Das Uttaratantra: Die letzten beiden Ursachen, welche die Buddha-Natur bereinigen

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Fragen über den Geist klaren Lichts

Wenn der Geist des klaren Lichts nicht von Ursachen und Umständen beeinflusst wird und trotzdem nicht auf unabhängige Weise existiert, wovon wird er dann beeinflusst?

Wenn wir von dem Geist klaren Lichts als ein von nichts beeinflusstes bzw. nicht bedingtes Phänomen sprechen, ist es wichtig zu wissen, dass „von nichts beeinflusst“ auf zwei Arten verstanden werden kann. Einerseits geht es darum, dass etwas ganz und gar nicht aus Ursachen und Umständen entsteht, aber andererseits, dass es nicht neu oder von neuem durch Ursachen und Umstände in Erscheinung tritt. 

Mit anderen Worten, diese Art, von nichts beeinflusst zu sein, bezieht sich auf Phänomene, die einen konstanten, immerwährenden Kontinuitätsstrom besitzen. Der Geist des klaren Lichts und der erleuchtende Einfluss der Buddhas sind also nichtbeeinflusste Phänomene in diesem Sinne des Wortes. Sie sind unbeeinflusst in dem Sinne, dass sie nicht durch Ursachen und Umstände neu entstehen, aber dennoch ewig fortbestehen und alles durchdringen.

Manche Kontinuitäten haben räumliche Teile. Dies ist bei physikalischen Objekten der Fall; sogar Atome zum Beispiel haben richtungsgebundene Teile. Man kann Atome in subatomare Teilchen unterteilen, welche wiederum in Quarks unterteilt werden können und so weiter. Wenn wir dann beim kleinsten Teilchen angekommen sind, ist auch das nicht ohne Teile, denn sogar dieses Teilchen besitzt richtungsgebundene Teile. Die Kontinuität eines Atoms besteht also aus der Kontinuität seiner Teile. 

Ebenso gibt es Kontinuitäten, die zeitliche Teile haben, wie zum Beispiel das Bewusstsein. Bewusstsein hat insofern eine Kontinuität in Bezug auf seine Teile, dass es frühere und spätere Momente hat. In gleicher Weise ist auch der Geist klaren Lichts etwas, das seinen zeitlichen Teilen zugeschrieben ist. 

Wie kann der Geist klaren Lichts, den wir zum Zeitpunkt des Todes erfahren, genutzt werden, um uns zur Erleuchtung zu bringen?

Um den Geist des klaren Lichts zum Zeitpunkt des Todes nutzen zu können, ist es notwendig, zuvor das klare Licht während des Wachzustandes und des Traumzustandes praktiziert zu haben. Wenn man damit vertraut ist, kann man durch bestimmte, sehr spezielle Methoden den Geist des klaren Lichts zum Zeitpunkt des Todes nutzen, um Erleuchtung zu erlangen. 

Fragen über störende Emotionen

Manchmal, wenn wir wütend werden und es nicht rauslassen, wird uns fast schlecht. Was können wir tun, um eine solche Frustration zu vermeiden?

Ein tibetisches Sprichwort lautet: „Wenn ein Muschelhorn oder eine Trompete verstopft sind, blasen wir die Verstopfung einfach raus – dann sind wir sie los.“ Dementsprechend ist es in Situationen der Wut manchmal in der Tat sehr gut und hilfreich, Dampf abzulassen und sie rauszulassen. Wenn die Wut einmal entstanden ist und wir uns bereits in einem solchen geistigen Zustand befinden, ist es zu dem Zeitpunkt sehr schwierig, die Kontrolle zu behalten und ein Gegenmittel anzuwenden. 

Die Methode besteht hierbei darin zu versuchen, sich zu üben, bevor diese Wut in uns aufkommt. Wir denken immer wieder über die Nachteile der Wut nach und üben uns darin, anderen gegenüber Liebe, Geduld und Mitgefühl zu empfinden. Das Aufbauen solch nützlicher Gewohnheiten hinterlässt einen starken Eindruck in unserem Geist, sodass unsere Wut in schwierigen Situationen weniger wird. Je stärker der Eindruck, den wir zuvor durch das Nachdenken über die jeweiligen Nachteile etc. geschaffen haben, desto weniger stark wird unsere Wut sein. 

Die Transformation des Geistes ist nicht etwas, das plötzlich durch ein einfaches Mittel erreicht werden kann, wie beispielsweise in einem Raum das Licht anzuschalten, um die Dunkelheit zu beseitigen. So einfach und schnell funktioniert es nicht. Es erfordert große Anstrengung über einen langen Zeitraum hinweg, um dann schrittweise eine Veränderung zu erreichen. 

Sind alle Arten von Verlangen und Anhaftung störende Emotionen? Falls nicht, was ist der Unterschied zwischen positivem und negativem Verlangen?

Es gibt verschiedene Arten von Verlangen. Jenes Verlangen, das auf angemessenen Ursachen und Bedürfnissen basiert, ist nicht aufzugeben. Dies ist ein angemessenes Verlangen. Selbst wenn wir uns von allen störenden Emotionen befreit haben, werden wir immer noch Verlangen in uns tragen, welches dann allerdings auf angemessenen Ursachen und Bedürfnissen beruht. 

Es gibt jedoch Arten von Verlangen, die auf Anhaftung beruhen. Wenn wir zum Beispiel in einen Laden gehen und uns die Artikel ansehen, nehmen wir viele verschiedene Dinge mit. Wenn uns dann an der Kasse allerdings auffällt, dass wir nicht genug Geld haben, um alles zu bezahlen, merken wir, dass wir einige Dinge gar nicht unbedingt brauchen und legen sie zurück.

Dies ist ein klares Beispiel dafür, dass manches Verlangen auf Gier basiert – wie bei Luxusartikeln, die wir gar nicht wirklich benötigen. Davon unterscheidet sich das Verlangen nach Dingen, die wir tatsächlich brauchen; die vernünftigen Bedürfnisse. 

