Objekte von Shamatha
Shamatha (tib. zhi-gnas, ruhiges Verweilen) ist ein still gewordener und zur Ruhe gebrachter Geisteszustand, der den begleitenden geistigen Faktor (tib. sems-byung, Nebengewahrsein) eines Gefühls von körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit (tib. shin-sbyangs, Flexibilität) besitzt. Man hat dabei ein beschwingtes und heiteres Gefühl von Leistungsfähigkeit, dass heißt, man ist im Besitz der Fähigkeit, sich auf jedes beliebige Objekt so lange zu konzentrieren, wie man möchte.
Shamatha ruht auf einem Objekt oder in einem Geisteszustand. Bei dem Objekt, auf dem Shamatha ruht, kann es sich um ein Sinnesobjekt handeln, wie beispielsweise den Atem, aber auch um ein visualisiertes geistiges Objekt, wie einen Buddha. In Eine Anthologie spezieller Themen des Wissens (tib. Chos mngon-pa kun-las btus-pa, Skt. Abhidharma-samuccaya), betont der indische Meister Asanga, der im dritten Jahrhundert gelebt hat, lediglich die Konzentration auf ein geistiges Objekt.
-
Dieser Anweisung folgend verwendet man in der Gelug-Tradition in erster Linie einen visualisierten Buddha als Objekt.
-
Die Kagyü- und Sakya-Traditionen verwenden hingegen auch Objekte, die in der Gelug-Tradition als Sinnesobjekte bezeichnet werden, wie beispielsweise bildliche Darstellungen von Buddhas, Blumen, Kieselsteine und so weiter. Damit wird Asangas Anweisung nicht übertreten. In den Nicht-Gelug-Traditionen werden die Objekte der Sinneswahrnehmung lediglich als Sinnesdaten betrachtet, so wie Teilstücke von farbigen Formen, die nicht entschieden als „dieses“ oder „jenes“ festgelegt sind. Da derartige Teilstücke im Geist zu einer Buddha-Darstellung oder einer Blume zusammengesetzt werden müssen, geschieht die Ausrichtung auf eine Buddha-Darstellung oder eine Blume ausschließlich mit geistiger Wahrnehmung.
Dennoch empfehlen die meisten Meditationsmeister aller tibetischen Traditionen, einen Buddha als Meditationsobjekt zu wählen – sei es in einer visualisierten Form oder als eine reale Abbildung oder Statue – da ein visualisierter Buddha, bzw. eine Buddha-Darstellung eine Hilfe dabei sein kann, dass wir in unserem eigenen Leben eine sichere Ausrichtung einschlagen (Zuflucht nehmen), Bodhichitta entwicklen und Tantra praktizieren. Während wir unsere Aufmerksamkeit auf einen Buddha ausrichten, können wir uns auch auf die guten Eigenschaften (tib. yon-tan) eines Buddha konzentrieren. Dann können wir unseren Fokus mit dem Glauben an die Tatsache (tib. dad-pa, „Glauben, Vertrauen“) verbinden, dass die Buddhas diese Qualitäten tatsächlich besitzen. Ferner können wir diesen Qualitäten dann in der Weise Aufmerksamkeit widmen, dass wir danach streben, solche guten Eigenschaften in uns selbst hervorzubringen.
Um Shamatha zu vollenden, können wir unsere Aufmerksamkeit auch auf andere Objekte richten, unsere Konzentration in anderer nutzbringender Weise auf diesen Objekte halten und unseren Fokus mit anderen konstruktiven Emotionen und Geisteshaltungen verbinden. Zum Beispiel:
-
Mit den vier unermesslichen Geisteshaltungen (tib. tshad-med bzhi) richten wir unsere Aufmerksamkeit stufenweise auf uns selbst, auf Freunde, auf Fremde und dann auf jene, die wir nicht mögen; wir widmen ihnen mit Gleichmut, Liebe, Mitgefühl und dann mit Freude Aufmerksamkeit.
