Was bedeutet „Buddha-Natur“ (tib. sangs-rgyas-kyi rigs)? Sie bedeutet nicht, dass wir alle die eine Natur hätten, bereits Buddhas zu sein, oder einen einzigen bestimmten Faktor besäßen, der uns – wie ein Potenzial – befähigt, ein Buddha zu werden. Es geht vielmehr um ein ganzes Netzwerk vieler verschiedener Faktoren, welche uns dazu befähigen, ein Buddha zu werden.
Wenn wir uns diese Faktoren anschauen, müssen wir sie frei von den beiden Extremen betrachten. Dies sind Extreme, die im Zusammenhang mit der Darlegung der Leerheit von Wirkungen erklärt werden und die es zu vermeiden gilt: Es ist einerseits nicht so, dass ein Resultat aus dem Nichts auftaucht; und es ist auch nicht so, dass ein Resultat schon in der Ursache vorhanden ist (das wäre das andere Extrem) und quasi nur darauf wartet, hervorzuspringen. Es ist also nicht so, dass die Buddhaschaft – das Resultat, um das es hier geht – aus dem Nichts entsteht, dass es keine Grundlage dafür gibt und keinen Kausalzusammenhang zahlreicher unterschiedlicher Faktoren, die dazu führen. Und es ist nicht so, dass sie aus gar nichts entsteht, dass sie erst nicht existiert und dann – zack! – aus nichts zu einem Etwas wird. Und es ist auch nicht so, dass dieses Resultat, die Buddhaschaft, schon in uns vorhanden ist und wir es bloß nicht erkennen, und wenn wir es erkennen, ist es plötzlich unvermittelt da.
Es gibt vielmehr auf einer grundlegenden Ebene lauter ursächliche Faktoren, die in absolut jedem vorhanden sind, und die dann, wenn sie mit zahlreichen anderen Ursachen usw. zusammenkommen, das Erlangen der Buddhaschaft herbeiführen. Was sind nun diese Faktoren, die wir alle besitzen? Sie werden in drei Gruppen unterteilt:
Sich entwickelnde Faktoren
Die erste Gruppe sind die sich entwickelnden Faktoren. Das sind diejenigen, die sich in die nicht-statischen Buddhakörper verwandeln. Als Buddha werden wir etwas haben, was normalerweise als verschiedenen Körper (tib. sku, Skt. kaya) übersetzt wird. Das Wort „Körper“ ist hier als Übersetzung etwas misslich. Aber zumindest im Englischen – ich weiß nicht, ob auch in anderen Sprachen – gibt es ein weiteres Wort, „Corpus“, das zum Beispiel in Ausdrücken wie „Korpus der Literatur“, „Wissenskorpus“ usw. verwendet wird. In einem ähnlichen Sinne sprechen wir hier von einem Netzwerk vieler verschiedener Komponenten. Es gibt also verschiedene Netzwerke eines Buddha, die nicht statisch sind, d.h. die sich von Augenblick zu Augenblick verändern: Erst kann es die eine Art von Phänomenen sein, dann jene Art von Phänomen usw., jedoch setzen sie sich immer weiter fort.
Im Zusammenhang mit einem Buddha gibt es zwei Korpora, zwei Netzwerke, zwei Gruppen, welche Arten von physischen Phänomenen sind: die sogenannten Formkörper (tib. gzugs-sku, Skt. rupakaya). Sie bestehen aus zwei Gruppen. Die eine ist der Sambhogakaya (tib. longs-spyod rdzogs-pa’i sku, der Körper vollen Gebrauchs). Das Wort „Sambhoga” ist ein schwieriger Begriff; es hat viele verschiedene Bedeutungen, und dessen tibetische Übersetzung auch. Eine Bedeutung ist: „genießen“, deshalb übersetzen viele es als „Genuss-Körper“. Es könnte auch als „speisen“ übersetzt werden, aber niemand übersetzt es als „Speise-Körper“. Die andere Bedeutung, „von etwas Gebrauch machen“, ist diejenige, die hier gemeint ist: Es ist der „Korpus subtiler Formen, der vollen Gebrauch von den Mahayana-Lehren macht“. Diese subtile Formen können den Arya-Bodhisattvas – weit fortgeschrittenen Bodhisattvas – in reinen Ländern Lehren vermitteln, und sie können solche Bodhisattvas in der ganzen Spannweite der Mahayana-Lehren für unbegrenzte Zeit anleiten. Das ist es also, was „Sambhogakaya“ bedeutet. Und diese subtilen Formen erscheinen in der vollständigen Gestalt eines Buddha mit all seinen körperlichen Anzeichen.
Der Nirmanakaya (sprul-sku) ist der Korpus der Emanationen dieses Sambhogakayas, welche gewöhnliche Menschen (nicht nur die Arya-Bodhisattvas) in gewöhnlichen Situationen etwas lehren können. Außerdem gibt es noch einen weiteren nicht-statischen Korpus eines Buddhas, welcher „der Dharmakaya des tiefen Gewahrseins“ genannt wird (tib. ye-shes chos-sku, Skt. jnana-dharmakaya, Korpus des alles umfassenden tiefen Gewahrseins).
