Dem Leben eine Bedeutung geben
Nun werden wir mit dem Text weitermachen. Wir sind beim zweiten Vers.
(2) Höre zu mit klarem (Geist), o Glücklicher, dessen Geist sich auf den Pfad stützt, der die Siegreichen erfreut, indem er nicht an den Freuden der zwanghaften Existenz haftet und bemüht ist, diesem Leben, das mit Ruhepausen und bereichernden Faktoren ausgestattet ist, Bedeutung zu verleihen.
Die Freuden der zwanghaften Existenz beziehen sich auf die Tatsache, dass der Geist von uns normalen Menschen immer Sinnesfreuden hinterherjagt. Wir wollen uns immer gut fühlen und es ist, als wären wir völlig verliebt in den Genuss. Wenn die einzige Sache, nach der wir im Leben trachten, der Genuss ist, dann ist das ziemlich destruktiv. Sie ist der Grund dafür, wenn nichts wirklich Sinnvolles in unserem Leben passiert. Wir jagen einfach nur den Sinnesfreuden hinterher und sind völlig besessen davon, zu genießen und unsere Sinne zufriedenzustellen. Allerdings sind wir nie zufrieden. Unser ganzes Leben ist auf diese Weise völlig banal, denn auch Tiere tun nichts anderes. Darüber hinaus bringt uns das keinen inneren Frieden und wirkt auch nicht als ein Gegenmittel für Leid.
Sind wir ständig mit weltlichen Aktivitäten beschäftigt oder trachten nach Sinnesfreuden, führt das nur zu jeder Menge Problemen und Leiden. Es gibt einen großen Lama, der einen Text mit dem Namen: „Sich an die Unbeständigkeit erinnern“ verfasste. Laut ihm werden alle weltlichen Aktivitäten, mit denen wir beschäftigt sind, nie zu einem Ende kommen, bis wir uns selbst entscheiden, dass es jetzt reicht, denn sobald wir eine Aufgabe erledigt haben, kommt eine neue.
Es gibt buchstäblich kein Ende dieser Liste von weltlichen Aktivitäten, mit denen wir unser ganzes Leben verbringen können. Zuerst suchen wir nach einem Haus. Wir müssen genug Geld haben, um ein Haus zu kaufen und uns darum zu kümmern, also brauchen wir einen Job, der normalerweise einen Großteil unserer Zeit raubt. Haben wir dann unser Haus gekauft, müssen wir es einrichten und arbeiten weiter, um es erhalten zu können. Es gibt kein Ende und auch wenn wir ein Haus gefunden und bezahlt haben, ist das nicht das Ende unserer Aktivitäten. Wir müssen das Haus auch ständig saubermachen! Man kann dies ein wenig mit den Wellen im Ozean vergleichen, die eine nach der anderen kommen, ohne Ende. Unsere weltlichen Aktivitäten sind genauso, bis wir uns bewusst dafür entscheiden, ihnen ein Ende zu setzen. Tatsächlich werden wir keine Zufriedenheit in diesen weltlichen Aktivitäten finden.
Ist es nicht so, dass unser ganzes Leben, von der Kindheit bis jetzt, aus einer Aktivität nach der anderen, einem Problem nach dem anderen bestand? Sind wir klein, müssen wir etwas lernen, also gehen wir zur Schule. Uns wird gesagt, dass wir es tun müssen, um später einen guten Job zu bekommen. Später ist es schwierig mit einem Platz an der Universität. Haben wir unsere Ausbildung beendet, ist es wiederum nicht einfach, einen Job zu finden. Und wenn wir ihn gefunden haben, trachten wir nach immer mehr Geld und einer besseren Position. Haben wir es dann geschafft, sind berühmt und haben eine florierende Karriere, müssen wir den Ruhm und Reichtum beschützen, die wir geschaffen haben. Es gibt einfach kein Ende. Wir sind bestrebt, wie es im Text heißt, unser Leben mit Ruhepausen und bereichernden Faktoren sinnvoll zu gestalten, tun es jedoch auf völlig falsche Weise. Im Moment haben wir diese kostbare menschliche Wiedergeburt mit Freiheiten und Ausstattungen. Es ergibt nicht wirklich einen Sinn, nur ein gewöhnliches Leben zu führen, wie wir es gerade beschrieben haben. Ist es nicht so?
Wir alle haben unsere eigenen Ziele im Leben und niemand kann uns sagen, irgendetwas zu tun. Nicht einmal die Buddhas können uns zwingen, etwas zu tun. Es liegt an uns, unser Leben so zu leben, wie wir es für richtig halten. Doch nun geht es hier um destruktive Emotionen und darum, wie wir sie aufgeben. Werden wir, sobald die Diskussion vorüber ist, mit unserem normalen Leben weitermachen, nicht mehr an das denken, worüber wir gesprochen haben und tun, was uns beliebt, werden die Lehren natürlich nicht funktionieren. Es ist interessant, dass die meisten von uns die Bedeutung der Lehren sehr gut verstehen und sogar völlig mit ihnen einverstanden sind, doch dann, aus irgendeinem Grund, ihr Streben nach weltlichen Aktivitäten und Zielen trotz allem nicht aufgeben.