-
Indem wir unsere Einstellung uns selbst und anderen gegenüber ausgleichen und austauschen (tib. bdag-gzhan mnyam-brje), richten wir uns auf uns selbst und alle anderen Lebewesen aus und erachten alle als gleich. Indem wir unsere Aufmerksamkeit beibehalten, richten wir unser Augenmerk dann auf andere Lebewesen, wobei wir ihnen ein äußerst fürsorgliches Interesse entgegenbringen, das wir normalerweise uns selbst vorbehalten; hingegen bringen wir für uns selbst lediglich jenes eingeschränkte fürsorgliche Interesse auf, das wir zuvor für andere Lebewesen empfunden haben. Dies sind die Konzentrationsobjekte, die Shantideva in Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattva erklärt.
-
Mit Hilfe der vier festen Ausrichtungen der Vergegenwärtigung (tib. dran-pa nyer-bzhag bzhi; Vier Grundlagen der Achtsamkeit) richten wir unsere Aufmerksamkeit auf den Körper als unrein, auf die Gefühle als Leid, auf die Geisteszustände als vergänglich und auf alle Phänomene als von fehlender wahrer Identität.
-
Mit den vier edlen Wahrheiten richten wir unsere Aufmerksamkeit auf unsere sich verändernden Aggregate im Hinblick auf wahre Probleme und die wahren Ursachen der Probleme, und auch auf unseren Geist im Hinblick auf wahre Beendigungen (Aufhören) und wahre Pfade.
Alternativ können wir unsere Aufmerksamkeit ohne Ausrichtung auf ein spezifisches Objekt (tib. dmigs-med) ruhen lassen. Wir können unsere Aufmerksamkeit in verschiedener Weise ausrichten:
-
Wir können unsere Aufmerksamkeit auf einen Zustand von Liebe und Mitgefühl ruhen lassen, ohne unseren Fokus dabei auf ein spezifisches Wesen zu richten. Unsere Liebe und unser Mitgefühl erstreckt sich dabei auf alle Lebewesen gleichermaßen, so wie die Sonnenstrahlen, die von der Sonne ausgehen.
-
Wir können unsere Aufmerksamkeit ungezielt auf Leerheit richten, in dem Sinne, dass man nicht auf wahre Existenz ausgerichtet ist.
-
Und wir können unsere Aufmerksamkeit auch auf dem Geist (bzw. der geistigen Aktivität) selbst verweilen lassen, ohne uns dabei in der Weise auf Objekte der Wahrnehmung zu fokussieren, als würden diese eigenständig existieren.
Letztgenannte Methode der Ausrichtung zum Erlangen von Shamatha, wird in mahamudra- (tib. phyag-chen, großes Siegel) und dzogchen- (tib. rdzogs-chen, große Vollständigkeit) Meditationen benutzt. Dabei lassen sich mindestens vier Meditationsarten unterscheiden:
- In der Karma-Kagyü-Tradition des Mahamudra fokussieren wir uns zuerst auf allgemein bekannte Objekte, die aus den Sinnesdaten aller Sinne zusammengesetzt sind (dem Anblick einer Orange, dem Geruch einer Orange, dem Geschmack einer Orange und so weiter) und dann auf ein visualisiertes Objekt. Wenn wir eine stabile Ebene der Konzentration erreicht haben, fokussieren wir uns als nächstes auf den Geist selbst, doch ohne uns auf den Geist als Objekt auszurichten. Wir tun dies, indem wir im natürlichen Zustand der Glückseligkeit (tib. bde-ba), der Klarheit (tib. gsal-ba) und der Blöße (tib. stong-pa) des Geistes zur Ruhe kommen.
- In der Sakya-Tradition der Mahamudra, richten wir unseren Blick fest auf ein visuelles Objekt und fokussieren uns dann nur auf den Klarheitsaspekt (tib. gsal-ba) der Wahrnehmung, den Aspekt, der die kognitive Erscheinung hervorbringt.
- In der Gelug-/Kagyü-Tradition der Mahamudra, fokussieren wir uns auf die oberflächliche Natur (tib. kun-rdzob, konventionelle Natur) des Geistes als die geistige Aktivität des bloßen Hervorbringens von kognitiven Erscheinungen und des kognitiven Sichbefassens mit ihnen (tib. gsal-rig-tsam, bloße Klarheit und Gewahrsein).