Dies eine grobe Unterscheidungsebene zwischen angemessenem Verlangen und Anhaftung. Es gibt jedoch noch eine viel subtilere Ebene. In Bezug auf die Auffassung, dass Phänomene keine in sich selbst begründete Existenz besitzen, gibt es eine sehr subtile Anhaftung, die aus der Vorstellung von wahrhaft begründeter Existenz herrührt. Diese Anhaftung kann nur vom Standpunkt des Verständnisses von nicht wahrhaft begründeter Existenz als Anhaftung identifiziert werden. Dabei handelt es sich jedoch nicht um grobe Anhaftung, mit der man nach einem Objekt verlangt.

Frage über das Annehmen des Leids anderer

Wenn jemand das Karma hat, krank zu sein oder frühzeitig zu sterben, ist es dann möglich, diese Dinge auf uns zu nehmen und ihm ein längeres Leben zu schenken? Wenn ja, wie kann man dies tun?

Es gibt die Praxis der Bodhisattvas, die Leiden anderer auf sich zu nehmen und ihnen das eigene Glück zu schenken. Sie haben Kapazitäten dafür und können deshalb in bestimmten Fällen tatsächlich das Leiden anderer auf sich nehmen. Dies funktioniert aber nur auf der Grundlage einer ganz besonderen Verbindung – einer karmischen Beziehung – aus der Vergangenheit beider Seiten. Ganz aus heiterem Himmel und ohne jeglichen Bezug funktioniert es nicht. Es muss eine Verbindung aus der Vergangenheit bestehen. 

Geistige Stabilität bzw. vertiefte Konzentration

Wir haben bereits besprochen, dass inbrünstige Achtung oder Bewunderung für die Lehren und Weisheit bzw. unterscheidendes Gewahrsein die beiden ersten kausalen Faktoren sind, die die Bereinigung der Buddha-Natur bewirken. Nun werden wir den dritten Faktor besprechen: geistige Stabilität oder vertiefte Konzentration. Vertiefte Konzentration (Skt. samādhi) findet man sowohl im Buddhismus als auch in nicht-buddhistischen Traditionen. 

In den Berichten über Buddhas frühere Leben vor seiner Erleuchtung wird beschrieben, wie ein nicht-buddhistischer Lehrer ihn vertiefte Konzentration lehrte. Dies deutet darauf hin, dass das Erreichen eines solchen Zustandes, in dem der Geist eine enorme Kraft besitzt, nur mit großen Anstrengungen möglich ist. Es zeigt auch, dass diese Ebene der Konzentration unabdingbar ist. 

Bezüglich unseres Geistes gibt es das Primärbewusstsein und die Geistesfaktoren. Einige behaupten, es gäbe nur ein Primärbewusstsein; andere sagen, es gibt sechs, acht oder neun verschiedene Arten von Primärbewusstsein. Am weitesten verbreitet ist jedoch die Auffassung von sechs Arten: die fünf Arten des Sinnesbewusstseins und das geistige Bewusstsein. 

Was die Geistesfaktoren betrifft, so gibt es laut dem Abhidharmasamuccaya („Anthologie spezieller Themen des Wissens“) von Asanga einundfünfzig. Ich habe auch von einem burmesischen Text gehört, in dem zweihundert aufgeführt sind. Wir können jedoch nicht wirklich alle Geistesfaktoren, die es gibt, im Einzelnen zählen. Daher sind diese Listen in Wirklichkeit nur Zusammenfassungen bzw. Aufzählungen der wichtigsten Geistesfaktoren. In diesem Kontext ist auch die Zahl einundfünfzig zu sehen. Vertiefte Konzentration oder Samadhi ist jedenfalls einer dieser Geistesfaktoren. 

Weisheit oder unterscheidendes Gewahrsein ist ebenso ein Geistesfaktor, der ein Objekt erfasst und es untersucht bzw. analysiert und dabei unterscheidet und verwirft, was in Bezug auf die Natur des Objektes inkorrekt ist. Auf diese Weise erkennt er, was stattdessen die Natur des Objektes ist. Dies ist unterscheidendes Gewahrsein. Vertiefte Konzentration auf der anderen Seite nimmt eine solche Unterscheidung bzw. Analyse des Objektes nicht vor. Dieser Faktor bedeutet lediglich, dass man sich einsgerichtet auf ein Objekt fokussiert und dabei verweilt. 

Shamatha-Meditation für das Erlangen vertiefter Konzentration

Generell lässt sich sagen, dass wir diese Geistesfaktoren, Dinge zu unterscheiden und uns auf etwas konzentrieren zu können, besitzen. Man kann verschiedene Arten der Meditation verwenden, um diese Fähigkeiten zu verbessern. Die Shamatha-Meditation, mit der man einen ruhigen und gelassenen Geisteszustand erlangt, trägt dazu bei, die Kraft unserer Grundkonzentration zu erhöhen. Vipashyana-Meditation zur Erlangung eines außergewöhnlich wahrnehmungsfähigen Geistes auf der anderen Seite hilft dabei, unser grundlegendes Unterscheidungsvermögen zu verbessern. 

Um den ruhigen und gelassen Zustand des Shamatha zu erlangen, kann man verschiedene Objekte – äußere oder innere – als Grundlage verwenden; es macht keinen wirklichen Unterschied. Ein inneres Objekt, auf das wir uns konzentrieren können, sind zum Beispiel die verschiedenen Energietropfen in unserem Körper oder die Kanäle des subtilen Energiesystems unseres Körpers. Auch das klare Licht kann als inneres Objekt verwendet werden.  

Des Weiteren gibt es eine Meditation, bei der wir nicht ein materielles Objekt mit einer äußeren Form verwenden, sondern über bloßes Gewahrsein und Klarheit meditieren, die definierenden Charakteristika des Geistes. Dann gibt es noch die Achtsamkeitsmeditation, bei der wir uns auf unseren Körper, unsere Gefühle und unseren Geist fokussieren. Welche Art von Objekt auch immer wir wählen, um uns in vertiefter Konzentration zu üben, wir sollten etwas wählen, das für uns geeignet ist. Bevor wir uns mit unserem Geist auf ein Objekt einlassen, ist es wichtig, dieses Objekt zunächst richtig und klar zu kennen. Manchmal gibt es für Anfänger, deren Geist noch nicht auf einer subtilen und flexiblen Ebene angekommen ist, spezielle Anleitungen, wie man sich mit seinen Sinnen auf ein Objekt konzentriert. Als Anfänger kann man beispielsweise seine Augen auf einen Gegenstand richten und seinen Blick darauf halten, um so die Konzentration zu stabilisieren. 

