Die Rolle und Wichtigkeit der Willenskraft

Wie ist es möglich, eine Entscheidung zu treffen? 

Wir sind zu folgendem Punkt gekommen: Wie treffen wir eine Entscheidung? Wie entsteht eine Entscheidung? Wir haben zwei Wünsche, zwei Gefühle, die durch alle möglichen Umstände entstehen – zu schreien oder nicht zu schreien. Es ist kein freier Wille, weil es kein unabhängig und wahrhaft existierendes „Ich“ gibt, das in Plastik eingehüllt und getrennt von diesen zwei Gefühlen ist, die getrennt von diesem unentschlossenen Schwanken entstehen und existieren. Denkt daran, dass all dies zu den fünf Aggregaten gehört. Innerhalb der fünf Aggregate, die unsere Erfahrung ausmachen, entstehen diese zwei Wünsche – die Wahrnehmung, die geistige Wahrnehmung, das unentschlossene Schwanken, und dann wird dem Ganzen ein „Ich“ zugeschrieben. 

Daran ist nichts falsch. Es ist völlig korrekt, dass es die fünf Aggregat-Faktoren gibt. Es geht nur darum, was jeden Augenblick unserer Erfahrung ausmacht. Betrachtet sie nicht als irgendwelche Bereiche im Himmel, denen wir Dinge zuordnen. Darum geht es hier nicht, sondern einfach um ein schematisches Werkzeug, um jeden Augenblick unserer Erfahrung zu analysieren. In jedem Moment sind zahlreiche Dinge miteinander verbunden, die diesen Moment der Erfahrung ausmachen: 

  • Bewusstsein, entweder Sehen, Hören oder Denken;
  • ein Grad an Glück oder Leid;
  • eine Ebene des Auseinanderhaltens von etwas; andernfalls ist es ein undifferenzierter Sinnesbereich. Ich muss in der Lage sein, die farbige Form deines Kopfes und die farbige Form des Pullovers der Frau dahinter auseinanderzuhalten, denn sonst kann ich nicht erkennen, was stattfindet. Für gewöhnlich wird es mit „erkennen“ übersetzt, aber im Grunde geht es nur darum, zwei Dinge auseinanderzuhalten, eine Sache vom Hintergrund zu unterscheiden.
  • Und dann gibt es all die Emotionen und Konzentration.

All diese Dinge finden gleichzeitig statt. Das sind die fünf Aggregate – eine Form, die wir sehen oder einen Klang, den wir hören, unser Körper etc. Und wir können sie dem „Ich“ zuschreiben. Ich bin nicht das Wort „Ich“. Ich bin kein Wort. Ich bin das, worauf sich das Wort bezieht. Das Wort bezieht sich auf der Grundlage von all diesen Dingen auf mich. 

Es ist sehr wichtig das zu verstehen. Darauf wollte ich eigentlich gar nicht eingehen, aber es ist wichtig und daher werde ich mein klassisches Beispiel anführen. Mein klassisches Beispiel ist der Film „Krieg der Sterne“. Da gibt es den Namen, den Titel des Filmes „Krieg der Sterne“. „Krieg der Sterne“ ist also nicht nur ein Titel; es ist nicht der Name. Die Grundlage ist nicht nur der Plastikstreifen und die einzelnen Bilder, sondern jeder Augenblick des Filmes. „Krieg der Sterne“ ist nicht nur ein Moment des Filmes. Das Wort „Krieg der Sterne“, die Bezeichnung „Krieg der Sterne“, der Titel, bezieht sich auf der Grundlage all der Momente des Filmes auf den Film, den eigentlichen Film „Krieg der Sterne“. Könnt ihr dem folgen? 

Dies bin also ich. Ich bin nicht nur ein Moment meiner Erfahrung von der Zeit als Säugling bis jetzt. Ich bin keiner dieser Momente und ich bin auch nicht der Name „Ich“ oder „Alex“, doch dieser Name bezieht sich auf der Grundlage eines ganzen Lebens auf etwas. Das ist das konventionelle „Ich“. Es gibt also einen großen Unterschied zwischen dem, worauf sich eine Bezeichnung oder ein Wort bezieht und dem, was dem Wort entspricht. Was dem Wort entspricht, ist etwas wie in Plastik gehülltes, als würde es aus dem Wörterbuch stammen. Dinge existieren nicht auf diese Weise, in kleinen Kategorien, wie im Wörterbuch: gut, schlecht usw. Das ist es, was abwesend ist, wenn wir von der Leerheit reden, dass Dinge tatsächlich unseren Worten und Konzepten entsprechen. Doch Worte und Konzepte beziehen sich auf Dinge, denn das ist Sprache. Hier gibt es einen großen Unterschied und das ist der Schlüssel, um den Unterschied zwischen dem konventionellen „Ich“ und dem falschen „Ich“ zu verstehen. 

