Einführung: Das Selbst und die Aggregate dekonstruieren
Gemäß der buddhistischen Analyse, ist das Selbst der individuellen Kontinuität der fünf Aggregate zugeschrieben. Die Aggregate bestehen aus allen nicht-statischen Phänomenen – aus allem, was sich von einem Augenblick zum nächsten ändert – und jedes der nicht-statischen Phänomene könnte Teil unserer Erfahrung sein. Auch statische Phänomene, wie beispielsweise Kategorien, können Teil unserer Erfahrungen sein, aber sie werden nicht zu den fünf Aggregaten mit dazu gezählt. Leerheit (Leere) ist die Abwesenheit all dessen auf unmögliche Weise zu existieren, sowohl in Bezug auf die Abwesenheit unmöglicher Existenzweisen des Selbst, als auch der Aggregate.
[Für eine Auflistung der fünf Aggregate, siehe: Grundlegendes Schema der fünf Aggregate]
Wenn wir das Selbst dekonstruieren, ist es ganz wichtig daran zu denken, dass sogar in der Prasangika-Analyse behauptet wird, konventionell gäbe es ein Selbst. Dieses Selbst ist jedoch wie eine Illusion. Es scheint, als existiere es aus sich selbst heraus, jedoch ist dem nicht so, denn das ist unmöglich. Fachlich ausgedrückt, gibt es kein auffindbares bezeichnendes Ding, welches das Bezugsobjekt der Zuschreibung aufrechterhält.
Nun geht es darum, die Aggregate selbst zu dekonstruieren und es ist wichtig, nicht nur auf der tiefsten Ebene ein Verständnis davon zu haben, wie sie existieren, sondern auch auf der konventionellen Ebene zu verstehen, wie sie entstehen und was ihre Ursachen sind. Jeder Augenblick unserer Erfahrung besteht aus so vielen Komponenten und jede ändert sich unterschiedlich schnell. Sie ändern sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, weil jede aus einer anderen Gruppe von Ursachen und Bedingungen entsteht – obwohl einige auch miteinander geteilt werden. Und weil Ursachen und Bedingungen unsere Erfahrungen beeinflussen und hervorrufen, haben sie auch auf uns eine Auswirkung, da wir ihnen zugeschrieben sind und diese Dinge erfahren. Es ist wichtig, sich mit keinem von ihnen zu identifizieren, weder mit unserem Körper, noch dem Alter oder den zahlreichen Urteilen, wie „ich bin nicht gut“ oder „ich bin nicht gut genug“ und Ähnlichem. Sich selbst so zu beurteilen ist ein Beispiel der geistigen Benennung mit Kategorien und diese geistige Benennung könnte korrekt oder schlichtweg falsch sein. Wir verifizieren sie, indem wir überprüfen, ob es eine allgemein anerkannte Konvention von einer Gruppe von Menschen gibt und ob sie nicht im Widerspruch zu einem Geist steht, der konventionelle, oberflächliche Wahrheit gültig erkennt und die tiefste Wahrheit korrekt sieht.
Hier ein Beispiel: Es gibt die Konvention, nicht gut genug für die Universität zu sein, weil man einen bestimmten Schulnotendurchschnitt nicht nachweisen kann. Als Konvention ist dies von einer bestimmten Gesellschaft akzeptiert worden. Jeder, der sich die Noten ansieht, würde dem zustimmen: dieser Notendurchschnitt ist nicht gut genug. Es ist nicht so, dass jemand einen Fehler bei der Benotung gemacht hat. Aber wir sollten auch nicht denken, deswegen von Natur aus jemand zu sein, der nicht gut genug ist – nicht gut genug für irgendetwas, das mich betrifft – und einfach furchtbar inkompetent zu sein. Das steht im Widerspruch zu einem Geist, der eine korrekte Sichtweise der tiefsten Ebene hat und hier geht es um eine Konvention oder Kategorie von „jemandem, der nie für irgendetwas gut genug ist“, die dem konventionellen Selbst als wahre Identität geistig zugeschrieben wird. Aber ein Geist, der eine korrekte Sichtweise der tiefsten Wahrheit hat, würde dem widersprechen.
Die Sechs Arten von Ursachen gemäß der Vaibhashika-Schule
Um nun die Aggregate – das, was wir erfahren – dekonstruieren zu können, müssen wir die Betrachtungsweise der Kausalität verstehen: Ursachen, Bedingungen und Resultate. Dann können wir ein Verständnis von der Leerheit der Kausalität haben und davon wie sie funktioniert, was unbedingt notwendig ist. Ist es nicht so, dass sowohl Ursache als auch Resultat für sich getrennt, wie in Plastik verpackt, sind? Denn wie könnten sie sonst miteinander verbunden sein? Unser Thema ist jedoch nicht die tiefste Wahrheit in Bezug auf Ursache und Wirkung, sondern die konventionelle Wahrheit in Bezug darauf. Mit anderen Worten geht es also darum, was die verschiedenen Arten von Ursachen, Bedingungen und Resultate sind. Sehen wir uns das einmal an.
