Das Verständnis der Wiedergeburt in anderen Lebensformen als Mensch oder Tier
Ein Thema, das oft übergangen wird ist das Leiden in drei niederen Bereichen, den „drei schlimmeren Bereichen“, wie ich sie lieber nenne. Das tibetische Wort dafür lautet eigentlich: die drei „schlechten“ Bereiche. „Schlecht“ hört sich immer etwas barsch an, deswegen nenne ich sie „schlimmer“. Das Wort „niedriger“ in Bezug auf diese Bereiche wird im Tibetischen nicht verwendet.
Manche Leute machen aus den schlimmsten Bereichen gern eine Dharma-light-Version, oft sogar aus allen sechs verschiedenen Bereichen. Wir können akzeptieren, dass es Menschen und Tiere gibt; einige Menschen akzeptieren vielleicht, dass es Geister gibt. Aber andere Lebensformen zu akzeptieren ist doch etwas schwierig. Die Dharma-light-Version ist daher die Annahme, dass diese Bereiche eigentlich psychologische Zustände bzw. Geisteszustände von Menschen sind. In den Lehren gibt es einen Punkt, der besagt, dass nach einem Leben in einem dieser Bereiche ein kleiner Rest dieser Art Erfahrung im menschlichen Leben zu Tage tritt – falls darauf eine Wiedergeburt als Mensch folgt. Es taucht also etwas Ähnliches im menschlichen Leben auf. Aber das sind nicht die echten sechs Bereiche.
Im echten Dharma beruht alles auf einem geistigen Kontinuum, das ohne Anfang und Ende ist. Wenn wir untersuchen, was wir an visuellen Phänomenen, Geräuschen, körperlichen Empfindungen, Glück und Unglück usw. erleben, stellen wir fest, dass es vielerlei Parameter gibt, die unser Erleben beeinflussen und darauf abfärben – das Interesse, Desinteresse, die Aufmerksamkeit oder Nichtbeachtung. Jeder dieser Parameter umfasst eine ganze Bandbreite, die von vollständigem Interesse bis zu völligem Desinteresse, von vollständiger Aufmerksamkeit bis hin zu völliger Nichtbeachtung, von äußerstem Ärger bis hin zu überhaupt keinem Ärger usw. reicht. Wir erleben alles in einem solchen Spektrum.
Das ist zum Beispiel beim Sehen der Fall: Es gibt ein ganzes Spektrum von Licht, und mit der Hardware-Ausstattung eines Menschen, dem menschlichen Körper, sind wir lediglich imstande, einen gewissen Umfang dieses Spektrums wahrzunehmen. Ultraviolett und Infrarot können wir nicht wahrnehmen; dafür müssen wir mechanische Geräte einsetzen. Die Hardware einer Eule z.B. ist imstande, Phänomene visuell wahrzunehmen, die wir nicht wahrnehmen können, z.B. wenn es für die menschliche Hardware zu dunkel dafür ist.
Mit der Hardware der Hundeohren kann ein Hund Geräusche höherer Frequenz hören als es menschlichen Ohren möglich ist. Eine Hundenase ist weitaus empfindlicher für Gerüche als unsere menschliche Nase. Das sind ganz klare Tatsachen. Dass die Hardware des menschlichen Körpers einen bestimmten Bereich eines Spektrums von Sinnesinformationen nicht wahrnehmen kann, heißt nicht, dass die Bereiche des Spektrums jenseits unseres Wahrnehmungsvermögens auch für andere unmöglich wahrzunehmen sind. Die Tatsache, dass wir Ultraviolett und Infrarot nicht sehen können, bedeutet nicht, dass es kein ultraviolettes und infrarotes Licht gibt. Es wahrzunehmen erfordert nur eine andere Hardware.
Ausmaße von Schmerz und Genuss, die über unsere menschlichen Grenzen hinausgehen
Unser individuelles geistiges Kontinuum ist nicht darauf beschränkt, eine bestimmte Art von Hardware zu haben, die mit einer bestimmten Art Körper verbunden ist, und unsere geistige Aktivität ist fähig, alles in diesen Spektren wahrzunehmen. Wenn das in Bezug auf das Spektrum der visuellen Phänomene, Geräusche und Gerüche der Fall ist, gibt es dann irgendeinen Grund, warum das nicht auch in Bezug auf die Bandbreite von Schmerz und Wohlgefühl, Glück und Unglücklichsein der Fall sein sollte? Was körperliche Empfindungen betrifft, so verlieren wir Menschen das Bewusstsein, wenn Schmerz zu intensiv wird; das Empfinden schaltet ab und wir werden ohnmächtig. Das heißt nicht, dass es ein größeres Ausmaß von Schmerz nicht gibt. Es ist nur so, dass unsere Hardware nicht fähig ist, es wahrzunehmen. Sie ist mit einem Sicherheitsmechanismus versehen, der sie dann abschaltet.
