22 Punkte, die man üben sollte

Punkt 7

Der letzte Punkt, Nummer 7, umfasst 22 Unterpunkte, in denen wir uns üben, unsere Geisteshaltungen zu reinigen.

(1) Übe alle Yogas mit einem.

All unsere Handlungen sollten mit der  Absicht ausgeführt werden, anderen helfen zu können. Ein in Indien häufig zitiertes Beispiel, wo Menschen oft von Würmern geplagt werden, ist folgender Wunsch: „Wenn ich esse, möge ich die Mikroorganismen in meinem Körper nähren.“ Auch wenn wir diese Art von Motivation nicht während der gesamten Mahlzeit aufrechterhalten können, ist es gut, das Essen damit zu beginnen. Deshalb ist der Widmungsvers von Nagarjuna sehr hilfreich: „Ich nehme diese Nahrung nicht aus Anhaftung und Gier zu mir, sondern als Medizin, um anderen zu helfen.“

(2) Erledige das Zurückweisen von allem Verdrehten mit der einen.

Dies kann auf verschiedene Weise erklärt werden. Zum einen können wir uns von allen störenden Emotionen durch Tonglen befreien, indem wir die störenden Emotionen und Leiden anderer auf uns nehmen. Dies bedeutet nicht, dass wir selbst wütender werden, wenn wir die Wut anderer auf uns nehmen. Wie in allen Tonglen-Unterweisungen beschrieben wird, halten wir das, was wir von anderen übernehmen, nicht in einer soliden Weise in uns fest, sondern nutzen vielmehr unsere Fähigkeit, diese Dinge zu überwinden.

Es kann hilfreich sein zu verstehen, dass es ein gutes Zeichen ist, wenn unsere störenden Emotionen hochkommen, denn um all unsere versteckten störenden Gefühle loszuwerden, müssen sie erst an die Oberfläche kommen. Wir lassen all unsere unterdrückte Wut an die Oberfläche kommen, damit wir uns von ihr befreien können. Es ist in etwa so wie mit der Shine-Praxis. Zu Beginn, wenn wir versuchen zur Ruhe zu kommen, bemerken wir mehr und mehr, wie unser Geist wandert. Tatsächlich ist es nicht so, dass plötzlich mehr in unserem Geist los ist, sondern wir haben vorher einfach nie darauf geachtet. In ähnlicher Weise entdecken wir eine Menge Wut und Anhaftung, wenn wir unsere Geisteshaltungen schulen und damit beginnen, unseren Geist zu beobachten, die wir zuvor nie so recht bemerkt hatten. Das ist ein sehr gutes Zeichen.

(3) Führe am Anfang und am Ende die beiden Handlungen aus.

Die zwei Handlungen sind, am Anfang die Absicht zu haben, anderen zu helfen und am Ende die positive Kraft zu widmen. Das kann man wieder anhand der Geschichte mit Geshe Ben Küngyal und seinen schwarzen und weißen Steinen beschreiben. Sobald wir morgens aufwachen oder bevor wir etwas Schwieriges unternehmen, sollten wir die feste Absicht bekräftigen, andere wertzuschätzen und nicht selbstisch zu sein. Am Ende des Tages prüfen wir dann, wie wir dabei abgeschnitten haben. Wir widmen das positive Potential unserer konstruktiven Handlungen, bereuen die negativen Handlungen und reinigen uns von ihnen.

(4) Welche der beiden auch immer erscheint, handle geduldig.

Egal ob wir glücklich oder unglücklich sind, ob die Umstände günstig oder ungünstig sind, wir sollten geduldig sein und fortwährend den anderen Glück wünschen und ihre Schwierigkeiten auf uns nehmen. Wenn die Dinge gut laufen ist es wichtig, nicht stolz, arrogant oder selbstzufrieden zu sein. Und wenn es gerade nicht so gut läuft, sollten wir nicht depressiv werden und denken, wir würden nichts zustande bekommen. Wenn wir Geld haben, sollten wir es benutzen, um tatsächlich etwas für andere zu tun. Und wenn wir nichts haben, können wir zumindest in unserer Vorstellung etwas geben. In beiden Fällen können wir Tonglen üben.

(5) Beschütze die zwei auf Kosten deines Lebens.

Dies bezieht sich auf die Verpflichtungen, die wir eingehen, besonders auf die eng-bindenden Praktiken zur Schulung unseres Geistes. Wir sollten sehr darauf achten, sie zu beschützen; die Schriften sagen, sogar auf Kosten unseres Lebens. Daher ist es sehr wichtig, die buddhistischen Gelübde zu überprüfen, denn viele Menschen stürzen sich in fortgeschrittene Praktiken und Initiationen, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, welche Verpflichtungen damit einhergehen und ob sie dazu in der Lage sind, sie einzuhalten. Sie tun das, weil alle anderen es auch tun und weil sie „fortgeschrittene“ Praktizierende sein wollen.

