Der Kontext für das Verständnis der Leerheit

Die Leerheit (Leere) ist ein recht schwieriges, aber ausgesprochen essenzielles Thema. Damit wir uns ihm nähern können, ist es notwendig herauszufinden, wo es in die allgemeine Darstellung der buddhistischen Lehren passt. Wie wir alle wissen, lehrte Buddha sein Verständnis, seine Verwirklichung, im Sinne der so genannten vier edlen Wahrheiten. Das sind vier Tatsachen, die von einem Arya als wahr betrachtet werden. Ein Arya ist jemand, der eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit hat. Gewöhnliche Wesen, wie wir, betrachten diese Dinge nicht als wahr. Diese Tatsachen sind für uns nicht so klar oder offensichtlich. Doch jene, wie diese Aryas, die die Wirklichkeit direkt erkannt haben, haben gesehen, dass diese Tatsachen wahr sind. Was sind diese vier Tatsachen?

Die vier edlen Wahrheiten: Wahres Leiden 

Die erste Wahrheit ist die Tatsache des Leidens. Wenn wir über Leiden reden, sprechen wir über Probleme oder unbefriedigende Situationen. Es gibt drei Arten des Leidens. Die erste Art ist das gewöhnliche, grobe Leiden, das Leid des Schmerzes. Es geht um gewöhnliche schwierige Situationen, die wir alle im Sinne von physischem Schmerz, mentalem Leid, dem Altern, der Krankheit, dem Sterben und all diesen typischen Dingen erfahren. Der Wunsch, diese Arten des Leidens zu überwinden, sie zu vermeiden, ist nicht etwas so besonderes. Sogar Tiere haben den Wunsch, keine physischen Schmerzen zu erfahren. Einige Tiere horten Nahrung für den Winter, damit sie nicht hungern müssen. Wir können viel mehr als das tun, um diese Art des Leidens zu vermeiden.

Die zweite Art des Leidens nennt man Leid der Veränderung. Sie bezieht sich auf die gewöhnliche Art des Glücklichseins, das wir erfahren. Obgleich diese gewöhnliche Art des Glücklichseins schön und angenehm sein mag, hält sie nicht an und so sind wir immer frustriert, wenn sie endet. Und sie ist nie zufriedenstellend: wir wollen immer noch mehr davon haben. Es reicht nicht aus, nur einmal zu essen; wir wollen es immer wieder tun, nicht wahr? Und es gibt in dieser Hinsicht keine Sicherheit. Wir haben keine Gewissheit, was wir als nächstes erfahren werden, ob wir mehr Glück oder mehr Schmerzen haben werden. Sich zu wünschen, dies hinter sich zu lassen, es zu vermeiden, in eine Situation zu kommen, die frei davon ist, ist auch keine rein buddhistische Sache. Es gibt viele nicht-buddhistische Religionen, die Wege in eine Art Paradies lehren, zu einer Art von immerwährendem Glück, das jenseits ist und viel besser, als das so genannte weltliche Glück.

Folgen wir dem buddhistischen Pfad nur, um die ersten beiden Arten des Leidens zu überwinden, nehmen wir nicht die Essenz des buddhistischen Pfades in Anspruch, da wir diese Dinge auch auf andere Weise überwinden könnten. Wir können uns natürlich auch fragen, ob wir wirklich die ersten zwei Arten des Leidens auf andere Weise überwinden können, doch das ist eine große Streitfrage. Jedenfalls hat Buddha nicht das Überwinden dieser ersten zwei Arten des Leidens betont, denn auch alle anderen haben darüber gesprochen. Buddha wies auf die dritte Art des Leidens hin, das ein viel ernsteres und tieferes Problem ist.

Es ist das so genannte alles umfassende Leiden und das Problem, was hinter den ersten zwei steckt, nämlich dass jeder Moment unserer Existenz durch unser grundlegendes mangelndes Gewahrsein gegenüber der Realität, durch unsere Verwirrung bedingt oder beeinflusst wird. Man kann auch sagen, dass jeder Moment unserer Existenz aus dieser Verwirrung hervorgeht oder mit ihr verbunden ist. Und aus diesem Grund führt jeder Moment unserer Erfahrung zu weiteren Momenten, die voller Verwirrung sind. Das ist das eigentliche Problem, denn wenn alles aus Verwirrung hervorgeht, mit Verwirrung verbunden ist und zu noch mehr Verwirrung führt, sind das, was wir aufgrund dessen erfahren, die Höhen und Tiefen von Samsara. Manchmal haben wir Schmerzen, dann wieder weltliche Freuden, die nicht andauern. Es geht immer auf und ab, auf und ab. Nur in dieser Situation zu bleiben, die sich ewig fortsetzt, wird Samsara genannt. „Samsara“ bedeutet unkontrollierbare sich wiederholende Existenz ohne Anfang. Sie wird sich ewig fortsetzen, wenn wir sie nicht beenden. Das ist das wahre Leiden, das wahre Problem, dieses alles umfassende Problem, das wir alle haben. Das ist die eigentliche Sache, über die Buddha in der ersten Tatsache, der ersten edlen Wahrheit gesprochen hat.