Entsagung: Die Entschlossenheit, frei von Samsara zu sein
Die Realität ist, dass es beim Erlangen von Befreiung und Erleuchtung nicht nur darum geht, die Nachteile unserer störenden Emotionen zu untersuchen und zu erkennen. Es ist auch notwendig danach zu streben, all die vortrefflichen Qualitäten des Geistes hervorzubringen. Sprechen wir über Entsagung, bedeutet dies auf der grundsätzlichen Ebene, aus Samsara befreit werden zu wollen. Im Tibetischen ist das Wort dafür nge-jung, wobei nge „definitiv“ und jung „herauskommen“ oder „heraustreten“ bedeutet. Im Tibetischen bezieht es sich also darauf, den Gedanken zu haben, definitiv aus Samsara, der unkontrollierbar sich wiederholenden Existenz, herauszukommen. Der große Meister Kedrub Je, einer der Hauptschüler Lama Tsongkhapas, sagte, dass die meisten Dharma-Praktizierenden in Wahrheit nicht über echte Entsagung verfügen. Meistens sind wir einfach nur ziemlich müde von Samsara und so lamentieren wir und beschweren uns darüber, haben aber keinen echten Geist der Entsagung kultiviert. Wir klagen über all die Probleme und denken, wie schön es wäre, aus Samsara herauszukommen, doch das ist keine echte Entsagung. Im Tibetischen haben wir dafür einen anderen Begriff, der einen klaustrophobischen oder überdrüssigen Geist beschreibt. Mit so einem Geist lehnen wir Samsara in gewissem Maße ab, doch das ist keine echte Entsagung. Aus diesem Grund ist es schwierig für uns, unser Streben nach weltlichen Aktivitäten aufzugeben.
Untersuchen wir, woher unsere Probleme kommen und wie sie genau entstehen, werden wir sehen, dass all unsere Probleme und negativen Emotionen mit unserem Konzept vom Selbst verbunden sind. In allem was wir denken oder tun gibt es immer dieses „Ich“ und „Mein“. Diese ganze Vorstellung von einem „Ich“, die wir haben, ist die Quelle all unserer Probleme, Konflikte und destruktiven Emotionen. Nehmen wir das Beispiel eines Streites oder nur einer hitzigen Diskussion. Wenn wir untersuchen, warum wir ein Problem mit einer anderen Person haben und beginnen zu analysieren, woher der Streit kommt, werden wir zu der Schlussfolgerung kommen, dass die andere Person diese furchtbare Sache gesagt hat, die wir einfach nicht hinnehmen und akzeptieren können. „Ich“ hatte also eine Abneigung gegenüber etwas und so ist der Konflikt entstanden. Diese Abneigung ist auf unser Gefühl eines „Ichs“ zurückzuführen.
Natürlich ist unser „Ich“ für uns so viel kostbarer als die andere Person. Da es so kostbar ist, ist es wichtig, was es empfindet und denkt, und daher lehnen wir es ab, wenn wir eine Sache nicht hinnehmen können, die eine andere Person gesagt hat. Es ist ganz einfach, doch so funktioniert es. Das zeigt, wie kostbar das Selbst für uns ist, das „Ich“ und das „Mein“. Untersuchen wir wirklich, woher unsere Probleme kommen, werden wir sehen, dass schlussendlich alles auf unser Missverständnis in Bezug auf das Selbst oder das „Ich“ zurückzuführen ist.
Die drei höheren Schulungen
Diese Arten von destruktiven Gedanken und Emotionen werden traditionell die drei Gifte genannt. Diese Drei sind sehnsüchtiges Verlangen, Feindseligkeit und mangelndes Gewahrsein. Untersuchen wir, was hinter ihnen allen steckt, so werden wir herausfinden, dass es dieses falsche Konzept vom Selbst ist. Wir müssen wirklich prüfen, ob es wahr ist, dass all unsere Probleme auf das Greifen nach einem Selbst und auf Selbstbezogenheit zurückzuführen sind. Das ist etwas, das wir erforschen müssen. Und eine Sache, die es wirklich zu verstehen gilt, ist, dass all die weltlichen Aktivitäten, mit denen wir unsere Zeit verbringen, uns nicht das Glück bringen, nach dem wir suchen. Nun befinden wir uns auf diesem Pfad und wollen herausfinden, wie wir die Ursache unserer Leiden aufgeben können. Im Buddhismus beginnen wir zuerst mit der Praxis ethischer Selbstdisziplin oder shila im Sanskrit.