Wir sprechen hier von den sich entwickelnden Merkmalen. Die sich entwickelnden Merkmale wandeln sich um in die nicht-statischen Buddha-Körper, von denen es drei gibt. Zwei davon sind Formkörper – Sambhogakaya und Nirmanakaya – und der dritte ist der Dharmakaya des tiefen Gewahrseins.
Der Dharmakaya ist ein Korpus, welcher alles umfasst. Dharma bedeutet in diesem Kontext „alle Phänomene“, und zwar bezogen auf das tiefe Gewahrsein (tib. yeshes, Skt. jnana) – somit auf den alles erkennenden Geist eines Buddha –, der alles umfasst (und wir können das so auch im Zusammenhang mit dem liebevollen Geist eines Buddha verstehen, dessen Liebe sich auf alle gleichermaßen erstreckt) und sich gleichzeitig der zwei Wahrheiten von allem bewusst ist: sowohl der tiefsten Wahrheit als auch der konventionellen Wahrheit. Auch das ist nicht statisch, nämlich in dem Sinne, dass sich ein Buddha zwar aller Dinge gleichzeitig bewusst ist, aber dennoch in einem Moment sich dieses einen Bestimmten bewusst ist und diesem hilft, und jenem usw. So ergibt sich in diesem Kontext des ständigen Gewahrseins von allem nichtsdestotrotz eine leichte Veränderung. Das ist nicht einfach zu verstehen.
Das sind die sich entwickelnden Körper eines Buddha (wir werden hier das Wort „Körper“ verwenden, weil das sprachlich einfacher ist).
Andauernde Faktoren
Außerdem gibt es den andauernden Faktor. Das ist die zweite der drei Arten von Faktoren der Buddha-Natur. Die erste waren die sich entwickelnden Faktoren, und nun kommen wir zu den andauernden. „Andauernd“ heißt hier „immer gleichbleibend“. Das bezieht sich auf die Leerheit unseres Geisteskontinuums, und das ist es, was die statischen Körper eines Buddha ermöglicht. Der statische Körper eines Buddha ist das, was im Sanskrit Svabhavakaya (tib. ngo-bo-nyid sku) genannt wird. Dies kann als „essenzieller Natur-Körper“ (oder Korpus) übersetzt werden. Auch das ist eine Art Dharmakaya: Er erstreckt sich auf alles, umfasst alles. Und das bezieht sich nun auf die Leerheit des alles erkennenden Geistes eines Buddha; auch sie schließt alles mit ein.
Bitte behaltet im Sinn, dass das, was ich gerade erklärt habe, die Erklärung der Gelugpa-Tradition für all dies ist. In den anderen tibetischen Traditionen gibt es leichte Varianten davon, insbesondere hinsichtlich des Dharmakaya, aber darauf brauchen wir jetzt nicht einzugehen. Und wenn im tantrischen Kontext von Sambhogakaya die Rede ist, wird dieser normalerweise auf die Sprache eines Buddha bezogen, in dem Sinne, dass es sich um eine subtile physische Form eines Buddha handelt. Im Kalachakra wird er als beides erklärt: die subtilen Formen und die Sprache. Aber wir brauchen all die Varianten hier nicht näher auszuführen. Es gibt Varianten, dessen sollte man sich zumindest bewusst sein, seid also nicht schockiert, wenn ihr auf eine etwas unterschiedliche Erklärung stoßt. Der Buddhismus ist voller Varianten von fast allem – verschiedene Erklärungen, was eigentlich sehr hilfreich ist, weil wir dann die Themen von unterschiedlichen Gesichtspunkten aus betrachten und jede Variante verschafft uns eine etwas unterschiedliche Einsicht.
Wir haben also die sich entwickelnden Faktoren bzw. Facetten der Buddha-Natur. Und es gibt die andauernden Faktoren. Die Leerheit unseres Geisteskontinuums ist von wesentlicher Bedeutung für die Leerheit des Geisteskontinuum eines Buddha. Sie ist statisch: Sie ändert sich nicht. Erinnert euch: Leerheit bedeutet die Abwesenheit unmöglicher Arten zu existieren. Weil unser Geisteskontinuum nicht auf unmögliche Art und Weise existiert, ist die Umwandlung möglich, nämlich dahingehend, dass wir ein Buddha werden; und dieser Faktor besteht weiter: Auch das Geisteskontinuum eines Buddha existiert nicht auf irgendeine unmögliche Art und Weise.