Solche Anleitungen gibt es; jedoch gelten sie nur in bestimmten Fällen und für Anfänger. Generell verwendet man das geistige Bewusstsein, nicht das Sinnesbewusstsein, um vertiefe Konzentration zu üben. Auf welches Objekt wir uns auch immer mit unserem Geist konzentrieren, wir vergegenwärtigen es uns, indem wir uns entweder auf ein geistiges Abbild oder Hologramm in uns fokussieren oder indem wir unsere Idee bzw. Vorstellung davon verwenden und uns darauf konzentrieren. Generell ist es besser, diese Meditation am frühen Morgen zu machen. 

Wenn wir diese Meditation üben, um vertiefte Konzentration zu erlangen, ist unsere Körperhaltung sehr wichtig. Die meisten Leute hier kennen die richtige Meditationshaltung, daher ist es nicht weiter nötig, das an dieser Stelle zu erklären. Bei der japanischen Zazen-Meditation zum Beispiel sitzt man besonders akkurat. Die meisten von euch sind mit diesen Haltungen ja vertraut. Wenn wir beginnen, uns auf ein geistiges Objekt zu konzentrieren, ist es nicht nur notwendig, dieses zu kennen, sondern es auch vollkommen klar, deutlich und lebendig vor dem inneren Auge zu sehen, als ob wir es tatsächlich vor uns hätten.

Wären wir beispielsweise Christen, könnten wir uns auf ein Kreuz konzentrieren. Man schaut dabei nicht tatsächlich mit den Augen auf ein Kreuz, sondern stellt es sich vor. Man sollte es etwas einen bis eineinhalb Meter vor sich auf Höhe der Augenbrauen visualisieren. Dabei geht es darum, das Objekt klar vor dem geistigen Auge zu sehen, ohne es zu vergessen bzw. zu verlieren, und es achtsam in Erinnerung zu behalten. Das, was es uns erlaubt, das Objekt vor unserem geistigen Auge zu halten, wird „Achtsamkeit“ genannt, was im Tibetischen dasselbe Wort ist wie „Erinnerung“. Wir verwenden Achtsamkeit, um das Objekt aufrecht zu erhalten und unsere Aufmerksamkeit dabei zu wahren, ohne sie zu verlieren. 

Während wir unsere Aufmerksamkeit mit Achtsamkeit auf dem Objekt halten, versuchen wir, das Objekt so klar und lebendig wie möglich erscheinen zu lassen, denn wir wollen versuchen, einen klaren und wachen Geist zu erzielen, um das Objekt klar erkennen zu können. 

Trägheit und Flatterhaftigkeit überwinden

Um das Objekt in unserem Geist aufrechtzuerhalten, setzen wir die Kraft der Wachsamkeit ein. Damit wirken wir geistiger Trägheit und Flatterhaftigkeit entgegen – zwei Hindernisse, die wir loswerden wollen. 

Bei geistiger Trägheit wird der Geist zuerst schwer und trüb, was auch geistige Umnebelung genannt wird. Dies wirkt dann als Ursache bzw. Umstand für geistige Trägheit. Manchmal wird das auch mit „Versinken” übersetzt, bei dem der Geist zwar eine gewisse Klarheit hat, während er ein Objekt im Fokus hält, aber dennoch ein bisschen dumpf oder neben der Spur ist. Geistige Trägheit kann auch dazu führen, dass der Geist vollkommen unklar wird. 

Ein weiteres mögliches Hindernis ist die geistige Flatterhaftigkeit, bei der das Konzentrationsobjekt vollständig verloren geht, da der Geist zu sehr an ihm festhält. Ist unser Geist zu aufgewühlt und wir verlieren unser Objekt völlig, können wir Methoden verwenden, um den Geist wieder zu beruhigen. Was wir dabei tun, ist, zu versuchen, den Geist wieder nach innen zu richten und uns zu sammeln. Wenn es uns gelingt, diese Erregtheit abzuschwächen, bringt das den Geist wieder zurück und macht ihn innerlich gesammelter. Beruhigen wir ihn jedoch zu sehr, besteht wiederum die Gefahr, dass wir in geistige Trägheit verfallen. 

Besonders starke Trägheit wird manchmal auch als „Entmutigung” bezeichnet. Oft findet man in manchen Texten, dass die damaligen Übersetzer dasselbe Wort mit diesen beiden Ausdrücken – träge bzw. schwach und entmutigt – wiedergegeben haben. Schwach und entmutigt vermitteln wohl genau das, was hier gemeint ist. Ist man in einem solchen Zustand, versucht man, den Geist wieder aufzurichten. Wenn der Geist auf der anderen Seite flatterhaft und zu sehr aufgeregt ist, versuchen wir, ihn zu beruhigen. Haben wir es damit jedoch übertrieben, müssen wir den Geist wieder aufrichten etc.

Es gibt verschiedene Grade geistiger Trägheit und Flatterhaftigkeit bzw. Erregtheit: grobe, subtile und äußerst subtile Trägheit bzw. Flatterhaftigkeit. Es ist wichtig, die Schwierigkeiten dieser unterschiedlichen Grade zu kennen und identifizieren zu können, was durch Meditationserfahrung zu erreichen ist.

Ist uns das einmal gelungen, können wir damit beginnen, verschiedene Gegenmittel anzuwenden, um sie loszuwerden. Dabei ist es äußerst wichtig, einen erfahrenen Lehrer zu haben, dem wir Fragen stellen können, und sich viel Zeit dafür zu nehmen. 

Wie praktiziert man Shamatha-Meditation?

Bei der Praxis von Shamatha ist Kontinuität am wichtigsten. Die tägliche Praxis sollte man dabei auf viele kurze Sitzungen aufteilen. Man sollte von Anfang an sein Bestes geben, dass die Praxis von guter Qualität ist, auch wenn die Sitzungen kurz sind: Jede sollte gut sein. Diese Meditation sollte darüber hinaus in einer vollkommen ruhigen Umgebung praktiziert werden; auch wenn das in modernen Städten fast unmöglich ist, es sei denn, wir meditieren in einer schalldichten Box!