Die vier edlen Wahrheiten: Wahre Ursprünge des Leidens 

Die zweite Tatsache ist, dass dieses Problem des Sich-Wiederholens, der sich wiederholenden Verwirrung, der sich wiederholenden Schwierigkeiten und so weiter auf eine natürliche Ursache zurückzuführen ist. Es ist nicht so, dass es keine Ursache gibt, dass es auf eine Ursache zurückzuführen ist, die völlig irrelevant ist, oder auf eine höhere Macht, die uns bestraft, sondern auf eine Ursache, die mit dem zusammenhängt, was das Problem ist. Und diese Ursache ist unser mangelndes Gewahrsein gegenüber der Realität. Oft wird sie als „Unwissenheit“ übersetzt, „ignorance“ im Englischen, und dieses Wort deutet darauf hin, dumm zu sein. Es geht hier jedoch nicht darum, dumm zu sein. Das Wort hat nicht diese Bedeutung. Das russische Wort „nevidya“ ist da viel eindeutiger, denn es gibt die Silbe „ne“ der Verneinung und die Silbe „vidya“, die „wissen“ bedeutet. Im Deutschen ist es genauso, „Unwissenheit“. Es handelt sich hierbei um ein Sanskrit-Wort, „avidya“, das mit der verneinenden Vorsilbe „a“ beginnt und „vidya“ bedeutet auch „wissen“. Das ist also viel näher an der ursprünglichen Bedeutung.

Für dieses Wort „Unwissenheit“, oder „unawareness“ im Englischen, was etwas präziser ist, gibt es zwei Bedeutungen. Die erste ist die Bedeutung, die wir in den Abhidharma-Texten finden. Das sind Texte aus dem Sanskrit, in denen es um Themen des Wissen, spezielle Themen des Wissens, geht. In diesen Texten wird diese „Unwissenheit“ einfach als ein Nichtwissen definiert: wir wissen einfach nicht, wie Ursache und Wirkung in Bezug auf unser Verhalten funktionieren oder wie Dinge existieren, im Grunde wie wir selbst existieren. Wenn wir die tatsächlichen Auswirkungen unseres Verhaltens nicht kennen und Ursache und Wirkung nicht verstehen, handeln wir destruktiv, was zu unseren groben Problemen des Leidens führt. Obwohl also diese Art der Unwissenheit wahre Leiden und Probleme hervorbringt, ist sie nicht die tiefste Ebene. Doch weil wir uns nicht gewahr sind, wie wir existieren, oder wenn wir es im größeren Mahayana-Kontext betrachten, wie alles existiert, ruft das unser alles umfassendes Problem, dieses ernstere, grundlegende Problem hervor. Das ist das erste Verständnis dieser Unwissenheit: wir wissen es einfach nicht. Es ist nicht so, dass wir dumm sind, sondern es ist einfach nicht offensichtlich. Durch unseren Geist scheinen Dinge auf jede erdenkliche Weise zu existieren, die nicht der Realität entspricht, wie zum Beispiel, dass wir das Zentrum des Universums sind. Wir haben diese kleine Stimme in unserem Kopf und auch wenn wir unsere Augen schließen, ist diese Stimme weiter da. Es scheint also, als wären wir ganz klar das Zentrum von allem da draußen und als könnten wir uns dem ganzen verschließen, indem wir einfach unsere Augen zumachen. Es ist verwirrend: wir wissen einfach nicht, dass Dinge nicht auf diese Weise existieren.

Ein anderer indischer Meister, Dharmakirti, hat „Unwissenheit“ folgendermaßen definiert: „Dinge auf verkehrte oder verdrehte Weise zu kennen“, also Dinge auf entgegengesetzte Weise zu verstehen, als sie tatsächlich existieren. Das bedeutet, nicht einfach nur nicht zu wissen, wie Dinge existieren, sondern zu glauben, sie würden auf verkehrte Weise existieren, die im Gegensatz zu dem steht, wie sie wirklich existieren.

Wir können sehen, dass dies im Grunde eine viel ernsthaftere Ursache von Problemen ist, als es einfach nur nicht zu wissen. Wir sind wirklich überzeugt von diesem fehlerhaften Verständnis. Zu unserer Naivität des Nicht-Wissens können wir noch Sturheit und Feindseligkeit gegenüber allen hinzufügen, die versuchen uns zu sagen, dass unsere Überzeugungen falsch und völliger Unsinn sind. Wir denken: „Was meinst du damit, dass ich nicht die wichtigste Person bin? Natürlich bin ich die Wichtigste. Ich muss den besten Platz bekommen, ich muss das Beste von allem bekommen. Es muss nach meinem Willen gehen.“ Da können wir eine ziemlich feindselige Einstellung entwickeln.