Wir können auch über das andere Ende des Spektrums sprechen, Wohlgefühl bis hin zu körperlichen Wonnen. Wenn wir es objektiv untersuchen, stellt sich heraus, dass es auch dabei einen ähnlichen Mechanismus gibt, der Lustgefühle zum Aufhören bringt. Was z.B. die Lust der sexuellen Erfahrung betrifft, so wird man, sobald sie eine bestimmte Ebene erreicht, immer schneller dazu gedrängt, sie im Grunde zu beenden durch einen Orgasmus. Ähnliches gilt für Juckreiz – der eigentlich kein Schmerz ist, sondern im Grunde ein Lustreiz. So sehr, dass wir ihn beenden müssen, indem wir kratzen.
Das ist kein Scherz! Ich litt einige Jahre lang an chronischem Juckreiz an Stirn und Kopfhaut, die dauernd unerträglich juckten. Die Ärzte konnten die Ursache nicht finden. Die einzige Möglichkeit, damit zu leben, war, es quasi wie ein Art Lust zu empfinden und auszukosten. Wenn mir das gelang, war es in Ordnung und der Juckreiz beeinträchtigte mich nicht. Das erforderte allerdings eine Menge Konzentration und Präsenz. Aber normalerweise ist es uns schon zu viel, wenn wir einen Mückenstich haben. Wir müssen die Empfindung zum Aufhören bringen. Der Körper versucht automatisch, sie abzustellen.
Verfolgen wir diese Untersuchung weiter – warum sollte es keine Hardware von Lebewesen geben, mit der mehr von der Bandbreite von Schmerz und mehr von der Bandbreite von Lust empfunden werden kann, analog zu der Tatsache, dass es Hardware von Lebewesen gibt, die mehr vom Lichtspektrum, mehr Frequenzen von Geräuschen und mehr Feinheiten von Gerüchen wahrnehmen können? Es gibt keinen logischen Grund, warum das nicht möglich sein sollte. Das Gleiche gilt für das Spektrum des Geistesfaktors, welcher Glück und Unglücklichsein registriert – was nicht mit Wohlgefühl und Schmerz verwechselt werden sollte, das ist etwas anderes. Glück und Unglücklichsein können jede Art körperlicher oder geistiger Erfahrung begleiten. Wir können den Schmerz, der bei einer starken Massage auftritt, beglückt wahrnehmen, denn, aaah, er entspannt die Muskeln. Es tut weh, aber ich bin beglückt. „Ohne Schmerz bringt das nichts“. Ich bin froh, dass ich diese kräftige, schmerzende Massage bekomme. Glück und Unglücklichsein sind also andere Parameter als Schmerz und Wohlgefühl (obwohl die beiden Gegensatzpaare Ähnlichkeit miteinander haben). Inwiefern sind sie verschieden? Wir können so unglücklich sein, dass wir deprimiert werden. Wenn jemand extrem deprimiert ist, kann es durchaus sein, dass er sich umbringt. Die Hardware hat Grenzen, wie viel Unglücklichsein man aushalten kann. Warum sollte es also auf beiden Seiten des Spektrums nicht noch mehr Unglücklichsein bzw. noch mehr Glück geben können, das über das hinausgeht, was wir als Menschen aushalten können?
Wenn es so ist, dass ein größeres Ausmaß an Extremen auf beiden Seiten des Spektrums, von geistiger Aktivität wahrgenommen werden können, dann müsste damit ein entsprechender Körper, also die Hardware verbunden sein, die so etwas wahrnehmen kann. Unser geistiges Kontinuum hat die Fähigkeit, alles, jeden Bereich dieser Bandbreiten, erfahren zu können und die entsprechende Hardware dafür hervorzubringen, die dazu in der Lage ist. Wie gesagt: Nur dass unsere menschliche Hardware nicht fähig ist, etwas jenseits unserer Grenzen von äußerstem Schmerz und äußerstem Unglücklichsein zu erfahren, beweist nicht, dass eine andere Hardware dies nicht könnte oder dass eine solche nicht gibt. Existieren solche Bereiche und deren Umfelder in der Realität? Ganz gewiss. Sie existieren genauso real wie der menschliche Bereich. Das bedeutet lediglich, dass wir nicht imstande sind, sie wahrzunehmen – aber was heißt das schon?