Faktoren, die zum Wachsen angeregt werden können
Es gibt also sich entwickelnde Faktoren und andauernde Faktoren, und die dritte Art Faktoren der Buddha-Natur ist ein bestimmter Aspekt unseres Geisteskontinuums, der es ermöglicht, dass die Faktoren, welche ihm zugeschrieben werden und quasi mit ihm weitergetragen werden, angeregt bzw. anwachsen können. Dass sie angeregt werden und wachsen können, liegt darin begründet, dass sie durch Inspiration beeinflusst werden können. Inspiration (tib. byin-gyis rlabs, Skt. adhishthana) wird häufig als „Segen“ übersetzt, was ich jedoch als eine recht irreführende Übersetzung empfinde. Im Sanskrit beinhaltet das Wort die Bedeutung „erhebend“, im Tibetischen die Konnotation „aufhellend“; vielleicht kommt „Inspiration“ diesen Bedeutungen nahe. Buddha und große spirituelle Meister sind sehr inspirierend und diese Inspiration kann uns anregen, erhebend wirken, sodass die verschiedenen Qualitäten, die wir haben – Mitgefühl, Energie usw. – gestärkt werden; das ist ein Faktor der Buddha-Natur. Deswegen wird die Rolle des spirituellen Lehrers immer so betont, vor allem in der indischen und tibetischen Mahayana-Tradition, aber auch in anderen Aspekten des Buddhismus. Und wenn im Tantra von Initiation (tib. dbang, Skt. abhishekha), einer „Ermächtigung“, die Rede ist, so handelt es sich eigentlich um eine Zeremonie, in der diese Inspiration, diese erhebende Qualität – eine Art Aktivierung dieser Faktoren der Buddha-Natur – stattfindet.
Die sich entwickelnden Faktoren: Die zwei Netzwerke
Lasst uns nun die sich entwickelnden Faktoren näher betrachten. Die hauptsächlichen Faktoren, die normalerweise dargestellt werden, sind diejenigen, die auch unsere zwei Netzwerke (tib. tshogs-gnyis) genannt werden können: das Netzwerk positiver Kraft (tib. bsod-nams-kyi tshogs, Skt. punyasambhara) und das Netzwerk des tiefen Gewahrseins (tib. ye-shes-kyi tshogs, Skt. jnanasambhara). Was ich hier „Netzwerk“ nenne (tib. tshogs), wird von anderen Übersetzern normalerweise als „Ansammlung“ – also die zwei Ansammlungen – übersetzt, aber es handelt sich nicht nur um Ansammlungen wie etwa eine Briefmarkensammlung, sondern um verschiedene Faktoren, die miteinander in Wechselwirkung stehen. Deswegen nenne ich das ein Netzwerk. Der Begriff „positive Kraft“ (tib. bsod-nams) wird üblicherweise als „Verdienst“ übersetzt, aber „Verdienst“ ist ein sehr vager Begriff und recht schwer zu verstehen. Das Netzwerk des tiefen Gewahrseins wird wohl oft als „Ansammlung von Weisheit“ übersetzt, aber auch „Weisheit“ ist in westlichen Sprachen ein recht vager Begriff.
Es mag vielleicht ziemlich überraschend sein, zu hören, dass wir alle diese zwei Netzwerke haben, die ja zu den Faktoren der Buddha-Natur gehören. Wir sagen uns vielleicht: „Ich habe doch nie in meinem Leben etwas sonderlich Positives getan. Wieso habe ich dann ein Netzwerk positiver Kraft? Und was ist mit der Kakerlake da auf dem Fußboden – was für eine Art Verdienst bzw. positive Kraft hat die denn?“ Gute Frage, nicht wahr? Nun, wir können sicher sein, dass wir als Menschen ein Netzwerk positiver Kraft haben, denn sonst wären wir nicht als Menschen geboren worden, insbesondere als Menschen in einer so kostbaren menschlichen Situation. Das zeigt ganz deutlich, dass wir ein Netzwerk positiver Kraft haben. Und was ist mit unserem Freund, der Kakerlake auf dem Fußboden? Aus buddhistischer Sicht können wir sagen, dass aufgrund der unendlichen Anzahl früherer Leben diese Kakerlake irgendwann unsere Mutter gewesen ist oder uns ähnlich nahegestanden hat. Aber für viele von uns ist das nicht besonders überzeugend. Doch die Tatsache, dass diese Kakerlake noch lebt und auf dem Fußboden herumläuft, dass sie noch nicht zertreten wurde oder durch irgendein Insektengift vernichtet worden ist, zeigt, dass sie irgendeine positive Kraft hat, die es ermöglicht, dass sie noch am Leben ist, ein sogenanntes langes Leben hat. – Ich hoffe, ihr wisst, dass die logische Untersuchung auf der Grundlage der buddhistischen Prinzipien eine große Rolle dabei spielt, zu einer gewissen Überzeugung hinsichtlich der Aussagen des Buddhismus zu kommen, zum Beispiel auch der Aussage, dass jeder ein Netzwerk positiver Kraft hat.