Wenn man die richtigen Voraussetzungen hat, kann man innerhalb weniger Jahre einen Zustand erreichen, den man als vertiefte Konzentration bezeichnen könnte. In den Texten heißt es, dass man es auch in sechs Monaten schaffen kann, aber das ist fast unmöglich. Was mich betrifft, kann ich euch sagen, dass es sehr schwierig ist und mindestens ein paar Jahre dauert – vielleicht sechs Monate, aber vielleicht auch bis zu sechs Jahren.

Wenn wir uns auf diese Weise darin üben, den Geist zu beruhigen und auf einem Objekt verweilen zu lassen, können wir das irgendwann immer länger und mit immer besserer Klarheit tun. Außerdem werden dann geistige Trägheit und Flatterhaftigkeit immer weniger. In diesem Prozess durchlaufen wir die sogenannten „neun Stufen des Zur-Ruhe-Bringen-des-Geistes“ (tib. sems-gnas dgu).

Um diese Stufen zu durchlaufen, nutzen wir die sechs geistigen Kräfte, wie die Unterweisungen anzuhören, diese zu kontemplieren, Achtsamkeit und Wachsamkeit etc., als Antrieb für unsere Meditation. Wir wenden die vier Arten der Aufmerksamkeit und so weiter an, um die neun Stufen des Zur-Ruhe-Bringen-des-Geistes zu durchlaufen. Auf diese Weise können wir den ruhigen und gelassenen Zustand von Shamatha erlangen. 

Um hierauf ausführlicher einzugehen, müssten wir die höheren Ebenen des Geistes, die Ebenen der ätherischen Formen und der formlosen Wesen studieren und verstehen. Auf der Ebene der ätherischen Formen gibt es die vier Ebenen geistiger Stabilität (Skt. dhyāna), welche mittels ihrer kausalen Teile erklärt werden. Auch auf der Ebene der formlosen Wesen gibt es vier Ebenen der ausgewogenen Versenkung, die in Bezug auf ihre eigenen Aspekte und deren Objekte dargestellt werden. Diese findet man in den Texten des Abhidharma, den speziellen Themen des Wissens, was besonders in Thailand weit verbreitet ist.

Liebende Fürsorge entwickeln

Der vierte kausale Faktor zur Bereinigung unserer Buddha-Natur ist Mitgefühl bzw. intensive liebende Fürsorge, was uns direkt in den Bereich des Mahayana, des Fahrzeugs des weitreichenden Geistes, bringt. Die drei Kausalfaktoren, die wir zuvor besprochen haben, hat das Mahayana mit dem Hinayana, dem Fahrzeug derer mit bescheidenem Geist, gemeinsam. 

Es gibt zwei Methoden, um intensive liebende Fürsorge zu entwickeln, die sich in Indien herausgebildet haben und dort praktiziert wurden. Die erste ist die siebenteilige Meditation über Ursache und Wirkung; die zweite Methode besteht in der Tradition des Gleichsetzens und Austauschens unserer Einstellung uns selbst und anderen gegenüber.

Die sieben Teile der siebenteiligen Meditation über Ursache und Wirkung basieren alle darauf, allen Wesen gegenüber Gleichmut zu entwickeln. Diese sieben sind: alle Wesen als unsere Mütter anzuerkennen; an deren Güte zu denken; Dankbarkeit zu empfinden und deren Güte erwidern zu wollen; Liebe entstehen zu lassen; Mitgefühl hervorzubringen; den außergewöhnlichen Entschluss zu fassen und schließlich die Bodhichitta-Motivation zu entwickeln. 

Die Einstellung gegenüber sich selbst und anderen gleichzusetzen und auszutauschen bedeutet, zunächst eine gleichsetzende Einstellung uns selbst und anderen gegenüber zu entwickeln. Dann denken wir über die Nachteile von Selbstbezogenheit und den Nutzen der Wertschätzung von anderen nach, und wie wir unsere Einstellung uns selbst und anderen gegenüber austauschen können. Anschließend folgt dann das tatsächliche Austauschen in Form von Liebe und Mitgefühl. 

Wir setzen Liebe und Mitgefühl ein, indem wir das Leid anderer aus Mitgefühl annehmen und ihnen unser Wohlbefinden aus Liebe geben; es ist also ein „Nehmen und Geben“: tonglen. In Tibet war es gängige Praxis, diese beiden zu verbinden. Dabei sind vierzehn Schritte involviert. Es wäre gut, wenn ihr versucht, darüber nachzudenken und ein Gefühl dafür zu entwickeln, während ich diese erkläre. 

Gleichmut entwickeln

Zunächst geht es um Gleichmut. Üblicherweise ist unser Geist sehr unausgeglichen und ohne jeglichen Gleichmut. Er ist deswegen unausgeglichen, da unser Geist denjenigen zugewandt ist, die wir mögen und an denen wir hängen. Anderen gegenüber empfinden wir Abneigung: Wir möchten uns von jenen entfernen, die wir nicht mögen. Völlig Fremden gegenüber empfinden wir überhaupt nichts. 

Was wir von unserer Seite nun tun können, ist, unsere Einstellung und Gefühle anderen gegenüber auf die gleiche Ebene zu bringen bzw. anzugleichen. In Bezug auf unsere Feinde – jemand, der uns irgendwann einmal geschadet hat – versuchen wir in Betracht zu ziehen, dass diese Person uns zu einem anderen Zeitpunkt in der Vergangenheit oder in der Zukunft genauso gut auch helfen könnte. Auf diese Weise bekommen wir eine ausgeglichenere Einstellung zu dieser Person, die nicht unbedingt nur jemand ist, der uns schadet. 

Dies lässt sich auch auf unsere Freunde und Verwandte übertragen, die wir ja alle so sehr mögen. Das erlaubt uns, unseren Geist auszugleichen. Was Fremde betrifft, könnten sie sogar innerhalb dieses Lebens ihre Position als Fremde ändern. Dafür können wir auch die Diskussion über vergangene und zukünftige Leben beiseite lassen; ein Fremder kann nämlich jederzeit zu einem Freund oder Feind werden. Diese Dinge in Betracht zu ziehen ermöglicht es uns, jedem gegenüber die gleiche Haltung zu entwickeln. Dies ist der erste Schritt.