- In der Nyingma-Tradition des Dzogchen kommen wir im natürlichen Zustand zwischen den Gedanken zur Ruhe.
Ganz gleich welches Objekt wir wählen, wir müssen bei diesem Objekt bleiben, bis wir Shamatha vollendet haben, und nicht die Objekte mitten im Prozess wechseln.
Förderliche Bedingungen
Um Shamatha zu praktizieren und zu erlangen, müssen wir dafür sorgen, dass wir uns sechs förderliche Bedingungen schaffen. Die sechs förderlichen Bedingungen sind:
- ein förderlicher Ort (tib. yul),
- wenig Anhaftung – an Menschen, Freunde und diejenigen, die wir lieben, an Nahrungsmittel, Kleidung, unseren eigenen Körper, an Zuneigung, Komfort, Lob, Tadel, Schlaf und so weiter;
- Zufriedenheit mit dem Essen, der Kleidung, den Wetterbedingungen und so weiter, die uns momentan zur Verfügung stehen;
- keinen geschäftigen Tätigkeiten (tib. ‘du-‘dzi) nachgehen zu müssen, dass heißt wir haben uns davon befreit, zahlreichen ablenkenden Aktivitäten nachgehen zu müssen; wir brauchen keine Geschäftsaufgaben oder andere weltliche Angelegenheiten mehr zu erledigen, keine Gartenarbeit; wir müssen nicht mehr aufwendig kochen, mit Mitpraktizierenden schwatzen, und auch nicht mehr telefonieren, Briefe oder E-Mails schreiben und so weiter;
- sich in reiner ethischer Selbstdisziplin üben;
- frei zu sein von obsessiven und auf Vorurteilen beruhenden Gedanken (tib. rnam-rtog), die wir uns gewöhnlicherweise in Bezug auf jene Aktivitäten machen, die wir als begehrenswert betrachten, wie beispielsweise Fernsehen oder Videos schauen, im Internet surfen, Musik hören, Romane lesen oder uns mit Texten über Astrologie, Medizin und so weiter beschäftigen.
Im Ornament der Mahayana-Sutras (tib. mDo-sde rgyan, Skt. Mahayanasutra-alamkara), nennt Asanga die fünf Qualitäten der ersten der oben genannten sechs förderlichen Bedingungen, d. h. die fünf Qualitäten eines förderlichen Ortes:
- leichter Zugang zu Nahrungsmitteln und Wasser;
- eine vorzügliche spirituelle Lage (tib. gnas) der Meditationsstätte, die von unserem eigenen spirituellen Mentor oder von vorangegangenen Meistern, die dort meditiert haben, gutgeheißen und gesegnet wurde;
- eine vorzügliche geografische Lage (tib. sa): abgeschieden, still, entfernt von Menschen, die uns verärgern, mit einem angenehmen weiten Blick in die Natur, ohne den Klang von fließendem Wasser oder dem Ozean, die uns in ihren Bann ziehen, und mit einem angenehmen Klima;
- die vorzügliche Gesellschaft von Freunden, die auf ähnliche Weise engagiert sind und entweder in der Nähe leben oder mit uns praktizieren;
- die Gegenstände, die für eine glückliche Bindung (Skt. yoga) mit der Praxis erforderlich sind, das heißt, dass man die vollständigen Unterweisungen und Instruktionen für die Praxis erhalten hat, und dass man zuvor über diese nachgedacht und sie auch verstanden hat, so dass man keinerlei Fragen und Zweifeln mehr hat.
Die fünf Dinge, die Konzentration verhindern
Die vollständigen Unterweisungen und Instruktionen für das Erlangen von Shamatha erhalten zu haben, bedeutet in erster Linie, dass wir detaillierte Informationen über die fünf Hindernisse, die Konzentration (tib. nyes-pa lnga) verhindern, und über die acht beruhigenden Geistesfaktoren (tib. ‘du-byed brgyad), mit denen wir die Hindernisse überwinden können, bekommen haben. Maitreya beschreibt diese Hindernisse und Faktoren in seinem Werk Die Mitte von den Extremen unterscheiden (tib. dBus-mtha’ rnam-‘byed, Skt. Madhyanta-vibhanga).