Und was ist mit dem Netzwerk des tiefen Gewahrseins? Um zu einer Überzeugung davon zu gelangen, müssen wir eine bestimmte Unterteilung davon betrachten, nämlich das System der sogenannten fünf Arten des tiefen Gewahrseins (manchmal auch die fünf Buddha-Weisheiten genannt, aber der Begriff verschleiert eher, worum es dabei geht). Wir brauchen in Bezug auf diese fünf Arten nicht ins Detail zu gehen. Eine davon ist das spiegelgleiche tiefe Gewahrsein (tib. me-long lta-bu’i ye-shes) – das Aufnehmen von Information; dann das gleichsetzende tiefe Gewahrsein (tib. mnyam-nyid ye-shes) – etwas zusammenfügen können, usw. Ich werde hier nicht die ganze Liste durchgehen – dafür haben wir nicht die Zeit –, ihr könnt allerlei darüber auf meiner Webseite lesen. Jedenfalls ist die Kakerlake imstande, Informationen aufzunehmen; sie kann etwas zusammensetzen, zum Beispiel dieses und jenes als „Nahrung“ wahrnehmen, sie hat ein vollbringendes tiefes Gewahrsein (sie weiß, was damit zu tun ist: es essen) usw. Wir alle haben also ein Netzwerk tiefen Gewahrseins, es ist ein Faktor der Buddha-Natur.
Das Netzwerk positiver Kraft wird durch konstruktives Verhalten aufgebaut. Ich spreche hier im allgemeinen Sinne. Und das erforderlich tiefe Gewahrsein, vom fachspezifischen Gesichtspunkt aus betrachtet, entsteht daraus, dass man die 16 Aspekte der vier edlen Wahrheiten bzw. im Speziellen die Leerheit begreift. Ich werde erklären, was das Wort „Begreifen“ hier bedeutet. „Begreifen“ bedeutet: eine korrekte und entschiedene Wahrnehmung von etwas. Es ist zwar dasselbe Wort wie das für „Verstehen“ im Tibetischen, aber es hat eine spezielle Bedeutung: Es ist korrekt und es ist entschieden. Das ist das tiefe Gewahrsein vom technischen Gesichtspunkt aus gesehen, nicht notwendigerweise im Rahmen des Systems von fünf Arten tiefen Gewahrseins, die ich gerade erwähnt habe.
Nun erinnert euch daran, dass die sich entwickelnden Faktoren – die beiden Netzwerke – sich in die nicht-statischen Körper eines Buddha umwandeln werden. Die positive Kraft ist die herbeiführende Ursache (tib. nyer-len-gyi rgyu) für die Formkörper, also den Nirmanakaya and den Sambhogakaya (ich erkläre gleich, was eine herbeiführende Ursache ist). Und das Netzwerk tiefen Gewahrseins ist die sogenannte gleichzeitig wirkende Bedingung (tib. lhan-cig byed-pa’i rkyen) für die Formkörper. Beim Dharmakaya des tiefen Gewahrseins ist es genau umgekehrt: Das Netzwerk tiefen Gewahrseins ist die herbeiführende Ursache dafür, und das Netzwerk positiver Kraft ist die gleichzeitig wirkende Bedingung. Wir haben jetzt die fachliche Ausrücke, die fachspezifischen Definitionen gehört – was bedeuten nun diese Begriffe?
Die herbeiführende Ursache ist die Ursache, die das Resultat hervorbringt; deswegen wird sie „das Herbeiführende“ oder herbeiführende Ursache genannt. Sie ist eine Art Ursprungsquelle (tib. rdzas), die etwas als ihren Nachfolger in einem Kontinuum hervorbringt und die aufhört zu existieren, sobald das Resultat fertig entstanden ist. Ein einfaches Beispiel dafür sind ein Samenkorn und der Keimling. Das Samenkorn ist die Herkunftsquelle. Der Keimling entspringt dem Samenkorn, dieses bringt den Keimling als seinen Nachfolger hervor, nämlich in einem Kontinuum. Sobald der Keimling ganz hervorgekommen ist, hört das Samenkorn auf zu existieren. Aus dem Samenkorn entsteht also der Keimling. Dies veranschaulicht, was eine herbeiführende Ursache ist.
Eine gleichzeitig wirkende Bedingung ist etwas, das schon vor dem Entstehen von etwas existiert und dazu beiträgt, dass es entstehen kann. Sie wirkt also gleichzeitig mit der herbeiführenden Ursache, aber sie wandelt sich nicht selbst in das Resultat um.
Das Netzwerk positiver Kraft wird also ein Resultat hervorbringen. Wenn wir das auf einen Buddha beziehen, werden das die Formkörper sein. Das Netzwerk positiver Kraft wird zu den Formkörpern, und nachdem es sich ganz in diese umgewandelt hat, existiert es nicht mehr; wir haben dann nicht mehr ein Netzwerk positiver Kraft (ein Buddha hat kein Netzwerk positiver Kraft; ein Buddha hat Formkörper). Und damit sich die positive Kraft in die Formkörper umwandeln kann, muss sie mit dem Netzwerk tiefen Gewahrseins einhergehen.