Es ist keine Überraschung, dass dies in den verschiedenen Schulen und indischen Lehrsystemen auf unterschiedliche Weise untersucht wird. Wir werden hier jedoch nicht alle Einzelheiten durchgehen – das wäre viel zu kompliziert. Vielmehr sehen wir uns das lediglich an dem System an, das wir in der Vaibhashika-Schule der Lehrsysteme finden – das allgemeingültigste System der Kausalitätsanalyse. In der Vaibhashika-Schule gibt es eine Darstellung von sechs Arten von Ursachen. Ich muss euch warnen: hier wird es wirklich kompliziert werden und man muss mit diesem System über einen langen Zeitraum vertraut sein, um es verinnerlichen und anwenden zu können. Lasst euch also bitte nicht entmutigen. Es ist möglich, damit zu arbeiten, aber man muss wirklich vertraut damit sein.
Wirkende Ursachen
Zunächst geht es um wirkende Ursachen. Das sind alle Phänomene außer dem Resultat selbst, die das Hervorbringen des Resultats nicht verhindern. Sie werden unterteilt in
- machtvolle wirkende Ursachen und
- nicht-machtvolle wirkende Ursachen.
Die machtvolle wirkende Ursache eines Sprosses ist der Same. Die nicht-machtvolle wirkende Ursache wäre beispielsweise die Mutter des Bauern, der den Samen eingesät hat. Den Spross würde es nicht geben, wäre er nicht eingepflanzt worden und der Spross könnte nicht einmal aus dem Samen hervorgehen, wenn er nicht von jemandem gesät worden wäre. Und wenn er vom Bauern eingesät wurde, würde es den Bauern nicht ohne die Mutter des Bauern geben usw. Die Mutter des Bauern ist jedoch nicht die machtvolle Ursache des Sprosses. Im Chittamatra-System eines anderen großen indischen Meisters, Asanga, werden zwanzig verschiedene Arten dieser wirkenden Ursachen festgelegt und es ist wirklich sehr spannend, sie zu studieren.
Es gibt also diese breite Palette all der verschiedenen Ursachen, die sehr weit zurückreichen. In gewisser Weise ist auch der Urknall eine Ursache des Sprosses. Hätte es ihn nicht gegeben, würde auch kein Spross existieren. Wir können es bis hin zu den Dinosauriern zurückverfolgen und zu den Pflanzen, die es in dieser Zeit gab – wären sie nicht verrottet und zu Humus geworden, könnte es den Spross nicht geben. Das wird wirklich sehr umfangreich und auch ziemlich tiefgreifend, wenn man einmal darüber nachdenkt, denn es deutet darauf hin, dass alles voneinander abhängt und miteinander verbunden ist. Nichts geschieht einfach nur so für sich. Das ist ein Aspekt des anhängigen Entstehens: Dinge entstehen und geschehen grundsätzlich in Abhängigkeit von allem anderen.
Was nun unsere Aggregate betrifft, diese Fragen in Bezug darauf was ich sehe, was ich höre und den Spross oder den Tisch zu sehen, handelt es sich bei dieser Sicht, die ich habe, bei allen Dingen, bis hin zum Urknall, um wirkende Ursachen. Die wichtige Konsequenz hieraus ist ein Verständnis dieses riesigen Netzwerkes der gegenseitigen Abhängigkeit. Seht euch diesen Holztisch an. Seine wirkenden Ursachen sind das Holz, aus dem er hergestellt wurde; all die Menschen, die die Bäume gefällt und das Holz geschnitten haben; all die Tiere und Pflanzen, aus denen der Humus entstanden ist, auf dem die Bäume wachsen konnten; die Transportfahrzeuge, mit denen das Holz in die Fabrik gebracht wurde, in denen man den Tisch hergestellt hat; die Menschen, die am Straßenbau beteiligt waren; jene, die Transportfahrzeuge produziert haben; die Bergarbeiter, die das Eisenerz abgebaut haben, das dann zu Stahl verarbeitet wurde, aus denen Autos und Transportfahrzeuge entstanden sind, mit denen der Tisch zu uns transportiert wurde.