Sich an die Güte anderer erinnern und diese erwidern 

In der nächsten Stufe ziehen wir unsere früheren Leben in Erwägung. Wir denken an jemanden, wie beispielsweise unsere Mutter oder an irgendjemand anderen, der uns enorm geholfen hat. Dies wird im Abhisamayalamkara („Filigranschmuck der Verwirklichungen“) besprochen, wo die zehn Arten der Gleichheit und die Entwicklung des Geistes so erklärt werden, dass jeder einmal Vater, Mutter, Bruder und Schwester etc. für uns war. Dies wird als die sogenannten zehn Gleichheiten dargestellt, die Gegenstand des Pfades der Vorbereitung bzw. des Pfadgeistes der Anwendung sind.  

Andere Wesen als die eigenen Mütter anzuerkennen ist nur ein Beispiel; es kann genauso auch jede andere Verwandtschaftsbeziehung sein. Wir denken einfach an denjenigen, der uns am nächsten steht und am gütigsten zu uns war, und nehmen diese Person als Beispiel. Es mag vielleicht jemanden geben, dessen Mutter bei der Geburt oder im Kindesalter gestorben ist, und es deshalb keine besondere Verbindung bzw. Beziehung gegeben hat; oder in manchen Fällen ist die Beziehung vielleicht keine besonders angenehme. In solchen Fällen ist es nicht nötig, darauf zu beharren, an die Güte der Mutter zu denken. 

Der zweite Punkt ist dann zu erkennen, dass andere an einem gewissen Zeitpunkt unsere Mutter waren, oder jemand, der uns besonders nahestand. Als Drittes folgt, an die Güte, die man uns jenem Zeitpunkt entgegenbrachte, zu denken. Dies waren also die ersten drei Schritte: Gleichmut, alle Wesen als unsere Mütter zu sehen und sich an deren Güte zu erinnern. 

Eine besondere Weise, sich an die Güte unserer Mütter zu erinnern ist Folgendes zu denken: Nicht nur unsere Freunde und Verwandten, sondern jeder ist gütig zu uns gewesen; auch von fremden Menschen haben wir einen großen Nutzen erfahren – direkt oder indirekt. Auch unsere Feinde bringen uns in dem Sinne einen Nutzen, dass wir durch sie Geduld lernen, denn diese entwickelt man nur mit unliebsamen Menschen oder Feinden.

Denken wir zum Beispiel an diese Kirche, in der wir uns gerade befinden. Wir sind hier alle in dieser wunderbaren und förderlichen Umgebung, diesem Kirchengebäude, versammelt. Es gibt zwar nicht genug Fenster und deswegen nicht ausreichend Luft hier drinnen, aber abgesehen davon ist es ein sehr förderlicher Ort. Wir sollten dabei an all die Menschen denken, die vor vielen hundert Jahren dieses Gebäude errichtet haben. Wir mögen zwar keine besondere Verbindung zu diesen Menschen der Vergangenheit haben, aber dennoch ist es der Güte und Arbeit dieser völlig Fremden zu verdanken, dass wir in den Genuss der gegenwärtigen förderlichen Umgebung kommen können. 

Anhand dieses Beispiels können wir unsere Sicht ausweiten und sehen, dass wir in der Tat die Ergebnisse der harten Arbeit einer sehr großen Anzahl völlig fremder Menschen genießen. Egal, wovon wir Gebrauch machen – ob es sich um Nahrung, Kleidung, Medizin oder irgendeinen anderen Gegenstand handelt: All diese Dinge kommen durch die Bemühungen, Güte und Arbeit anderer zustande. 

Selbst Ruhm entsteht daraus, dass eine Person zu jemandem über eine andere Person spricht. Von allein können wir nicht berühmt werden. Wie auch immer wir die Sache betrachten, wir existieren nicht allein für uns selbst wie in einem Vakuum – das ist unmöglich. Das bedeutet, dass unser gesamter Erfolg in unserem Leben von anderen abhängig ist. Ob diese anderen Personen nun eine besondere Motivation haben oder nicht; sie sind durch die Güte ihrer Arbeit mit uns verbunden. Wir haben davon profitiert und deswegen sollte es uns wichtig sein. Auf diese Weise erinnert man sich an die Güte anderer.  

All die Praktiken der Liebe, der Güte, des Mitgefühls, der Geduld, der Vergebung – ohne andere Wesen wäre es unmöglich, diese Dinge zu praktizieren. Um eine altruistische Haltung entwickeln zu können, muss jemand da sein, der sie empfängt; ansonsten ist Altruismus nicht möglich. Der Pfad zur Buddhaschaft ist vollkommen von anderen fühlenden Wesen abhängig. Aus diesem Grund werden die Umstände, die es uns erlauben, ein erleuchteter Buddha zu werden, zur Hälfte von den Buddhas selbst mit der Inspiration und den Lehren, die sie uns geben, geschaffen und zur anderen Hälfte von den fühlenden Wesen. 

Das Erreichen der Erleuchtung ruht auf der Grundlage der Buddhas und der fühlenden Wesen gleichermaßen. Dies gehört zum vierten Punkt, nämlich wie man der besonderen Güte anderer gedenkt. 

Aus unserem Bewusstsein für die Güte anderer entwickelt sich ein besonderes Gefühl herzerwärmender Liebe, mit der wir andere wertschätzen und unglücklich wären, wenn ihnen etwas zustoßen würde. In diesem Kontext entwickeln wir den Wunsch, die Güte anderer erwidern zu wollen. 

Anderen gegenüber eine gleichwertige Haltung entwickeln

Hier arbeiten wir daran, uns selbst und anderen gegenüber eine ausgewogene Geisteshaltung zu entwickeln. Der Gleichmut ist in diesem Fall jedoch nicht derselbe wie im ersten Schritt, wo es darum ging, Anhaftung und Ablehnung loszuwerden. 

Nun geht es stattdessen darum, einen Gleichmut zu entwickeln, mit dem wir spüren, dass auch alle anderen so wie wir selbst glücklich sein und keine Leiden oder Probleme haben möchten. Wir sind alle gleich: Wir alle wollen glücklich sein und niemand möchte Probleme haben oder leiden. 

Dies ist der wesentliche Punkt, wenn es darum geht, die Einstellung uns selbst und anderen gegenüber gleichzusetzen: Wir selbst möchten nicht leiden und so glücklich wie möglich sein. Wir haben nie das Gefühl, glücklich genug zu sein, und wollen selbst das geringste Leid oder Problem loswerden; wir möchten es einfach nicht. Und genauso wie wir empfinden auch alle anderen fühlenden Wesen. 