Die fünf Dinge, die unsere Konzentration verhindern, sind:
- Faulheit (tib. le-lo), die von dreierlei Art ist: Wir verschieben unsere Meditation auf später, weil wir gerade keine Lust haben (tib. sgyid-lugs) zu meditieren.
- Wie hängen an negativen oder trivialen Aktivitäten oder Dingen (tib. bya-ba ngan-zhen).
- Wir geben uns Beispiel dem Glücksspiel oder dem Alkohol hin, oder wir hängen an Freunden, die einen schlechten Einfluss auf uns haben, oder gehen auf Partys und so weiter.
- Wir haben Gefühle der Unzulänglichkeit (tib. zhum-pa).
- Wir vergessen die Meditationsanweisungen oder verlieren das Konzentrationsobjekt (tib. gdams-ngag brjed-pa).
- Es kommt aufgrund von geistiger Flatterhaftigkeit oder Dumpfheit zu Unterbrechungen (tib. bying-rgod).
- Wir wenden keine Gegenmittel an (tib. ‘du mi-byed).
- Wir hören nicht damit auf, Gegenmittel anzuwenden, wenn diese nicht mehr nötig sind (tib. ‘du-byed).
Abstufungen von geistiger Flatterhaftigkeit und Dumpfheit
Der geistiges Festhalten (tib. ‘dzin-cha) an einem Ausrichtungsobjekt hat zwei Aspekte: Platzierung des Geistes (tib. gnas-cha, geistiges Verweilen) und Erscheinungs-Hervorbringen (tib. gsal-cha, Klarheit). Der letztere Aspekt lässt kognitive Erscheinungen des Objektes entstehen.
Geistige Flatterhaftigkeit (tib. rgod-pa, Aufgewühltheit), eine Unterkategorie des geistigen Abschweifens (tib. rnam-g.yeng) oder der Ablenkung (tib. ‘phro-ba), ist ein Fehler in der Platzierung des Geistes auf das Objekt, der aufgrund von Verlangen oder Anhaftung entsteht. Es gibt zwei Abstufungen:
- Bei grober geistiger Flatterhaftigkeit verlieren wir die Platzierung des Geistes auf dem Objekt vollkommen, weil unser geistiges Festhalten so schwach ist, dass das uns das Objekt verloren geht.
- Bei subtiler geistiger Flatterhaftigkeit halten wir am Objekt fest, jedoch nicht fest genug, so dass im Hintergrund einen Gedankenstrom besteht, der sich entweder auf das Objekt selbst bezieht oder etwas ganz anderes zum Thema hat. Selbst wenn es keinen Gedankenstrom im Hintergrund gibt, fühlen wir uns ruhelos, weil das Festhalten am Objekt ein bisschen zu stark ist; es „juckt“ uns aus der Meditation aufzustehen und zu gehen.
Geistige Dumpfheit (tib. bying-ba, Sinken) ist eine Unterbrechung in der Konzentration aufgrund eines Fehlers im Faktor des Erscheinungs-Hervorbringens des geistigen Festhaltens. Die geistige Dumpfheit hat drei Abstufungen:
- Bei grober geistiger Dumpfheit verlieren wir das Objekt, weil der Faktor des Erscheinungs-Hervorbringens zu schwach ist, um das Objekt entstehen zu lassen. Das kann mit oder ohne geistige Umnebelung (tib. rmugs-pa, körperliche und geistige Schwere) und mit oder ohne Schläfrigkeit (tib. gnyid) geschehen.
- Bei mittelstarker geistiger Dumpfheit lassen wir eine Erscheinung des Objekts entstehen, doch der Halt ist nicht fest genug und daher mangelt es dem Festhalten am Objekt der präzisen Ausrichtung (tib. ngar).
- Bei subtiler geistiger Dumpfheit bringen wir eine Erscheinung des Objekts hervor und haben eine präzise Ausrichtung, doch da der Halt immer noch nicht fest genug ist, ist er nicht frisch (tib. gsar). Der Zustand, bei dem man die Bodenhaftung verloren hat (engl. spaced out), kann dabei auf allen drei Ebenen von Dumpfheit auftreten.