Wenn man das einmal zurückverfolgt, ist es einfach unglaublich, wie viel Arbeit nötig war, um diesen Tisch herzustellen oder dieses Gebäude zu bauen. Beruhend darauf verstehen wir, dass jeder, auf die eine oder andere Weise, gütig gegenüber uns gewesen sein muss; es ist die Arbeit von unfassbar vielen Menschen in einem unbegreiflich langen Zeitraum, durch die wir all die Dinge, die wir benutzen, genießen können. Das hilft uns, Mitgefühl zu entwickeln. Es ist nicht so, dass sie all das getan haben, um nett zu uns zu sein. Aber hätten all diese Menschen in der Vergangenheit diese Dinge nicht getan, könnten wir nicht überleben. Wir profitieren in einem riesigen Ausmaß von der Arbeit all jener, die vor uns da waren und das zu begreifen ist eine Folge des Verstehens dieser wirkenden Ursachen.
Gleichzeitig entstehende Ursachen
Kommen wir als Zweites zu den gleichzeitig entstehenden Ursachen und sie beziehen sich auf die Elemente, aus denen etwas besteht. Im Vaibhashika-System wird Folgendes als etwas mit einer Ursache-Wirkung-Beziehung festgelegt: (1) die Elemente und Materialien, aus denen etwas besteht und (2) die eigentliche Sache selbst, obwohl diese Dinge gleichzeitig stattfinden.
In keiner der anderen Schulen ist man der Meinung, dass die Materialien, aus denen etwas besteht, auch ihre Ursache sind; man sagt dort einfach, das Ganze wäre seinen Teilen zugeschrieben. Hier geht es nicht um das Mehl, die Eier und den Zucker, aus denen der Kuchen hergestellt wurde und die vorher da waren und zum Kuchen geführt haben. Vielmehr geht es um den Kuchen selbst und seine Zutaten, die zur gleichen Zeit da sind, wie der Kuchen. Darum geht es, genau wie beim Körper, mit allen seinen Teilen – dem Kreislaufsystem, dem Atmungssystem und all diesen Dingen. Auch wenn wir etwas wahrnehmen, sind sowohl das Primärbewusstsein, als auch all die Geistesfaktoren, die es begleiten, gleichzeitig auftretende Ursachen. Das Bewusstsein kann nicht nur für sich da sein; da gibt es all die anderen Geistesfaktoren, die es dem Bewusstsein ermöglichen zu funktionieren. Diese Geistesfaktoren treten gleichzeitig mit dem Bewusstsein auf – das ist eine der fünf Gemeinsamkeiten, die sie haben. Man kann sich keiner Sicht bewusst sein, solange man keine Aufmerksamkeit, keine Konzentration diesbezüglich hat. Diese Faktoren treten zusammen mit diesem Primärbewusstsein in Erscheinung. Auf diese Weise dekonstruieren wir etwas in Bezug darauf, woraus es besteht.
Ursachen des gleichen Status
Dann haben wir Ursachen des gleichen Status und hier handelt es sich um Ursachen, deren Resultate spätere Momente in derselben Kategorie von Phänomenen sind wie die Ursachen selbst. Zum Beispiel ist hier die Rede von Kontinuitäten, wie die Kontinuität der Geduld, der Liebe oder die Kontinuität der Wut, wobei die vorangegangenen Momente die darauffolgenden Momente einer Sache von gleichbleibendem Status hervorbringen. Auch verbleiben sie in der gleichen Kategorie von Phänomenen: destruktiv, konstruktiv oder unspezifisch, also neutral oder keines von beidem. (Diese neutrale Kategorie bezeichnet man als unspezifisch; Buddha hat nicht festgelegt, ob es konstruktiv oder destruktiv war.) Es könnte sich also um tiefere Ebenen der gleichen Sache handeln, wie beispielsweise tiefere Ebenen des Verständnisses; jedoch ist der Status gleichbleibend, da es um spätere Momente einer Sache geht, also die Kausalität, die damit verbunden ist, Kontinuitäten hervorzubringen.
Übereinstimmende Ursachen
Kommen wir zu den übereinstimmenden Ursachen, wobei sich „übereinstimmend“ auf Sachen bezieht, die fünf Dinge gemeinsam haben. Im Vaibhashika-System werden diese fünf Gemeinsamkeiten folgendermaßen festgelegt: (1) Sie haben das gleiche Objekt der Ausrichtung. (2) Der gleiche geistige Aspekt bezieht sich darauf, das gleiche geistige Hologramm erscheinen zu lassen. Sie sind also gleichermaßen für das geistige Hologramm verantwortlich, das erscheint. Es ist nicht so, dass jede ein eigenes geistiges Hologramm erscheinen lässt. (3) Sie stützen sich auf den gleichen Sensor der Wahrnehmung. Handelt es sich um das Sehen, stützen sie sich alle auf die Kraft der lichtempfindlichen Zellen der Augen. Die Sensoren beziehen sich übrigens auf Zellen, auf Formen eines physischen Phänomens; für gewöhnlich werden sie als „Sinneskräfte“ übersetzt, was jedoch sehr vage ist. Hier geht es nicht um eine Kraft, sondern um echte physische Zellen, wie die geräuschempfindlichen Zellen in den Ohren, die geruchsempfindlichen Zellen in der Nase, die geschmacksempfindlichen Zellen der Zunge und die berührungsempfindlichen Zellen auf dem gesamten Körper, außer den Nägeln und Haaren. Sie alle würden diese Dinge miteinander teilen. Dann sind sie (4) zeitgleich – das Primärbewusstsein und die Geistesfaktoren. Und (5) sie sind in dem Sinne gleich, dass sie aus ihrer eigenen Ursprungsquelle (tib. rdzas), ihrer eigenen Tendenz, hervorgehen. Auf diese Weise werden diese fünf Gemeinsamkeiten im Vaibhashika-System festgelegt. In der Chittamatra-Schule ist man da anderer Meinung, aber darauf werden wir nicht näher eingehen.