Die Nachteile einer selbstbezogenen Einstellung und Vorteile der Wertschätzung für andere 

Dies führt uns zum nächsten Punkt, nämlich über die Nachteile einer egoistischen Einstellung und von Selbstbezogenheit nachzudenken. Wenn wir das tun, ziehen wir in Betracht, wozu eine solche Haltung führt. Hier könnte man beispielsweise Ehebruch und andere Formen unangemessenen sexuellen Verhaltens anführen. Wir können dabei jegliche Form von nicht tugendhafter bzw. destruktiver Handlung durchgehen, insbesondere jene des Körpers und der Sprache, um zu sehen, wie diese aufgrund unserer selbstsüchtigen Einstellung zustande kommen. 

Wir müssen das nicht unbedingt nur aus dem Blickwinkel des Dharma oder einer Religion sehen, sondern einfach ganz generell. Wenn jemand extrem selbstsüchtig ist, immer andere ausnutzt und ihnen schadet, wird niemand diese Person mögen. Wenn derjenige dann stirbt, fühlen sich die Menschen sogar erleichtert und freuen sich, dass sie diese Person endlich losgeworden sind. 

Das Gegenteil davon ist das Nachdenken über den nächsten Punkt: die Vorteile, die darin liegen, andere wertzuschätzen. Alle konstruktiven bzw. tugendhafte Handlungen entstehen aus der Wertschätzung für andere. Wenn wir andere wertschätzen und uns aufrichtig um sie sorgen, vermeiden wir es, anderen Wesen das Leben zu nehmen, etwas von ihnen zu stehlen und durch unangemessenes sexuelles Verhalten anderen zu schaden oder Schmerz zu verursachen.  

Ebenso entstehen alle positiven Eigenschaften wie Liebe, Mitgefühl und Bodhichitta durch die Sorge und Wertschätzung für andere. Wenn wir in unserem alltäglichen Leben jemandem begegnen, der seine Energie und sich selbst in Form von Sozialarbeit oder einem anderen Engagement für das Allgemeinwohl vollständig dem Dienst an anderen widmet, ist das etwas sehr Nutzbringendes, worüber sich jeder erfreut.  

Es ist nicht notwendig, das Ganze von dem Standpunkt einer Religion oder dem Dharma aus zu betrachten. Auch ganz allgemein gesehen hat Selbstbezogenheit bzw. Selbstsucht sehr viele Nachteile. Dies ist offensichtlich, denn es liegt in seiner Natur; wohingegen Wertschätzung und ständige Sorge für andere sehr viele Vorteile und Nutzen haben. 

Wir sollten vergleichen und uns überlegen, wer wichtiger ist, wenn jeder glücklich sein und Leid vermeiden möchte; wir selbst oder andere? Jeder hat genau die gleichen Gefühle und das gleiche Recht, glücklich und frei von Leiden zu sein. Wir selbst sind nur eine Einzelperson und auf der anderen Seite stehen die anderen in großer Mehrheit; das ist der einzige Unterschied. Es wäre töricht, die Mehrheit zu übergehen und den Schwerpunkt auf die Minderheit zu legen. 

Das Wichtigste ist die Gesellschaft bzw. die anderen. Es wäre albern, sie für das Unwichtigste und uns selbst für das Wichtigste zu halten. Auf diese Weise entwickeln wir die Einstellung: „Ich selbst bin doch gar nicht so wichtig. Die anderen sind viel wichtiger.“ Mit diesem Geisteszustand konzentrieren wir uns dann mit intensiver Fürsorge auf das Leid und die Probleme anderer und versuchen, diese Probleme mit Mitgefühl auf uns zu nehmen und sie den anderen abzunehmen. 

Wenn wir uns auf jene konzentrieren, die des Glücks beraubt sind oder sehr wenig davon haben, erlaubt uns das, ein Gefühl der Liebe zu entwickeln. Mit diesem Gefühl machen wir dann unsere Praxis in dem Gedanken, ihnen Glück zu schenken. Wenn wir so mit Liebe und Mitgefühl praktizieren, ist das nicht nur theoretisch, sondern wir versuchen wirklich, selbst die Verantwortung zu übernehmen, ihr Leid tatsächlich auf uns zu nehmen und ihnen unser Glück zu schenken. 

Eine solche Verantwortung auf sich zu nehmen und dies zu akzeptieren, nennt man den „außergewöhnlichen Entschluss“ (tib. lhag-bsam). 

Wie ist es nun möglich, dass alle von ihren Leiden und Problemen frei werden und Glück erlangen? Zunächst leisten wir provisorische Hilfe, indem wir armen Menschen mit Problemen unsere Hilfe anbieten. Wenn jemand krank ist, bringen wir ihn zu einem guten Arzt. Braucht jemand finanzielle Hilfe, versuchen wir, auch dabei zu helfen. Besonders im Bereich der Bildung können wir Hilfe leisten, indem wir eine Bildungseinrichtung unterstützen, sowie im medizinischen Bereich und im Bereich der Sozialarbeit etwas tun. Dort können wir anderen helfen und ihnen so vorläufigen Nutzen bringen. 

Bezüglich langfristigen Nutzens, so wie wir unsere Probleme, störenden Emotionen und zwanghaften Impulse in unserem Geisteskontinuum loswerden müssen, um glücklich zu werden, müssen das auch die anderen. Auch sie müssen diese störenden Emotionen und zwanghaften Impulse aus ihrem geistigen Kontinuum entfernen, um an dieses Ziel zu gelangen. 

Wir können anderen helfen und Nutzen bringen, indem wir sie unterscheidendes Gewahrsein lehren, um unterscheiden zu können, was anzunehmen und was abzulehnen ist in diesem ganzen Prozess der Beseitigung der Ursachen ihrer Probleme. Dazu ist es jedoch notwendig, die Veranlagungen, Gedanken, Eigenarten und Persönlichkeiten anderer zu kennen. 

Wenn wir diese und all die verschiedenen Gefühle und Aspekte einer Person nicht kennen, mögen wir die Motivation haben, ihnen zu nützen und zu helfen, aber es wird vielleicht nicht die angemessene Hilfe für die jeweilige Person sein, selbst wenn wir ihnen richtige und gültige Lehren vermitteln. Vielleicht nützen sie ihnen überhaupt nicht oder sind sogar schädlich.  

