Buddhistische Analyse: Allgemeinheiten und einzelne Instanzen

Als wir über die Arten gesprochen haben, Dinge zu kennen und über Objekte, die man kennen kann, ging es auch darum, zwischen konzeptueller und nichtkonzeptueller Wahrnehmung zu unterscheiden und diese Punkte führen uns zu dem Thema der so genannten Allgemeinheiten (tib. spyi) und einzelnen Instanzen (tib. bye-brag). Das sind Begriffe – besonders dieser Begriff der Allgemeinheiten – die sehr schwer zu verstehen sind, denn es gibt viele darin enthaltene Untergruppen und es ist äußerst schwierig ein Wort dafür zu finden, das allen Arten zufriedenstellend umschreibt. 

Allgemeinheiten 

Wenn wir besser beschreiben wollen, worum es hier bei diesen Allgemeinheiten geht, müssen wir von geistigen Synthesen sprechen. Anders ausgedrückt handelt es sich um eine Synthese verschiedener Dinge einer größeren Entität. Gemäß der Gelug-Tradition treten einige ganz natürlich auf, wie die Synthese vieler Teile eines Ganzen, wobei andere geistige Fabrikationen sind, wie die Synthese verschieden aussehender Kreaturen der konzeptuellen Kategorie „Tiere“. In Traditionen, die nicht der Gelug-Linie angehören, spricht man davon, dass alle Synthesen im Geiste erschaffen wurden, wobei dies kein aktiver Vorgang sein muss. 

Ein ganz einfaches Beispiel ist das der Tiere. Hier müssen wir nicht den Fall eines jeden einzelnen Wesens durchgehen, das wir einer Gruppe hinzufügen wollen, die wir dann, nachdem wir alle beisammen haben, als „Tiere“ bezeichnen. Es ist nicht so, dass wir das aktiv tun müssen und es geht auch nicht unbedingt darum, sie zu benennen, sondern vielmehr, sie in einer Gruppe zusammenzufügen. Dieser Gruppe einen Namen zu geben, ist dann etwas anderes.

Es ist auch recht interessant, wie wir diese Gruppen lernen. Betrachten wir einmal ein kleines Baby, ist es doch so, dass ein Baby fast alles der Gruppe „essbar“ (das, was man in den Mund stecken kann) zuordnet. Erst später lernt es dann, dass es bestimmte Dinge gibt, die nicht so richtig in diese Gruppe passen. Aber wir werden jetzt nicht weiter auf dieses sehr interessante Thema eingehen, wie wir diese Gruppen erlernen. 

Allerdings passt das Wort „Synthese“ auch nicht in allen Fällen. Oft müssen wir das Wort „Kategorie“ und manchmal das Wort „Allgemeinheit“ benutzen und wir werden sehen, was die Unterschiede sind und worauf sie sich beziehen. Im Tibetischen und auch im Sanskrit gibt es jedoch für all diese Fälle nur ein Wort und die Definition ist: ein Phänomen, das sich auf alle Individuen bezieht, denen es zugeschrieben ist. Es wird also zugeschrieben und das versteht verstehen wir unter einer geistigen Synthese. Es gibt all diese einzelnen Wesen, diese Kreaturen, die herumlaufen und wir stecken sie alle zusammen und schreiben ihnen die Kategorie „Tiere“ zu. Sie wird benannt oder zugeschrieben, aber „zuschreiben“ heißt nicht unbedingt, etwas verbal zu benennen und es geht auch nicht darum, etwas aktiv zuschreiben zu müssen. Denkt einen Moment darüber nach.

[Pause]

Bleiben wir bei der Gelug-Darstellung. Einige Synthesen sind wirksame Phänomene – es sind nichtstatische Phänomene, die sich von einem Augenblick zum nächsten ändern und von Ursachen und Bedingungen beeinflusst werden. Ein Körper ist beispielsweise eine Synthese seiner Teile, er ist eine Zuschreibung auf seine Teile. Niemand hat einen Rumpf mit vier Gliedern zusammengefügt und es dann als Körper bezeichnet, um einen kompletten Körper zu haben. Es gibt auch Gruppen, wie ein Fußball-Team, dass sich aus seinen Mitgliedern zusammensetzt. Andere Synthesen sind nichtwirksame Phänomene – statische Phänomene, die sich nicht von einem Augenblick zum nächsten ändern und die nicht von Ursachen und Bedingungen beeinflusst werden. Das wären Kategorien, wie die Kategorie „Tier“, eine geistige Benennung, die vielen Wesen zugeschrieben wird.