Es gibt stufenweise Schritte auf dem Pfad für die Praxis von ethischer Selbstdisziplin. Am Anfang ist es notwendig, auf den gröberen Ebenen unserer destruktiven Emotionen, wie Wut und Anhaftung, zu arbeiten und zu versuchen, die Aktivitäten, welche die Konsequenzen dieser groben störenden Emotionen sind, aufzugeben. Dies tun wir, indem wir unseren Körper und unsere Rede schulen. Schließlich werden wir irgendwann realisieren, dass die destruktiven Emotionen weiter hochkommen werden, wenn unser Geist nicht zur Ruhe gekommen ist, auch wenn wir ihn auf den gröberen Ebenen kontrollieren können. An diesem Punkt ist es notwendig, den Geist zu beruhigen, indem wir Shamatha kultivieren, was den Geist durch das Entwickeln von Konzentration stabilisieren wird. Konzentration allein wird unseren Geist jedoch nicht völlig zur Ruhe bringen. Wenn wir Shamatha praktizieren, sind unsere destruktiven Emotionen verborgen und treten nicht zu Tage. Doch sobald wir aus unserer Shamatha-Sitzung herauskommen, treten die destruktiven Emotionen erneut an die Oberfläche. Um unsere Probleme vollständig zu lösen, benötigen wir Weisheit oder unterscheidendes Gewahrsein. Unterscheidendes Gewahrsein beruhigt nicht einfach nur die störenden, destruktiven Emotionen. Vielmehr erkennen wir mit unterscheidendem Gewahrsein die letztendliche Natur der Dinge und können unser Leiden wahrhaft und vollständig beenden.
Das sind die drei stufenweisen Schritte, die als die drei höheren Schulungen bekannt sind: die höhere Schulung in ethischer Selbstdisziplin, die höhere Schulung in Konzentration und die höhere Schulung in unterscheidendem Gewahrsein. Diese Drei sind, ganz unabhängig von der eigenen Religion oder dem eigenen Glauben, wirklich wichtig. Seid ihr intelligente Menschen und versteht, dass ihr wirklich glücklich sein und nicht leiden wollt, sind diese drei höheren Schulungen maßgebend. Ohne sie wird es äußerst schwierig sein, dem Leben wahrhaft einen Sinn zu verleihen.
Die höhere Schulung der ethischen Selbstdisziplin
Denken wir an ethische Selbstdisziplin und werfen einen Blick auf unser Familienleben, so gibt es immer irgendein Problem, auf das wir stoßen. Oft fühlen sich die Eltern belastet, die Kinder sind gestresst und in dieser Art der Umgebung werden wir nie glücklich sein, wie sehr wir es uns auch wünschen. Warum ist das so? Weil der Geist dieser Familienmitglieder zum Beispiel nicht in Geduld geschult wurde. Wäre einer von ihnen geduldig und locker, würde das auch den Geist der anderen beruhigen. Wenn Argumente hochkommen, müssen wir auf unseren Körper und unsere Rede achten – wir praktizieren die ethische Selbstdisziplin der Geduld und warten, dass sich die andere Person beruhigt. Wenn alle etwas ruhiger geworden sind, können wir uns hinsetzen und versuchen, Lösungen zu finden. Wollen wir Frieden in unserer Familie haben, ist es das, was wir tun müssen: Geduld kultivieren. Ansonsten ist es nicht möglich, Glück zu finden. Auf diese Weise werden wir schließlich immer in der Lage sein, Lösungen zu finden. Familienmitglieder können sich beispielsweise immer entscheiden, dass sie versuchen werden zu vermeiden, bestimmte Dinge zu tun oder versuchen, sich auf bestimmte Weise zu verhalten. Zusammen können wir Frieden und Glück innerhalb der Familie schaffen. Das ist im Grunde die Praxis der ethischen Selbstdisziplin und so können wir sie sogleich in unserem täglichen Leben in die Praxis umsetzen.
Die höhere Schulung der Konzentration
Die zweite der drei höheren Schulungen ist die Schulung in Konzentration. Sogar wenn ich meinem Partner verspreche, dass ich von nun an nicht mehr das tun werde, was ihn oder sie so sehr irritiert, weiß ich, dass ich es wieder tue, weil ich so starke Gewohnheiten habe. Daher bin ich mir bewusst, dass ich mein Gedächtnis nutzen muss – ich muss darauf achten, was ich tue oder sage – um mich daran zu erinnern, dass die andere Person verärgert oder unglücklich sein wird, wenn ich dies tue oder sage. Auf diese Weise können wir unseren Geist langsam schulen und ihn immer stabiler machen. Das ist die eigentliche Praxis der Konzentration.