Bevor wir die Meister um fortgeschrittene Praktiken bitten, sollten wir uns unsere eigenen moralischen Grundsätze anschauen. Sind wir tatsächlich dazu in der Lage, Selbstdisziplin zu üben? Können wir Verpflichtungen einhalten? Wenn dem nicht so ist, sollten wir ganz einfach nicht um fortgeschrittene Praktiken bitten. Manche Menschen machen beispielsweise einmal in der Woche die Chenresig-Puja, aber mühen sich damit ab und haben eigentlich gar keinen großen Enthusiasmus dafür. Doch wenn dann ein hoher Lama kommt, sind sie sehr begierig, jede große Initiation zu nehmen, die gerade gegeben wird, egal wie lang die dazugehörige tägliche Sadhana ist. Wenn wir uns mit einer Praxis abmühen, die wir einmal pro Woche machen, wie soll es dann mit einer täglichen Praxis klappen?

(6) Übe dich in den drei schwierigen Dingen.

Wenn störende Emotionen aufkommen, gibt es drei Schwierigkeiten. Die erste ist, die Emotion zu erkennen und sich zu erinnern, durch welche Gegenkräfte sie sich beseitigen läßt. Die zweite besteht darin, die Gegenkräfte tatsächlich anzuwenden. Die dritte ist, Vergegenwärtigung der Gegenkräfte zu bewahren, damit die störenden Emotionen nicht weiter entstehen. Mit anderen Worten müssen wir das kontinuierliche Auftauchen von störenden Emotionen, wie Wut und Gier, sowie von störenden Geisteshaltungen, wie Selbstsucht, unterbrechen.

(7) Nimm die drei Hauptursachen.

Die drei Hauptursachen sind die Ursachen, die es uns erlauben, diese Schulung unserer Geisteshaltungen zu üben. Die erste ist, einem spirituellen Lehrer zu begegnen, der uns die Lehren vermittelt und uns dazu inspiriert, ihnen zu folgen. Die zweite Ursache ist, die Lehren tatsächlich zu praktizieren. Die dritte Ursache besteht darin, günstige Umstände zum Praktizieren der Lehren zu haben. Günstige Umstände bestehen grundsätzlich darin, mit einfachem Essen, einer schlichten Behausung, einfacher Kleidung usw., zufrieden zu sein und sich keine Sorgen darüber zu machen, was man noch alles für sich bekommen kann. Wenn wir beispielsweise ausreichend Geld verdienen, sollten wir uns damit zufrieden geben, statt immer mehr haben zu wollen, und so können wir unsere Energien dann dafür einsetzen, anderen zu helfen.

(8) Meditiere über die drei nicht-verfallenden Dinge.

Die erste Sache, die nicht verfällt oder weniger wird, ist die Überzeugung in die guten Eigenschaften unseres Lehrers und die Wertschätzung seiner oder ihrer Güte. Wenn wir diese Überzeugung haben, überträgt sie sich auf alle anderen. Wir werden fähig sein, die guten Eigenschaften anderer Menschen zu erkennen und Respekt ihnen gegenüber haben. Außerdem werden wir die Güte der anderen wertschätzen – auch dann, wenn sie uns nicht in direkter Weise helfen. Sie tun einfach dadurch etwas für uns, indem sie da sind, damit wir ihnen helfen können.

Ein großes Hindernis zur Entwicklung von Bodhichitta besteht darin, auf andere herabzuschauen. Wir sehen nur ihre schlechten Eigenschaften und denken, wir seien besser als sie. Wenn beispielsweise ein großer Gelehrter oder ein großer Professor sehr gebildet, aber auch sehr arrogant ist, wird sein Wissen niemandem wirklich nutzen – nicht einmal ihm selbst, geschweige denn den anderen. Alle werden sich von seinem Stolz abgestoßen fühlen und niemand wird ihm zuhören wollen. Wenn wir die Gedanken und Meinungen anderer Menschen voller Stolz und Arroganz von uns weisen, sind wir nicht offen dafür, von irgendjemandem etwas zu lernen. Wir zwingen anderen unsere Vorstellungen auf, auch wenn sie falsch sind, und weisen die Ratschläge der anderen zurück. Wenn wir dagegen bescheiden sind und anderen zuhören, können wir sogar von Menschen mit wenig Bildung, wie etwa von Kindern, etwas lernen. Wenn wir die guten Eigenschaften sehen und Güte wertschätzen, sind wir offen dafür, von allen zu lernen. Das Gegenteil wäre, die Worte anderer Menschen zu ignorieren und zurückzuweisen, nur um unseren eigenen Standpunkt zu schützen oder zu verteidigen.