Allgemeinheiten in Bezug auf konventionelle Objekte 

Geistige Sammelsynthese

In Bezug auf konventionelle Objekte gibt es zunächst die Sammelsynthese (tib. tshogs-spyi). Eine Sammelsynthese bezieht sich auf ein Ganzes, ein Ganzes als Zuschreibung auf seine Teile. In Anlehnung an die Sautrantika-Svatantrika-Unterscheidung, handelt es sich bei einigen um geschaffene Formen (tib. bsags-pa’i gzugs) – Formen physischer Phänomene, die aus ihren einzelnen Partikeln und/oder Teilen geschaffen wurden. Die Partikel und Teile fügen sich, wie der Rumpf und die Glieder unseres Körpers, zusammen, um eine Gesamtheit (tib. gong-bu) zu bilden. So wie die Glieder altern, ändert und wächst auch der Körper als Ganzes mit dem Alter. 

Bei anderen handelt es sich um Gruppierungen (tib. bsdu-pa’i gzugs) – jene Formen, deren einzelne Teile sich nicht miteinander verbinden, wie ein Wald, der aus einer Gruppe oder Reihe von Bäumen besteht. Ein Wald wird größer oder kleiner, je nachdem wie viele Bäume sich in ihm befinden. 

Geistige Artsynthesen

Eine andere Form der wirksamen Synthese, in Bezug auf konventionelle Objekte, ist die Artsynthses (tib. rigs-spyi). Sie bezieht sich darauf, was für eine Sorte oder Art von Objekt etwas ist. Welcher Gattung gehören eine Sache an? Es könnte eine Maschine, ein Tier oder ein Computer sein. 

Es gibt den Computer als ganzes Objekt, das all seinen Teilen zugeschrieben ist und es gibt verschiedene Arten von Computern. In unserem Beispiel haben wir von unserem schwarzen Dell und dem grauen Mac gesprochen und die Sorte oder Marke, zu der sie gehören, ist eine Zuschreibung. Die Kategorie, zu der sie gehören, wird als „Computer“ bezeichnet. Tun Computer irgendetwas? Ändern sie sich von einem Augenblick zum nächsten? Kann ein Computer dieses oder jenes schreiben? Kann er diese oder jene Vorgänge verarbeiten und kann er kaputt gehen? Er kann es nicht selbst tun, solange wir keine Taste betätigen. Ob wir ihm dabei helfen müssen oder nicht, ist eine andere Sache, aber der Computer kann etwas tun. 

Nun mag man sich alle möglichen Fragen bezüglich der Kausalität stellen. Der Computer kann nichts allein tun. Damit er etwas tun kann, braucht man jemanden, der ihn dazu bringt, etwas zu tun. Was brauchen „wir“ um etwas tun zu können? Wir benötigen Sauerstoff, Nahrung und viele andere Dinge, aber das ist eine ganz andere Sache, die sich auf die Kausalität bezieht. Es ist sehr interessant, über den Unterschied zwischen einem Computer und dem Geist nachzudenken. Damit der Computer funktioniert, brauchen wir etwas vom Computer Getrenntes, um ihn dazu bringen zu können, etwas zu tun. Brauchen wir auch etwas vom Geist Getrenntes, damit er funktioniert? Nein. Es gibt jedoch dieses Konzept einer Seele – das im Buddhismus widerlegt wird – die etwas vom Geist Getrenntes ist und ihn, wie einen Computer, betätigt. 