Gültig ist, dass sich das Wort auf etwas bezieht. Nicht gültig ist, dass Dinge dem entsprechen, was Worte besagen und was in Kategorien festgelegt ist, von einer dicken Linie umrandet, als würden sie in Schubladen existieren: Liebe, Hass, Warmherzigkeit. Dinge existieren nicht in Schubladen. Was ist Liebe? Was ist das Gefühl der Liebe? Jeder hat ganz andere Erfahrungen damit und wir können sagen: „Ja, ich liebe dich.“ Es bezieht sich also auf etwas, wir empfinden tatsächlich etwas. Doch es gibt nicht eine Art der Schublade dort drüben, die Liebe, die dem Wort entspricht und nun nehmen wir etwas davon und empfinden Liebe. Es ist wirklich wichtig, das zu verstehen; das ist das Wesentliche. 

Gut, es gibt also kein für sich existierendes „Ich“, das getrennt von dem ist, was hier entsteht – der Wunsch zu schreien, der Wunsch nicht zu schreien und das unentschlossene Schwanken zwischen diesen beiden. Das „Ich“ wird dem nur zugeschrieben. Es gibt also keinen freien Willen. Der freie Wille setzt ein „Ich“ voraus, das von alledem getrennt ist. 

Auf der anderen Seite ist es auch nicht festgelegt. Denn wenn wir über eine noch nicht stattfindende Entscheidung sprechen, können wir das Noch-nicht-Stattfinden der Entscheidung erkennen. Wir kennen das Noch-nicht-Stattfinden dessen. Wir verstehen es. Was ist die Grundlage des Noch-nicht-Stattfindens von Morgen? Die Grundlage ist die gegenwärtig stattfindende Abwesenheit von Morgen. Auf der Grundlage der Abwesenheit des gegenwärtig stattfindenden Morgens können wir das Noch-nicht-Stattfinden von Morgen zuschreiben. Könnt ihr dem folgen? Das ist es, was wir tun können: Wir können das Noch-nicht-Stattfinden der Entscheidung auf der Grundlage der Abwesenheit einer stattfindenden Entscheidung zuschreiben, doch wir können die gegenwärtig stattfindende Entscheidung nicht auf der Grundlage der Abwesenheit einer gegenwärtig stattfindenden Entscheidung gültig zuschreiben. 

Ich weiß nicht, ob ich das richtig formuliert habe. Sehen wir es uns an einem Beispiel an. Das Heute findet gerade statt und das Morgen ist abwesend. Wir können das Noch-nicht-Stattfinden von Morgen kennen. Doch auf der Grundlage der Abwesenheit von Morgen können wir dem Heute kein gegenwärtig stattfindendes Morgen zuschreiben, weil es noch nicht stattfindet. Das ist es, was nicht festgelegt ist und das ist der eigentliche Grund, warum es nicht festgelegt ist. In der Abwesenheit von etwas kann man nicht sagen, es gäbe eine Gegenwart von etwas. Über die Abwesenheit von etwas kann man nur sagen, dass etwas noch nicht stattgefunden hat. Doch wenn es noch nicht stattfindet, kann man nicht sagen, dass es bereits stattfindet und darauf warten, dass es herauskommt. Das ist die eigentliche Analyse.

Ist es so, als würde man sagen: Ich kann zwar davon ausgehen, dass es eine Abwesenheit und ein Potenzial gibt, aber ich kann nichts über die Qualitäten sagen, die damit verbunden sind, weil es trotz allem nur ein Potenzial ist? 

Das ist richtig. Genauso verstehen wir Karma: Es gibt eine Tendenz dafür, dass etwas passiert, damit wir losschreien. Doch ein Teil davon ist das Noch-nicht-Reifen des Resultats, das heranreifen wird, wenn die Umstände vollständig sind. Daher können wir uns von den Tendenzen lösen, denn wenn es keine Umstände mehr gibt, die das Heranreifen des Karma ermöglichen, kann man nicht sagen, dass es noch ein Potenzial für dessen Heranreifen gibt. Und weil diese Tendenzen durch zahlreiche verschiedene Umstände beeinflusst werden können, gibt es viele Möglichkeiten, zu was es heranreifen könnte. 