Die zweite Sache, die nicht verfällt, ist unsere Bereitschaft zu praktizieren. Es ist also von Beginn an wichtig, nicht das Gefühl zu haben, uns würde diese Übung der Wertschätzung anderer aufgezwungen werden. Wir sollten nicht denken: „Ich muss das tun, um ein guter Mensch zu sein. Wenn ich es nicht tue, bin ich ein schlechter Mensch“. Wenn Menschen zu etwas gezwungen werden, rebellieren sie meistens und machen das Gegenteil. Wenn wir wirklich über die Vorteile des Wertschätzens anderer und die Nachteile der Selbstbezogenheit nachdenken, werden wir auf ganz natürliche Weise großen Enthusiasmus für die Praxis haben und werden sie gern ausüben wollen.

Die dritte Sache, die nicht verfällt, bezieht sich darauf, unseren Verpflichtungen und eng-bindenden Praktiken in einer stabilen und stetigen Weise nachzukommen.

(9) Besitze die drei Untrennbaren,

Hier geht es darum, sich mit Körper, Rede und Geist gewissenhaft und hingebungsvoll der Praxis zu widmen, mit der wir anderen helfen und an sie denken. In Bezug auf den Körper bedeutet das, nicht zappelnd dazusitzen, sondern eine aufmerksame und gesammelte Haltung zu haben. Was die Rede betrifft, sollten wir nicht ununterbrochen irgendwelchen Unsinn reden, sondern sie darauf richten, anderen zu helfen. Der Geist sollte voller Gedanken sein, wie wir anderen helfen können, statt alle möglichen verrückten Ideen zu haben. Was immer wir auch tun und ob wir es mit Körper, Rede oder Geist tun, es sollte eine Verbindung zu etwas Konstruktivem geben.

Die Tibeter sagen, dass man nicht wie ein Ochse schlafen gehen sollte, der einfach auf den Boden fällt. Vielmehr ist es ratsam, vor dem Schlafengehen drei Niederwerfungen zu machen und damit unsere sichere Ausrichtung im Leben und unsere Bodhichitta-Ausrichtung neu bekräftigen. Wenn wir die Bestrebung haben: „Möge mein Schlaf dazu dienen, mit frischem Elan weiter in dieser Richtung zu gehen“, dann kann sogar etwas wie unser Schlaf zu einer außergewöhnlichen Handlung werden.

(10) Handle rein, ohne Parteilichkeit gegenüber den Objekten.

Dies ähnelt dem, was vorher in Bezug auf die dritte eng-bindende Praxis in Punkt 6 gesagt wurde: man sollte mit allen üben, nicht nur mit unseren Freunden und Verwandten. Das bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern auch auf Tiere. Manche Menschen können sehr liebevoll gegenüber Katzen und Hunden sein, aber diese fürsorgliche Geisteshaltung nicht auf Insekten oder Nagetiere übertragen. Das ist Parteilichkeit, oder Voreingenommenheit. Wir sind nur zu den Tieren nett, die wir mögen, aber abweisend und feindselig gegenüber jenen, die wir nicht mögen.

Das ist schwierig, doch wenn es uns darum geht, alle Wesen zur Erleuchtung zu führen, ist es sehr wichtig zu verstehen, dass kein Wesen eine eigene, andauernde Identität in Bezug auf den bestimmten Wiedergeburtszustand hat, in dem es sich gerade befindet. Niemand ist von Natur aus ein menschliches Wesen, eine Kakerlake, eine Frau oder ein Mann. Wir alle haben ein geistiges Kontinuum, das anfangslos ist und haben, abhängig von unserem Karma unzählige Wiedergeburtszustände erlebt. Natürlich müssen wir auf einer konventionellen Ebene mit anderen entsprechend ihrer jetzigen Ebene umgehen – sei es die eines Menschen, eines Hundes, oder einer Kakerlake – aber auf einer tieferen Ebene wissen wir, dass sie alle gleichermaßen die Buddha-Natur haben. In unserem letzten Leben sind sie vielleicht unsere Mutter gewesen und sie könnten es auch im nächsten Leben sein. Auf diese Weise können wir damit anfangen, unsere Praxis auf alle Wesen auszudehnen.

Der Wunsch, andere wertzuschätzen und ihnen von Nutzen zu sein, sollte mit einem Verständnis des anfangslosen Geistes und der Buddha-Natur einhergehen. Das ist der Grund, weshalb wir diese Praxis des Wertschätzens anderer und der Überwindung unserer Selbstbezogenheit damit beginnen, Gleichmut zu entwickeln, indem wir alle als unsere Mutter betrachten. Damit kommen wir zurück zur Grundlage des anfangslosen Geistes und zur Tatsache, dass alle, aus dieser Perspektive gesehen, gleich sind.