Kongruente Ursachen sind eine Unterkategorie der gleichzeitig auftretenden Ursachen. Niemand anders, außer den Vaibhashikas, behauptet, dass es sich hierbei um eine Art der Kausalität handelt; man sagt es handele sich lediglich um Teile. Gleichzeitig auftretende Ursachen beziehen sich also auf die Elemente, aus denen etwas besteht – die Geistesfaktoren und das Bewusstsein, aus denen eine Wahrnehmung besteht, wobei die kongruenten Ursachen sich einfach nur auf dieses Primärbewusstsein und die Geistesfaktoren beziehen, die einen Moment der Wahrnehmung ausmachen.
Allgegenwärtige Ursachen
Als nächstes haben wir die allgegenwärtige Ursachen – Ursachen, die überall auf den drei Existenzebenen vorhanden sind. Eine allgegenwärtige Ursache bezieht sich lediglich auf die störenden Emotionen und Geisteshaltungen, die zu weiteren nachfolgenden störenden Emotionen und Geisteshaltungen auf der gleichen Existenzebene führen. Hier könnte man über die verschiedenen Existenzebenen reden, bei denen es um immer tiefere Ebenen der meditativen Versenkung geht, aber das wäre eine zusätzliche Komplikation, auf die wir nicht weiter eingehen werden. Ist die Rede von Ursachen des gleichen Status, geht es nicht nur um störende Emotionen und Geisteshaltungen, sondern um alles, was Kontinuität besitzt. Hier sprechen wir jedoch nur von störenden Emotionen und Geisteshaltungen, die nicht unbedingt den gleichen ethischen Status haben müssen, wie bei den Ursachen des gleichen Status. Sie können entweder destruktiv oder unspezifisch sein.
Einige störende Emotionen sind immer destruktiv, wie die Wut. Andere sind unspezifisch, wie die verblendete Geisteshaltung in Bezug auf ein vergängliches Netzwerk. Diese verblendete Geisteshaltung ist ein Geisteszustand, der ein Netz von „ich“ und „mein“ über etwas wirft, das in unseren Aggregaten erfolgt. Die Geisteshaltung kann entweder zusammen mit konstruktiven oder destruktiven Geisteszuständen einhergehen und daher nicht als nur das Eine oder nur das Andere festgelegt werden. Vielleicht betrachten wir ein Foto von uns. Obwohl es sich lediglich um ein Stück Papier handelt, auf dem sich Pixel und farbige Formen befinden, werfen wir unser Netz darüber und betrachten es als „Ich“. Es könnte von einer negativen Geisteshaltung begleitet werden, bei der wir denken: „ich sehe so alt aus“, aber dann könnten wir Mitgefühl für uns entwickeln und in diesem Fall würde mit dieser verblendeten Geisteshaltung ein positiver Geisteszustand einhergehen.
Reifende Ursachen
Die sechste Art der Ursache ist die reifende Ursache. Eine reifende Ursache ist ein destruktives oder beflecktes konstruktives Phänomen. „Befleckt“ bezieht sich beispielsweise darauf, gut in der Schule zu sein. Es ist ein konstruktives Phänomen, weil man gute Noten bekommt. Ist es jedoch befleckt, sind wir vielleicht perfektionistisch und meinen: „ich bin nicht gut genug, ich müsste noch besser sein“ und dann ist es vermischt mit dem Missverständis in Bezug darauf, wie wir existieren. Das ist ein beflecktes konstruktives Phänomen.
In unserer Diskussion über die reifenden Ursachen geht es hier um die ganze Wirkungsweise von Karma und Wiedergeburt. Sie ist sehr komplex und beinhaltet die zwölf Glieder des anhängigen Entstehens.
- Wir sind uns nicht bewusst darüber, wie wir existieren.
- Das führt zu störenden Emotionen und störenden Geisteshaltungen.