Die Möglichkeit von Wiedergeburt in anderen Bereichen ernst nehmen
Ich erkläre dies alles so, wie ich es selbst verstehe. Ich habe diese Art, das Thema zu erklären, nicht irgendwo gehört oder gelesen. Aber für mich ergibt es einen Sinn und es hilft mir, solche anderen Bereiche ernster zu nehmen. Es ist sinnvoll, denn ich betrachte hier das das Kontinuum geistiger Aktivität uns seine Fähigkeit, das gesamte Spektrum von visuellen Phänomenen, Geräuschen, Wohlgefühl, Schmerz, Glück und Unglücklichsein zu erfahren. Daraus folgt, dass das geistige Kontinuum dann die entsprechenden physischen Voraussetzungen haben müsste, die Hardware eines Körpers, der die weiter gesteckten Extreme des Erfahrungsspektrums wahrnehmen und aushalten kann. So verstanden, ist Meditation über die sechs Bereiche mehr als eine bloße Fantasie, um sich extreme Schmerzzustände vorzustellen. Deren Existenz und die Möglichkeit, dass wir sie erleben könnten, ist durchaus ernst zu nehmen.
Ich finde, diese Überlegungen sind hilfreich, wenn wir jene verschiedenen Bereiche nachdenken. Deren Existenz zu verstehen und zu akzeptieren ist in gewisser Weise eine Konsequenz der Zufluchtnahme bzw. der Entscheidung, seinem Leben eine sichere Richtung zu geben. Wenn wir wirklich überzeugt sind, dass Buddha kein Dummkopf war, und dass alles, was er sagte, bedeutungsvoll war und seinen Sinn darin hatte, anderen zu helfen, Leiden zu überwinden, also kein dummes oder belangloses Zeug war, dann heißt das, dass alles, was in den Lehren zu finden ist, verdient, ernst genommen zu werden. Wenn er von diesen verschiedenen Bereichen sprach, dann sprach er nicht nur in symbolischem Sinne. Im Rahmen der anfänglichen Stufe des echten Dharma müssen wir sie wirklich ernst nehmen, denn wir wollen auf keinen Fall eine Wiedergeburt in diesen Bereichen erleben. Und vieles hängt von unserem Verständnis ab, dass die individuelle geistige Aktivität sich immer weiter fortsetzt. Diese Pille ist nicht leicht zu schlucken, ich weiß.
Ursachen schaffen für eine bessere Wiedergeburt
Nun beginnen unsere Besprechung von Karma. Wir werden allerdings nicht auf die komplette Vielschichtigkeit von Karma eingehen, sondern es vielmehr auf der praktischen Ebene betrachten. Ich werde mich selbst als Beispiel anführen; ich habe ja schon ein bisschen darüber gesprochen, wie ich mit diesem Thema umgegangen bin – und die anfänglichen Stufe ist schwierig! Ich habe diese riesige Webseite mit Dharma-Materialien aufgebaut, und ein Teil meiner Motivation besteht darin, anderen, die sie lesen, damit zu nützen. Aber ich muss gestehen, dass ein Teil meiner Motivation auch auf meinen eigenen Nutzen ausgerichtet ist, denn ich denke, wenn ich genügend Energie darauf verwende, bin ich so stark damit verbunden, dass ich in zukünftigen Leben schon als Kind ganz instinktiv davon angezogen werde – sofern ich das Glück habe, wieder als Mensch geboren zu werden. Ich versuche also, gewisse Vorbereitungen für meine künftigen Leben zu treffen, indem ich etwas tue, das dazu beiträgt, mich schon in ganz jungen Jahren wieder zum Dharma hinzuziehen.
Vielleicht schaffe ich damit Ursachen, schnell wieder mit dem Dharma in Verbindung zu kommen, wenn ich wieder ein kostbares menschliches Leben erlange. Aber schaffe ich wirklich Ursachen dafür, dass ich überhaupt wieder ein kostbares menschliches Leben erlange? Mache ich mir da etwas vor? Bastele ich mir eine kleine „Dharma-light“-Version der anfänglichen Ebene? Wir müssen uns im Zusammenhang mit diesen drei Ebenen immer überprüfen. Lassen wir Teile aus? Eine Person auf einer dieser drei Ebenen ist man nur, wenn man die gesamte Einstellung zum Leben mit einbezieht.