Das führt dann zur Quantenmechanik und zur Wahrscheinlichkeit. Falls es euch interessiert: Ich habe einen sehr umfangreichen Artikel auf meiner Webseite, in dem es darum geht, was ein Buddha weiß, wenn er die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kennt. Und dort gehen wir auf die Erklärung der Quantenphysik all der verschiedenen Möglichkeiten dessen ein, was ein Buddha tatsächlich weiß. Seid jedoch gewarnt: es ist der schwierigste Artikel auf der Webseite. Doch es ist wichtig, denn sonst fragen wir uns, ob es bereits festgelegt ist, da der Buddha es ja schon weiß. Aber lasst uns weitermachen. 

[Siehe: Die Erkenntnis der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eines Buddhas]

Es ist also keines der zwei Extreme, weder freier Wille noch Determinismus. Wenn also eine gegenwärtig stattfindende Entscheidung auftritt – was so verstanden werden muss, dass sie auftritt – heißt das, dass wir eine Möglichkeit wahrnehmen (zum Beispiel das Schreien zu unterlassen) und mit korrektem unterscheidenden Gewahrsein erkennen, dass diese Handlungsweise nützlich ist. Das ist es, was im Moment der Entscheidung stattfindet. Optimalerweise beruht diese Unterscheidung darauf, die Auswahlmöglichkeiten analysiert zu haben. Und dann haben wir die Geistesfaktoren, die damit einhergehen, die Situation grob zu prüfen und die Einzelheiten genauestens zu untersuchen. Hier werde ich nicht weiter darauf eingehen. Und natürlich kann dies nur geschehen, wenn wir die Gewohnheiten des Analysierens geschaffen haben, damit die Tendenz den Analysierens sie hervorbringt, und wir müssen eine Motivation haben, warum wir analysieren wollen. 

Man kann hier noch viel komplexer werden, denn man könnte hier auch untersuchen, was ich gerne tun würde, was ich tun will und was ich tun muss. Vielleicht mache ich gerade eine Diät und laufe an einem Bäcker vorbei. Ich würde gern ein Stück Schokoladenkuchen essen, doch ich will bei meiner Diät bleiben und ich muss mich an sie halten, weil ich hohen Blutdruck habe und abnehmen sollte. Man analysiert also all die Gründe: „Warum habe ich diesen Wunsch? Warum möchte ich die Sache haben? Warum brauche ich sie?“ Und dann analysiert man die Gültigkeit eines jeden Grundes. „Ich muss abnehmen, damit ich attraktiver bin und einen Partner finde.“ Beruht das auf Eitelkeit oder was sind die Gründe, warum ich eine Diät machen muss? Warum habe ich diesen Wunsch? „Weil ich wirklich gern Schokoladenkuchen esse.“ Man analysiert, was die gültigen Gründe sind. „Was soll ich nun beruhend auf dieser Überlegung tun?“ Dann kommt man zu einer Schlussfolgerung. Man ist entschlossen und richtet sich auf eine Entscheidung, mit der Absicht, sie auszuführen und hat korrektes unterscheidendes Gewahrsein, dass dies nützlich sein wird. All die anderen Geistesfaktoren stützen sie: Vergegenwärtigung des Dharma, Konzentration, Geduld, all diese Dinge.

Die Rolle der Willenskraft 

Wo finden wir nun also die Willenskraft in der Analyse des Treffens einer Entscheidung? Die Willenskraft ist Teil der Ausdauer, einer der sechs weitreichenden Geisteshaltungen (sechs Vollkommenheiten): die rüstungsgleiche Ausdauer. Das ist die Ausdauer, mit der wir alle Schwierigkeiten ertragen, die beim Umsetzen unserer Entscheidung auftauchen mögen. „Egal wie schwierig es ist, ich werde es unterlassen zu schreien“. Das ist die Willenskraft und sie ist in erster Linie das, was wir als „ich habe die Entscheidung getroffen“ erfahren. Doch die Ausdauer ist ein Komplex vieler Komponenten. Sehen wir uns weitere Lehren dazu an. 

Shantideva erklärt im „Bodhicharyavatara“ („Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“) die sechs Faktoren, die mit der Ausdauer zu tun haben: 