Die höhere Schulung des unterscheidenden Gewahrseins
Was die dritte und wichtigste höhere Schulung in unterscheidendem Gewahrsein betrifft, so müssen wir versuchen, sie in unserem täglichen Leben in die Praxis umzusetzen. Wir können beobachten, wie fast alle Konflikte durch Abneigung entstehen, weil wir Abneigung gegenüber etwas empfinden, was gesagt oder getan wurde. Was wir tun sollten, ist, uns im Innern zu fokussieren. Anstatt im Außen zu suchen und die Aufmerksamkeit auf Probleme außerhalb von uns zu richten, sollten wir nach Innen gehen und prüfen, warum wir etwas nicht mögen. Es ist notwendig zu erkennen, wie diese ganze negative Kettenreaktion entsteht und alles daran liegt, wie unser Geist funktioniert, wie wir denken und wie die Gewohnheitsmuster des Geistes dazu geführt haben. Am Ende entdecken wir, dass alle Probleme aus unserem eigenen Geist kommen. Das ist Weisheit. Ich kann euch versichern, dass ihr nicht mehr solche Probleme in eurer Familie haben werdet, wenn ihr so vorgeht.
Unserem Leben einen Sinn geben
Mit den drei höheren Schulungen geht es dann darum, wie wir unserem Leben einen Sinn geben. Ich glaube wirklich, dass es von enormer Wichtigkeit ist, die drei höheren Schulungen zu verstehen und zu erkennen, dass sie nichts mit Religion zu tun haben. Es ist nicht realistisch zu meinen, jeder in dieser Welt könne ein Dharma-Praktizierender werden. Wir sind alle so verschieden, haben unterschiedliche Veranlagungen und unsere Geisteshaltung und die Ebenen unserer Intelligenz sind so anders. Diese drei höheren Schulungen – in ethischer Selbstdisziplin, Konzentration und unterscheidendem Gewahrsein – können jedoch für die gesamte Menschheit von Nutzen sein, wenn wir sie in der Praxis umsetzen. Wenn wir sie wirklich praktizieren, werden wir ein glückliches, friedliches und sinnvolles Familienleben haben. Das Wohlergehen der Familie breitet sich dann auf andere Menschen in unserem Wohnblock, Dorf oder Land aus. Auf diese Weise wird alles, was auch immer wir in unserem Leben tun, sogar innerhalb unserer eigenen kleinen Familie, sinnvoll werden, weil es Auswirkungen auf unsere weitere Umgebung hat. Daher glaube ich, dass diese drei höheren Schulungen für alle von Nutzen sind. Praktizieren wir sie, werden wir allen damit nutzen.
Diese Praxis der ethischen Selbstdisziplin bedeutet nicht unbedingt, Gelübde zu nehmen oder feierliche Versprechen vor einem Lehrer abzulegen. Jeder kann sich in ethischer Selbstdisziplin, Konzentration und unterscheidendem Gewahrsein üben. Der Text, den wir durchgehen, heißt „Die drei Hauptaspekte des Pfades“. Wie bereits erwähnt handelt es sich dabei um Entsagung, Bodhichitta und Leerheit, was die Bedeutung all der Lehren aller Buddhas umfasst. Wir sind Praktizierende, wir studieren Dharma-Texte und viele von uns verstehen die Bedeutung dieser Texte. Wenn wir verstanden haben, wie wichtig diese Lehren sind, werden wir uns auch bewusst darüber werden, wie sinnlos unsere täglichen Aktivitäten im Vergleich zu den Lehren sind, die uns auf dem Pfad führen und echten, wahren Nutzen für uns selbst und andere bringen können. Aufgrund dieser Denkweise wird ein starker Geist der Entsagung entstehen. Was uns oft fehlt, ist Bemühung, genauer gesagt, die Bemühung, die uns in die richtige Richtung lenken wird. Normalerweise fällt es uns recht leicht, uns für nutzlose Dingen abzumühen. Freudige Bemühung ist, wie gesagt, Freude daran, konstruktive Dinge zu tun. Verstehen wir wirklich den Nutzen konstruktiver Taten und die Nachteile destruktiver Taten, werden freudige Bemühung und Ausdauer ganz spontan entstehen. Bis dahin ist es fast unmöglich, freudige Bemühung hervorzubringen und wir mühen uns weiter ab, konstruktiv zu üben.
Unsere menschliche Intelligenz nutzen
Es ist wirklich wichtig, dass wir stets unsere Intelligenz nutzen und logisch sind. Gibt es beispielsweise ein Problem innerhalb der Familie, weil der Vater unter Stress steht und es schwierig ist, mit ihm zu reden, können wir ihn nicht einfach dazu zwingen und erwarten, dass die Dinge sich ändern werden. Aber vielleicht wissen wir, dass unser Vater dann und wann gern ein Glas Wein trinkt. Wir könnten ihm ein schönes Glas anbieten, was ihn wahrscheinlich erfreuen und seinen Geist etwas weniger negativ und ruhiger machen wird. Dann könnten wir langsam mit schwierigen Themen kommen, doch sollten geschickt vorgehen und unsere Intelligenz nutzen. Hier gilt es praktisch und weise zu sein.