(11) Schätze es, das weite und tiefe Training allem gegenüber (anzuwenden).

Unsere Geisteshaltungen zu schulen bedeutet, es allem gegenüber anwenden  – sowohl Wesen, als auch unbelebten Objekten. Wir sollten es nicht nur vermeiden, auf Menschen wütend zu werden, sondern wir sollten uns auch nicht über das Auto ärgern, wenn es nicht anspringt oder über den Bus, wenn er Verspätung hat. Wir sollten nicht nur Menschen gegenüber keine Anhaftung entwickeln, sondern auch nicht gegenüber dem Eisbecher und dem Geld. Dies alles sollte aus der Tiefe unseres Herzens kommen und nicht rein oberflächlich sein.

(12) Meditiere immer über die, die (als Nahestehende) ausgesondert wurden.

Es ist wichtig, diese Praktiken im Umgang mit unseren Eltern und mit den Menschen, mit denen wir zusammenleben, anzuwenden. Oft üben sich Menschen in Meditation, um Gefühle der Liebe für alle Wesen zu entwickeln, aber kommen nicht einmal mit ihren eigenen Eltern zurecht! Dieser Punkt ist sehr wichtig und es ist notwendig, in diesem Bereich große Anstrengungen zu unternehmen. Wir müssen einerseits mit den Menschen üben, die uns nahestehen, und andererseits mit jenen, von denen wir uns vom ersten Augenblick an angezogen oder abgestoßen fühlen, da wir eine starke karmische Verbindung mit ihnen haben.

(13) Sei nicht abhängig von anderen Bedingungen.

Was auch immer geschieht, es ist wichtig, an den eigenen Geisteshaltungen zu arbeiten. Wenn wir auf die perfekten Umstände für die Praxis warten, werden wir wahrscheinlich ewig warten. Ein großer tibetischer Meister sagte: solange alles gut läuft, zeigen sich die Menschen von ihrer spirituellen Seite; erst wenn es ihnen schlecht geht, kann man ihr wahres Gesicht sehen. Alles ist schön und einfach, wenn die Dinge gut laufen. Doch wenn die Situation kippt, werden die Menschen depressiv und gehen sich betrinken, statt sich der Praxis zuzuwenden. Egal wie die Dinge laufen, es ist wichtig, beständig in der Praxis zu sein.

Wie Nagarjuna sagte, können wir nicht aus Samsara herausgezogen werden, wie ein Fisch von einem Angler aus dem Fluss gezogen wird. In gleicher Weise können wir nicht von großen Lamas und Buddhas aus schwierigen Situationen befreit werden, aber sie können uns helfen und inspirieren. Sie können nicht einfach mit den Fingern schnipsen und unsere Selbstbezogenheit und Probleme verschwinden lassen. Vielmehr müssen wir auf unseren eigenen Füßen stehen und uns selbst bemühen. Wenn wir nichts tun und einfach erwarten, dass der Guru alles für uns tut, wird nicht viel passieren.

(14) Übe vor allem jetzt.

Ein Lama drückte es einmal so aus: wir sollten keine professionellen Samsara-Touristen sein und denken, wir hätten alle Zeit der Welt, um uns umzusehen und alles auszuprobieren. Das ist nicht der Fall! Es ist notwendig jetzt zu versuchen, an unseren Geisteshaltungen zu arbeiten, uns zu bemühen, Bodhichitta zu entwickeln und Erleuchtung zu erlangen.

Es ist hilfreich sich vorzustellen, wir wären nur auf einem Kurzurlaub hier, sozusagen auf Ausgang aus den niedrigeren Bereichen – wir haben kurz frei bekommen von unserem Leben als Kakerlake oder als Hund, und daher sollten wir die Zeit effizient nutzen. Unser zentrales Interesse sollte dem Dharma gelten und dem Versuch, unsere Selbstbezogenheit zu überwinden, anstatt weltlichen Zielen zu folgen, die unsere Selbstsucht nur steigern.

Wir sollten auch an künftige Leben denken, doch die wenigsten von uns tun das und glauben nicht einmal daran. Wenn wir jetzt üben und keine wirklichen Fortschritte machen, sind wir schnell entmutigt. Dann hören wir etwas über Tantra und das wir in einem Leben Erleuchtung erlangen können, und das ist natürlich sehr verlockend! Doch die Mehrheit der Menschen, die Tantra praktizieren, werden es nicht schaffen, in diesem Leben Erleuchtung zu erlangen, denn das geschieht sehr selten. Wir können es anstreben, sollten jedoch nicht denken, unsere Chance wäre für immer verloren, wenn wir es nicht schaffen. Vielmehr wollen wir unsere Praxis von einem Leben zum nächsten fortzuführen. Es geht nicht darum, in diesem Moment alles oder nichts zu bekommen. Dafür benötigen wir ein korrektes Verständnis davon, was im Buddhismus mit „zukünftigen Leben“ gemeint ist und das ist nicht so einfach zu verstehen.

