passenderweise recht ausführlich. Obwohl gewöhnliche Wesen solch einem Buddha begegnen können, geschieht dies nicht, ohne ein wirklich starkes karmisches Potenzial zu haben, solch einen Buddha zu treffen.

Was den Ausstrahlungskörper als Künstler betrifft, haben wir das Beispiel von Dhritarashtra, König der Gandharvas, einer Gruppe himmlischer Musiker. Er war ein wirklich guter Musiker, der in der Lage war, eine Laute mit tausend Saiten zu spielen. Er war sehr stolz und dachte, der beste Lautenspieler der ganzen Welt zu sein. Um den Stolz dieses Gandharvas zu bändigen, manifestierte sich der Buddha als jemand, der noch fähiger als Musiker und im Spielen der Laute war. 

Buddha forderte diesen stolzen Gandharva-König in einem Wettbewerb heraus. Der Gandharva-König spielte die Laute mit allen tausend Saiten, während der Buddha seine Laute spielte und eine Saite nach der anderen brach. Die Saiten wurden immer weniger, bis schließlich alle gerissen waren und es keine Saiten mehr auf der Laute gab. Doch Buddha war in der Lage, weiter auf seiner Laute ohne Seiten spielen und der Gandharva-König konnte dem nichts entgegensetzen. Es war ihm nicht möglich, die Musik auf der saitenlosen Laute zu übertreffen und so wurde er durch diese Vorführung gedemütigt. Diese Art der Emanation ist bekannt als der Ausstrahlungskörper als Künstler. 

Den Ausstrahlungskörper als Person kann man am besten als Ausstrahlung in Form einer normalen Person beschreiben. Wie gerade erwähnt, manifestieren sich Buddhas in einer vollständigen Form als ein erleuchtetes Wesen mit all den großen und kleinen Merkmalen, aber es ist sehr schwierig, solch einem Buddha ohne einem riesigen Maß an positivem karmischen Potenzial zu begegnen. Daher manifestieren sich Buddhas auch in normaler menschlicher Form, wie als Seine Heiligkeit der Dalai Lama. Das wäre ein Beispiel eines Ausstrahlungskörpers als Person. 

All diese Ausstrahlungskörper eines Buddhas wären tatsächliche Instanzen des Buddha-Juwels der Zuflucht. Für unsere Praxis würde das Betrachten von Buddha-Statuen oder Bildern auch zum Erkennen einer Buddha-Zuflucht zählen. Wir können diese nominalen Quellen der Zuflucht als Objekte nutzen, um unseren Glauben und Respekt zu entwickeln. 

Der Text bezieht sich auch auf ihren Dharma und das bezieht sich auf all die guten Eigenschaften der Schriften und die Verwirklichungen in ihrem geistigen Kontinuum. Die eigentliche Dharma-Zuflucht besteht, genauer gesagt, aus den edlen Wahrheiten des wahren Pfadgeistes und der wahren Beendigungen in ihrem geistigen Kontinuum. Für unsere Praxis dienen die schriftlichen Texte in ähnlicher Weise als eine nominale Dharma-Zuflucht, damit wir Vertrauen und Respekt hervorbringen können. 

In diesem Vers bezieht sich der Text auch auf die Sangha-Gemeinschaft. Insbesondere bezieht sie sich tatsächlich auf jede Person, die über bloße, nichtkonzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit verfügt und somit ein Arya-Wesen, ein Edler, ist. Solch eine Person ist eine Person des Sangha. Sprechen wir jedoch für gewöhnlich von Mönchen, so bildet ein Mönch allein noch keinen Sangha; es muss vier Mönche geben, damit man von einem Sangha reden kann. 

In diesem Vers werden zu Beginn des Textes auf diese Weise Niederwerfungen zu den Drei Juwelen gemacht. Als nächstes kommen wir dann zur Erläuterung der Thematik des Textes „Lampe für den Pfad zur Erleuchtung“.

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