Die vier edlen Wahrheiten: Wahre Beendigung des Leidens 

Die dritte Tatsache, die dritte edle Wahrheit, ist, dass es möglich ist, eine wahre Beendigung dieser ersten zwei Tatsachen, den Problemen und ihren Ursachen, zu erlangen. Mit anderen Worten: die Natur des Geistes ist etwas, das rein von dieser Ursache unserer Probleme ist und daher rein von den Problemen und Leiden selbst. Anders ausgedrückt geht diese sich wiederholende unkontrollierbare Situation, diese Verwirrung immer weiter, aber die Verwirrung selbst ist nicht Teil der Natur des Geistes. Es ist möglich, diese Dinge loszuwerden, und es ist möglich, sie für immer zu beseitigen, sodass sie niemals wiederkehren. Das zu verstehen und tatsächlich von dessen Wahrheit überzeugt zu sein, ist nicht leicht, denn es erfordert ein Verständnis der Natur des Geistes. Es ist notwendig, dies wirklich viel zu verstehen, um zu der Überzeugung zu gelangen, dass diese dritte Tatsache, die wahre Beendigung, tatsächlich möglich ist. Doch Buddha sagte nicht: „Halte einfach den Mund und glaube es.“ Er sagte, dass dies etwas ist, was erfahren, was durch Logik verstanden werden kann und wir daran arbeiten müssen. Doch wenn wir nicht wirklich überzeugt sind, dass es möglich ist, diese wahre Beendigung zu erreichen, wird unsere Arbeit auf dem Pfad des Erlangens etwas sein, dass recht unsicher ist. Wir sind nicht wirklich überzeugt davon, dass wir es erlangen können und dass es möglich ist.

Die vier edlen Wahrheiten: der wahre Pfad des Geistes 

Das bringt uns zu der vierten Tatsache, dem wahren Pfad. Wenn wir sie als einen Pfad bezeichnen, müssen wir verstehen, was mit Pfad gemeint ist. Er bezieht sich nicht auf einen Pfad, den man entlangläuft, sondern auf einen Geist, einen Geisteszustand, eine Art des Verstehens. Dieser Geisteszustand wird als ein Pfad dienen. Im Englischen hört es sich noch schöner an, wenn man ihn als „pathway“ bezeichnet, der uns zu einem Ziel führen wird. Im Englischen nenne ich ihn daher „path of mind“ oder „pathway mind“, also Pfad des Geistes oder Pfadgeist. Es gibt ein Verständnis, das die wahre Beendigung herbeiführen wird, und auch den resultierenden Geisteszustand, der diese wahre Beendigung erlangt hat.

Was ist diese Art des Verstehens? Welche Art von Geisteszustand wird diese wahre Beendigung herbeiführen? Es muss einer sein, der genau das Gegenteil von dem Geisteszustand ist, der all die Probleme erzeugt. Dabei geht es nicht um Gegensätze, wie schwarz und weiß, bei denen es Graustufen dazwischen gibt, sondern um einen Geisteszustand, der den anderen Geisteszustand ausschließt, der unsere Probleme verursacht; mit dem einen kann man also nicht den anderen haben.

Ganz allgemein könnte man es folgendermaßen ausdrücken: Wenn wir unsere Unwissenheit einfach darin sehen, nicht zu wissen, wie Dinge existieren, wäre das Gegenteil davon, zu wissen, wie Dinge existieren und dies mit voller Überzeugung, durch Logik und Erfahrung, korrekt zu verstehen, nicht nur mit blindem Glauben. Und wir müssen in der Lage sein, dieses Verständnis fortwährend aufrecht zu erhalten, sodass es niemals zu einem mangelnden Verständnis kommt. Hier kommt das Verständnis der Leerheit mit ins Spiel, denn wenn wir die Leerheit kennen und von der Leerheit überzeugt sind, ist dies das Gegenteil von der Unwissenheit, wie Dinge existieren.

Das Verständnis der Leerheit ist stärker als das Verständnis der Verwirrung, denn auch wenn das Verständnis der Verwirrung durch Gewohnheiten gestützt wird und unser Verständnis der Leerheit nicht, weil wir sie zuvor nicht verstanden haben, wird das Verständnis der Leerheit dennoch durch Logik und Überlegung, sowie durch gültige Wahrnehmung gestützt. Je mehr wir unsere Verwirrung analysieren und untersuchen, desto mehr erkennen wir, dass sie falsch und nicht tragbar ist. Desto mehr wir hingegen das Verständnis der Leerheit analysieren und untersuchen, desto mehr erkennen wir, dass es tatsächlich wahr ist. Noch überzeugender ist die Tatsache, dass wir uns umso mehr Probleme und Leiden schaffen, desto mehr wir an unsere Unwissenheit glauben. Je mehr wir daran glauben, dass wir das Zentrum des Universums sind und es immer nach unserem Willen gehen muss, desto mehr Probleme werden wir haben. Je mehr wir hingegen von dem Verständnis der Leerheit überzeugt sind und, ganz einfach ausgedrückt, niemand das Zentrum des Universums ist, wir alle zusammen in einem Boot sitzen und miteinander auskommen müssen, desto weniger Probleme werden wir haben. Das ist es letztlich, wovon der Buddha gesprochen hat: Welche Art von Verständnis können wir haben, das uns befähigen wird, all unsere Probleme loszuwerden, sodass sie niemals wiederkehren werden?

Doch einfach „Nichtwissen“ mit „Wissen“ zu ersetzen ist nicht alles. Wir können viel tiefer gehen, als das. Auf der anspruchsvollsten Ebene von Buddhas Lehren zieht man Dharmakirtis Definition der Unwissenheit vor, die darin besteht, Dinge auf verdrehte Weise zu kennen, denn das ist eine viel aktivere Weise, sich dem Problem zu nähern und es zu beseitigen. Das führt uns zur Thematik von Phänomenen, die wir Negierungen nennen. Dabei handelt es sich um Dinge, die wir durch Negierung erkennen: wir erkennen sie, indem wir etwas anderes negieren. Zum Beispiel gibt es bestimmte Dinge, die wir durch Bestätigen erkennen, und andere Dinge die wir durch Negierung erkennen. Einen Apfel erkennen wir beispielsweise durch Bestätigen, doch es gibt auch etwas anderes, das „kein Apfel“ ist. Wie erkenne ich, dass dies kein Apfel ist? Ich kenne „kein Apfel“ und das ist etwas, dass wir durch Negieren kennen. Wir haben den „Apfel“ negiert, „das ist kein Apfel“.