  • Elan und Stärke, begleitet von einer festen Absicht, unsere Entscheidung umzusetzen; also Stärke: „ich werde es tun“;
  • dann Standhaftigkeit, um nicht von unserer Entscheidung abzulassen und Selbstachtung, mit der wir denken: „ich werde in der Lage sein, meine Entscheidung in die Tat umzusetzen“;
  • als nächstes zufrieden und glücklich mit der Entscheidung zu sein, die wir treffen, denn sonst werden wir später darunter leiden, sie bedauern und es uns anders überlegen – wir werden 30 Sekunden später anfangen zu schreien;
  • dann das Loslassen, was sich im Fall des Treffens einer Entscheidung darauf bezieht, nicht auf der Entscheidung zu verweilen, wenn wir sie getroffen haben, sondern uns auf das zu konzentrieren, was als nächstes kommt: „ich habe mich entschieden, nicht zu schreien“, „ich habe mich entschieden, nicht ins Kino zu gehen“, „ich habe mich entschieden, nicht zu der Feier zu gehen“ und dann konzentrieren wir uns darauf, was als nächstes kommt, wir denken nicht weiter darüber nach, sondern lassen es los;
  • wir nehmen die Schwierigkeiten bereitwillig in Kauf, die sich eventuell aus unserer Entscheidung ergeben. Ich akzeptiere also, dass es schwierig sein wird, das Schreien zu unterlassen. Ich erkenne es an. Man sollte bereit sein, das in Kauf zu nehmen. Wir sollten nicht naiv sein.
  • Und schließlich beherrschen wir uns selbst, um Faulheit zu überwinden und entschließen uns, es zu tun.

Das ist eine fantastische Analyse von Shantideva in Bezug darauf, was mit dieser Ausdauer verbunden ist, dass wir tatsächlich etwas tun werden. All das ist notwendig, um eine Entscheidung zu treffen. Wir analysieren hier nicht die Auswahlmöglichkeiten, was ich am Abend essen sollte, sondern entscheiden uns im Grunde, ob wir destruktiv oder nicht destruktiv handeln sollten. Unsere ganze Erleuchtung wird davon abhängen, ob wir in der Lage sind, diese Entscheidung zu treffen oder diese Unterscheidung zu machen. Unsere ganze Erleuchtung hängt davon ab. Kann ich diese Entscheidung nicht treffen, ist es hoffnungslos. Hiermit beginnt praktisch alles. 

Dann erklärt Asanga im Abhidharmasamuccaya fünf weitere Aspekte der Ausdauer: 

  • rüstungsgleicher Mut – wir brauchen rüstungsgleichen Mut, um Schwierigkeiten zu ertragen. Wir bekommen ihn, wenn wir uns an die Freude erinnern, mit der wir unsere Entscheidung getroffen haben. „Ich habe mich entschieden, es zu unterlassen und bin glücklich darüber.“ Das erfordert großen Mut. Das ist also eine weiterer Faktor.
  • Dann kommt, sich fortwährend und respektvoll der Aufgabe des Umsetzens der eigenen Entscheidung zu widmen. Respektvoll bezieht sich darauf, das, was ich tue, zu respektieren. Ich denke also nicht: „das ist ja furchtbar, was ich tue“, sondern würdige es: „Was ich tue, ist wirklich sinnvoll. Ich unterlasse es, herumzuschreien.“ Das ist ziemlich tiefgreifend. Haben wir dieses negative Selbstbild – „ich bin nicht gut“ usw. „ich kriege das nie hin“ – wird es nicht funktionieren. Wir müssen Respekt gegenüber uns selbst haben, um auf viel heilsamere Weise zu handeln.
  • Dann: sich niemals wegen der eigenen Entscheidung entmutigen oder verunsichern zu lassen;
  • niemals von ihr abzuweichen; und
  • nie selbstzufrieden zu sein, wie: „ich habe es einmal unterlassen, zu schreien, das genügt“.

Das ist also Asangas Analyse dessen, was wir benötigen. Starke Ausdauer bedeutet, die Schwierigkeiten zu ertragen. Wir tun es und denken: „Ich werde es tun.“ Das ist damit verbunden, eine Entscheidung zu treffen. Nur die Entscheidung zu treffen und sie nicht umzusetzen, wird uns nirgendwo hinbringen. 

All diese Faktoren und Aspekte der Ausdauer stehen miteinander in Wechselwirkung, um dem Entscheidungsprozess Kraft und Energie zu verleihen. Und wie nennen wir all das zusammen? Wir nennen es „Willenskraft“. Denkt also einmal darüber nach. Was ist Willenskraft? Für die meisten Menschen ist es das, was mit dem Treffen einer Entscheidung verbunden ist: „Es ist mein Wille, dass ich es tun werde.“ Das ist die Analyse dessen, was damit zusammenhängt. Natürlich müsst ihr euch später diese Liste durchlesen. Ich erwarte nicht, dass sie sich jemand merken kann. Mut, Kraft gehören dazu: „Ich werde es mir nicht anders überlegen. Ich werde mich nicht entmutigen lassen. Ich bin nicht voller Zweifel und Bedauern und bin glücklich und zufrieden damit, wofür ich mich entschieden habe. 