Die Ursachen für eine bessere Wiedergeburt
Die Lehren bringen sehr klar zum Ausdruck, welches die Ursachen für eine kostbare menschliche Wiedergeburt sind. Die Hauptursache ist ethische Selbstdisziplin, mit der wir uns von destruktivem Handeln zurückhalten. Sie beinhaltet auch, sich mit konstruktiven Aktivitäten zu beschäftigen, zum Beispiel zu meditieren, anderen zu helfen und so weiter. Aber hier ist vor allem davon die Rede, destruktive Handlungen zu unterlassen, denn es wird eine Liste von zehn destruktiven Handlungen aufgezählt. Natürlich gibt es noch viel mehr, aber das sind die wichtigsten:
- Jemandem das Leben nehmen
- Etwas nehmen, das uns nicht gegeben wurde
- Unangemessenes sexuelles Verhalten
- Lügen
- Zwietracht säende Rede
- Gebrauch grober Worte
- Sinnloses Geschwätz
- Begehrliches Denken
- Böswilliges Denken
- Verzerrtes, widerstreitendes Denken
Wie ernst sollten wir diese Handlungen nehmen? Es geht nicht darum, fanatisch zu werden und so rigide, dass man überhaupt niemals irgendetwas Destruktives tut und meint, man müsse ein Heiliger sein. So weit sind wir noch nicht. Aber wir müssen die Fähigkeit entwickeln, darauf zu achten, was wir tun, sodass wir es sofort merken, wenn wir beginnen destruktiv zu handeln, und die Nachteile davon erkennen, nämlich dass wir damit Unglück und leidvolle Erfahrungen für „mich“ herbeiführen. Wir können nicht sicher sein, was die Wirkung für andere sein wird, aber wir können sicher sein, was die Wirkung für uns selbst sein wird, nämlich dass wir unglücklich sind. Weil wir das nicht wollen, halten wir uns von destruktivem Verhalten zurück. Dafür müssen wir vom ursächlichen Zusammenhang zwischen destruktivem Handeln und Unglücklichsein sowie zwischen konstruktivem Verhalten und Glück überzeugt sein. Das ist nicht einfach, aber diese Überzeugung ist der ausschlaggebende Faktor dafür, ob jemand wirklich zu einer Person auf der anfänglichen Ebene wird. Dann spielt natürlich auch noch Faulheit usw. Rolle, selbst wenn wir tatsächlich schon überzeugt sind. Aber das ist eine andere Angelegenheit.
Die Gültigkeit der Lehren über Karma
In den Texten wird erklärt, dass man die Überzeugung und gültiges schlussfolgerndes Verständnis von Karma auf der Grundlage von Expertenaussagen gewinnen kann. Mit anderen Worten, wenn wir Buddhas Aussagen über die Entwicklung von Konzentration und Verständnis der Leerheit folgen, wird das störenden Emotionen beseitigen. Wir können in unserer eigenen Erfahrung feststellen, dass es funktioniert. Wir können tatsächlich durch Erfahrung das Verständnis gewinnen, dass die Lehren ein Ende störender Emotionen herbeiführen. Wenn Buddhas Aussagen darüber zutreffend sind und wenn der Grund dafür, dass er Erleuchtung erlangte und lehrte, sein Mitgefühl war und der Wunsch, anderen von Nutzen zu sein, dann besteht kein Grund, warum er uns in puncto Karma anlügen sollte. Deshalb betrachten wie Buddha als eine gültige Informationsquelle und schlussfolgern, dass er auch in Bezug auf Karma eine gültige Informationsquelle ist.
Ich weiß nicht, wie es euch ergeht, aber was mich betrifft – ich kann zwar die Logik dessen verstehen, aber mich überzeugt das nicht wirklich auf einer sehr tief liegenden Ebene. Ich möchte das etwas besser verstehen, sodass es mir hilft, so überzeugt zu sein, wie es der traditionellen Struktur entspricht. Es ist klar, dass man allein durch die üblichen logischen Schlussfolgerungen nicht beweisen kann, dass Unglücklichsein aus destruktivem Verhalten herrührt. Das wird in den Texten ausdrücklich erwähnt. Und da wir mit bloßer Wahrnehmung nicht in der Lage sind, zu erkennen, wie Karma funktioniert, müssen wir tiefer nachzuforschen, um zu versuchen, an mehr Informationen zu gelangen, um zu versuchen, den Zusammenhang zwischen destruktivem Verhalten und Unglücklichsein zu begreifen. Wie können wir die Verbindung zwischen beiden herstellen? Seine Heiligkeit der Dalai Lama sagt, wir müssen das wissenschaftlich angehen.