- Dies führt wiederum zu destruktivem Verhalten oder beflecktem konstruktiven Verhalten. Hinter all dem steht ein Zwang, der uns dazu bringt, auf diese Weise zu handeln.
- Das hinterlässt die so genannten „karmischen Samen“ und das sind Tendenzen, die, je nach Schulsystem, entweder dem geistigen Bewusstsein oder dem grundlegenden Bewusstsein zugeschrieben werden; im Prasangika würden wir sagen, es handele sich einfach nur um eine Zuschreibung auf das bloße „Ich“. Die karmischen Samen sind jedenfalls eine Zuschreibung und eins dieser Dinge, die eine nichtkongruente beeinflussende Variable sind; sie sind nichtstatisch, aber weder Weisen, sich etwas gewahr zu sein, noch Formen physischer Phänomene. Obwohl wir das Wort „Samen“ benutzen, betrachten wir sie nicht wirklich als physische Samen.
- Diese Tendenzen werden vom geistigen Kontinuum mitgeführt und entweder in diesem oder im nächsten Leben aktiviert. Werden sie dann aktiviert, bringen sie nicht-behindernde unspezifische Dinge hervor, die in den fünf Aggregaten zukünftiger Wiedergeburtszustände enthalten sind.
Unspezifische Phänomene sind entweder konstruktiv oder destruktiv; es kann in beide Richtungen gehen, je nachdem, ob sie mit störenden Emotionen verbunden sind oder nicht. Einige von ihnen blockieren oder verhindern Befreiung und Erleuchtung; andere nicht. Einige, wie der Körper, das Bewusstsein, die Gefühle usw. sind ethisch neutral und können entweder mit einem konstruktiven oder einem destruktiven Geisteszustand verbunden sein.
Wenn ich jemanden töte, ist der Körper daran beteiligt, sowie auch das Bewusstsein und ein Gefühl von Glück oder Traurigkeit. Empfinde ich Wut, bin ich mit meinem Körper dabei, sowie auch mit dem Bewusstsein und dem Gefühl, nicht sonderlich froh über diese Wut zu sein. Genauso verhält es sich, wenn ich mit einem mangelndem Gewahrsein konstruktiv handle. Ich helfe jemandem, bin gütig und liebevoll und trotzdem gibt es da einen Körper, ein Bewusstsein und ein Gefühl des Glücks oder der Traurigkeit. Und auch wenn ich ein Buddha geworden bin, wird es immer noch einen Körper, ein Bewusstsein und Glücksgefühle geben. Diese Dinge sind also nicht behindernd; sie können, abhängig vom System, die Erleuchtung oder Befreiung nicht verhindern. Es gibt jedoch andere unspezifische Phänomene, die ebenfalls mit konstruktiven oder destruktiven Geisteszuständen verbunden sind und sehr wohl die Befreiung oder Erleuchtung verhindern können, wie zum Beispiel das Greifen nach einer unmöglichen Existenzweise.
Hier geht es um die Ursachen für diese nicht-behindernden unspezifischen Dinge in einem zukünftigen Leben. Oder mit anderen Worten: Was ist die Ursache für die nächste, die zukünftige Wiedergeburt und für Samsara? Die Aggregate dieser zukünftigen Wiedergeburt werden Unwissenheit und all die anderen Dinge enthalten, die sich aus treibenden Ursachen und Ursachen des gleichen Status ergeben. Durch die treibenden Ursachen werden wir störende Emotionen im zukünftigen Leben bekommen; die Ursachen des gleichen Status werden zu positiven Dingen, wie Geduld und Konzentration führen; und aus den gleichzeitig auftretenden Ursachen werden die Elemente des Körpers entstehen. Das sind all die verschiedenen Arten von Ursachen. Aus konstruktivem und destruktivem Verhalten gehen die karmischen Tendenzen hervor und diese karmischen Tendenzen werden, bei ihrer Aktivierung zum Zeitpunkt des Todes, als reifende Ursachen verantwortlich für die tatsächlich behindernden, unspezifischen Dinge des nächsten Wiedergeburtszustandes, des Körpers usw. sein.
Was ist der Vorgang einer samsarischen Wiedergeburt? Sehen wir uns die anderen Aspekte der zwölf Glieder des anhängigen Entstehens an.
- Zunächst gibt es da eine physische Grundlage – im Falle eines Menschen eine Samen- und eine Eizelle – und ein Bewusstsein, das noch nicht in die verschiedenen Arten von Bewusstsein oder Geistesfaktoren unterteilt wird.
- Diese physische Grundlage unterteilt sich dann in lichtempfindliche und geräuschempfindliche Sensoren und das Bewusstsein unterteilt sich in das visuelle Bewusstsein, das Hörbewusstsein, das Bewusstsein körperlicher Empfindungen usw.