Nun, wenn all diese Faktoren, die wir als Willenskraft bezeichnen, in diesem Moment unserer Erfahrung da sind, in der das Treffen von Entscheidungen stattfindet, schreiben wir dem Ganzen das konventionelle „Ich“ zu. Es ist ein Teil der fünf Aggregate, die diesen Moment der Erfahrung ausmachen, in dem das Treffen von Entscheidungen stattfindet. Wir schreiben  es zu oder bezeichnen es – dafür gibt es verschiedene Worte – und das erlaubt uns, das Stattfinden dieser Entscheidung, das Schreien zu unterlassen, als „ich habe die Entscheidung getroffen“ zu erfahren. Das ist das konventionelle „Ich“ – „ich habe die Entscheidung getroffen“ – und es wird dem zugeschrieben, was mir momentan erfahren, was eine korrekte Zuschreibung, eine korrekte geistige Bezeichnung ist. Ich habe die Entscheidung getroffen; niemand anders hat sie getroffen. Das ist gültig, doch es gibt kein getrenntes „Ich“, das es tut und es ist auch nicht so, dass die Entscheidung bereits da ist. 

Wir könnten nun verschiedene Dinge diesem Komplex dessen zuschreiben, was in diesem Moment geschieht, dem Stattfinden des Treffens von Entscheidungen, dem gegenwärtigen Stattfinden der Entscheidung. Schreiben wir ihm das konventionelle „Ich“ zu, ist das korrekt. Schreiben wir ihm ein wahrhaft existierendes „Ich“, ein falsches „Ich“ zu, fühlt es sich so an, als wäre es freier Wille – „ich habe die Entscheidung getroffen“, ein „Ich“, das von alledem getrennt ist – denn wir schreiben dieses getrennte „Ich“ dem zu, was stattgefunden hat und sagen dann mit einem großen Ego: „ich habe es getan“. Erkennt ihr den Unterschied? Es ist alles eine Frage, wie wir es konzeptuell erfassen. 

Wie erfasst man konzeptuell, was stattgefunden hat? Entweder ein konventionelles „Ich“ („ich habe es getan, niemand sonst“) oder ein großes, getrenntes Ego-Ich („ich habe die Entscheidung getroffen“, freier Wille). Was daraus folgt, das falsche „Ich“ diesem Ereignis zuzuschreiben, ist Stolz: „oh, ich bin so gut, ich bin so wunderbar, ich habe es getan“ oder „oh, ich war so dumm, dass ich das getan habe; es ist absurd“. Alle störenden Emotionen entstehen also aufgrund dessen, das wir dem Treffen der Entscheidung eines wahrhaft existierendes „Ichs“ zuschreiben. 

Schreiben wir ihm das konventionelle „Ich“ zu – „ich habe die Entscheidung getroffen, ja und?“, gehen wir einfach weiter, aber auf entspannte Weise und entspannt bezüglich ethischer Disziplin, nicht angespannt: „oh, ich muss gut sein, das  'Ich' muss gut sein und dies entscheiden“ und „ich habe es getan und jetzt bin ich so gut.“ Dann sind wir ziemlich versteift, was die Ethik und das Treffen von Entscheidungen betrifft. Es geht um dieses Gefühl, mit dem wir meinen, gut sein zu müssen, was mit dem falschen „Ich“ verbunden ist. 

Das Schlimme ist Folgendes: Wenn wir das falsche „Ich“ diesem Entscheidungsprozess zuschreiben, fühlt es sich an, als hätte das große „Ich“, das Ego, die Entscheidung getroffen. Das ist trügerische Wahrnehmung (tib. ’khrul-shes), was der Fachausdruck dafür ist. Sie trügt uns, weil es sich so anfühlt. Es ist, als gäbe es da ein kleines, getrenntes „Ich“, was in meinem Kopf an einer Schalttafel am Schreibtisch sitzt, die Entscheidungen trifft, die an der Schalttafel auftauchen, und die Knöpfe drückt. So fühlt es sich an. Das ist jedoch völlig absurd, nicht wahr? Doch es scheint so zu sein. Das ist trügerisch und wir glauben daran. Wir glauben es. Daraus folgen dann störende Emotionen und alle möglichen Dinge. Um das zu überwinden, gibt es bestimmte Stufen und wenn dieses Gefühl auftaucht, sagen wir: „Das ist absurd. Es hat nichts mit der Realität zu tun.“ Gewöhnen wir uns dann daran, wird dieses Gefühl, als gäbe es da dieses getrennte „Ich“, das Entscheidungen trifft, schließlich gar nicht mehr entstehen. 