Hier ist die Rede von einer Sammelsynthese und einer Artsynthese. In Bezug auf ein Ganzes gibt es hier auch andere Aspekte. Ein Satz hat beispielsweise Teile, aber alle Teile existieren nicht zur gleichen Zeit oder treten nicht zur gleichen Zeit auf. Hören wir ein Wort, tritt jede Silbe in einem anderen Moment auf. In dem Augenblick, in dem wir die zweite Silbe wahrnehmen, hören wir die erste Silbe nicht mehr. Es ist also eine Synthese, die sich über einen Zeitraum erstreckt. Ist also von einer Sammelsynthese, einem Ganzen, beispielsweise einem Computer, die Rede, geht es nicht nur um eine Synthese der Teile, die alle zur gleichen Zeit auftreten, denn der Computer existiert nicht nur für einen Augenblick. Ein Computer als ein Ganzes und als eine Art von Objekt ist eine Zuschreibung, die als ein Kontinuum so lange andauert, wie dieses Objekt existiert. Aber obwohl er von einem Augenblick zum nächsten immer älter wird und seinem Ende näher kommt, haben wir trotzdem diese Sammelsynthese, dieses Ganze, den Computer und das bleibt er auch, denn das ist es, was er ist.

Geistige Objektsynthesen

Als nächstes kommen wir zur geistigen Objektsynthese (tib. don-spyi) und hier geht es um Sinnesinformationen. Was sehen wir, wenn wir den Computer betrachten? Wir sehen eine farbige Form, nicht wahr? Wir sehen die Form eines schwarzen Gehäuses. Aber ein Computer ist nicht nur eine schwarze Form. Er ist ein Objekt, das all die sensorischen Informationen eines Computers umfasst. Vielleicht arbeitet mein Freund im anderen Zimmer an einem Computer und ich höre den Klang der Tasten. Höre ich den Computer? Ja. Das Objekt „Computer“ ist auch eine Zuschreibung auf diesen Klang. Vielleicht bin ich blind, oder nicht einmal blind, sondern halte den Computer einfach in der Hand und berühre ihn. Ich habe eine körperliche Empfindung. Ist auch das ein Computer? Ja.

Ein Computer ist also eine Objektsynthese all dieser verschiedenen Arten von Sinnesinformationen, von Sinnesdaten. Das bezeichnen wir als ein konventionelles Objekt (tib. tha-snyad spyod-yul, ein konventionelles allgemein verständliches Objekt). Ein konventionelles Objekt ist eine Zuschreibung auf all die Informationen, die jeder unserer Sinne übermittelt, sowie auf alle Teile und auf die zeitliche Dauer. Das ist das konventionelle Objekt, der Computer und so verhält es sich mit allen Objekten, die wir wahrnehmen.

Allgemeinheiten in Bezug auf die Sprache 

Bei den nächsten Allgemeinheiten handelt es sich um statische Phänomene, die Hörkategorien und Bedeutungs-Kategorien mit einschließen. Eine nichtstatische Synthese kann sowohl nichtkonzeptuell, als auch konzeptuell erkannt werden, während man statische Allgemeinheiten nur konzeptuell erkennen kann. 

Hörkategorien 

Beginnen wir mit Kategorien in Bezug auf Sprachen, den so genannten Hörkategorien (tib. sgra-spyi) und betrachten einmal den Klang des Wortes „Computer“. Es ist egal, wie laut es jemand sagt und wenn wir den Klang dieses Wortes hören, gibt es viele unterschiedliche Möglichkeiten ihn wahrzunehmen. Es könnten verschiedene Stimmen sein, die das Wort aussprechen: eine männliche, eine weibliche, die eines Kindes oder eine Computerstimme. Es könnte in vielen verschiedenen Arten betont werden, verschieden laut und sogar in zahlreichen, unterschiedlichen Akzenten. Aber irgendwie sind wir in der Lage, sie alle dieser Hörkategorie, dem Klang des Wortes „Computer“ zuzuordnen. Wie könnten wir sonst erkennen, wenn zwei Menschen das gleiche Wort sagen? Wie sind wir in der Lage zu verstehen, das sie dasselbe sagen? Der Klang ist nicht der Gleiche. Das ist also eine Hörkategorie und um verstehen zu können, was jemand sagt oder was verschiedene Leute sagen, müssen wir es durch den Filter einer Hörkategorie verstehen, damit wir all die verschiedenen Variationen des Klanges, den wir hören und für das gleiche Wort halten, zuordnen können. Diese Art der Kategorie ist statisch; sie ändert sich nicht. 