Wenn ihr schon bei einigen Belehrungen wart, habt ihr wahrscheinlich gehört, dass gesagt wird, wir seien schon seit anfangsloser Zeit hier. Daher begleiten uns auch unsere Gewohnheiten schon seit anfangsloser Zeit und so können wir nicht erwarten, dass die Menschen sich einfach über Nacht ändern werden. In dieser Hinsicht müssen wir intelligent sein und sollten keine unrealistischen Erwartungen haben. Es wird Zeit brauchen. Sprechen wir davon, die Vor- und Nachteile unserer Handlungen zu analysieren, geht es nicht darum, etwas sofort richtigstellen zu können. Zunächst ist es notwendig, die Lehren zu verstehen und zu meditieren. Dann wird es alles einen Sinn ergeben.
Wir müssen also praktizieren und den Schritten folgen. Wir können nicht einfach von hier nach dort springen. Da wir hier gerade in Italien sind, werde ich das am Beispiel des Zubereitens von Pasta erklären. Stellt euch vor, ich komme aus Indien und will euch beibringen, wie man Pasta macht! Um gute Pasta zu kochen, muss man das Rezept dafür finden. Man muss darauf achten, wie viel Parmesan und wie viel Olivenöl man benutzt, und auch, wie lange man die Pasta kochen muss. Das Timing muss genau stimmen. Folgt man all den Schritten auf korrekte Weise, kann man fantastische Pasta machen. Das Wichtigste ist dann der Geschmack. Ist sie gelungen oder nicht? Andere Leute sagen vielleicht, es geht gerade so, auch wenn man selbst das Gefühl hat, dass sie wirklich köstlich ist. Bevor man Urteile fällt, muss man natürlich sicherstellen, dass man jeden Schritt des Rezeptes folgt. Die buddhistische Praxis ist genauso. Wir müssen all den Schritten folgen, um eine direkte Erfahrung zu haben. Wir können keine direkte Erfahrung des Dharma haben, solange wir die Schritte nicht kennen, den Pfad, der dorthin führt.
Wir haben über den Geist der Entsagung gesprochen, mit dem wir der bedingten Existenz ein Ende setzen wollen. Entsagung ist die Entschlossenheit, frei zu sein, mit einem Geist, der sich absolut gewiss ist. Davor sind wir uns einfach der samsarischen Existenz überdrüssig oder müde davon. Das muss zuerst geschehen. Indem wir unsere Intelligenz nutzen, erkennen wir, dass all die Aktivitäten, welche das Resultat von geistigen Störungen sind, uns in samsarischer Existenz, dem unkontrollierbar sich wiederholenden Zyklus des Leidens, gefangenhalten. Das wird uns zu dem Verständnis bringen, den Ursachen ein Ende zu setzen, die dazu führen, dass wir Leiden erfahren. Wir müssen also von destruktiven Handlungen ablassen und das ist die Praxis ethischer Selbstdisziplin, mit der wir die destruktiven Handlungen von Körper und Rede aufgeben. Doch um Leiden völlig zu überwinden, müssen wir auch unseren Geist zur Ruhe bringen. Dafür gilt es, den Geist wirklich stabil zu machen, indem wir uns in Konzentration üben. Zusätzlich dazu entwickeln wir dann unser unterscheidendes Gewahrsein. Das ist die Formel, um Samsara zu entkommen. Der gesamte Pfad der Buddhaschaft beginnt mit dem Geist des endgültigen Austritts, der Entschlossenheit, frei von Samsara zu sein. Der Moment, in dem dieser Geist hervorgebracht wird, ist der erste Moment des Pfades.
Der erste Hauptaspekt: Entsagung
Sehen wir uns nun den dritten Vers an.
(3) Da ein reges Interesse an den angenehmen Früchten des Ozeans zwanghafter Existenz ohne reine Entsagung keine Methode zum (Erlangen) des Friedens (der Befreiung) ist – begrenzte Wesen sind im Grunde völlig gefesselt von dem, was sie in zwanghaften Situationen finden – strebe zuerst nach Entsagung.
Im dritten Vers ist die Rede von reiner Entsagung. Warum gibt es hier das Wort „rein“? Um zwischen reiner Entsagung und der Entsagung zu unterscheiden, die mehr damit zu tun hat, einfach genug von unseren Problemen und dem Leiden in Samsara zu haben. Reine Entsagung ergibt sich aus unserem Verständnis, dass nicht einmal der Wunsch nach Befreiung, ganz zu schweigen von Buddhaschaft und Befreiung selbst, entstehen kann, wenn wir nicht verstehen, dass bedingte Existenz Leid bedeutet. Der allererste Schritt, den wir machen müssen, besteht darin, reine Entsagung mit einem ernsthaften Geist zu erzeugen, mit dem wir Samsara entsagen wollen.