Und wenn wir der abhängig entstehenden Entscheidung eine wahrhaft existierende Entscheidung zuschreiben, fühlt es sich so an, als wäre es bereits festgelegt. Das ist der Irrtum. Was schreiben wir der Entscheidung zu, die entstanden ist? Nur eine konventionelle, abhängig entstehende Entscheidung oder eine wahrhaft existierende Entscheidung? Schreiben wir ihr eine wahrhaft existierende Entscheidung zu, gab es sie bereits; sie war schon festgelegt. Und fühlt es sich wirklich für uns so an, glauben wir es. „Ich hatte keine Wahl“, würden wir dann sagen, „ich konnte nichts machen.“ Wir haben alle möglichen Ausreden. Was steckt dahinter? Wir meinen, es war bereits festgelegt und es gäbe ein wahrhaft existierendes „Ich“, das getrennt von dem Ganzen und völlig hilflos ist: „Ich Arme/Armer.“ Geistiges Bezeichnen ist also wirklich wichtig. 

Abhängiges Entstehen 

Das erstmalige Entwickeln von Bodhichitta entsteht abhängig von allem, was wir besprochen und analysiert haben: der kostbaren menschlichen Wiedergeburt, dem Unterlassen von schädlichem Verhalten und all den Ursachen und Bedingungen, die notwendig dafür sind. All diese Faktoren und Bedingungen können in zwei zusammengefasst werden: positive Kraft und unterscheidendes Gewahrsein, unsere zwei Netzwerke. Das ist wirklich die Grundlage. Und die Möglichkeiten, diese zu entwickeln, gibt es nur in den seltenen Gelegenheiten, wenn wir eine kostbare menschliche Wiedergeburt erlangt haben. 

Man kann also mit dieser Art der Analyse Folgendes erkennen: Wenn wir alles, was später im Lam-rim kommt, auf diesen ersten Schritt anwenden und die Gelegenheit der kostbaren menschlichen Wiedergeburt nutzen, bekommt sie so viel mehr Bedeutung und wir sind uns bewusst: „Ich muss diese kostbare menschliche Wiedergeburt wegen all diesen Dingen nutzen, über die wir gesprochen haben, denn nur dann kann ich wirklichen Fortschritt machen.“ 

Die Inspiration von den Buddhas kann nicht die Zwanghaftigkeit unseres Karmas überwinden. Wie wichtig ist es also, zu verstehen, worüber wir hier gerade reden? Würden wir es anders übersetzen, könnten wir auch sagen: „Der Segen eines Buddhas kann die Handlungen nicht überwinden“, aber was würde das bedeuten? Es geht um Inspiration. Es gibt nur eine bestimmte Menge an Energie im Universum – das klingt jetzt wie Physik – also Energie der Inspiration von den Buddhas und Energie von der Zwanghaftigkeit unseres Karmas, und die eine ist stärker als die andere. Wäre nun die Zwanghaftigkeit stärker als die Inspiration eines Buddhas, könnte niemand jemals Erleuchtung erlangen. Und könnte die Inspiration die Zwanghaftigkeit negieren, würde jeder bereits erleuchtet sein. Diese zwei Dinge sind also gleich und unsere anfangslose Unwissenheit, das mangelnde Gewahrsein, macht ständig jeden Fortschritt zunichte, den wir erzielt haben. 

Wir benötigen also Willenskraft, um die Zwanghaftigkeit negativen Karmas zu überwinden, damit wir mit korrektem unterscheidenden Gewahrsein die korrekten Entscheidungen treffen, die schließlich zum erstmaligen Entwickeln von Bodhichitta und dem Aufbauen Erleuchtungsbildender positiver Kraft führen, die nicht mehr erschöpft oder vernichtet werden können. Und wie wir gesehen haben, besteht Willenskraft aus einem Netzwerk vieler Faktoren und entsteht in Abhängigkeit zahlreicher Faktoren, die alle aus wieder anderen Faktoren entstehen. Willenskraft ist also genau deswegen frei von selbst-begründeter Existenz, weil sie in Abhängigkeit entsteht und zahlreiche Faktoren aus anderen Faktoren hervorgehen. Das ist der klassische beste Grund für Leerheit: abhängiges Entstehen. Es ist nicht so, dass die Willenskraft aus nichts hervorgeht, wir sie einfach anzapfen und nutzen, um eine Entscheidung zu treffen, nicht zu schreien, und es ist nicht so, weil sie abhängig von vielen verschiedenen Faktoren entsteht. 

Die Wichtigkeit der Willenskraft 

Tsongkhapa beton die Wichtigkeit der Willenskraft im „Lam-rim chen-mo“, in seiner Darstellung der vier Kräfte, mit denen wir erstmalig Bodhichitta entwickeln können. Es gibt vier Kräfte, die möglich sind, und es könnte jede von ihnen oder eine Kombination von ihnen sein. Meist handelt es sich um eine Kombination. Es ist eine faszinierende Lehre und er entnimmt sie Asangas „Bodhisattvabhumi“ („Die Bodhisattva-Stufen des Geistes“). 