In den Texten wir es nicht erwähnt, aber ich denke, es bezieht sich auch darauf, das Wort „Computer“ geschrieben zu sehen. Wir könnten es in verschiedenen Farben, Schriftarten, Schriftgrößen, in Handschrift oder gedruckten Buchstaben sehen, aber wir betrachten alles als das Wort „Computer“, als eine Repräsentation des geschriebenen Wortes „Computer“. Ich denke, das lässt sich damit vergleichen. Denkt einmal darüber nach. Es ist schon ziemlich erstaunlich, wie wir Dinge erkennen können. 

Und auch wenn sich diese Wort-Kategorien, diese Hörkategorien nicht ändern, müssen wir sie erst einmal gelernt haben. Als Kind müssen wir das Wort „Computer“ lernen. Wir könnten auch eine Sprache hören, die wir nicht verstehen und wären nicht einmal in der Lage, die einzelnen Worte zusammenzufügen, besonders wenn etwas sehr schnell gesprochen wird. Wir müssen die Sprache erst lernen und wir könnten sie natürlich auch wieder vergessen. Wenn man als Kind eine Sprache erlernt hat und sie nicht wirklich benutzt, kann man sich später im Leben nicht mehr an die Sprache erinnern. 

Bedeutungs-Kategorien

Sind wir in der Lage, Hörkategorien, also Worte, konzeptuell wahrzunehmen, können wir entweder wissen, was sie bedeuten oder auch nicht. Es müssen auch nicht unbedingt Worte sein. Wir könnten auch einfach das Geräusch unseres Autos hören. Und dann gibt es bedeutungsbezogene Kategorien (tib. don-spyi) und hier handelt es sich um den gleichen Begriff, den wir vorher bei der Objektsynthese benutzt haben, jedoch bezieht er sich in diesem Fall auf eine statische Objekt-Kategorie. Mit anderen Worten können wir, wenn wir den Klang eines Wortes hören und ihn einer Hörkategorie zuordnen, ihn auch einer bedeutungsbezogenen Kategorie zuordnen, je nachdem, was das Wort bedeutet, oder wir können ihn einer Objekt-Kategorie in Bezug darauf zuordnen, worauf sich das Wort bezieht. 

Vielleicht höre ich das Wort „Computer“ zum ersten Mal oder ich lerne das Wort in der Zulu-Sprache oder auf Chinesisch und habe keine Ahnung, was es bedeutet. Jemand bringt es mir bei und fordert mich auf, es zu wiederholen. Ich wiederhole das Wort, habe aber keine Ahnung, was es bedeutet. Ich kann jedoch erkennen, wenn zwei verschiedene Personen mit unterschiedlichen Stimmen das gleiche Wort aussprechen. Ich weiß, dass sie das gleiche Wort sagen, obwohl ich keine Ahnung habe, was es bedeutet oder auf was es sich beziehen könnte. Ich nehme also das, was zwei unterschiedliche Personen sagen, durch das Medium einer Hörkategorie war; sie sagen das gleiche Wort. Oder ich höre mehrere Geräusche meines Automotors. Ich weiß zwar, dass es der Motor eines Autos ist – es ist das Geräusch eines Automotors – aber habe keine Ahnung, was es bedeutet oder ob etwas mit dem Auto nicht stimmt. Ich weiß nicht, was es bedeutet. Es ist ein komisches Geräusch, das ich da höre, aber ich kann mir wirklich nicht vorstellen, was es sein könnte. 

Wir könnten all dem zusätzlich eine Bedeutungs-Kategorie oder eine Objekt-Kategorie zuordnen, die sich darauf bezieht, was es bedeutet oder worauf es sich bezieht. Und in vielfacher Hinsicht sind diese beiden Kategorien so ziemlich das gleiche, obwohl wir sie in manchen Fällen unterscheiden müssen. In unserem Beispiel höre ich jedoch das Wort Computer und weiß, was es bedeutet; das Wort bezieht sich auf eine Art Maschine, die etwas bestimmtes tun kann und auf dieses Objekt hier auf dem Tisch. Wie bereits beschrieben, können wir es in unseren Gedanken durch einen Spezifizierer oder eine Art Hologramm darstellen, durch das es für uns repräsentiert wird. Es könnte für den Klang des Wortes stehen und dann würden wir von verbalem Denken sprechen.