- Schließlich sind wir als ein Fötus in der Lage verschiedene Objekte zu unterscheiden und so nimmt das Aggregat des Unterscheidens Form an. Des weiteren haben wir Kontaktbewusstsein; wir sind uns also auf der Grundlage des Unterscheidens – was wiederum karmisch bedingt ist – bewusst über diese Objekte, die wir unterscheiden und erfahren sie als angenehm oder unangenehm. Wenn wir schöne Musik laufen lassen, ist der Fötus auf gewisse Weise in der Lage, eine gefilterte Form davon wahrzunehmen und das wäre dann ein angenehmes Kontaktbewusstsein. Hört er hingegen sehr laute und störende Geräusche, ist das unangenehm für ihn und er beginnt zu treten.
- Als nächstes entstehen glückliche oder unglückliche Gefühle.
- Wir werden geboren und machen die Erfahrungen, glücklich oder unglücklich zu sein und das geht wiederum aus diesen reifenden Ursachen hervor; es ist Teil der Aggregate und hängt von konstruktivem oder destruktivem Verhalten ab.
- Wir leben unser Leben und zum Zeitpunkt des Todes müssen die Tendenzen – die karmischen Tendenzen, die so genannten „Samen“ – aktiviert werden, um quasi das geistige Kontinuum in das nächste Leben zu werfen, damit es weiter gehen kann. Es ist nicht so, als würde eine Seele aus unserem Körper herauskommen und in einen anderen eingehen. Vielmehr ist fachsprachlich davon die Rede, dass unser Kontinuum in das nächste Leben geworfen wird.
In unserer Definition wird hier mit der reifenden Ursache darauf hingedeutet, dass diese karmischen Tendenzen oder Samen bewässert werden müssen, um sie zu aktivieren und einen Spross erscheinen zu lassen. Das Wort „bewässert“ oder „befeuchtet“ heißt hier soviel wie „aktiviert“. Was aktiviert nun diese karmischen Samen, diese Tendenzen? Da gibt es zwei Glieder, die das tun.
- Das erste nennt man „Begehren“.
So wird es für gewöhnlich übersetzt; der eigentliche Sanskrit-Begriff für das Wort „Begehren“ ist jedoch „Durst“ – also durstig zu sein. Es ist irgendwie komisch, dass Dinge durch Durst bewässert werden, aber egal – hier geht es um Durst und es richtet sich auf das Gefühl, das wir haben. Es bezieht sich auf den Geisteszustand, den Geistesfaktor, nicht auf die körperliche Empfindung, wenn wir an Durst denken. Wenn wir Glück verspüren, dürsten wir danach, nicht davon getrennt zu werden, wie eine durstige Person, der nur ein Tropfen Wasser zur Verfügung steht. Sie ist so durstig, dass sie denkt: um keinen Preis will ich von dem Glück getrennt werden, dieses Wasser zu trinken. Das ist Durst.
Erfahren wir Unglück, dürsten wir natürlich danach, frei davon zu sein, wie jemand, der von seinem Durst erlöst werden will. Und befinden wir uns in einer tiefen meditativen Versenkung, in der wir eine neutrale Empfindung haben, dürsten wir danach, nicht von dieser Ebene herabzufallen und diesen Zustand zu verlieren. Welchen dieser drei Zustände des Durstes wir zum Zeitpunkt des Todes wir auch haben werden, er wird beginnen, die karmischen Samen zu aktivieren. Daher ist es so wichtig, egal ob wir glücklich oder unglücklich sind, nicht nach diesem Zustand zu dürsten, glücklich oder nicht mehr traurig zu sein. Wie man in Indien zu sagen pflegt: es ist einerlei. „Ich bin unglücklich, na und!“ Es wird auch wieder anders werden. Wir sollten nicht wie ein Durstiger sein und keine große Sache daraus machen, glücklich oder unglücklich zu sein. Es ist im Grunde einfach nur wichtig damit klarzukommen und mit der Arbeit oder dem, was man gerade tut, weiterzumachen. Das ist zwar nicht einfach, aber es ist wirklich das grundlegenste Prinzip, das wir haben können. Es ist nichts Besonderes, unglücklich zu sein und es ist nichts Besonderes, glücklich zu sein.
- Kommen wir zum nächsten Glied, das für gewöhnlich mit „Greifen“ übersetzt wird. Diese Übersetzung könnten wir jedoch mit einem anderen Begriff, „dem Greifen nach wahrer Existenz“, verwechseln und daher werden wir ihn hier nicht benutzen. Es handelt sich vielmehr um eine herbeiführende Geisteshaltung – das ist die wörtliche Übersetzung – und darum, was für uns die Wiedergeburt „herbeiführt“.