1. Die Kraft unserer eigenen Stärke – das ist die Willenskraft – durch unsere eigene Bemühung und unsere Willenskraft; dabei handelt es sich um eine Kraft, die wir nutzen können, um erstmalig Bodhichitta zu entwickeln: „Ich werde es tun.“

2. Die zweite ist die Kraft anderer, was bedeutet, dass wir uns auf die Inspiration, Betreuung und Hilfe anderer stützen, wie unserer spirituellen Lehrer und der spirituellen Gemeinschaft. 

Ich höre ständig von meinen Schülern, dass sie sich beschweren, keine spirituelle Gemeinschaft zu haben, die sie stützt. Ich rede nicht von den Menschen hier in Hamburg, sondern von Leuten in Russland oder der Ukraine. Sie sagen: „Wir haben keine Gemeinschaft. Wir haben keine Lehrer und nichts, was uns stützt, daher geht es nicht.“ Sie merken, dass sie die Unterstützung anderer brauchen, um in der Lage zu sein, dem spirituellen Pfad zu folgen, um Kraft zu haben. Sie bekommen ihre Kraft von anderen, um negative Handlungen zu unterlassen, Bodhichitta zu entwickeln usw. Und natürlich ist das hilfreich. Es gibt ja die drei Juwelen und somit den Sangha. 

3. Die dritte Kraft ist dann die Kraft einer Ursache – also durch die Kraft der Vertrautheit mit den Mahayana-Lehren in früheren Leben entstehen Neigungen für Bodhichitta. Diese Neigungen entstehen, wenn wir einfach nur die Worte des Buddhas, die Lehren und diese Dinge hören. Plötzlich macht es „klick“ in uns uns wir sagen: „Genau, das ist es, was ich tun will.“ 

Das ist sicherlich schon vielen von uns passiert. Es ist recht häufig. Wie seid ihr zum Buddhismus gekommen? 

4. Und dann die vierte Kraft ist die Kraft der Anwendung, die sich darauf bezieht, sich in diesem Leben eine lange Zeit an konstruktive Faktoren zu gewöhnen. Es bedeutet, hart daran zu arbeiten, sich selbst einem spirituellen Lehrer anzuvertrauen, über den Dharma nachzudenken und über all diese Dinge zu meditieren. Wir entwickeln sie also durch die Kraft dessen, was wir in diesem Leben tun. 

Tsongkhapa zitiert Asanga mit seinen eigenen Worten und sagt, dass das Entwickeln von Bodhichitta durch das Stützen auf unsere eigene Kraft oder die Kraft einer Ursache aus früheren Leben stetig sein wird – viel stärker, als wenn wir uns auf die Kraft anderer oder unsere Bemühungen in diesem Leben stützen. Das ist wirklich hochinteressant und sehr tiefgründig. Denkt einmal darüber nach. Fühlt man sich instinktiv zu den Mahayana-Lehren hingezogen – „mir ist es egal, was andere Menschen tun, ich werde es selbst tun“ – wird das viel stetiger sein, als zu meinen: „oh, ich brauche eine Gemeinschaft und muss wirklich hart daran arbeiten.“ Das ergibt einen Sinn. 

Daher ist es klar, dass die Willenskraft eine große Rolle spielt, wenn wir uns entscheiden, destruktive Handlungen zu unterlassen. Die Willenskraft ist ausgesprochen wichtig. Das abhängig entstehende Treffen von Entscheidungen, das auf abhängig entstehender Willenskraft beruht, ist also weder freier Wille noch Determinismus. 

Nachtrag 

Je mehr wir analysieren, desto mehr erkennen wir, dass wir unsere Darlegung modifizieren müssen. Das liegt daran, dass wir angesichts der anfangslosen Zeit nicht nur zahllose Male Bodhichitta entwickelt, sondern es auch zahllose Male aufgegeben haben. Daher müssen wir unsere Frage anders formulieren. Anstatt zu fragen: „Wie kommt es, dass jemand Bodhichitta erstmalig entwickeln kann?“, sollte die Frage lauten: „Wie ist es, dass jemand Bodhichitta erstmalig nicht aufgeben kann?“ Die Antwort darauf ist, dass die Person die Bodhisattva-Gelübde abgelegt und sie nicht verloren haben darf, indem sie Bodhichitta aufgibt. Unsere frühere Analyse ist nach wie vor gültig, da all die Faktoren, die man zum erstmaligen Entwickeln von Bodhichitta braucht, auch notwendig sind, um Bodhichitta erstmals nicht aufzugeben. Der eigentliche Nachtrag zu dieser Analyse ist daher die Willenskraft zum Wahren der Bodhisattva-Gelübde „auch wenn es unser Leben kostet“. 