Die Kausalbeziehung zwischen destruktivem Verhalten und Unglücklichsein
Wir können die Lehren des Abhidharma („Besondere Themen des Wissens“) heranziehen, von denen es in den verschiedenen philosophischen Schulen des indischen Buddhismus leicht unterschiedliche Versionen gibt. Es gibt einen Text von Vasubandhu aus der philosophischen Schule der Vaibhashika, einer Hinayana-Tradition, und es gibt eine Mahayana-Version des Abhidharma von Asanga. Zudem gibt es eine Version aus dem Theravada – auch einer Hinayana-Tradition – von Anuruddha. Wir können in jeder dieser Texttraditionen und den Erläuterungen dazu nachschlagen: Was ist eine destruktive Handlung? Wie definiert man destruktives Verhalten?
Wir werden in Bezug darauf nicht sektiererisch sein, sondern so an die Sache herangehen, dass jede dieser verschiedenen Untersuchungen ein spezielles Licht auf das Thema wirft. Sie stehen nicht im Widerspruch zueinander. In jeder davon finden wir Listen mit mehreren Geistesfaktoren, die stets mit destruktivem Verhalten einhergehen. Wenn wir uns diese Geistesfaktoren anschauen, können wir selbst sehen, ob es sich um einen glücklichen oder einen unglücklichen Geisteszustand handelt.
Die Geistesfaktoren, die destruktives Verhalten begleiten
Ich werde einige wesentliche Besonderheiten in der Liste der Geistesfaktoren, die mit destruktivem Verhalten einhergehen, durchgehen, die uns ein klareres Bild davon verschaffen, worum es hier geht. Es geht nicht nur um die destruktiven Handlungen selbst, sondern um den tatsächlichen Geisteszustand, der damit einhergeht. Anders ausgedrückt: Was macht eine Handlung zu einer destruktiven? Sie mag vielleicht destruktiv sein, aber es ist nicht bloß die Handlung, die zu Unglücklichsein führt. Es gibt auch verschiedene Geistesfaktoren, die damit verbunden sind.
Einige dieser begleitenden Geistesfaktoren sind:
- Kein Gefühl für Werte – mangelnde Achtung vor positiven Qualitäten oder Menschen, die sie besitzen. Das ist etwas, was wir verstehen können, denn wir alle haben schon Menschen gesehen, die keinerlei Achtung haben vor Gesetzen oder vor irgendetwas Positivem oder vor Personen, die etwas Gutes tun. Solche Menschen messen all dem keinen Wert bei.
- Skrupellosigkeit – keine Zurückhaltung davon, sich ungeniert dreist und negativ zu verhalten. Im Grunde heißt das: „Ist mir doch egal, was ich da tue.“ Ist das ein glücklicher oder unglücklicher Geisteszustand? Wenn wir diese Art von Einstellung haben, sind wir vermutlich kein sonderlich glücklicher Mensch.
- Naivität – nicht zu wissen oder nicht akzeptieren, dass offensichtliches Leiden und Unglücklichsein aus destruktivem Handeln folgt. Deshalb denkt man, man können ruhig so destruktiv handeln, wie man nur will, und es habe keine Folgen.
- Anhaftung oder Feindseligkeit – diese Faktoren müssen allerdings nicht notwendigerweise dabei sein. Aber wir wissen: Wenn wir sehr intensiv an etwas hängen, uns daran klammern, ist das kein übermäßig glücklicher Geisteszustand, und ebenso wenig sind wir glücklich, wenn wir sehr wütend und feindselig sind. „Ich muss das haben! Ich kann ohne das nicht leben!“ und „Ich hasse dich!“ sind keine sehr glücklichen Geisteszustände.
- Keine moralische Selbstachtung – kein Gefühl von Würde in moralischer Hinsicht, sondern geringes Selbstwertgefühl. So etwas kennt man auch in der Soziologie. Wenn man jemandem weismacht, dass er nichts taugt, und ihm keine Möglichkeit lässt, ein Gefühl für die eigene Würde oder Selbstachtung zu entwickeln, dann kann daraus ein Selbstmordattentäter werden, denn er misst sich eh keinen Wert bei. Man hat ihn überzeugt, dass er einen Dreck wert ist. Das Schlimmste, was man einem unterdrückten Volk antun kann, ist, ihm das Gefühl für die eigene Würde zu nehmen. Es ist nicht schwer zu verstehen, dass man ohne ein Gefühl von Selbstachtung meint, man wäre wertlos, und das ist bestimmt kein glücklicher Geisteszustand.
- Sich nicht darum kümmern, wie unsere Handlungen auf andere wirken. Es mag eine recht asiatische Einstellung sein, zu meinen, dass es ein schlechtes Licht auf meine Familie, meine Kaste, meine soziale Gruppe wirft, wenn ich mich schlecht benehme. Die Einstellung „Das kümmert mich alles überhaupt nicht“ begleitet destruktives Verhalten.