Die acht beruhigenden Geistesfaktoren
Um Faulheit zu überwinden, müssen wir die ersten vier der acht beruhigenden Geistesfaktoren anwenden:
(1) Das Glauben an eine Tatsache (tib. dad-pa): Wir glauben nämlich an die Tatsache, dass es Vorzüge hat, Shamatha zu erlangen.
(2) Dies führt dazu, dass wir bewusst die Absicht (tib. ‘dun-pa) fassen, uns zu konzentrieren.
(3) Dies führt zu freudiger Ausdauer (tib. brtson-‘grus), also dazu, dass wir uns mit Freude darum bemühen, Konstruktives zu tun.
(4) Diese freudige Ausdauer verschafft uns wiederum ein Gefühl von Leistungsfähigkeit (tib. shin-sbyangs), welche uns die Flexibilität gibt, uns der Praxis zu widmen. Shantideva erläutert vier Arten von Unterstützung (tib. dpung-bzhi) und zwei Kräfte (tib. stobs-gnyis), mit denen wir die freudige Ausdauer in uns stärken können:
-
Stabiles Anstreben (tib. mos-pa) bedeutet, dass wir wirklich von dem Nutzen überzeugt sind, den es hat, unser Ziel anzustreben; ebenso sind wir von den Nachteilen überzeugt, die es hat, wenn wir unser Ziel nicht erreichen. In dieser Weise gerät unser Bestreben, das Ziel zu erreichen, nicht ins Schwanken.
-
Standhaftigkeit (tib. brtan) oder Selbstvertrauen (tib. nga-rgyal) entsteht dadurch, dass wir untersuchen, ob wir überhaupt in der Lage sind, das Ziel zu erreichen. Wenn wir davon überzeugt, dass wir unser Ziel erreichen können, praktizieren wir unverwandt und stetig, auch wenn der Prozess, durch den wir gehen, seine Höhen und Tiefen hat.
-
Freude (tib. dga’-ba) bedeutet, dass wir uns nicht mit kleinen Fortschritten zufrieden geben, sondern uns auf weitere Fortschritte freuen. Diese Freude wird von einem Gefühl der Zufriedenheit mit sich selbst begleitet.
-
Erholung (tib. dor) bedeutet, dass man eine Pause macht, wenn man müde ist – jedoch nicht aus Faulheit, sondern um so später wieder frisch zu Werke gehen zu können.
-
Natürliches Akzeptieren (tib. lhur-len) bedeutet, das, was wir praktizieren und was wir ablegen müssen, um unsere Ziele zu erreichen, natürlich zu akzeptieren, genauso wie die damit verbundenen Härten, nachdem man sie realistisch untersucht hat.
-
Kontrolle übernehmen (tib. dbang-sgyur) heißt, dass wir uns selbst unter Kontrolle haben, und wir uns dem widmen, was wir erreichen wollen.
Um das Vergessen der Anweisungen oder das Verlieren des Ausrichtungsobjektes zu überwinden, müssen wir Folgendes anwenden:
(5) Vergegenwärtigung (tib. dran-pa): sich Erinnern, das geistige Festhalten des Ausrichtungsobjekts aufrecht zu erhalten (tib. dmigs-rten), wie „geistiger Klebstoff“.
Um geistige Flatterhaftigkeit oder Dumpfheit zu überwinden, müssen wir Folgendes anwenden:
(6) Wachheit (tib. shes-bzhin), um den Zustand unserer Vergegenwärtigung zu überprüfen. Löst sich der geistige Klebstoff aufgrund grober Flatterhaftigkeit oder Dumpfheit, so dass wir das Objekt verlieren, sorgt die Wachheit dafür, dass die Aufmerksamkeit wieder hergestellt wird (tib. chad-cing ‘jug-pa’i yid-byed), um sich dann erneut auf das Objekt auszurichten. Alternativ löst die Wachheit im Falle der mittelstarken oder subtilen Dumpfheit aus, dass wir den Griff der Vergegenwärtigung festigen, oder dass wir im Falle der subtilen Flatterhaftigkeit den Griff der Vergegenwärtigung lockern.