Denkt darüber nach. Das bedeutet, dass wir eine Menge Positives tun, nicht wahr? Konstruktives Verhalten baut eine Menge positive Kraft auf. Und wenn jemand, der noch kein Buddha ist, das tut, wird sich das in Buddha-Körper umwandeln, in denen wir es dann als ein Buddha tun: auf physische Weise anderen helfen – durch Formkörper. Wir haben dann nicht mehr das Netzwerk von all dem Zeug, das damit zusammenhing, dass wir noch nicht erleuchtet waren, sondern dann sind wir erleuchtet und es hat folglich aufgehört zu existieren. Aber einfach anderen zu helfen, eine Menge positive Kraft aufzubauen, reicht nicht aus, denn es muss unterstützt sein von dem tiefen Gewahrsein der Leerheit. Ohne das Verständnis der Leerheit wird all das konstruktive Verhalten nicht zu den physischen Körpern eines Buddha führen. Man wird nur imstande sein, anderen mehr und mehr zu helfen, aber nicht als ein Buddha; denn wir greifen nach wahrhaft begründeter Existenz – dessen, was wir tun, und unserer selbst als der Person, die hilft.
Und umgekehrt gilt: das Netzwerk tiefen Gewahrsein – dieses anhaltende Begreifen, das korrekte und entschiedene Verständnis der vier edlen Wahrheiten, der Leerheit usw. – wird sich in den stets alles erkennenden Geist eines Buddha umwandeln. Und das noch nicht allumfassende Netzwerk des tiefen Gewahrseins – es erstreckt sich noch nicht auf alles – wird dann aufhören zu existieren, sobald es zu einem allumfassenden Netzwerk geworden ist (es hört auf, nicht allumfassend zu sein). Aber es muss unterstützt werden durch den Aufbau positiver Kraft, sonst bleibt es nur etwas Intellektuelles.
Der einzige Unterschied zwischen Sutra und Tantra besteht in diesem Zusammenhang in den Methoden, mit denen man die positive Kraft aufbaut, welche die herbeiführende Ursache dafür ist, dass man ein Buddha wird – nämlich im Tantra mittels Visualisierung von sich selbst als Buddhagestalt (tib. yi-dam). Die Visualisierung von sich selbst als einem Buddha im Tantra – das sogenannte „Gottheiten-Yoga“ – geschieht natürlich auf der Grundlage, dass man eine Menge konstruktive Kraft aufbaut, also Positives tut. Es ist nicht so, dass man sich einfach hinsetzt und sich vorstellt „ich bin ein Buddha“ und keinen Finger krumm macht, um irgendjemandem zu helfen, ja, sogar anderen schadet. So funktioniert das nicht.
Soweit also die Erklärung der sich entwickelnden Faktoren.
Der andauernde Faktor: die Leerheit des Geisteskontinuums
Der andauernde Faktor – die Leerheit des Geisteskontinuums, die die Umwandlung ermöglicht – ist etwas Statisches. Es besteht gleichbleibend sowohl vor der Erleuchtung als auch nach der Erleuchtung. Aufgrund der Leerheit des Geisteskontinuum ist es möglich, dass ein unerleuchteter Zustand sich wandelt. Und selbst wenn man ein erleuchtetes Wesen ist, wird das Geisteskontinuum weiterhin leer sein von unmöglichen Arten zu existieren. (Das ist die Darstellung der Gelug-Tradition.) Die Leerheit des Geisteskontinuums bezieht sich auf der Ebene eines Buddha auf den essentiellen Naturkörper (Skt. Svabhavakaya): die Leerheit des alles erkennenden Geistes eines Buddha. [Der andauernde Faktor der Buddha-Natur, die Leerheit, ist es, was schließlich auch den essenziellen Natur-Körper, die Leerheit des Geistes eines Buddha, ausmacht.] Es ist nicht so, dass das eine sich in das andere umwandelt, sondern es bleibt gleich. Die Leerheit des Geisteskontinuums wird nicht von all dem beeinflusst, was im Geisteskontinuum mitgetragen wird und was ihm zugeschrieben wird. Wie ich vorhin schon angedeutet habe, gibt es in einigen der anderen Traditionen zudem noch einige weitere Erklärungen, einige Varianten dazu, aber es ist wohl besser, jetzt nicht näher darauf einzugehen, denn das könnte vielleicht zu verwirrend werden.
Zusammenfassung
Nehmen wir uns einige Minuten Zeit, um zu verdauen, was wir bisher besprochen haben. Was haben wir bisher behandelt? Wir sprechen darüber, welches die Faktoren sind, die es uns allen ermöglichen, Buddhas zu werden, sogar der Kakerlake, dem Wesen, das nun in diesem Leben gerade das Karma hat, solch eine Kreatur zu sein. Denkt hinsichtlich der Wiedergeburt daran, dass niemand für immer eine Kakerlake sein wird und niemand, auch nicht wir selbst, notwendigerweise in all unseren Leben als Mensch existieren wird, es sei denn, wir tun etwas dafür.