Zusammenfassung 

Kurzum kann man letztlich zusammenfassend sagen: Es haben noch nicht alle Wesen Erleuchtung erlangt, weil die Menge unzähliger Entscheidungen, die notwendig sind, um Bodhichitta erstmals zu entwickeln und nicht aufzugeben, nur durch abhängiges Entstehen auftreten kann. Würden sie durch freien Willen oder Determinismus auftreten, würden alle Wesen bereits erleuchtet sein, doch sie sind es nicht. Stellen wir also die Frage: „Wie entwickeln wir Bodhichitta erstmalig und geben es erstmals nicht auf?“ lautet die Antwort: „durch abhängiges Entstehen“. 

Das ist die Darstellung und erstaunlicherweise haben wir es geschafft, alles durchzugehen. Uns bleiben noch 5 Minuten und wir können sie nutzen, indem wir darüber meditieren. Denn wenn wir mit Fragen anfangen, wird es kein Ende geben. All das kann man jedoch zum Analysieren und als Denkanstoß verwenden. Und auch wenn ihr nicht allem folgend konntet und nicht alles verstanden habt, hoffe ich, dass ihr zumindest gelernt habt, wie der Vorgang der Analyse aussieht. 

Analytische Meditation bedeutet, über die Lehren nachzudenken, um überzeugt zu werden und Dinge herauszufinden. (Wir haben sie analytische Meditation genannt, aber im Grunde ist sie der nächste Schritt danach.) Diese Analyse besteht aus diesem Hören, Nachdenken und Meditieren, aber eigentlich aus dem zweiten Schritt, dem Nachdenken. Die Meditation beginnt, nachdem wir es bereits verstanden haben und überzeugt sind; dann machen wir uns damit vertraut und das ist die Meditation. Analytische Meditation bedeutet, wir sind bereits überzeugt und gehen die Ketten von Argumenten erneut durch, einfach um unsere Überzeugung zu erfrischen, und dann bleiben wir darauf fokussiert. Die analytische Meditation ist eine Wiederaufnahme der Argumentationskette. Wir haben es bereits verstanden und sind schon überzeugt. Der Denkprozess besteht darin, die Analyse durchzugehen, um sie zu verstehen und überzeugt zu werden. Das ist Schritt zwei und er ist ein Vorgang, all die verschiedenen Teile des Puzzles zusammenzufügen. Je mehr Teile des Puzzles zusammengefügt werden, desto größer ist das Bild, das man sieht und desto mehr versteht man. Und je mehr wir das tun, desto mehr Überzeugung haben wir in den allwissenden Geist eines Buddhas – es ist erstaunlich, dass all diese Teile auf vielerlei Weise zusammenpassen. Das hilft uns, nach Erleuchtung zu streben, was auch von Tsongkhapa betont wird. 

Nun haben wir nur noch eine Minute übrig. Lasst uns also diese Dinge reflektieren und ich werde meinen Zwang kontrollieren, noch weiter zu reden. 

[Meditation]

Gut, wir enden dann mit der Widmung. Denkt daran, dass wir hoffentlich etwas positive Kraft und Verständnis durch das Hören all dieser Dinge aufgebaut haben und wenn wir sie nicht widmen, wird sie standardmäßig nur in den Samsara-bildenden Ordner unseres inneren Computers wandern. Sie wird helfen, Samsara zu verbessern. Wir sollten sie also bewusst in den Erleuchtungsordner speichern und sie nicht einfach nur von selbst in den Samsara-Ordner gehen lassen. Absurde Beispiele sind ziemlich nützlich; das ist die buddhistische Methode, die Prasanga-Methode. Auch wenn das Bodhichitta hier nicht ernsthaft ist – was allerdings der eigentliche Punkt ist (es sollte wirklich ernsthaft sein) – haben wir das sogenannte „Ebenbild“ dessen, was ein Schritt davor ist und dem echten ein wenig ähnelt. Doch nur die Worte aufzusagen: „bla bla bla, möge dies der Erleuchtung zum Wohle aller fühlenden Wesen dienen“, könnte auch ein Papagei tun. 

Möge also alles Verständnis und alle positive Kraft, die durch dies entstanden sind, als Ursache dafür dienen, wirklich Erleuchtung zu erlangen, und, wie in Shantidevas Gebet, nicht nur für meine eigene Erleuchtung (das wäre ein wenig egoistisch), sondern für die Erleuchtung aller.

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