Hier haben wir eine Serie fünf verschiedener Arten von störenden Geisteshaltungen, von denen es sich bei einer um eine störende Emotion handelt. Durst richtet sich auf ein Gefühl als Objekt; wir wollen oder wollen nicht, dass das Gefühl weggeht oder weniger wird. Mit einer herbeiführenden Geisteshaltung bezieht sich das Objekt auf „mich“. Wir beziehen uns gedanklich auf „uns“: „Ich will es nicht“ oder „Ich will es“ – und wir werfen dieses Netz von „ich“ und „mein“ auf die Gefühle und identifizieren uns damit. Hier gibt es eine ganze Serie von Möglichkeiten und sie führen etwas für uns in dem Sinne herbei, dass sie den Aktivierungsvorgang der karmischen Samen vollenden. Die herbeiführende Geisteshaltung aktiviert die Samen und bewirkt die nächste Wiedergeburt.
Wenn also in der Definition der reifenden Ursachen davon die Rede, dass es sich nicht nur um ein destruktives oder beflecktes konstruktives Phänomen handelt, wie wütend zu sein, jemanden zu töten oder perfektionistisch zu sein, geht es nicht einfach nur darum. Vielmehr darf die Tendenz, die sich daraus ergibt, nicht frei davon sein, aktiviert zu werden. Es ist nicht möglich, sie nicht zu aktivieren; sie muss aktiviert werden, bewässert durch diesen Durst. Das führt dann zum Resultat und hierbei handelt es sich um eine reifende Ursache.
Die vier Arten von Ursachen
Als nächstes geht es um die Darstellung der vier Ursachen. Wir haben über die sechs Ursachen gesprochen und hier haben wir eine weitere Darstellung von vier Ursachen.
Direkte oder unmittelbare Ursachen
Es gibt eine direkte oder unmittelbare Ursache und dabei handelt es sich um eine Ursache, die unmittelbar zu einem Resultat führt, nachdem die Ursache eingetreten ist. Beispielsweise stoßen wir uns am Fuß und das ist die unmittelbare Ursache dafür, eine Prellung zu bekommen. Das Resultat folgt also unmittelbar nach der Ursache und das ist dann eine direkte oder unmittelbare Ursache.
Indirekte oder vorangehende Ursachen
Dann haben wir indirekte oder vorangehende Ursachen und hierbei handelt es sich um Ursachen, die nach einer langen Abfolge des Ereignisses oder nach einem langen Zeitraum zum Resultat führen. Rauchen ist zum Beispiel eine langfristige Ursache, die dazu führt, Krebs zu bekommen. Es ist nicht so, dass man eine Zigarette raucht und dann am nächsten Morgen Krebs hat. Man kann es nicht damit vergleichen, sich den Fuß zu stoßen und dann eine Prellung zu bekommen. Zumindest hoffen wir das. Es ist eine langfristige, vorangehende Ursache; man muss wirklich viel rauchen. Aber auch nachdem man das Rauchen aufgegeben hat, kann man sehr viel später noch Krebs davon bekommen.
Das ist eine wichtige Sache in Bezug auf Karma: karmische Samen können lange brauchen, bis sie reifen. Reden wir hier von Karma, geht es nicht um diese westliche Sichtweise des „instant Karma“, des unmittelbaren Karma. So etwas wie unmittelbares Karma gibt es nicht, bei dem wir augenblicklich ein karmisches Resultat bekommen. Wir haben wirklich merkwürdige Konzepte und denken: „Ich habe meine Regenschirm vergessen und das ist der Grund, warum es regnet.“ So denken wir manchmal und meinen es gäbe „instant Karma“.
Herbeiführende Ursachen
Kommen wir zu den herbeiführenden Ursachen und das Wort ist das gleiche, wie bei den herbeiführenden Geisteshaltungen. Leider wurde es als „materielle Ursache“ übersetzt und hat so zu jeder Menge Verwirrung geführt. Bei materiellen Ursachen denken wir eigentlich an die gleichzeitig auftretenden Ursachen – die Elemente und Materialien, aus denen etwas besteht. Aber darum geht es hier nicht im geringsten. Vielmehr ist es das, von dem man etwas als Nachfolger erhält und das dann aufhört zu existieren, wenn der Nachfolger vollends in Erscheinung getreten ist. Der Same ist beispielsweise das, woraus der Spross herbeigeführt wird und wenn der Spross da ist, gibt es den Samen nicht mehr. Ganz offensichtlich besteht der Spross nicht aus dem Samen und daher ist es recht verwirrend, ihn als materielle Ursache zu bezeichnen. Der karmische Samen oder die Tendenz ist hier die herbeiführende Ursache, aus der wir die Wahrnehmung oder die Erfahrung von etwas bekommen.