(15) Habe kein verkehrtes Verständnis.

Sechs Arten von verkehrtem Verständnis sollten wir vermeiden:

Verkehrtes Mitgefühl – statt Mitgefühl mit jenen Menschen zu haben, die schön gekleidet sind, aber destruktiv handeln, haben wir Mitgefühl mit Praktizierenden in einfacher Kleidung, die jedoch konstruktiv handeln. Wir denken: „Oh, diese armen Menschen, die in Höhlen meditieren und nichts zu essen haben!“ Natürlich ist es gut, ihnen etwas zu essen zu geben. Doch die Menschen, die wirklich Schwierigkeiten haben, sind die reichen Geschäftsleute, die herumgehen und alle betrügen. Sie verhalten sich auf eine Weise, die ihnen immer mehr Leid bringen wird; der Meditierende hingegen arbeitet an seinem zukünftigen Glück und letztendlich daran, Befreiung zu erlangen. Es gibt eine Geschichte über drei reiche Schwestern, die Milarepa begegneten und sagten „Oh, du tust uns so leid!“, woraufhin Milarepa erwiderte; „Nein, eigentlich tut ihr mir leid; ihr seid die wahren Objekte des Mitgefühls, nicht ich.“

Verkehrte Geduld – hier geht es darum, geduldig und tolerant gegenüber unseren störenden Geisteshaltungen und unserer Selbstsucht zu sein, anstatt gegenüber jenen, die wütend auf uns sind. Viele Menschen haben nicht die Geduld, in einem Dharma-Vortrag zu sitzen oder eine Meditationsübung zu machen, jedoch können sie stundenlang in eisiger Kälte wegen Karten für ein Rockkonzert anstehen. Das ist verkehrte Geduld.

Verkehrte Absicht – hier liegt unsere Hauptabsicht darin, weltliche Gewinne zu machen – Geld, Sinnesfreuden und so weiter – statt nach innerem Frieden zu suchen.

Verkehrter Geschmack – beispielsweise möchte man ferne exotische Länder bereisen, oder außergewöhnliche Drogen und Sex ausprobieren, statt einen Geschmack von spiritueller Erfahrung zu bekommen, indem man Lehren hört, über sie nachdenkt und meditiert.

Verkehrtes Interesse – anstatt andere zu ermutigen, sich für spirituelle Praktiken zu interessieren, raten wir ihnen, noch mehr Geld mit dem Geschäft zu verdienen, usw.

Verkehrte Freude – hier geht es darum, sich nicht an den positiven Handlungen zu erfreuen, die wir selbst und andere ausführen, sondern uns freuen, wenn unser Feind oder jemand, den wir nicht mögen, in Schwierigkeiten gerät oder Probleme hat.

(16) Setze nicht zeitweilig aus.

Das bedeutet, an einem Tag zu üben und am nächsten nicht. Es ist wichtig, stetig zu sein. Auch sollten wir nicht einfach zur nächsten Praxis übergehen, wenn uns eine Praxis nicht leicht fällt, sondern vielmehr beständig sein, wie ein großer Fluss.

(17) Übe entschlossen.

Wenn wir daran arbeiten wollen, unsere Selbstsucht zu überwinden, sollten wir es auf direkte, geradlinige Weise tun. Meine Mutter sagte immer: „Handle direkt heraus und schweife nicht ab.“ Wir sollten nicht die Einstellung haben, einerseits praktizieren zu wollen, aber uns andererseits nicht viel darum zu kümmern. Wir sollten direkt ins Herz der Praxis gehen und nicht einfach nur damit herumspielen.

(18) Befreie dich selbst sowohl durch Untersuchung als durch genaue Prüfung.

Es ist wichtig, sowohl auf der groben, als auch auf der feinen Ebene genau zu prüfen, ob wir unsere Geisteshaltungen geändert haben. Unterdrücken wir unsere Selbstsucht nur, oder haben wir sie wirklich ausgemerzt. Eine andere Bedeutung ist, die Lehren nicht auf oberflächliche Weise zu untersuchen. Wenn wir sie auf generelle und sorgfältige Weise betrachten, werden wir eine klare Vorstellung davon haben, was getan werden muss, und dann können wir es ohne zu zögern tun.

(19) Meditiere nicht mit einem Gefühl des Verlustes.