Sich von der Besessenheit mit diesem Leben abwenden
(4) Indem du deinen Geist damit vertraut machst, dass du keine Zeit verschwenden solltest, wenn ein Leben mit Ruhepausen und Bereicherungen so schwer zu finden ist, wende dich von der Besessenheit mit den Erscheinungen dieses Lebens ab. Indem du immer wieder über die Probleme sich wiederholender Wiedergeburten nachdenkst und darüber, dass (die Gesetzmäßigkeit von) verhaltensbedingter Ursache und Wirkung unfehlbar ist, wende dich davon ab, auf die Erscheinungen künftiger Leben versessen zu sein.
Unabhängig davon, welche Aktivitäten wir ausführen, während wir nach weltlichen Zielen trachten, sie alle halten uns in sich wiederholender samsarischer Existenz gefangen. Die Methode, die wir für gewöhnlich anwenden, um nicht weiter der Fantasie weltlichen Glücks nachzujagen, besteht darin, über Unbeständigkeit oder Vergänglichkeit nachzudenken. Es gibt viele Möglichkeiten, über die Vergänglichkeit zu meditieren: grobe Vergänglichkeit, subtile Vergänglichkeit, Vergänglichkeit im Allgemeinen. Eine der besten Methoden ist, sich zu vergegenwärtigen, dass der Tod gewiss ist.
Wie Shantideva in „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ sagt, wollen wir alle glücklich sein, doch zerstören die Ursachen für Glück, als wären sie unsere Feinde. Niemand von uns will leiden, doch wir jagen den Ursachen des Leidens hinterher, als wären sie unsere liebsten Freunde. Wie ist es möglich, mit dieser Denkweise echtes Glück zu finden? Das ist die richtige Frage, die wir stellen sollten.
Die Wichtigkeit, über Vergänglichkeit nachzudenken
Es ist gut, zu Beginn an Vergänglichkeit zu denken. Vergänglichkeit ist ein überaus wichtiges Thema und wir sollten so oft wie möglich über sie kontemplieren. Die meisten von uns wollen gern eine Bodhichitta-Ausrichtung entwickeln und über Leerheit meditieren, doch dabei vergessen wir oft die Grundlagen des Pfades. Wie sehr wir uns auch bemühen Bodhichitta zu erzeugen, Verwirklichungen können nicht ohne eine starke Grundlage entstehen. Wenn wir ein Haus bauen wollen, brauchen wir ein Fundament. Haben wir kein Fundament, können wir nichts bauen. In ähnlicher Weise benötigen wir feste Grundlagen, wenn wir den Dharma praktizieren wollen. Die Meditation über Vergänglichkeit und das Erzeugen eines Geistes der Entsagung sind im Dharma eine feste Basis. Diese Grundlage, die wir benötigen, ist der Geist reiner Entsagung. Diesem Geist liegt unser Verständnis der Vergänglichkeit zugrunde.
Es ist wirklich von äußerster Wichtigkeit, über Vergänglichkeit nachzudenken und sie zu kontemplieren. Wir haben die Möglichkeit, Belehrungen von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama zu empfangen und das ist wunderbar. Fehlen uns jedoch die Grundlagen der Meditation über Vergänglichkeit, fallen wir gleich wieder in unser gewöhnliches Selbst zurück, sobald die Belehrungen vorbei sind, egal wie sehr wir auch danach streben, die Unterweisungen Seiner Heiligkeit zu hören oder wie entschlossen wir sind, wirklich zu praktizieren. Wir vergessen all unsere Bestrebungen und Entscheidungen. Warum? Weil wir keine feste Grundlage haben. Wir haben keine echte Erkenntnis in Bezug auf die Vergänglichkeit. Es heißt also:
(4) Indem du deinen Geist damit vertraut machst, dass du keine Zeit verschwenden solltest, wenn ein Leben mit Ruhepausen und Bereicherungen so schwer zu finden ist, wende dich von der Besessenheit mit den Erscheinungen dieses Lebens ab.