Ich denke „Computer“ und in meinem geistigen Bewusstsein höre ich den geistigen Klang des Wortes Computer. Es ist das, was die kleine Stimme in unserem Kopf sagt, oder zumindest erscheint es uns so. Ich denke also an die Hörkategorie des Wortes „Computer“, die selbst keinen Klang besitzt, sondern eine allgemeine Kategorie ist, der ich die Weise, wie ein Wort von irgendjemandem ausgesprochen wird, zuordnen könnte. Wenn ich jedoch tatsächlich daran denke, lege ich mich auf einen ganz bestimmten geistigen Klang, den Klang eines geistigen Hologramms, fest, der für mich diese Kategorie repräsentiert, wenn ich darüber nachdenke. Es ist das, was ich scheinbar geistig höre, die Stimme in meinem Kopf, die „Computer“ sagt. 

Wir haben also die Hörkategorie eines Wortes, den Klang eines Wortes und das Wort selbst. Das sind drei verschiedene Dinge. Ein Wort ist eine Sammelsynthese von Silben, die den Silben zugeschrieben ist. Com-pu-ter, das sind drei Silben. Denkt einmal darüber nach, was geschieht, wenn wir in unserem Geist „Computer“ sagen. Denkt daran, dass es kein getrenntes kleines „Ich“ gibt, das in unserem Kopf sitzt und in ein Mikrofon spricht. All diese Dinge entstehen; sie finden einfach statt. Es gibt nichts Getrenntes davon, das es in Erscheinung treten lässt, wie jemand, der getrennt vom Computer, an ihm sitzt und etwas tippt.

Es gibt diese Hörkategorie. Wenn wir denken, könnte das durch eine Art geistigen Klang dargestellt werden und zwar eines ganz bestimmten Klanges, nicht nur der, irgendeiner allgemeinen Kategorie. Und wissen wir auch, was ein Computer ist, wird es zusammen mit dieser Hörkategorie auch eine Bedeutungs-Kategorie geben, wenn wir „Computer“ denken. Eine Bedeutungs-Kategorie weist auch auf eine Objekt-Kategorie hin und daher bezieht es sich auf die Bedeutung dessen, was ein Computer ist und auf das Objekt, das es repräsentiert. 

Ich denke „Computer“ und formuliere das Wort in meinem Kopf. Aber ich könnte mir den Computer auch einfach nur bildlich vorstellen und das ist recht interessant, wenn man einmal darüber nachdenkt. Wenn wir „acht plus sieben ist gleich fünfzehn“ denken, haben wir dann die Nummern mit einem Plus- und einem Gleichheitszeichen, hinter dem eine 15 steht, in unserem Kopf? Oder vielleicht betrachte ich diese drei Stifte auf dem Tisch und denke mir, dass es drei sind. Hier gibt es drei Dinge und ich denke „drei“,habe jedoch nicht unbedingt das Wort „drei“ im Kopf, verstehe aber, dass es „drei“ sind. Ich muss sie nicht einmal zählen. Es ist wirklich interessant, wie der Geist funktioniert und wie wir Dinge erkennen.

Wenn wir an einen Hund denken, haben wir alle eine andere Art von Hund in unserem Kopf. Oder vielleicht sagen wir: „Ich habe gerade eine gute Zeit.“ Was heißt das eigentlich für jeden von uns? Es könnte für jeden etwas anders bedeuten oder sich auf ein anderes Objekt beziehen und was für uns schön ist, mag für einen anderen ganz und gar nichts Schönes sein. Gibt es so etwas wie eine schöne Zeit? Jeder hat sein eigenes Konzept davon und es heißt nicht unbedingt, dass es für jeden dasselbe ist. Hier geht es nicht um nicht existierende Phänomene, wie Monster. Wir könnten eine philosophische Diskussion darüber beginnen und uns fragen, ob irgendetwas von Natur aus eine schöne Zeit ist oder ob es sich einfach nur um ein Konzept von uns handelt. Wäre es von Natur aus so, würde sie jeder als einen schönen Moment betrachten. Vielleicht gehen wir zu einer Vorlesung, die wir für ausgesprochen langweilig halten. Ein anderer hat jedoch Freude daran, während wir uns abquälen und die Zeit nicht im Geringsten genießen können. 