- Ruhelosigkeit – ein Faktor, der von Anuruddha hinzugefügt wird, das Gegenteil davon, zufrieden und mit sich im Reinen zu sein. Der Geisteszustand ist unruhig und angespannt. Auch das tritt zusammen mit destruktivem Verhalten auf.
Wenn wir von all diesen verschiedenen Geistesfaktoren hören, die destruktives Verhalten begleiten, dann können wir zwar nicht logisch daraus schließen, dass daraus Unglücklichsein resultiert, aber wir können die Beziehung zwischen destruktivem Verhalten, das im Allgemeinen durch diese Geistesfaktoren gekennzeichnet ist, und Unglücklichsein etwas besser erkennen. Die Verbindung dazwischen wird plausibler. Dann können wir zu dem zurückkehren, was im Text angegeben ist, mit etwas mehr Zuversicht, dass Buddha eine verlässliche Informationsquelle bezüglich dieser Zusammenhänge ist.
Die Geistesfaktoren, die konstruktives Verhalten begleiten
Nun werfen wir einen Blick auf die Geistesfaktoren, die eine konstruktive Verhaltensweise begleiten können, um ihre Verbindung mit Glück zu betrachten. Diese Liste ist länger als die vorige, wenn wir die Informationen aus den drei verschiedenen Abhidharma-Quellen zusammenfügen:
- An Tatsachen glauben – der Glaube daran, dass Glück aus dem Unterlassen von destruktivem Verhalten herrührt und Unglücklichsein aus destruktivem Verhalten und aus einem sturen, widerstreitenden Geisteszustand, der nichts glaubt, wenn man ihm Tatsachen präsentiert. Wenn uns etwas Wahres aufgezeigt wird, dann glauben wir es.
- Berücksichtigen, welche Folgen unser Verhalten für uns selbst und andere hat
- Das Gefühl, geeignete Fähigkeiten zu haben – ein gutes Gefühl in Bezug auf uns selbst, dass wir fähig sind, uns z.B. davon zurückzuhalten, andere zu verletzen. Das gute Gefühl, sich im Zaum halten zu können, ist ein glücklicherer Geisteszustand, als wenn man völlig außer Kontrolle gerät. Etwa so, wie wenn wir zwar vollkommen satt sind, aber noch ein Stück Kuchen übrig ist und wir uns nicht beherrschen können und es aufessen. Anschließend fühlen wir uns unwohl und sind unzufrieden mit uns selbst: „Jetzt bin ich total vollgestopft und ich fühle mich gar nicht gut.“ Aber wenn wir uns davon zurückhalten können, das übrig gebliebene Stück Kuchen zu essen, dann fühlen wir uns eigentlich ganz gut: Ja! Ich habe an mich halten können und mich nicht vollgestopft wie ein Vielfraß.“
- Gelassenheit – ein Geisteszustand, der frei von geistiger Flatterhaftigkeit und Dumpfheit ist. Wenn wir uns davon zurückhalten, destruktiv zu handeln und beispielsweise jemanden anzuschreien, schweift unser Geist nicht ziellos umher. Er ist auch nicht so träge und dumpf, dass uns nicht klar ist, was wir tun. Der Geist ist klar und gelassen und wir wissen, was wir tun.
- Ein Gefühl für Werte und Respekt – wir haben eine gewisse Bewunderung für diejenigen, die positive Qualitäten besitzen, wir schauen zu ihnen auf, und wir haben Wertschätzung für positive Qualitäten im Allgemeinen.
- Skrupel – wir achten darauf, was wir tun, und deshalb werden wir davon Abstand nehmen, negativ zu handeln.
- Loslösung – wir halten nicht daran fest, dass wir unbedingt ungefragt unsere Meinung kundtun müssen und irgendetwas Blödes oder Sinnloses von uns geben oder jemanden anschreien müssen.
- Abwesenheit von Feindseligkeit
- Gewaltlosigkeit
- Beherzte Tatkraft – nachdrücklich und ausdauernd im konstruktiven Handeln, das heißt, ganz gleich, wie schwer es fällt, das letzte Stück Kuchen nicht zu essen – wir tun es nicht!
All diese Faktoren vermitteln uns den Eindruck eines glücklichen Geisteszustandes, nicht wahr?
Anuruddha nennt noch weitere Geistesfaktoren:
- Geistige Ausgewogenheit – die geistige Reife und Stabilität, die bewirkt, dass wir frei von Anhaften und Verabscheuen sind.
- Vergegenwärtigung – das geistige Bindemittel, das dafür sorgt, dass wir in einem bestimmten Geisteszustand verbleiben.