Hier geht es um die Erscheinungen – oder Fantasien – dieses Lebens. Manchmal haben wir diese romantische Vorstellung von der Praxis des Dharma, doch solange wir an den Erscheinungen dieses Lebens hängen, sind all unsere Bemühungen keine echte Dharma-Praxis. Die Praxis des Dharma muss auf einem Verständnis von Ursache und Wirkung beruhen. Wir sollten über vergangene und zukünftige Leben nachdenken und sie untersuchen. Wir müssen Gewissheit darüber erlangen, dass es vergangene und zukünftige Leben gibt. Denken wir nicht wirklich über zukünftige Leben nach, lassen diese ganze Vorstellung außer Acht und gehen einfach weiter, wird es ziemlich schwierig für uns sein, die Gesetze des Karma zu beobachten. Haben wir keine Gewissheit über die Existenz vergangener und zukünftiger Leben, wie soll es dann möglich sein, ein echtes Verständnis über die Gesetze von Ursache und Wirkung zu erlangen? Wir müssen verstehen, dass wir selbst dafür verantwortlich sind, was sich in unserem Leben abspielt und was uns in der Zukunft widerfahren wird. Es ist notwendig, die Verantwortung für dieses Leben und für zukünftige Leben zu übernehmen. All das hat etwas mit unserem Verständnis des Gesetzes von Ursache und Wirkung zu tun.
Vergangene und zukünftige Leben
Bevor wir wirklich verstehen können, wie die Gesetze des Karma funktionieren, müssen wir zunächst verstehen, wie und warum es frühere Leben gibt. Die korrekte Weise des Begründens der Existenz von vergangenen und zukünftigen Leben geschieht durch Begründungen, die im Einzelnen in Dharmakirtis „Kommentar zu Dignagas Kompendium des gültig wahrnehmenden Geistes“ erklärt wird. Genau genommen ist das keine einfache Thematik.
Auch für mich ist es nicht leicht, denn niemand fragt mich nach zukünftigen Leben, sondern nur, ob ich mich an meine früheren Leben erinnern kann! Viele Menschen fragen mich danach, aber ich erinnere mich nicht an sie. Ob man sich an vergangene Leben erinnert oder nicht, ist kein Beweis für die Existenz oder Nichtexistenz vergangener Leben. Nur weil wir uns nicht an sie erinnern, bedeutet nicht, dass sie nicht existieren.
Tatsächlich gibt es viele Kinder, die sich an ihre früheren Leben erinnern. Sie kennen die Namen ihrer Eltern aus ihren vergangenen Leben und es gibt mehrere bestätigte Fälle. Demnach haben einige Menschen die Fähigkeit, sich an ihre früheren Leben zu erinnern. Wird dies gegenüber Wissenschaftlern erwähnt, sagen sie vielleicht, dass diese Kinder psychische Störungen haben oder ihre Eltern ihnen irgendwelche Informationen zukommen lassen haben. Irgendwie können sie dies nicht wirklich als Beweis für die Existenz früherer Leben akzeptieren.
Wie dem auch sei, der eigentliche Punkt ist, zu verstehen, ob man den Geist mit dem Gehirn gleichsetzen kann. Ja oder nein? In den letzten Jahrzehnten gab es einige „Mind and Life“-Konferenzen, in denen Wissenschaftler im Großen und Ganzen versuchten herauszufinden, ob Geist und Gehirn dasselbe sind oder nicht. Heutzutage scheint es, dass einige Wissenschaftler nah dran wären zu behaupten, man könne sie nicht gleichsetzen. Würde die westliche Wissenschaft zweifelsfrei beweisen, dass es zwischen Geist und Gehirn keine Trennung gibt, dass Geist und Gehirn ein und dasselbe sind, würde dies besonders für uns Buddhisten ziemlich problematisch sein.
Es ist ziemlich wichtig, sich mit dieser Thematik zu befassen. Wissen wir jedoch nicht, wie wir es auf korrekte Weise mit Logik und Überlegung betrachten sollen und grübeln stattdessen nur herum und bleiben darin stecken, kann es passieren, dass unser Geist von Zweifeln überwältigt wird. Füllen wir unseren Geist mit all diesen Zweifeln, werden wir wahrscheinlich nicht sehr weit kommen. Im Grunde verlieren wir eine Menge Zeit, wenn wir erst einmal die tatsächliche Existenz vergangener und zukünftiger Leben begründen wollen, bevor wir beginnen zu praktizieren.
Dazu gibt es einen Vers von Shantideva, den Seine Heiligkeit oft rezitiert:
„Solange es Raum und so lange es fühlende Wesen gibt, möge auch ich bleiben, um das Leiden der Welt zu beseitigen.“
Ob wir nun an vergangene oder zukünftig Leben glauben oder nicht, es ist großartig, wenn wir diese Art der Motivation haben können. Sie ist etwas, das wir in unser Leben integrieren sollten. Dann können wir mit unserer Dharma-Praxis voranschreiten. Andernfalls bleiben wir vielleicht mit allerhand Konzepten, die uns nirgendwohin führen, irgendwo hängen.