Wenn wir jedoch Allwissenheit besitzen, d.h. alles zu wissen, was gewusst werden kann, dann werden wir auch die Fähigkeit haben, jedem die richtige Hilfe zu bringen. Deshalb ist es wichtig, über die Möglichkeit nachzudenken, einen solchen allwissenden Geisteszustand zu erreichen. 

Wie wir bereits besprochen haben, sind die emotionalen Schleier, d.h. unsere störenden Emotionen, entfernbar. Wir können sie verringern und vollständig von unserem Geisteskontinuum entfernen. Ebenso sind die Gewohnheiten dieser störenden Emotionen, die kognitiven Schleier, entfernbar. Auf der Grundlage dieses Denkens können wir uns auch logisch davon überzeugen, dass wir diese Schleier loswerden und allwissend werden können. 

Diese besondere Absicht und Fürsorge für andere fühlende, begrenzte Wesen, die ein so großes Bedürfnis dafür haben, und das starke Interesse und die Absicht, vollkommene Erleuchtung, die Buddhaschaft, zu erlangen, um ihnen tatsächlich nützen zu können, wird als „Bodhichitta-Motivation“ bezeichnet. So meditiert man darüber, eine solche weitreichende Mahayana-Absicht zu entwickeln. 

Die sechs weitreichenden Geisteshaltungen: Die sechs Vollkommenheiten

Um dem, was wir bereits besprochen haben, noch ein wenig mehr hinzuzufügen, und um die Darstellung des gesamten Pfades der Lehren zu vervollständigen, ist es nicht nur notwendig die Bodhichitta-Motivation zu entwickeln, sondern auch eine gewisse Art von erleuchtendem Verhalten an den Tag zu legen, mit dem wir anderen helfen. 

Dazu entwickeln wir die weitreichenden Geisteshaltungen bzw. Vollkommenheiten: Großzügigkeit, ethische Selbstdisziplin, Geduld, Ausdauer, geistige Stabilität bzw. Konzentration und unterscheidendes Gewahrsein bzw. Weisheit. Dies sind die sechs weitreichenden Geisteshaltungen, die sechs Paramitas. Bei ethischer Selbstdisziplin, was in diesem Kontext am wichtigsten ist, geht es darum, sich um das Wohl anderer zu bemühen, indem man selbstbezogenes Denken vermeidet.  

Bei diesen weitreichenden Haltungen ist es so, dass die Großzügigkeit, die ethische Selbstdisziplin und die zwei Aspekte der Geduld ein Netzwerk von positivem Potenzial aufbauen, die sogenannte „Ansammlung von Verdienst“. Ein weiterer Aspekt der Geduld – die Geduld für die Lehren und die Praxis – und vor allem die weitreichende Geisteshaltung der Weisheit, unterstützt von geistiger Stabilität, tragen dazu bei, das Netzwerk des tiefen Gewahrseins aufzubauen, die sogenannte „Ansammlung der Weisheit“. Die weitreichende Ausdauer trägt zu beiden Ansammlungen bei. 

Methode und Weisheit kombinieren

Um einen sinnvollen Nutzen für sich selbst und für andere zu erzielen, ist es notwendig, sowohl den Geist als auch den Körper eines Buddhas zu erlangen. Dafür benötigen wir deren Hauptursachen: die Praxis von Methode und Weisheit in einem vereinten Pfad. 

Diese beiden können so miteinander verbunden werden, dass eine durch die Kraft der anderen gehalten wird. Das bedeutet, dass die Methode im Kontext bzw. durch die Kraft von Weisheit gestützt wird und umgekehrt. 

Hier bezieht sich die Methode in erster Linie darauf, wie man die Bodhichitta-Motivation entwickelt. Zuerst entwickeln wir diese und praktizieren dann, im Kontext des Aufrechterhaltens dieses Zieles, die verschiedenen Meditationen über unterscheidendes Gewahrsein, um ein Verständnis der Leerheit zu erlangen. Im Sinne des Aufrechterhaltens der Bodhichitta-Motivation entwickeln wir dann das unterscheidende Gewahrsein der Leerheit. 

Umgekehrt ist es so, dass wir in Bezug auf die Erkenntnis, dass alle anderen Wesen wie eine Illusion existieren, und somit mit Weisheit die Bodhichitta-Motivation entwickeln können. Mit anderen Worten, wir entwickeln den Wunsch, Erleuchtung zu erlangen, um allen begrenzten Wesen, die wie eine Illusion existieren, von Nutzen sein zu können. Auf diese Weise erlangen wir Weisheit im Kontext der Methode des Bodhichitta und Bodhichitta im Kontext der Weisheit. 

Das Gleiche gilt für die Praxis aller anderen weitreichenden Geisteshaltungen bzw. Vollkommenheiten. Wir praktizieren Großzügigkeit, ethische Selbstdisziplin und Geduld im Rahmen der Erkenntnis, dass alle begrenzten Wesen lediglich wie eine Illusion existieren. In diesem Sinne praktizieren wir all diese anderen Methoden im Kontext der Weisheit. 

Methode und Weisheit in den ersten drei Tantra-Klassen

Bis zu diesem Punkt wird also im Sutrayana praktiziert. Wenn wir noch tiefer gehen, kommen wir zum Thema Tantra. Alles, was bisher besprochen wurde, bleibt jedoch die Grundlage für alles Folgende. Tantra kann man nicht ohne Grundlage praktizieren; wir können uns nicht einfach ohne Basis in dessen Praxis hineinstürzen. 

Nun, was fügen wir beim Tantra der Sutra-Grundlage hinzu? Der Hauptpunkt ist die Untrennbarkeit von Methode und Weisheit. Wenn man sich nun fragt, inwiefern Methode und Weisheit im Tantra untrennbar sind, ist es so, dass wir unseren Geist auf uns selbst in Form einer Meditationsgottheit, einer Buddha-Gestalt, richten und uns diese als frei von in sich selbst begründeter Existenz vorstellen. Man kann auch mit einem Geist arbeiten, der die Abwesenheit wahrhaft begründeter Existenz versteht, und diesen unseren Geist dann in der Form der Gottheit erscheinen lassen. Beides läuft auf das Gleiche hinaus. 