In unserer Praxis üben wir oft, etwas in unserer Vorstellung darzubringen, doch wenn dann im wahren Leben Menschen etwas von uns bekommen wollen, halten wir an unseren Dingen fest. Das nennt man dann, Praktizieren mit einem Gefühl des Verlustes. Wenn wir etwas geben, gehören die Dinge nicht mehr uns, sondern den anderen. Als ich in Indien lebte, hatte ich einen wunderschönen Blumengarten und in meiner Meditation brachte ich allen Blumen dar. Doch dann merkte ich, wie ich sehr nervös wurde, wenn Kinder aus dem Ort kamen und die Blumen pflückten, um sie mit sich nach Hause zu nehmen. Dies ist es, was mit einem „Gefühl des Verlustes“ gemeint ist.

Auch sollten wir andere nicht daran erinnern, welche Gefallen wir ihnen getan, oder welche Opfer wir auf uns genommen haben, um ihnen zu helfen. Und noch wichtiger ist es, nicht mit unserer Praxis anzugeben, indem wir beispielsweise herumerzählen, dass wir 100.000 Niederwerfungen oder irgendwelche anderen Praktiken gemacht haben. Wir bauen positive Kraft auf, wenn wir Niederwerfungen machen, nicht wenn wir anderen davon erzählen. Wenn wir ein langes Retreat machen und dann nach unserer Rückkehr auf unsere alten Freunde herabschauen und sie als „arme, bedauernswerte Kreaturen in Samsara“ betrachten, ist irgendetwas schief gelaufen! Wir sollten einfach in einer ehrlichen Weise praktizieren, ohne uns selbst zu bemitleiden oder aufgeblasen zu werden.

(20) Lasse dich durch Überempfindlichkeit nicht einschränken.

Es ist wichtig, nicht bei der geringsten Provokation wütend zu werden. Vielmehr müssen wir dazu in der Lage sein, auch in der Öffentlichkeit, Beleidigungen wegzustecken. Shantidevas Ratschlag hierzu lautet, ruhig zu bleiben, wie ein Baumstamm, auch wenn uns jemand anschreit. Irgendwann werden der anderen Person keine scheußlichen Dinge mehr einfallen, die sie uns sagen könnte, ihr wird langweilig werden und schließlich wird sie damit aufhören. Allerdings sollte dies mit einer reinen Motivation getan werden, ohne darüber nachzudenken, wie wir ihr das später heimzahlen können.

(21) Handle nicht nur über einen kurzen Zeitraum hinweg.

Das bedeutet, nicht wankelmütig zu sein und ständig seine Meinung zu ändern. Das kleinste Lob macht uns glücklich und wenn uns jemand schief anschaut, sind wir zutiefst betrübt. Wenn wir uns so verhalten, werden uns andere als labil und unsicher ansehen, und auf diese Weise wird es unsere Fähigkeit einschränken, ihnen zu helfen. Shantideva gibt dazu den besten Ratschlag: sei locker im Umgang mit anderen; verbringe nicht den ganzen Tag mit Gerede und unnötigem Geschwätz, aber sei auch nicht vollkommen verschlossen. Wenn wir mit den Menschen, mit denen wir zusammenleben, nicht reden, kann das störender sein, als laut Musik aufzudrehen. Es ist gut, flexibel zu sein; so werden wir dazu in der Lage sein, unser gesamtes Leben lang zu praktizieren, nicht nur für eine kurze Zeit.

(22) Wünsche dir nicht (irgendeinen) Dank.

Wie vorher bereits erwähnt, sollte man keine Wertschätzung oder Anerkennung dafür erwarten, wenn man etwas für andere getan hat. Dazu gehört auch, die acht weltlichen Dharmas zu vermeiden, die aus vier Gegensatzpaaren bestehen:

  • Wir sind begeistert, wenn wir etwas bekommen und betrübt, wenn wir etwas verlieren
  • Wir sind begeistert, wenn es gut läuft und betrübt, wenn es schlecht läuft
  • Wir sind begeistert, wenn wir gelobt werden und betrübt, wenn wir kritisiert werden
  • Wir sind begeistert, wenn wir Gutes erfahren und betrübt, wenn wir Schlechtes erfahren

Damit ist der 7. Punkt beendet.

Abschließende Verse

(In gleicher Weise) verwandle in einen Pfad zur Erleuchtung diese (Zeit in der) die fünf (Formen des) Verfalls weitverbreitet sind,

Es wird gesagt, das wir in einer Zeit der fünf Formen des Verfalls leben:

  1. Verfall der Lebensdauer – die Lebensspanne wird immer kürzer. Viele Menschen sterben in jungen Jahren, es scheint mehr Krankheiten wie  AIDS zu geben und immer mehr Menschen sterben durch Drogen und Unfälle. Kinder haben kaum noch etwas von ihrer Kindheit und im Alter von dreizehn Jahren haben manche von ihnen schon mit Sex und Drogen experimentiert. In diesem Sinne scheint die Lebensspanne immer kürzer zu werden.
  2. Verfall der störenden Emotionen – sogar jene, die Mönche und Nonnen werden, sind voller Wut, Begierde, Anhaftung und Naivität.
  3. Verfall der Ansicht – Laien haben keinen Respekt vor Mönchen und Nonnen. Tatsächlich scheint es oft so zu sein, dass heutzutage keiner mehr vor irgendetwas Respekt hat. Sogar Menschen in den höchsten politischen und spirituellen Ämtern sind in alle möglichen Skandale verwickelt.
  4. Verfall der Wesen – im Vergleich zu früher sind wir weniger in der Lage, für uns selbst zu sorgen. Wir sind dermaßen abhängig von Elektrizität, Internet, Maschinen, Computern usw., sodass wir große Probleme haben, wenn nur eine kleine Sache ausfällt. Vor fünfzig Jahren kamen wir noch sehr gut ohne Computer aus, doch heute geraten wir in Panik, wenn das Internet für ein paar Minuten nicht funktioniert. Unsere Gesundheit, unser Verstand, die körperliche Form, alles nimmt ab.
  5. Verfall der Zeiten – es gibt immer mehr Naturkatastrophen. Wir haben Probleme mit dem Klimawandel, schrecklichen Hurrikanen, Erdbeben und vielem mehr. Wir leben also jetzt in einer Zeit, in der wir wirklich diese Art von Praxis benötigen, um alle schwierigen Situationen in Umstände zu verwandeln, die für die Erleuchtung förderlich sind.
Im Text geht es folgendermaßen weiter:

Diese Essenz des Nektars von Quintessenz-Lehren Stammt aus der Übertragungslinie von Serlingpa.

Quintessenz-Lehren sind die Lehren über Bodhichitta, die wie Unsterblichkeitsnektar sind, da sie zur Buddhaschaft führen. Die Lehren stammen von Serlingpa, einem aus Sumatra stammenden Lehrer Atishas.

Der Autor beendet den Text mit folgenden Zeilen:

Aus dem Erwachen von den karmischen Überbleibseln, vorangehenden Übens, ist meine Bewunderung (für diese Praxis) im Überfluss vorhanden. Und infolge dieser Ursache, Leiden und Spott ignorierend, bat ich um die richtungsweisenden Anleitungen, um mein Greifen nach einem Selbst zu zähmen. Nun werde ich, selbst wenn ich sterbe, keinerlei Bedauern verspüren.

Wenn wir unseren Geist und unsere Geisteshaltungen wirklich geschult und uns von jeglicher Selbstsucht und Selbstbezogenheit befreit haben, können wir glücklich sterben. Wir haben die notwendigen Ursachen geschaffen, um in künftigen Leben weiter anderen helfen zu können. Auf einer unmittelbaren Ebene werden wir dazu in der Lage sein, in einem entspannten Geisteszustand oder zumindest ohne Bedauern zu sterben.

Das sind die Unterweisungen zur Schulung der Geisteshaltung in Sieben Punkten, die ich viele Male von meinen verschiedenen Lehrern erhalten habe: von Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, von seinem Lehrer Serkong Rinpoche und von Geshe Ngawang Dhargyey. Ich hoffe, sie werden allen Wesen von Nutzen sein.

Fragen

Was ist, wenn wir Angst davor haben, einige dieser Lehren zu praktizieren?

Wie ich bereits gesagt habe, sind diese Lehren sehr fortgeschritten und nicht für Anfänger gedacht. Bevor wir beginnen, sollten wir ein gesundes Selbstbewusstsein, ein gesundes Ego, haben, um ein niedriges Selbstwertgefühl zu überwinden. Gampopas Text „Der Kostbare Schmuck der Befreiung“ beginnt damit, die Buddha-Natur zu beschreiben. Das heißt, wir sollten überzeugt sein, bereits alle notwendigen Eigenschaften in uns zu haben, um Buddhaschaft zu erlangen. Das ist der Ausgangspunkt und diese Erkenntnis ist sehr hilfreich, unser niedriges Selbstwertgefühl zu überwinden. Ohne diese Grundlage ist es nicht besonders ratsam, sich fortgeschritteneren Praktiken zuzuwenden.

Was ist ein gesundes Ego? Im Buddhismus versuchen wir, das aufgeblasene, nicht das gesunde Ego, zu überwinden. Auf der Grundlage eines gesunden Egos interessieren wir uns für unser Leben und unsere Praxis, wir stehen morgens auf, gehen zur Arbeit und meditieren. Ohne ein gesundes Ego könnten wir in der Welt nicht bestehen, ganz zu schweigen davon, den Dharma zu praktizieren, denn wir hätten nicht das Gefühl, irgendwo erfolgreich sein zu können. Ein aufgeblasenes Ego ist eine Verzerrung dieser gesunden Haltung. Wir projizieren auf unser gesundes Ego die Einstellung: „Ich bin der wichtigste Mensch auf dieser Welt; es muss immer nach meinem Kopf gehen.“ Davon müssen wir uns lösen.