Wie ist es also möglich, dass ich und auch die Kakerlake Erleuchtung erreichen können? Es ist nicht so, dass es keine Grundlage dafür gibt, welche Bestandteil unseres Geisteskontinuum ist, es ist also nicht so, dass unsere Erleuchtung aus dem Nichts entsteht. Und es ist auch nicht so, dass sie bereits in unserem Geisteskontinuum fix und fertig vorhanden ist und nur darauf wartet, hervorzuspringen, wenn wir bloß merken würden, dass sie schon da ist. Sondern es gibt viele, viele Faktoren, die wir alle haben und die Bestandteile unseres Geisteskontinuums sind – einige, die sich in bestimmte Körper eines Buddha verwandeln, und solche, die eben die Natur dieser Körper eines Buddha ausmachen. Und mithilfe von Inspiration durch einen spirituellen Lehrer können die ersteren zum Wachsen angeregt werden. Sie wachsen allerdings nicht nur durch diese Anregung, sondern wir müssen verschiedene Ursachen schaffen, die diese Netzwerke verstärken. Dabei handelt es sich um das Netzwerk positiver Kraft und tiefen Gewahrseins. Das sind die sich entwickelnden Eigenschaften.
Lasst uns das nun erst einmal verarbeiten und versuchen, darüber nachzudenken, um es korrekt und entschieden zu verstehen.
Wie baut man das Netzwerk positiver Kraft auf?
Die positive Kraft, das Netzwerk positiver Kraft, das wir alle haben – was allein schon durch die Tatsache, dass wir Menschen sind, angezeigt wird – hat bewirkt, dass wir einen physischen Körper haben, welcher ein menschlicher Körper ist, und wenn wir dieses Netzwerk mit mehr und mehr positiver Kraft aufbauen, und zwar unterstützt von dem Verständnis der Leerheit dessen, warum wir das tun, wer es tut usw., dann werden wir damit einen physischen Körper eines Buddha erreichen. Und das Netzwerk des tiefen Gewahrseins, das wir alle haben – denn wir sind ja imstande, Informationen aufzunehmen, zusammenhängende Muster zu erkennen und zu wissen, was man mit etwas tun kann usw., wir wissen, was die Dinge sind (und das ist jetzt, da wir Menschen sind, ziemlich effektiv, weil wir menschliche Intelligenz besitzen, unterscheiden können, was langfristig förderlich und was schädlich ist) –, können wir das alles weiter entwickeln, sodass es zu dem alles erkennenden Geist eines Buddha wird. Wir können das tun, indem wir es fokussieren und immer mehr über die vier edlen Wahrheiten und die Leerheit der vier edlen Wahrheiten meditieren. Die vier edlen Wahrheiten sind:
- die wahren Leiden
- die wahren Ursachen des Leidens (die wahren Ursachen beinhalten, dass wir uns der Leerheit, also wie die Dinge wirklich existieren, nicht bewusst sind)
- wahre Beendigung (es ist tatsächlich möglich, das Leiden und dessen Ursachen loszuwerden, sodass beides nie wieder auftreten)
- wahre geistige Pfade (richtiges Verständnis der Leerheit usw., das die Ursachen des Leidens beseitigen wird und damit auch das Leiden).
Darüber meditiert man also, indem man die vier edlen Wahrheiten begreift. Mit anderen Worten, wir wissen korrekt und entschieden darüber Bescheid. Entschieden heißt: „Ich bin völlig überzeugt, dass es möglich ist, das Leiden und dessen Ursachen loszuwerden. Ich bin vollkommen davon überzeugt, dass das Verständnis der Leerheit sie beseitigen wird, und ich verstehe die Leerheit auf korrekte Weise.“ Mittels der fünf Arten tiefen Gewahrseins – Informationen aufnehmen, erkennen, dass alles gleichermaßen leer ist usw. – darüber zu meditieren wird dazu führen, dass sich all das in den alles erkennenden Geist eines Buddha, den sogenannten Dharmakaya des tiefen Gewahrseins (Skt. Jnana-dharmakaya), umwandeln, wenn dies dadurch unterstützt wird, dass man mehr und mehr positive Kraft aufbaut. Und wir können dazu angeregt werden, mehr positive Kraft aufzubauen und mehr tiefes Gewahrsein zu entwickeln, mithilfe des Einflusses – der Inspiration – spiritueller Lehrer oder Buddhas usw.
Lasst uns das ein Weilchen verdauen.