Leerheit als ein Negierungs-Phänomen 

Aus der Sicht der Kognitionswissenschaft ist das eine höchst spannende Sache. Wie lernt ein Baby das Konzept „keine Nahrung“? Am Anfang denkt es, alles sei Nahrung, doch irgendwann lernt es das Konzept „keine Nahrung“. Um ein Negierungs-Phänomen oder eine Negierung zu kennen, muss man zunächst wissen, was negiert wird und es dann ausschließen oder abgrenzen. Zunächst muss man einen „Apfel“ kennen, um zu wissen, was „kein Apfel“ ist.

Dasselbe gilt in Bezug auf unser mangelndes Gewahrsein gegenüber der Realität. Mit dieser Herangehensweise, die auf Dharmakirtis Definition der Unwissenheit beruht, gilt es zuerst zu erkennen: „Auf welche verrückte, verwirrte Weise meine ich, Dinge würden existieren, die meine Verwirrung für wahr hält?“ Dann ist es notwendig, sie zu negieren, sie auszuschließen und zu sagen: „Das stimmt nicht! Es entspricht nicht dem, wie Dinge wirklich existieren.“ Dieses Negierungs-Phänomen, diese Negierung der falschen Weise, wie Dinge existieren – das ist Leerheit. „So etwas, wie diesen Unsinn, den mein Geist produziert, gibt es nicht. Es gibt nichts, was sich wirklich darauf bezieht.“ Wenn unser Geist auf diese Weise denkt: „so etwas, wie diesen Unsinn, gibt es nicht“, wenn wir uns entschieden davon trennen und in der Lage sind, uns darauf zu fokussieren und immer dabei zu bleiben, gibt es keine Möglichkeit, auf diese verzerrte, verwirrte Weise zu denken. Dann erlangen wir tatsächlich eine wahre Beendigung.

Reden wir im Buddhismus von der Leerheit, geht es nicht darum, was wir mit einem wahren Pfad des Geistes in Bezug darauf verstehen, was eine wahre Beendigung bewirken wird. Es ist nicht so, dass wir es zuerst verstehen und dann, einen Moment später, eine wahre Beendigung erlangen. Dieses Verständnis ist das Erlangen einer wahren Beendigung. Wir machen nicht das Licht an und erst im nächsten Moment verschwindet die Dunkelheit. Das Licht-Anmachen ist gleichbedeutend mit dem Verschwinden der Dunkelheit.

Wir haben also den Geist, mit dem wir verstehen, dass es so etwas nicht gibt, und damit durchtrennen wir diese Verwirrung: das ist die wahre Beendigung. Sprechen wir also über Leerheit, ist die eigentliche Aussage, die es zu verstehen gilt und um die es geht, „so etwas nicht“. „So etwas, wie diesen Unsinn, den ich denke und den mein Geist projiziert, gibt es nicht. So etwas gibt es nicht; es bezieht sich auf nichts Reales!“ Die Projektion findet natürlich statt, die Projektion der Verwirrung findet statt, doch sie bezieht sich nicht auf etwas Reales. Das ist es was wir durchtrennen, etwas, das sich wirklich darauf bezieht. Man kann es mit einem kleinen Kind vergleichen, das meint, es gäbe ein Monster unter dem Bett. Diese Furcht, dieser Glaube, es gäbe ein Monster unter dem Bett, flößt dem Kind natürlich große Angst ein, doch diese Projektion bezieht sich auf nichts Reales. Es gibt kein Monster unter dem Bett.

Das ist die grundlegende Struktur, der grundlegende Kontext, in dem wir uns dem Studium der Leerheit nähern, nämlich die Struktur der vier edlen Wahrheiten.

Ein vollständiges Verständnis der Leerheit, um uns von den zwei Schleiern zu lösen 

Wir benötigen ein vollständiges Verständnis der Leerheit, um die zwei Arten von Schleiern zu überwinden. Wir erkennen die Gewohnheit, die ständige Gewohnheit, an diesen Unsinn zu glauben, den unser Geist produziert. Sie ist in jeder Minute aktiv und diese Gewohnheit bringt unseren Geist dazu, Erscheinungen zu projizieren und Verwirrung hervorzurufen; sie bringt den Geist dazu zu denken, es gäbe ein Monster unter dem Bett. Zunächst sollten wir also unseren Glauben daran überwinden, dass sich diese Projektion auf etwas Reales bezieht, denn wenn wir das glauben, führt das zu allen möglichen störenden Emotionen, wie die Angst in dem Kind, weil es glaubt, es gäbe ein Monster unter dem Bett. Wenn wir damit aufhören, an diesen Unsinn zu glauben, erlangen wir das, was als Befreiung oder Nirvana bezeichnet wird.