Im Buddhismus geht es immer um den mittleren Weg; auch das berühmteste Logo des Buddhismus ist der mittlere Weg. Was das Ego angeht, bedeutet das, ein gesundes Ego zu haben; man ist nicht aufgeblasen und denkt: „Ich bin das Zentrum des Universums“, und ebensowenig fühlt man sich völlig niedergeschlagen und hoffnungslos: „Ich bekomme nichts hin“. Das ist genauso gefährlich und extrem wie ein aufgeblasenen Ego. Wir reden immer davon, die beiden Extreme zu vermeiden, einerseits alle Dinge als solide und ewig zu betrachten und auf der anderen Seite alles vollkommen abzulehnen und in eine nihilistische Sicht zu verfallen.

Wie können wir erkennen, ob wir ein gesundes Ego haben?

Als erstes ist es wichtig, ein wenig in uns zu schauen und uns zu fragen, wie wichtig wir uns selbst sind. Nicht auf eine egoistische Weise, sondern es geht darum, ob es uns wichtig ist, welche Erfahrungen und Gefühle wir haben, oder ob unser Selbstwertgefühl so niedrig ist, dass es uns einfach egal ist? Wenn es uns egal ist, dann denken wir auch, dass es keine Rolle spielt, wenn wir destruktiv handeln. Diese Einstellung der Gleichgültigkeit ist etwas völlig anderes als Gleichmut zu haben. Wir fangen an, ein gesundes Ego zu entwickeln, wenn wir Verantwortung für unser Leben übernehmen und uns selbst, unsere Gefühle und unsere Handlungen ernst nehmen.

Es ist nicht notwendig, niedriges Selbstwertgefühl völlig zu überwinden, um Dharma praktizieren zu können, denn dies zu tun, ist ein sehr langer und schwieriger Prozess. Zumindest können wir diese störende Geisteshaltung als eine Quelle des Leidens erkennen und uns bewußt darüber sein, dass wir sie bewältigen wollen. Dann ist es notwendig herauszufinden, ob wir sie überwinden können oder nicht, und schließlich wenden wir uns buddhistischen Praktiken zu, um sie zu überwinden.

Sönam Tsemo, einer der Begründer der Sakya-Tradition, verfasste einen sehr wichtigen Text, mit dem Namen: „Das Tor zum Eintritt in den Dharma“. Er war ein Zeitgenosse Gampopas und lehrte, dass drei Dinge notwendig sind, um sich wirklich auf den Dharma einlassen zu können.

  • Erstens sollten wir das Leiden und die Probleme in unserem Leben erkennen;
  • Dann sollten wir ein gewisses Maß an Entschlossenheit haben, uns davon zu befreien;
  • Und schließlich ist es notwendig, einige Grundkenntnisse im Dharma zu haben.

Mit dieser Grundlage werden wir uns mit dem Dharma befassen, denn wir werden unsere Probleme erkennen und motiviert sein, uns von ihnen zu befreien. Wir werden auch Methoden dafür kennen, denn warum sollten wir uns sonst darauf einlassen?

Um das Leiden zu erkennen und den Wunsch zu entwickeln, uns davon zu befreien, brauchen wir ein gesundes Ego. Wenn wir das nicht haben, ist uns alles egal und wie suchen nicht nach Möglichkeiten, unsere Situation zu verbessern. Wenn wir diese drei Voraussetzungen erfüllen, weist das darauf hin, das unser Ego gesund genug ist, um sich mit diesen Unterweisungen zu befassen.

Natürlich wollen wir unsere Situation verbessern. In den Schriften wird darauf hingewiesen, ohne Hoffnung und Erwartungen zu üben, doch das bezieht sich darauf, das Extrem zu vermeiden, mit einem aufgeblasenem Ego zu praktizieren und nur an sich selbst zu denken. Das bedeutet nicht, in das andere Extrem zu fallen und überhaupt nichts mehr zustande zu bekommen. Wir sollten die Einstellung haben: „Ich werde mich nicht über die Höhen und Tiefen im Leben aufregen, während ich praktiziere, aber ich kümmere mich ausreichend darum, um mit meiner Praxis fortfahren zu können, denn ich strebe an, Erleuchtung zu erlangen.“ Ohne ein gesundes Ego können wir kein Ziel anstreben, ganz zu schweigen davon, auf Befreiung oder Erleuchtung hinzuarbeiten.

Lies Geshe Chekawa's Text „Geistestraining in Sieben Punkten.“

Top