- Ruhe
- Lebhaftigkeit – das Gegenteil davon, benebelt oder schläfrig zu sein.
- Flexibilität – das Gegenteil von Sturheit und Arroganz; sie beseitigt Starrheit. Dieser Geistesfaktor beseitigt die Haltung, die sich beispielsweise in Verhaltensweisen ausdrückt wie: „Das ist mir egal, ob es dich verletzt, ich muss dir sagen, was für ein scheußliches Kleid du anhast.“ Das ist stur und arrogant. Das Gegenteil davon ist, flexibel zu sein.
- Einsatzfähigkeit – die Leistungsfähigkeit und Bereitschaft dazu, uns mit etwas Förderlichem zu beschäftigen. Sie ist das Gegenteil davon, geistige oder emotionale Blockaden zu haben. Wir sind bereit, zu tun, was getan werden muss. Zum Beispiel: „Ich bin bereit, mit der Hand ins Klo zu greifen, auch wenn es dreckig ist, um die Fliege herauszufischen, die da am Ertrinken ist.“ So etwas ist hier gemeint. Wenn wir keine geistigen oder emotionalen Blockaden haben, ist das ein viel glücklicherer Geisteszustand. Wenn man hingegen welche haben, hat man Befürchtungen, ist unsicher – das ist kein glücklicher Geisteszustand. Wenn wir Einsatzfähigkeit besitzen, denken wir: „Was ist denn schon dabei, mal in die Toilette zu fassen? Ich kann mir ja anschließend die Hände waschen. Das Leben der Fliege ist mir wichtiger.“
Ein anderes Beispiel für eine geistige Blockade könnte sein: Wenn jemand in einem See untergegangen ist und nicht mehr atmet und wir müssten eine Mund-zu-Mund-Beatmung machen, haben aber eine innere Barriere, weil die Person gleichgeschlechtlich ist oder wir sie hässlich finden. Wenn wir innerlich blockiert sind, den Mund auf den Mund dieser Person zu pressen, hält uns das davon ab, ihr zu helfen. Ohne die innere Blockade würden wir ihr unverzüglich helfen. Das ist dieses Gefühl, bereit und imstande zu sein, notfalls eine Mund-zu-Mund-Beatmung durchzuführen, ganz gleich, wer sie braucht. Die beiden letzten Faktoren sind:
- Ein Gefühl von Können – das Gegenteil davon, sich nichts zuzutrauen.
- Aufrichtigkeit – man ist ehrlich, heuchelt nicht und gibt nicht vor, Qualitäten zu haben, die man nicht hat, und verbirgt seine Schwachstellen nicht.
Es wird verständlich: „Wenn wir ruhig sind, Selbstvertrauen und ein Gefühl von Fähigkeiten haben, keine geistigen Blockaden, darauf achten, was wir tun und ein Gefühl für Werte besitzen, befinden wir uns sicherlich in einem glücklicheren Geisteszustand. Wenn wir diese Überzeugung haben, werden wir allmählich auch mehr und mehr von dem grundlegenden Gesetz des Karmas überzeugt sein, nämlich dass destruktives Verhalten zu Unglücklichsein und konstruktives Verhalten zu Glück führt. Diese kausale Beziehung gilt nicht, weil Buddha das alles geschaffen hat und solch ein Gesetz aufgestellt hat. Es ist auch nicht so, dass Glück eine Belohnung für konstruktives Handeln und Unglücklichsein die Strafe für destruktives Handeln wäre. Wir verstehen vielmehr auf wesentlich plausiblere Art, dass eine Verbindung besteht zwischen der Art unseres Verhaltens und unserer Erfahrung von Glück und Unglück.
Wenn wir den Vorgang verstehen, wie die karmische Hinterlassenschaft – die Tendenzen und Potenziale, die aus unserem Verhalten hervorgehen – sich bis in zukünftige Leben hinein fortsetzen können, erkennen wir, dass die Art, wie wir uns in diesem Leben verhalten, die Erfahrungen in zukünftigen Leben beeinflussen.
Zusammenfassung der anfänglichen Stufe der Motivation
Wir sehen: Wirklich eine Person der anfänglichen Ebene zu sein, ist keine geringfügige Errungenschaft. Wir sind dann vollkommen überzeugt, dass unser geistiges Kontinuum sich ohne Ende von einem Leben zum anderen fortsetzen wird. Wir sind vollkommen überzeugt, dass die Art und Weise, wie wir uns verhalten, unsere zukünftigen Erfahrungen beeinflussen wird. Wir erkennen, dass wir jetzt ein kostbares Menschenleben haben, in dem unser Verhalten nicht ganz und gar von Instinkten beherrscht wird wie bei einem Raubtier, das instinktiv zum Töten angetrieben wird, oder wie bei einem paarungsbereiten Hund, der alles anspringt. Wir haben die menschlichen Fähigkeiten der Intelligenz, zu unterscheiden, was förderlich und was schädlich ist, und die Fähigkeit, dementsprechend zu handeln. Und wir wissen auch, dass diese Gelegenheit nicht ewig bestehen bleibt, sondern wir sie verlieren, wenn wir sterben.