Doch die Gewohnheiten sind weiterhin da, der Geist projiziert weiter all diesen Unsinn und weil er das tut, sind wir nicht in der Lage, wirklich alles zu erkennen und zu verstehen, warum jemand ein bestimmtes Problem hat und was effektiv wäre, wenn wir dieser Person dieses oder jenes beibringen würden. Unser Geist ist begrenzt. Es ist notwendig, dass wir uns so an dieses Verständnis der Leerheit gewöhnen, dass wir irgendwann die Gewohnheit dieser Unwissenheit loswerden, welche diese Projektion verursacht. Schließlich wird unser Geist dann damit aufhören, diesen Unsinn zu projizieren und das ist das Erlangen der Erleuchtung – wir überwinden diese Schleier, welche Allwissenheit verhindern. Um das zu tun und diese zweite Gruppe von Schleiern zu überwinden, benötigen wir dasselbe Verständnis der Leerheit wie zum Überwinden der Schleier, die Befreiung verhindern. Der Unterschied ist die Stärke des Geistes hinter diesem Verständnis.

Um beide Gruppen von Schleiern zu überwinden, benötigen wir, besonders für die zweite Gruppe die Kraft, die als „Bodhichitta“ bekannt ist. Bodhichitta wird durch Liebe und Mitgefühl herbeigeführt, doch es ist keinesfalls dasselbe wie Liebe und Mitgefühl. Liebe ist der Wunsch, andere mögen glücklich sein und die Ursachen dafür haben, während Mitgefühl der Wunsch ist, andere mögen frei von ihren Leiden und den Ursachen ihres Leidens sein. Beim Mitgefühl gibt es eine gewisse Verpflichtung: „Ich werden ihnen helfen, es zu überwinden“. Dann haben wir den „außergewöhnlichen Entschluss“. Wir entschließen uns: „Ich werde ihnen nicht nur helfen, ein klein wenig Leid zu überwinden, sondern mir wirklich vornehmen, ihnen zu helfen, all ihr Leid zu überwinden und Erleuchtung zu erlangen“, was eine viel größere Verpflichtung ist. Auf dieser Grundlage haben wir Bodhichitta.

Die Notwendigkeit von Bodhichitta, um das Verständnis der Leerheit zu stärken 

Bodhichitta ist ein Geist, der sich auf die Erleuchtung richtet. Und er richtet sich nicht nur auf die Erleuchtung im Allgemeinen und nicht auf die Erleuchtung von Shakyamuni Buddha, sondern auf unsere eigene, persönliche, individuelle Erleuchtung, die noch nicht stattgefunden hat, aber auf der Grundlage unserer Faktoren der Buddha-Natur, die Teil unseres Geisteskontinuums sind, stattfinden kann. Und natürlich wird dies von der Überzeugung und dem Verständnis begleitet, dass es möglich für uns ist, dies zu erlangen. Es ist also etwas, dass sich irgendwo an einem Punkt unseres Geisteskontinuums befindet, und es ist möglich, dass es stattfindet und wir es erreichen. Wir sollten wirklich verstehen, dass es hier um unsere eigene, persönliche, individuelle Erleuchtung geht und nicht um irgendeine vage Erleuchtung dort oben im Himmel.

Das ist ausgesprochen wichtig und wir werden von dem Gedanken angetrieben: „Ich sollte in der Lage sein, allen zu helfen. Es ist etwas, das ich an einem Punkt wirklich erreichen kann und das mich befähigen wird, allen so zu helfen, wie ich mir das wünsche“, und dann der festen Absicht: „Ich muss das erreichen. Ich werde so hart wie möglich daran arbeiten, es zu erreichen und wenn ich es erreiche, werde ich anderen bestmöglich helfen. Bis dahin werde ich anderen, entsprechend der Ebene, auf der ich mich gerade befinde, so gut wie möglich von Nutzen sein.“ Wenn wir diese treibende Kraft in unserem Geist haben, diese wirklich tiefe Absicht, auch wenn wir schlafen, und nicht einmal darüber nachdenken müssen, weil es so tief verwurzelt ist und denken: „das ist es, was ich in meinem Leben zu tun beabsichtige“, wird dieses Verständnis der Leerheit die Kraft haben, diese Projektionen des Unsinns zu durchtrennen und zu beseitigen, die uns im Grunde davon abhalten, anderen bestmöglich helfen zu können.

Wenden wir uns dem Studium des Themas der Leerheit zu, sollten wir es in zwei Kontexten sehen. Zunächst betrachten wir es im Kontext der vier edlen Wahrheiten, der ganz grundsätzlich, gebräuchlich und sowohl für die Schulen des Hinayana als auch für die des Mahayana gilt. Dann ist es notwendig, das Verständnis der Leerheit im Kontext von Bodhichitta oder dem Geist zu betrachten, den wir für das Leerheitsverständnis nutzen, was spezifisch für die Mahayana-Lehren ist.

Das Verständnis der Leerheit im Tantra, Dzogchen und Mahamudra 

Wollen wir uns weiter mit Tantra beschäftigen, insbesondere mit der höchsten Tantra-Klasse, dem Anuttarayoga-Tantra, haben wir den Kontext der vier edlen Wahrheiten, den es auch im Hinayana gibt. Dazu haben wir den Kontext des allgemeinen Mahayana mit Bodhichitta und und einen weiteren Kontext der subtilsten Ebene des Geistes, die man den Geist des klaren Lichts nennt.