Das Einzige, was Sutra und Tantra in Bezug auf das, was wir gerade besprochen haben unterscheidet, ist, dass Tantra besondere zusätzliche Methoden bietet, um dieses Netzwerk positiver Kraft anzureichern, das sich in die physischen Körper eines Buddha umwandeln wird – nämlich dass so genannter Gottheiten-Yoga, mit dem wir uns vorstellen, dass wir bereits in der Form dieser Buddha-Gestalten auftreten. Und im Anuttarayoga-Tantra, der höchsten Tantraklasse, sind wir aufgrund der Meisterung dieses Visualisierungsprozesses, uns in Form eines Buddha-Körpers vorzustellen, dann imstande, unsere subtile Energie tatsächlich in Form dieser Buddha-Gestalt zu modellieren bzw. zu manifestieren, nämlich mit einem sogenannten Illusionskörper (tib. sgyu-lus). Das ist der eine Unterschied zum Sutra. Im Anuttarayoga-Tantra gibt es noch weitere Methoden, die uns befähigen, zur subtilen Ebene des Geistes vorzudringen, wodurch es leichter ist, dasselbe Verständnis der Leerheit zu gewinnen, wie man es im Sutra hat. Der Unterschied liegt also mehr auf der Seite der Methoden. Was das Netzwerk des tiefen Gewahrseins betrifft, so geht es immer um dasselbe Verständnis der Leerheit; der Unterschied besteht nur darin, dass mehr Methoden angewendet werden, um positive Kraft aufzubauen, effektivere Methoden zur Umwandlung in die Körper eines Buddha angewendet werden sowie effektivere Methoden, die uns helfen, die Wahrnehmung der Leerheit zu erlangen, welche frei von Begrifflichkeit ist.
Der wesentliche Punkt ist also, dass Tantra vollkommen in den Zusammenhang des Sutra passt. Es ist keineswegs irgendetwas davon Getrenntes im Hinblick darauf, dass es uns hilft bzw. befähigt, den erleuchteten Zustand eines Buddha zu erreichen. All das basiert auf diesen Faktoren der Buddha-Natur, den beiden Netzwerken, der Leerheit des Geistes und Inspiration von Buddhas und spirituellen Meistern.
Lasst uns das erstmal verdauen.
Klar erkennende Meditation
Es ist vielleicht hilfreich, wenn ich erkläre, was damit gemeint ist, dies in der Meditation zu verdauen. Bitte entschuldigt, wenn ich so flapsig sage: „Verdaut das erstmal“ und einfach davon ausgehe, dass alle wissen, wie sie dabei vorgehen sollen. Was dabei zu tun ist – in einer sogenannten analytischen bzw. klar erkennende Meditation (tib. dpyad-sgom) –, ist, die Grundzüge dessen, was gerade erklärt wurde, also des jeweiligen Themas, innerlich zu wiederholen. Das erfordert natürlich, dass wir gut zugehört haben und uns daran erinnern. Und wenn wir dann das Material durchgegangen sind – in diesem Fall ist es kein logischer Argumentationsstrang, aber ein ähnlicher Gedankengang –, erreichen wir ein Verständnis dieses Materials, mit dem wir es korrekt und entschieden begreifen. Wir sind dann überzeugt, dass es dies war, was erklärt wurde; und nachdem wir darüber nachgedacht haben, gelangen wir hoffentlich auch zu der Überzeugung, dass es sich so verhält, dass dies tatsächlich das ist, was geschieht in Hinsicht darauf, wie man Erleuchtung erreicht. Und mit einem aktiven Geist versuchen wir das im Sinne dieses entschiedenen Verständnisses selbst klar zu erkennen – „klar erkennen“ (tib. dpyod-pa) ist hier ein Fachbegriff. Es bedeutet in diesem Zusammenhang, das Erklärte selbst zu begreifen: „Ja, ich habe Buddha-Natur. Ja, wenn ich sie auf diese und jene Weise entwickle usw., wird sie zu den Körpern eines Buddha. Das ist die Vorgehensweise, wie man Erleuchtung erreicht.“ Es bedeutet also, dies aktiv zu begreifen. Anschließend verbringen wir eine Weile damit, das in der sogenannten stabilisierenden Meditation (tib. ’jog-sgom) zu festigen: Wir verweilen mit der Aufmerksamkeit auf dieser Gewissheit und diesem bestimmten Verständnis.
Es ist wichtig zu wissen, was eigentlich mit Meditation gemeint ist. Damit ist nicht gemeint, dass man sich all diese Erklärungen anhört und dann entrückt mit einem Vakuum im Kopf dasitzt, nicht recht weiß, was man jetzt tun soll, und hofft, dass das alles einfach dadurch, dass man passiv dasitzt, irgendwie einsickert.
Versucht es also einen Moment lang zu verarbeiten im Zusammenhang mit dem, woran ihr euch hinsichtlich der Buddha-Natur erinnern könnt und was ihr davon verstanden habt. „Ich habe ein gewisses Ausmaß an positiver Kraft. Ich besitze Intelligenz. Beides kann ich nutzen, kann es immer weiter entwickeln, um nicht nur eine kostbare menschliche Wiedergeburt und weiterhin einen intelligenten Geist zu erlangen, sondern es, wenn ich intensiv daran arbeite und mithilfe von Inspiration durch meine Lehrer, in die Körper eines Buddha umwandeln.“ Schon eine solche Art von Meditation kann großen Nutzen haben. Wenn man anfängt abzudriften und der Geist hohl wird, ruft man sich dieses Verständnis wieder in den Sinn.