Hier gibt es zahlreiche Dinge, die damit einhergehen und auf die ich nicht näher eingehen möchte, denn diese Thematik in Bezug auf die Artsynthese, ist wirklich sehr tiefgreifend. Können wir das Objekt selbst als eine Artsynthese betrachten oder handelt es sich hierbei auch um eine Art des Benennens? Für mich ist dieses Ding ein Computer. Hätte ich einen zweijährigen Sohn, wäre es für ihn ein Spielzeug und kein Computer. Und wer weiß, wofür die Katze es hält. Was ist es also wirklich? 

Genug mit diesen Kategorien oder Allgemeinheiten. Individuelle Phänomene sind individuelle Instanzen, die in jede dieser Kategorien passen und eine Sache könnte auch vielen verschiedenen Kategorien zugeordnet werden. Im Buddhismus analysieren wir in unseren verschiedenen philosophischen Systemen sehr sorgfältig, wo sich die definierenden Charakteristika (tib. mtshan-ma) befinden, die uns erlauben, etwas dieser oder jener Kategorie korrekt zuzuordnen und das ist wirklich keine einfache Sache. Befinden sich die definierenden Charakteristika auf Seiten des Objektes? Gibt es sie nur im Wörterbuch? Wurden sie von ein paar Leuten erfunden? Was sind die definierenden Charakteristika? In Bezug auf den Computer könnte man vielleicht sagen: „Er kann dieses und jenes tun, und hat diese und jene Bestandteile.“ Aber was ist mit Emotionen? Denn wir alle empfinden etwas ganz anderes, wenn wir beispielsweise von Liebe sprechen. 

Erinnern 

Das konzeptuelle Denken mit Kategorien führt uns zu der Thematik des Erinnerns und daher werden wir auch darüber kurz reden. 

Zunächst einmal beziehen sich die Worte Erinnern, Gewahrsein, Achtsamkeit und Vergegenwärtigung im Tibetischen und Sanskrit alle auf das gleiche Wort (tib. dran-pa, Skt. smrti). Die Rede ist von einer Art geistigen Klebstoff, der uns an etwas festhalten lässt, damit wir es nicht verlieren. Das ist die Definition und hier geht es nicht darum, Informationen zu speichern oder aus diesem Speicher eine Erinnerung hervorzuholen, sondern um den eigentlichen Vorgang des Sich-Erinnerns. 

Beispielsweise befinden wir uns hier im Tibet-Zentrum und hören uns die Diskussion in Bezug auf den verlorenen Computer an. Sie findet gegenwärtig statt, ist also gültig. Später findet das Hören dieser Diskussion nicht mehr statt. 

Hier wird es etwas komplizierter und ich werde versuchen, es etwas vereinfacht darzustellen. Es ist so etwas wie eine Tendenz (tib. sa-bon). Betrachten wir einmal unsere Wut, ist es doch so, dass wir nicht die ganze Zeit wütend sind. Manchmal ist die Wut als ein Geisteszustand, ein Geistesfaktor, da – sie findet tatsächlich statt – und manchmal setzt sie sich einfach als eine Tendenz fort. Eine Tendenz ist eins dieser sich ändernden Phänomene, die weder die Form eines physischen Phänomens, noch eine Weise, sich etwas gewahr zu sein sind, wie beispielsweise die Zeit, oder ich selbst. Obwohl aber der Begriff, der hier benutzt wird, wörtlich „Same“ bedeutet, sollten wir ihn nicht als ein materielles Objekt ansehen. Es geht um eine Tendenz und sie ist, wie ein abstraktes Phänomen, zugeschrieben. In diesem Moment war ich wütend und dann, nach einer Weile war ich wieder wütend und dann wieder. Es gab also all diese Situationen, in denen wir wütend waren. Wie würden wir sie zusammenfügen? Wir würden sagen: „Nun, da gibt es eine Tendenz, wütend zu sein.“ Gewissermaßen ist dieses Zusammenfügen eine Abstraktion. Und jedes Mal, wenn wir wütend sind, ist es nicht genau das Gleiche, nicht wahr? Es sind einzelne Fälle in dieser größeren Kategorie „wütend zu sein“. Das ist ein weiteres gutes Beispiel von Instanzen und dieser Allgemeinheit oder Kategorie. 