Diese subtilste Ebene des Geistes, über die wir alle in jedem einzelnen Moment verfügen, liegt jedem Moment unserer Erfahrung, einschließlich dem Tod, zugrunde. Sie ist so subtil, dass sie keine dieser störenden Emotionen hat – sie ist viel subtiler als das. Sie ist so subtil, dass sie nicht einmal diese Projektionen der Verwirrung hervorbringt. Sie sorgt nur für die Kontinuität der grundlegenden Natur des Geistes, von einem Augenblick zum nächsten.

Auf dieser Ebene verstehen wir nicht unbedingt, wie Dinge existieren. Kehren wir zurück zu unserer „alten“ ursprünglichen Abhidharma-Definition der Unwissenheit, kann man sagen, dass wir es nicht wissen. Man würde es offiziell nicht als „Unwissenheit“ bezeichnen, aber auf dieser Ebene wissen wir trotzdem nicht, wie Dinge existieren. „Sie erkennt nicht ihr eigenes Angesicht“ ist der Fachjargon, der dafür benutzt wird. Das ist ein Fachausdruck, wie er im den Dzogchen-Lehren benutzt wird und der tatsächlich die Situation ganz gut beschreibt. Doch in dieser höchsten Tantra-Klasse, oder wenn wir vom Dzogchen und den Dzogchen-Lehren sprechen, wollen wir dieses gleiche Verständnis der Leerheit auf dieser Ebene des Geistes erlangen, denn das ist die effizienteste Ebene. Im Mahamudra ist es genauso. Mahamudra ist eine Unterteilung im Anuttarayoga-Tantra; es ist eine Methode, sich dem Anuttarayoga-Tantra zu nähern.

Worauf ich hier jedoch hinauswill, ist, dass dieses Verständnis der Leerheit ein zentrales Thema ist, das wir in allen Aspekten der Lehren Buddhas finden, denn es ist dieses Verständnis der Leerheit, das die wahre Beendigung unserer Probleme bewirken wird, die wahre Beendigung unserer Unfähigkeit anderen zu helfen. Das ist es, was wir benötigen und was der buddhistische Pfad ist. Es geht nicht einfach nur darum, uns zu befähigen, keine Rückenschmerzen mehr zu haben oder ständig hungrig zu sein, denn nachdem man etwas gegessen hat, wird man immer wieder hungrig sein. Mit einem Verständnis der Leerheit werden wir das alles umfassende Problem lösen, also diese ständige Fortsetzung unseres Samsaras. Als Nebeneffekt werden wir dann natürlich auch keine Rückenschmerzen mehr haben und nicht mehr ständig hungrig sein. Ein Verständnis der Leerheit wird uns befähigen, einen so genannten „begrenzten Geist“ zu überwinden.

„Begrenzter Geist“ ist ein Begriff, den man in dem Ausdruck „fühlendes Wesen“ findet. Ein fühlendes Wesen ist jemand mit einem begrenzten Geist. Einen begrenzten Geist zu haben, bedeutet nicht, geistig behindert zu sein oder einen niedrigen IQ zu haben. Mit diesem Ausdruck ist der Geist von allen gemeint, die keine Buddhas sind. Ich beschreibe es gern folgendermaßen: „Es ist, als wären wir unter Wasser, in einem U-Boot, und würden durch ein Periskop schauen. Was wir mit den Möglichkeiten des Periskops wahrnehmen können, ist sehr begrenzt. Wir sind also nicht in der Lage, all die Ursachen dafür zu erkennen, was geschieht. Wir können es nicht in eine anfangslose Zeit zurückverfolgen und sind auch nicht in der Lage, all die Konsequenzen zu erkennen, die unsere Taten oder Worte in der Zukunft haben werden. Wir sind ziemlich begrenzt, die Hardware ist begrenzt. Dieser Körper kann nur durch diese zwei Löcher sehen, die sich vorn im Kopf befinden; er kann nicht nach hinten schauen. Und die Hardware, das Gehirn, erschöpft sich nach einer bestimmten Anzahl von Jahren und dann muss man den Körper mit einem anderen ersetzen, der auch irgendwann nicht mehr funktionieren wird. Es gibt also keine Garantie. Wir haben ein Hardware-Problem, das unser alles umfassendes Problem verursacht – diese Art von Körper, diese Art der Begrenztheit – und wir haben auch auch Software-Problem, denn die Programme, die wir in jedem unserer Leben ablaufen lassen, sind alle möglichen komischen Konzepte, die genauso nutzlos sind.

Können wir dieses Verständnis der Wirklichkeit erlangen und die Gewohnheit überwinden, daran zu glauben, werden wir frei von dieser zweiten Gruppe von Schleiern sein, von denen ich gesprochen habe, die dazu führen, dass wir Dinge wie durch ein Periskop sehen und begrenzt sind. Dann werden wir allwissend. Das ist der Geist eines Buddhas, denn der Geist ist fähig, allwissend zu sein, wenn er nicht durch eine begrenzte Hardware und Software eingeschränkt ist. Er ist in der Lage, alles und jeden zu kennen, denn es gibt nichts, das ihn davon abhält.