Einmal habe ich in Dharamsala mit einem Freund debattiert. Es war ein Westler, der Buddhismus praktizierte und ziemlich groß und stark war! Wir begannen also zu debattieren und ich vertrat die Position, dass es vergangene und zukünftige Leben nicht gibt. Ich fuhr damit fort, verschiedene Gründe aufzuzählen, warum es keine vergangenen und zukünftigen Leben gibt und irgendwann wurde er ziemlich nervös. Er konnte keine rechte Begründung finden, um das Gegenteil zu beweisen. Für mich war es nur eine Debatte, doch er stand irgendwann auf und sagte: „Weißt du was? Was vergangene und zukünftige Leben betrifft, so verhält es sich genaus so, wie Buddha Shakyamuni es erklärt hat. Wenn ein Soldat in den Krieg zieht und einen Pfeil ins Auge bekommt, wird er sich nicht fragen, woher der Pfeil kam, sondern in erster Linie mit seinen Schmerzen kämpfen und daher...“ Er sagte mir, dass es am wichtigsten sei, ein gutes Herz zu haben und Diskussionen über vergangene und zukünftige Leben im Grunde keine Rolle spielten und auch nicht sehr hilfreich seien. Das fand ich richtig gut.
Überdruss versus Geist der Entsagung
Gut, machen wir weiter mit dem Text. Wir haben verstanden, dass wir, solange wir in Samsara gefangen sind, weder in diesem gegenwärtigen noch in allen zukünftigen Leben nicht einen einzigen Moment der Zufriedenheit oder echtes Glück finden können. Wir müssen also unbedingt den Geist der Entsagung hervorbringen, der frei von sich wiederholender, zwanghafter Existenz ist.
Es gibt einen Unterschied zwischen einem müden Geist und einem Geist der Entsagung. Ein Geist, der von der Existenz in Samsara müde und sich dessen überdrüssig ist, ist der erste Schritt. Wir verstehen die Nachteile von Samsara, doch der Geist ist nicht so stabil und manchmal finden wir Gefallen an den Erscheinungen Samsaras. Was sagt Lama Tsongkhapa?
(5) Wenn du aufgrund dessen, dass du dich auf diese Weise damit vertraut gemacht hast, keinen Augenblick lang mehr einen Geist hervorbringst, der Sehnsucht nach dem Gepränge wiederholten Samsaras hat, und du die Haltung entwickelst, Tag und Nacht reges Interesse an Befreiung zu haben, hast du Entsagung entwickelt.
Entsagung ist nicht ein Geist, der gelegentlich von Samsara angezogen und dann wieder müde davon ist, sondern ein Geist, der Tag und Nacht kontinuierlich die Absicht hat, nach Befreiung zu suchen. Haben wir Tag und Nacht diesen stabilen Geist der Entsagung, können wir sagen, dass es sich um reine Entsagung handelt. Dann ist sogar nachts, wenn wir schlafen und träumen, diese Absicht da, nach Befreiung zu suchen. Jemand, der Entsagung hervorgebracht hat, wird wie zuvor seinen Aktivitäten des Lebens folgen, doch er oder sie wird nicht mehr an irgendetwas in der weltlichen Existenz hängen. Wir müssen diesen stabilen Geist der Entsagung haben.
Entsagung heißt nicht, alles aufzugeben
Es gibt ein paar äußerst wichtige Punkte in Bezug auf die Entsagung, denn viele Leute haben eine falsche Vorstellung davon und denken, man müsste alles aufgeben. Der Geist der Entsagung, der nicht an den Erscheinungen und Fantasien dieses und zukünftiger Leben hängt, hat nichts damit zu tun, gewöhnliche Dinge aufzugeben. Es handelt sich dabei auch nicht um einen Geist, der verzichtet und die Dinge nur akzeptiert, wie sie sind. Keineswegs. Mit Entsagung, der Entschlossenheit, frei zu sein, machen wir damit weiter, was wir gerade tun, doch wir lassen jegliche Fantasien darüber los, irgendwelche Freuden und Glück in weltlichen Dingen zu finden. Wir sind uns darüber bewusst, dass man endgültiges Glück finden kann und im Vergleich dazu sind alles anderen Erfahrungen völlig wertlos und ohne jeglichen Sinn. Dieser Geist ist also überhaupt nicht resigniert, sondern sehr entschlossen.
Ich erinnere mich nicht an den ganzen Vers, aber einmal wurde Nagarjuna gefragt: „Meister, wer ist der reichste Mensch von allen?“, worauf Nagarjuna erwiderte, der reichste Mensch sei jener, der vollkommen zufrieden und frei von Anhaftung ist.
Für heute ist die Zeit um und wir haben lediglich den ersten Hauptaspekt des Pfades, die Entsagung, behandelt, die Entschlossenheit, frei von zwanghafter samsarischer Existenz zu sein. Morgen werden wir über die anderen zwei Hauptaspekte, eine Bodhichitta-Ausrichtung und eine korrekte Sicht der Leerheit, sprechen.