Das gleiche trifft zu, wenn wir uns erinnern. Ich war hier im Tibet-Zentrum und habe mir die Diskussion angehört. Später habe ich mich daran erinnert, um was es ging. Ich erinnere mich also und hier gibt es diese Objekt-Kategorie: ich war im Tibet-Zentrum und habe mir den Vortrag angehört. Dadurch haben wir einen Spezifizierer, durch den es zu einem geistigen Hologramm wird, das dafür steht, im Tibet-Zentrum zu sein. Ein geistiges Hologramm wird entstehen, das für mich darstellt, wie es war, dort zu sein und diesen Vortrag zu hören. Jedes Mal, wenn ich mich an diesen Aufenthalt dort erinnere, ist das erscheinende geistige Hologramm, das es repräsentiert, anders und das ist wirklich interessant. Ich erinnere mich immer an etwas anderes. Es ist nicht immer genau das Gleiche, an das ich mich erinnere. Aber wir ordnen es alles dieser generellen Sache zu, sich zu erinnern, dort gewesen zu sein. Außerdem erinnern wir uns nicht immer daran. Sich an etwas zu erinnern, bedeutet, sich etwas gewahr zu sein. Wir sind uns nicht gewahr und so haben wir mit diesen konzeptuellen Gedanken keinen geistigen Klebstoff, durch den wir an dieser Allgemeinheit, an dieser Kategorie „hier zu sein“ festhalten und wir haben nichts, das es ständig repräsentieren würde. Wenn wir uns erinnern, ist da dieser geistige Klebstoff und wenn wir daran festhalten, vergegenwärtigen wir es. Erinnern wir uns daran, halten wir durch einen geistigen Klebstoff daran fest. Wir halten an der Allgemeinheit „hier zu sein“ und an einer geistigen Repräsentation, dem geistigen Hologramm, fest. Es könnte etwas sein, das wir im Geiste sehen, es könnte die Erinnerung an den Klang meiner Stimme sein, eigentlich könnte es alles sein. Vielleicht erinnern wir uns daran, verwirrt gewesen zu sein. Wir könnten uns an alles mögliche erinnern. 

Aber wie fügen wir es zusammen? Es wäre nicht genau das gleiche geistige Bild, denn es findet nicht länger statt. Wir könnten uns nie wirklich an etwas erinnern, das nicht länger stattfindet. Es ist nicht gültig, es ist bereits abgelaufen, wie unsere Milch, die schlecht geworden ist. Es ist vorbei.

Und wir würden sagen, wir haben eine Tendenz uns zu erinnern; hier handelt es sich um das gleiche Wort (tib. sa-bon). Im Westen würden wir das als eine Erinnerung bezeichnen, aber es geht nicht um etwas, das irgendwo in unserem Kopf eingraviert wäre. Aber vielleicht gibt es eine physische Entsprechung dafür; das schließen wir nicht aus. Im Buddhismus geht es jedoch nicht um diese Gravur in unserem Kopf. Wir leugnen sie auch nicht; sie steht nicht im Widerspruch zu dem, worum es hier geht. Im Buddhismus ist die Rede immer davon, was aus dem Blickwinkel der Erfahrung stattfindet – was wir erfahren – und nicht davon, was chemisch passiert. 

Es gibt also eine Tendenz. Welche Situation würde nun durch diese Tendenz dazu führen, einen Moment zu erleben, an dem wir uns tatsächlich daran erinnern? Vielleicht hören wir das Wort „Computer“ und dann wird es dadurch ausgelöst. Das wäre eine Situation – und das ist Teil unserer Diskussion in Bezug auf die Kausalität – und sie wäre eine unmittelbar vorausgehende Bedingung (tib. de-ma-thag rkyen). Das Hören des Wortes „Computer“ geschieht unmittelbar vorher, bevor wir daran denken – bevor wir uns daran erinnern – hier zu sein. Wie ein Hund, der eine Glocke hört. Außerdem erinnert sich nicht jeder daran, hier gewesen zu sein und es ist auch so, dass ich jedes Mal, wenn ich das Wort „Computer“ höre, mich vielleicht an etwas völlig anderes erinnere. Es mag sein, dass ich überhaupt nicht daran denke, hier gewesen zu sein.