Dieses Verständnis der Leerheit ist in all diesen verschiedenen Zusammenhängen wirklich wesentlich. Und bevor wir in eine ausführlichere Diskussion darüber einsteigen, worauf sich Leerheit eigentlich bezieht und was dieser Unsinn ist, denn wir widerlegen müssen, ist es wichtig, diesen allgemeinen Kontext und die Wichtigkeit des Verständnisses der Leerheit zu erfassen. Es ist wichtig, die Leerheit nicht als eine Thematik zu betrachten, die wirklich schwer zu lernen ist, sondern zu begreifen, wie essenziell sie ist, wenn wir von unserem Leid frei werden und anderen helfen wollen. Ohne dieses Leerheitsverständnis und einem korrekten Verständnis, wird sich das alles umfassende Problem unkontrollierbar in Samsara von einem Augenblick zum nächsten wiederholen. Es wird einfach immer so weitergehen. Was wir auch tun, wir werden weiter Probleme haben, weil unsere ganze Weise, wie wir mit anderen interagieren und wie wir Dinge tun, nur immer mehr Probleme hervorbringt, weil sie auf dieser Unwissenheit beruht. So sehr wir auch anderen helfen wollen, wir werden meist nicht sehr erfolgreich darin sein, weil wir einfach nicht wissen, was das Beste für andere ist. Das war eine allgemeine Einführung.

Vielleicht können wir uns eine oder zwei Minuten Zeit nehmen, das auf uns einwirken zu lassen. Versucht einmal darüber nachzudenken, was wir gerade besprochen haben. Es ging um wahre Probleme, wahre Ursachen, die wahre Beendigung dieser Dinge, den wahren Geist, einen Pfad des Geistes, das Verständnis der Leerheit, das diese Beendigung herbeiführen wird, und dass wir mit dem Verständnis der Leerheit diesen Unsinn unserer Verwirrung, verwirrten Glaubensvorstellungen und verwirrten Erscheinungen völlig beseitigen sollten. Und wir haben über die Notwendigkeit gesprochen, es mit der Kraft von Bodhichitta zu stützen: „Ich muss all diesen Unsinn loswerden. Mein Geist muss damit aufhören, all diesen Müll zu produzieren, damit ich anderen hilfreich sein kann, denn sonst bin ich voller Angst und Unsicherheit, und all diese Dinge sind einfach nur Hindernisse.“ Denkt einen Moment darüber nach.

[Meditation]

Die Objekte, die durch Leerheit widerlegt werden 

Der Müll, den sie gerade erwähnt haben und von dem wir uns trennen sollten, betrifft er nur die geistigen Dinge, wie Gedanken und Konzepte, oder auch Objekte, die wir um uns herum finden?

Was wir loswerden sollten, kommt im Grunde von der Seite des Geistes. Das Problem ist nicht der Tisch, sondern meine Einstellung gegenüber dem Tisch. Ich denke: „Das ist mein Tisch. Wehe du benutzt ihn, und wenn du es tust, werde ich wirklich wütend werden, besonders, wenn du ihn beschädigst.“ Es beginnt ganz schnell richtig kompliziert zu werden, wenn wir uns ansehen, was die Beziehung zwischen Objekten und dem Geist ist, denn alles, worüber wir wirklich reden oder nachdenken können, sind Objekte des Geistes. Wenn wir über das Objekt reden, ist es ein Objekt des Geistes; wenn wir darüber nachdenken, ist es ein Objekt des Geistes. Wir können also nicht wirklich über ein Objekt sprechen oder es begreifen, das vollkommen unabhängig vom Geist oder vollkommen unabhängig von einer Beziehung zum Geist ist.

Das bedeutet nicht, dass alles nur in meinem Kopf existiert. Das hat mit einer recht tiefen und ausführlichen Diskussion über die Beziehung zwischen dem Geist, Erscheinungen, Objekten und so weiter zu tun. Im Grunde denken wir, das Problem liege auf Seiten des Objektes, doch es befindet sich nicht auf Seiten des Objektes, sondern auf Seiten des Geistes. Würde die Verwirrung dort draußen existieren, gäbe es recht wenig, was wir tun könnten, um etwas zu ändern. Es ist die Verwirrung in unserem Geist, auf die wir einen Einfluss haben. Das ist ein ausgesprochen tiefgründiges Thema und ich kann deine Frage nicht nur in ein paar Sätzen beantworten, doch es ist genau das Thema, zu der uns die Untersuchung der Leerheit führt.

Die Beziehung zwischen konzeptueller und nicht-konzeptueller Wahrnehmung der Leerheit 

Was ist die Beziehung zwischen konzeptueller und nicht-konzeptueller Wahrnehmung der Leerheit und findet die nicht-konzeptuelle Wahrnehmung in einer Art Trance-Zustand statt?

Wenn wir über die konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit sprechen, sollten wir zunächst über eine korrekte und keine falsche konzeptuelle Wahrnehmung reden. Die Beziehung und der Unterschied zwischen dieser und einer nicht-konzeptuellen Wahrnehmung besteht darin, dass wir uns mit einer konzeptuellen Wahrnehmung auf die Leerheit durch die Kategorie „Leerheit“ richten.