Fragen
Was ist in dem genannten Beispiel (dass alle von uns, der Mensch sowie die Kakerlake die fünf Arten tiefen Gewahrseins besitzen) der Unterschied zwischen dem Menschen und der Kakerlake?
In gewisser Hinsicht haben Mensch und Kakerlake die gleichen Arbeitsgrundlagen. Aber als Mensch, besonders wenn man ein kostbares Menschenleben mit all seinen günstigen Bedingungen hat, haben wir mehr Fähigkeiten und mehr Gelegenheiten, diese Arbeitsgrundlage weiter zu entwickeln. Die Kakerlake hat diese Gelegenheiten, diese guten Bedingungen, nicht. Und in Ihrem Fall ist die Funktion dieser fünf Arten tiefen Gewahrseins wesentlich beschränkter als bei einem Menschen; sie ist viel mehr eingeschränkt durch begrenzte Intelligenz usw. und große Naivität gegenüber allem.
Wenn wir daran arbeiten, mehr positive Kraft aufzubauen, indem wir konstruktiv handeln, und dies durch mehr tiefes Gewahrsein, Verständnis der Leerheit, unterstützen und umgekehrt – welche Rolle spielt dabei die Bereinigung?
Wie in dem Beispiel mit der Kakerlake erkennbar wird, ist ihre Fähigkeit, etwas zu verstehen – Informationen aufzunehmen, allgemeine Muster zu erkennen usw. – beschränkt. Diese Fähigkeit ist durch vieles verdunkelt – durch Unwissenheit: sie weiß nicht, wie die Dinge existieren, sie kennt Ursache und Wirkung nicht; durch Selbstbezogenheit: sie ist nur an dem ganz kleinen Rahmen ihres Lebens interessiert usw. Und Ähnliches ist auch bei uns Menschen der Fall – unsere Fähigkeiten sind durch Mangel an Intelligenz, Mangel an Klarheit, Trägheit, Vergesslichkeit vernebelt. Der Aufbau positiver Kraft wird von störenden Emotionen – Anhaftung, Ärger, Neid usw. – und von Selbstbezogenheit beeinträchtigt. Was wir also tun müssen, ist, sowohl positive Kraft aufzubauen und tiefes Gewahrsein weiterzuentwickeln als auch die hinderlichen Faktoren zu bereinigen. Wir befassen uns also mit einem doppelten Prozess: einerseits aufbauen bzw. entwickeln und andererseits auch bereinigen.
Sind die Faktoren, die wir einsetzen, um positive Kraft aufzubauen, dieselben wie die Faktoren, die wir für die Bereinigung verwenden?
Man kann diese Frage auf vielerlei Ebenen beantworten. Im Zusammenhang mit der Bereinigung gibt es vorläufige Bereinigung und letztliche, endgültige Bereinigung. Die vorläufige geschieht dadurch, dass wir unsere Fehler und Unzulänglichkeiten offen eingestehen, ein Gefühl des Bedauerns empfinden, uns vornehmen, sie nicht zu wiederholen. Baut das positive Kraft auf? Vermutlich schon. Das nächste Gegenmittel besteht darin, unsere Grundlage zu bestärken, nämlich die Zufluchtnahme (die sichere Richtung, die wir im Leben einschlagen) und Bodhichitta. Baut das positive Kraft auf? Ja. Insofern, als das Anwenden eines Gegenmittel – also zum Beispiel indem man den negativen Handlungen, die wir begangen haben, entgegenwirkt – als konstruktives Verhalten statt destruktives Verhalten zu verstehen ist, trägt es sicher zum Aufbau positiver Kraft bei. Niederwerfungen zu machen, Vajrasattva-Meditation – würdet ihr sagen, dass dies sogenanntes Positives, kKnstruktives ist? Ich denke, dass die meisten Erklärungen das so darstellen würden. Das sind alles vorläufige Methoden zur Bereinigung, und obwohl das Hauptgewicht auf der Bereinigung liegt, wird dabei auch einiges an positiver Kraft aufgebaut, meine ich. Aber die letztliche Reinigung findet mit Konzentration auf die Leerheit statt; das baut das tiefe Gewahrsein auf.
Wenn wir vorbereitende Übungen machen – auf Tibetisch wird das Ngöndro (sngon-’gro) genannt –, befassen wir uns mit vier Standard-Praktiken. In der Gelug-Tradition gibt es neun solche Praktiken. Es gibt vielerlei Varianten von vorbereitenden Übungen, aber vier sind ganz gebräuchlich, nämlich Niederwerfungen und Vajrasattva-Meditation, die normalerweise mit Bereinigung in Zusammenhang gebracht werden, sowie das Darbringen von Mandalas und Guru-Yoga, was im Bezug zum Aufbau positiver Kraft steht. Auch hier ist also wieder der doppelte Prozess zu sehen. Wenn wir es genauer untersuchen, geht es darum, wo das Hauptgewicht dieser vier Praktiken liegt, aber ich denke, dass jede davon einen Aspekt beinhaltet, der positive Kraft aufbaut, sowie auch einen reinigenden Aspekt.