Das ist nun eine sehr interessante Frage, warum das Wort „Computer“ bei manchen Menschen die Erinnerung an diesen Aufenthalt hier auslöst und bei anderen nicht und ich kann sie gar nicht so spontan beantworten. Wahrscheinlich hat es etwas mit all den Gefühlen, wie Anhaftung, Verwirrung usw. zu tun und damit, wie stark diese Emotionen zu der Zeit waren, um, wie wir sagen würden, einen starken Eindruck bei uns zu hinterlassen.

Wir nicht auch nicht besonders achtsam, unser geistiger Klebstoff ist ziemlich schwach. Wir lassen uns ablenken, der geistige Klebstoff löst sich und wir erinnern uns nicht mehr, sondern vergessen es. „Etwas zu vergessen“ heißt, sich nicht mehr zu erinnern. Unser westliches Konzept davon ist etwas anders als das buddhistische Konzept. Wenn wir etwas vergessen haben, wollen wir damit sagen, dass wir uns nie daran erinnern können. Aber „vergessen“ heißt einfach, dass unser Geist, wenn wir versuchen, uns auf etwas zu konzentrieren, abschweift und wir vergessen haben, uns auf das Objekt auszurichten. Die Achtsamkeit ist so schwach und wir müssen die Aufmerksamkeit wieder zurückbringen. Obwohl wir vielleicht denken mögen, wir hätten wirklich etwas vergessen, kann die Erinnerung etwas später im Leben wieder durch irgendetwas ausgelöst werden. Das passiert manchmal, nicht wahr? Jemand erinnert uns vielleicht an etwas, das wir vor vierzig Jahren im Gymnasium gemacht haben und wir sagen: „Oh, das habe ich ganz vergessen, aber jetzt erinnere ich mich daran.“ Und wenn wir an etwas erinnert werden, was wir vergessen haben, sagen wir: „Ich erinnere mich gar nicht, dies gesagt oder jenes getan zu haben.“ Wer weiß, wessen Erinnerung korrekt ist?

Die geistige Repräsentation ist also nicht so genau. Die Tatsache, dass wir diese Tendenz haben, uns nicht mehr zu erinnern, liegt nicht an einer Art Abwehrmechanismus, sondern an einem Mangel unserer Vergegenwärtigung, an der wir nicht festhalten können. Hätten wir vollkommene Vergegenwärtigung, könnten wir so lange daran festhalten, wie wir wollten. Wir haben keine vollkommene Vergegenwärtigung, wir haben noch keine Kontrolle darüber, aber das könnte sich ändern. Könnten wir es kontrollieren, würden wir sagen: „Meine Phase der Erinnerung daran ist vorüber“ und dann würden wir nicht weiter darüber nachdenken und es würde nicht einfach wieder hochkommen, wenn wir uns mit etwas anderem beschäftigen. 

Das ist eine sehr hohe Ebene, nicht wahr? „Ich werde nicht darüber nachdenken, ob es ein Monster im Schrank gibt.“ Das ist wirklich äußerst schwierig. Wären wir wirklich auf dieser Ebene, könnten wir uns beispielsweise so lange auf ein Objekt fokussieren, wie wir wollten. Und würden wir uns entscheiden, es nicht länger zu beachten, würden wir einfach damit aufhören und nicht mehr darüber nachdenken. Das ist für uns wirklich schwierig. Vielleicht hatte ich eine Beziehung mit jemandem, wir haben uns getrennt und ich denke darüber nach. Kann ich wirklich sagen: „Ich habe fünf Minuten lang darüber nachgedacht. Jetzt werde ich nicht mehr darüber nachdenken – ich werde mich nicht mehr daran erinnern.“ Das können wir nicht. Hätten wir aber tatsächlich einen hochentwickelten Geist, wären wir in der Lage, etwas für eine bestimmte Zeit lang zu vergegenwärtigen und dann damit aufzuhören. Und wären wir ein Buddha, könnten wir uns immer alles vergegenwärtigen, ohne verwirrt zu sein.

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