In der konzeptuellen Wahrnehmung geht es im Grunde um „Kategorien“. Ich betrachte dieses Objekt vor mir und verstehe es als „ein Glas“. Ich denke daran und richte mich durch die Kategorie „Glas“ auf das Objekt. Es gibt viele Objekte, die man dieser Kategorie zuordnen könnte. Und es gibt zwei Arten von Kategorien. Eine ist eine Kategorie, wie eine Klang-Kategorie, der Klang eines Wortes, oder eine Bild-Kategorie, ein geistiges Bild dessen, was „ein Glas“ ist. Und es gibt die bedeutungsbezogene Kategorie, welche die Bedeutung dieser Dinge ist. Normalerweise sind sie vermischt, müssen es aber nicht sein. Ich muss in meinem Kopf nicht „Glas“ sagen, um dieses Objekt als „ein Glas“ zu sehen. Ich kann dieses Objekt betrachten und wissen, dass es ein Glas ist, ohne in meinem Kopf „ein Glas“ sagen zu müssen. Ich denke an die Bedeutung dieser Kategorie „ein Glas“ und das ist eine bedeutungsbezogene Kategorie.

Wir sollten nicht denken, ein konzeptueller Geist wäre geistig verbal. Er ist nicht darauf begrenzt, es kann so sein, aber es ist viel weitreichender. Nicht-konzeptuell zu werden heißt nicht einfach nur, die Stimme in unserem Kopf zur Ruhe zu bringen; das ist eine sehr oberflächliche Ebene. Es ist wirklich schwierig, die Stimme in unserem Kopf zu beruhigen, doch es ist nach wie vor eine oberflächliche Ebene, nicht-konzeptuell zu sein. Haben wir also eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung, nehmen wir etwas nicht durch eine Kategorie wahr, was äußerst schwer zu erkennen ist. Es ist schwer zu erkennen, weil es in unserer gewöhnlichen Sinneswahrnehmung nur eine Mikrosekunde vor dem Betrachten dieses Objektes und dem Verstehen stattfindet, dass es „ein Glas“ ist. „Ich weiß, was es ist. Es ist ein Glas. Ich weiß, was man damit tut.“

Es könnte auch zu der Kategorie gehören: „etwas, von dem ich nicht weiß, was es ist“. Nicht-konzeptuell findet ohne eine Kategorie statt, doch das heißt nicht, dass wir nicht wissen, was es ist. Daher habe ich gesagt, dass es schwer zu erkennen ist, was eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung von etwas ist.

Dasselbe gilt für die konzeptuelle und nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit. Die eine findet durch eine Kategorie, in erster Linie durch die bedeutungsbezogene Kategorie der Leerheit, statt; die andere nicht. Gehört denn jeder Moment unserer Erfahrung des Fokussierens auf Leerheit und jedes Mal, wenn wir uns auf Leerheit richten, zur Kategorie „wir richten uns auf die Leerheit“ oder nicht? Das ist ziemlich komplex. Ist jeder Moment weiter das Verständnis der Leerheit oder ist er etwas völlig anderes? Die konzeptuelle Wahrnehmung ist also ein notwendiger Schritt, um die nicht-konzeptuelle Wahrnehmung zu erlangen. Der Unterschied zwischen den beiden, liegt, wie es in den Texten beschrieben wird, in der unterschiedlichen Lebendigkeit der Wahrnehmung, doch worauf sich das im Sinne der Erfahrung bezieht, weiß ich nicht.

„Ein Verständnis der Leerheit zu haben, das man in einer Art Trance bekommt“ hängt natürlich ganz davon ab, was wir unter Trance verstehen. Stehen wir einfach nur unter Drogen oder wer weiß was und sind irgendwie abgehoben, ist es wahrscheinlich, dass es sich um ein falsches Verständnis der Leerheit handelt und nicht um ein korrektes. Wie ich in unserer Diskussion über Negierungs-Phänomene erklärt habe, benötigen wir bestimmte Schritte, um ein Verständnis der Leerheit zu haben, doch darauf werden wir noch später an diesem Wochenende eingehen.

Bei der Leerheit geht es also um „eine Abwesenheit unmöglicher Existenzweisen“. Zunächst ist es notwendig, die Grundlage dafür zu erkennen – was es ist, das nicht auf unmögliche Weise existiert – ob wir nun über das „Ich“ reden und darüber, dass „ich nicht auf unmögliche Weise existiere“ oder über den Tisch. In der nächsten Phase muss ich erkennen, an welche unmögliche Existenzweise ich glaube, die unmögliche Weise, auf die es meiner Meinung nach existiert und die darauf projiziert wird. Der dritte Schritt ist dann, dass ich mich entschieden davon trennen muss. Das ist das Negierungs-Phänomen: „es ist Unsinn und bezieht sich auf nichts Reales“, was wir ganz aktiv durchtrennen. Dann fokussieren wir uns auf: „so etwas gibt es nicht“. Das ist das Verständnis der Leerheit. Es ist ein überaus aktiver Geisteszustand, der in Phasen aufgebaut wird; er ist nicht etwas, das man in einer gedankenverlorenen Trance haben würde, die einfach aus einer karmischen Ursache oder etwas ähnlichem kommt. Es ist immer eine große Gefahr, dass Menschen denken, sie hätten ein Verständnis der Leerheit erlangt, während sie tatsächlich ein Verständnis von einem „Nichts“ haben. Leerheit oder Leere ist kein Nichts.

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