Nachdem wir gestorben sind, wird unsere Existenz sich fortsetzen. Es könnte sein, dass wir dann aufgrund von destruktivem Verhalten in einer Lebensform existieren, in der wir nicht die Fähigkeit haben werden, zwischen Hilfreichem und Schädlichem zu unterscheiden und instinktiv immer wieder destruktiv handeln. Das würde immer weiter Unglück und Leiden schaffen. Doch wir schlagen eine sichere Richtung ein, die durch die wahren Beendigungen und wahren geistigen Pfade angezeigt wird, eine Richtung, in der alle Leiden und dessen Ursachen beseitigt werden können. Also müssen wir dafür sorgen, dass wir weiterhin kostbare menschliche Leben haben.
Obwohl wir danach streben, störende Emotionen, den Mangel an Gewahrsein usw. loszuwerden, sind die Tendenzen dafür noch in unserem Geisteskontinuum vorhanden. wir haben zwar das Ziel, ihre wahre Beendigung zu erreichen, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt können wir Gier und Ärger usw. noch nicht völlig beseitigen. Doch zumindest können wir einen ersten Schritt in diese Richtung tun: Wenn zum Beispiel Ärger in uns aufsteigt und wir am liebsten jemanden anschreien würden, benutzen wir unsere Fähigkeit, zu unterscheiden, was förderlich und was nicht, und erkennen, dass Letzteres dazu führt, dass ich weiterhin unglücklich bin. Deswegen halten wir uns davon zurück, es auszuagieren.
Das ist die grundlegende geistige Struktur einer Person der anfänglichen Stufe. Wenn wir noch die verschiedenen Ursachen hinzufügen möchten, welche die Voraussetzungen vervollständigen, wieder eine kostbare menschliche Wiedergeburt zu erlangen, müssen wir großzügig, geduldig, ausdauernd usw. sein. Auch eine starke Verbindung zu unseren spirituellen Lehren wird Tendenzen schaffen, das zur Reife zu bringen und erneut herbeizuführen, wenn wir das Glück haben, wieder ein kostbares Menschenleben zu erlangen.
Zusätzlich gibt es Gebete. Dabei geht es darum, dass wir positive Kraft widmen: Wir möchten sie auf das Ziel lenken, wieder eine kostbare menschliche Wiedergeburt zu erlangen. Es gibt viele solche Gebete, zum Beispiel: „Möge ich in allen meinen Leben von kostbaren spirituellen Lehrern beschützt und geleitet werden.“ Das ist der Zusammenhang, in dem solche Gebete eine Rolle spielen.
Wenn wir es in diesem Leben erreichen können, tatsächlich eine Person der anfänglichen Stufe zu sein, sind wir spirituell erheblich auf dem buddhistischen Weg vorangekommen, Wir sollten nicht denken, dass das eine einfache, geringfügige Sache ist, denn es um ein aufrichtiges Verständnis und die entsprechende tiefe, von Herzen empfundene Überzeugung. Das ist eine große Errungenschaft. Und, wie gesagt, sind wir selbst die wesentlichen Zeugen dessen; wir können selbst am besten beurteilen und einschätzen können, ob wir wirklich so sind oder uns nur etwas vormachen.
Zusammenfassung
Man kann die Idee von verschiedenen Daseinsbereichen einfach als eine Art Fantasievorstellung abtun, aber wenn wir Fortschritte auf dem buddhistischen Weg machen wollen, ist es für uns von Belang, sie ernst zu nehmen. Wir können leicht verständliche Argumente heranziehen, um festzustellen, dass es Lebewesen gibt, die besser sehen und hören können als wir, und es gibt keinen Grund, warum es nicht auch Wesen geben kann, die mehr Genuss oder mehr Schmerz empfinden können als wir.
Wenn wir das begreifen und zudem zu der Überzeugung von der Gültigkeit von Karma gelangen, werden wir ganz natürlich dahin kommen, dass wir destruktive Handlungen vermeiden. Und nicht nur das, sondern wir werden Freude daran haben, uns konstruktiven Handlungen zu widmen, die uns glücklich machen und zu besseren künftigen Wiedergeburten führen.