Sehen wir uns das an einem einfachen Beispiel an. Vielleicht haben wir ein Fahrschein für die U-Bahn, die Metro oder wie immer man es hier nennt. Dieser Fahrschein ist gültig für einen Monat und zu Beginn des Jahres kaufe ich sie mir immer für das ganze Jahr. Jeden Monat habe ich einen Fahrschein und mit ihm kann ich so oft fahren wie ich will – nicht nur einmal, sondern ich kann so viele Fahrten in dem Monat machen, wie ich will, solange er gültig ist. Wenn der Monat jedoch vorbei ist, ist der Fahrschein nicht länger gültig; er ist abgelaufen. Er kann seinem Nachfolger keine Fahrten mehr zur Verfügung stellen. Die Dinge, die man davon bekommt, die dadurch herbeigeführt werden, wie die Fahrt, bestehen ganz offensichtlich nicht aus dem Fahrschein. Daher kann man es nicht als materielle Ursache bezeichnen. Hier geht es um karmische Tendenzen oder Samen. Die karmischen Tendenzen werden verschiedene Erfahrungen hervorrufen; sie lassen eine Reihe von Erfahrungen in Erscheinung treten. Sobald sie jedoch ausgereift sind, bekommt man nichts mehr, das daraus reifen oder das dadurch herbeigeführt werden könnte. Der ungebackene Teig ist beispielsweise die herbeiführende Ursache des Brotlaibes. Ist der Brotlaib da, gibt es den ungebackenen Teig nicht mehr. Der ungebackene Teig ist also nicht das Material des Brotlaibes; es ist das, aus dem der Brotlaib herbeigeführt wird und was sich in den Brotlaib verwandelt. Ganz allgemein reden wir hier von etwas, das sich in etwas anderes umwandelt.
Gleichzeitig wirkende, beitragende Bedingungen
Die vierte ist eine gleichzeitig wirkende, beitragende Bedingung. Hier handelt es sich um Bedingungen und das sind Dinge, die existieren müssen, bevor etwas entsteht und die dazu beitragen, dass es in Erscheinung tritt, die jedoch nicht zu dem werden, was entsteht. Der Samen wird also zum Spross – das ist die herbeiführende Ursache – aber das Wasser und das Sonnenlicht sind gleichzeitig wirkende, beitragende Bedingungen. Sie müssen gleichzeitig stattfinden.
Nehmen wir einmal an, wir haben die karmische Tendenz, von einem Auto angefahren zu werden, wird dadurch die Erfahrung für uns herbeigeführt, von einem Auto angefahren zu werden. Der Körper, das Bewusstsein, das Gefühl und alles was zu der Erfahrung, von einem Auto angefahren zu werden, dazugehört, sind die wirkenden Ursachen. Aber neben den verschiedenen Dingen, die den Samen des Karma aktivieren werden, muss es gleichzeitig wirkende beitragende Bedingungen geben: das Auto muss von jemandem gefahren werden, wir müssen uns an einem Ort befinden, an dem wir von einem Auto angefahren werden können und es muss Autos geben. Wir können nicht mitten im dichten Dschungel von Neuguinea von einem Auto angefahren werden. Unser Karma bringt jedoch die andere Person nicht dazu, in ihr Auto zu steigen und uns mit ihrem Auto anzufahren – das wird durch ihr eigenes Karma ausgelöst. Sie muss das Karma haben, jemanden mit dem Auto anzufahren; diese Dinge müssen zusammentreffen. Ich habe sie nicht dazu gebracht, mich anzufahren. Vielmehr habe ich für mich selbst die Erfahrung ausgelöst, angefahren zu werden. Es ist ganz einfach: Ich bin auf die Straße gegangen und die Person hat im Auto gesessen. Ich habe das Auto nicht gefahren. Es ist hier von großer Wichtigkeit, zwischen der herbeiführenden Ursache von unserer Seite und der gleichzeitig auftretenden Ursache von außen zu unterscheiden.
Weitere Arten von Ursachen
Nur ganz kurz: es gibt noch zwei weitere Ursachen. Eine Ursache der gleichen Art, die sich auf etwas bezieht, das als ein Muster für etwas anderes dient. Beispielsweise gibt es ein Muster von einem Glas, aufgrund dessen dann andere Gläser hergestellt werden. Das ist eine Ursache der gleichen Art. Und dann gibt es Ursprungsquellen, wie den Ofen, der eine Ursprungsquelle für das Brot ist, oder die Gebärmutter, die eine Ursprungsquelle für das Baby ist.
Und noch ein letzter Punkt: Bitte vergesst nicht, dass eine Sache auch viele verschiedene Arten von Ursachen sein kann. Etwas könnte auf verschiedene Weise als Ursache dienen – das ist also nicht so einfach.