Dies tun wir, indem wir zunächst die vollkommene Abwesenheit aller unmöglichen Arten der Existenz, sprich, Leerheit, kontemplieren. Dann verwenden wir dieses Verständnis als Grundlage für das, was als Nächstes kommt, nämlich in diesem Zustand der Leerheit die Form der Gottheit entstehen zu lassen. Wir lassen unser Verständnis der Leerheit die Erscheinung eines geistigen Hologramms, d.h. eines geistigen Erscheinungsbildes, in der Form einer Gottheit hervorbringen.

Dann meditieren wir über die Form des Körpers dieser Gottheit, den Körper eines Buddhas. Ein solcher Buddha-Körper kann in vielen verschieden Arten jenseits unserer Vorstellungskraft erscheinen; jenseits dessen, was mit Worten beschrieben werden könnte. In dieser unserer Welt erscheinen sie jedoch ausschließlich in Formen, die wir uns vorstellen können. 

Wir haben nun also ein Verständnis der Leerheit in unserem Geist entwickelt. Mit diesem Verständnis kann man dann eine Erscheinung hervorbringen, ein geistiges Hologramm in der Form des Körpers eines Buddhas. Dies ist der Klarheitsaspekt des Geistes, dessen Erscheinungen-bildender Aspekt, welcher sich auf die Leerheit des Körpers der Gottheit konzentriert; die Tatsache, dass dieser nicht auf in sich selbst begründete Weise bzw. nur von seiner Seite aus existiert. Auf diese Weise kommen der Klarheitsaspekt des Körpers der Gottheit als Methode und der tiefgründige Aspekt des Verständnisses der Leerheit in einem Geist gleichzeitig zusammen. 

Dies ist die allgemeine Vorgehensweise in den drei unteren Klassen des Tantra. Die Hauptmethoden, die in diesem Prozess in den ersten beiden Tantra-Klassen – dem Kriya, der rituellen Gottheitenpraxis, und dem Charya, der verhaltensbezogenen Gottheitenpraxis – verwendet werden, stellen diese Art der Praxis bzw. des Pfades in Bezug auf die Yogas mit Zeichen und ohne Zeichen dar. Wenn wir dann zur Praxis der dritten Klasse kommen, dem Yoga-Tantra bzw. der integrierten Gottheitenpraxis, kommen zusätzlich noch weitere ausgefeiltere Methoden hinzu. Im Yoga-Tantra gibt es auch noch die Praxis der vier Mudras bzw. Siegel. 

Anuttarayoga-Tantra

Wenn wir dann bei der höchsten Klasse des Tantra, dem Auttarayoga-Tantra bzw. der „unvergleichlich integrierten Gottheitenpraxis“ angekommen sind, wird die Praxis der Untrennbarkeit von Methode und Weisheit nicht nur auf der groben Bewusstseinsebene durchgeführt, sondern auf der subtilsten Ebene des Bewusstseins. 

Wenn wir diese subtilste Bewusstseinsebene in einen tatsächlichen wahren Pfad des Geistes umwandeln wollen, ist es zuerst notwendig, diese subtile Ebene klar und zugänglich zu machen, sodass auch diese Ebene in das Erfassen eines Objektes involviert ist. Dafür müssen wir die gröberen Ebenen von Körper und Geist zu einem Ende bringen, wofür wir die Praxis mit unserem subtilen Energiesystem und den subtilen Energiewinden, Kanälen und kreativen Energietropfen benötigen.

In diesem Zusammenhang ist dann die Rede davon, mit einem Siegelpartner (Skt. mudrā) zu praktizieren. Dies erlaubt es einem, das subtile Energiesystem der Energiewinde, - tropfen und -kanäle zu nutzen, mit ihnen zu arbeiten und sie in einen Pfad zu transformieren – eine wirklich kraftvolle Methode. 

Indem man all diese ausgefeilten Methoden und geschickten Mittel einsetzt, kommt man zu dem Punkt, der in unserem komplizierten Uttaratantra („Das weitestgehende, immerwährende Kontinuum“), besprochen wird. Mit anderen Worten, wir sind in der Lage, mit der Quelle zu arbeiten, die es uns ermöglicht, erleuchtet zu werden; wir sind in der Lage, alle Makel des Geistes des klaren Lichts zu entfernen.

Hat man alle Makel entfernt, wird die natürliche Reinheit dieses Geistes zu dem, was als „Körper der essenziellen Natur, der alles umschließt“ (Skt. svabhāvakāya) bekannt ist. Der bloße Klarheits- und Bewusstseinsaspekt des Geistes selbst ist etwas, das durch diese Methoden in den „Körper des tiefen Gewahrseins, der alles umfasst“ (Skt. jñānadharmakāya) transformiert wird. 

Im Zusammenhang dieser Darstellung im Tantra verwirklichen wir durch den subtilsten Energiewind des Geistes des klaren Lichts die beiden Formkörper eines Buddhas, den „Körper vollen Gebrauchs“ (Skt. sambhogakāya) und den „Ausstrahlungskörper“ (Skt. nirmāṇakāya).

Schlussbemerkungen

Damit schließen wir diese Belehrung über das „weitest reichende, immerwährende Kontinuum“, den „Gyülama“, ab. Auch wenn wir nicht alle Worte des Textes einzeln besprochen haben, haben wir seine gesamte Bedeutung abgedeckt und ihn somit eigentlich noch besser behandelt; vielleicht nicht auf die tiefgründigste Weise, aber dafür war diese Unterweisung sehr modern und zügig. 

Damit ist diese Belehrung hier abgeschlossen, meine Freunde. Wenn ihr etwas davon nützlich fandet, etwas, das ihr praktizieren möchtet, so tut dies; es kann euch schließlich positive Resultate bringen. Hattet ihr das Gefühl, dass etwas unpassend war, so ist das auch in Ordnung. Das wäre alles – vielen Dank. 

Es ist Brauch, am Ende einer Unterweisung den Verdienst bzw. das positive Potenzial, das durch die Unterweisung aufgebaut wurde, positiven Zielen zu widmen. Daher sollten wir an dieser Stelle das positive Potenzial uns allen widmen, damit wir ein gütiges und warmes Herz und altruistische Gefühle entwickeln können, um allen Wesen nützen und helfen zu können. 

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