Um das Hindernis des Nichtanwendens der Gegenmittel zu überwinden, wenn wir flatterhaft oder dumpf sind, müssen wir Folgendes anwenden:
(7) Die Gegenmittel anwenden (tib. ‘du-byed). Die Anwendung der Gegenmittel entsteht aus den zwei Kräften, mit denen wir unsere freudige Ausdauer stärken: Zum einen aus dem natürlichen Akzeptieren dessen, was wir tun müssen und was wir unterlassen müssen, und zum anderen daraus, dass wir selbst unter Kontrolle haben, in welcher Weise wir praktizieren.
Um die übermäßige Anwendung von Gegenmitteln, wenn diese nicht mehr notwendig sind, zu überwinden, müssen wir Folgendes tun:
(8) Aufhören Gegenmittel anzuwenden (tib. ‘du mi-byed). Das bezieht sich auch darauf, dass wir wissen müssen, wann wir eine Pause machen sollten, und auch darauf, uns nicht mehr zu fordern, als angemessen ist.
Konzentration und Wachheit als automatische Funktionen der Vergegenwärtigung
Um Shamatha zu erlangen, müssen wir unsere Energie vorrangig darauf verwenden, die Vergegenwärtigung (den geistigen Klebstoff) auf unserem Ausrichtungsobjekt zu halten. Das bedeutet, sich in erster Linie zu bemühen, am Objekt festzuhalten. Mit dem geistigen Klebstoff haben wir automatisch Konzentration. Geistiger Klebstoff und Konzentration sind lediglich zwei Weisen, dieselbe geistige Aktivität zu beschreiben. Geistiger Klebstoff beschreibt sie vom Standpunkt des geistigen Festhaltens am Objekt der Ausrichtung; Konzentration beschreibt sie aus der Perspektive des geistigen Platzierens (geistigen Verweilens) auf dem Objekt.
Wenn wir geistigen Klebstoff mit der Sonne vergleichen, ist Wachheit darüber hinaus wie das Sonnenlicht – das Sonnenlicht der Wachheit ist automatisch präsent. Mit anderen Worten, wenn wir in der Lage sind, mit dem geistigen Klebstoff das geistige Festhalten am Ausrichtungsobjekt beizubehalten, impliziert dies, dass wir automatisch überprüfen, ob der Halt korrekt ist.
Gelegentlich müssen wir jedoch eine zweite Art von Wachheit anwenden, die den Zustand des geistigen Festhaltens am Meditationsobjekt stichprobenartig überprüft. Wenn wir dies tun, benutzen wie jedoch nur einen Bruchteil unserer Aufmerksamkeit, um nicht davon abgelenkt zu sein, den Hauptfokus unserer Aufmerksamkeit auf dem Objekt der Meditation zu behalten.
Die neun Stufens, um den Geist zur Ruhe zu bringen
Es gibt neun Stufen, um den Geist in einem Zustand von Shamatha zur Ruhe zu bringen (tib. sems-gnas dgu):
- Den Geist auf das Objekt der Ausrichtung legen (tib. sems ‘jog-pa). Auf dieser Stufe sind wir lediglich in der Lage, unsere Aufmerksamkeit auf das Objekt der Ausrichtung zu legen oder zu platzieren, doch unfähig, diese Aufmerksamkeit aufrechtzuerhalten.
- Platzieren mit gewisser Kontinuität (tib. rgyun-du ‘jog-pa). Hier sind wir in der Lage, unser geistiges Festhalten am Objekt mit einer gewissen Kontinuität beizubehalten – jedoch nur für kurze Zeit, bevor wir den Halt wieder verlieren. Es dauert eine Weile, bis wir erkennen, dass wir das Objekt verloren haben, und bis wir uns dann wieder erneut auf das Objekt ausrichten können.
- Erneutes Platzieren (tib. glan-te ‘jog-pa). Hier sind wir in der Lage, sofort zu erkennen, dass wir unser geistiges Festhalten am Objekt verloren haben, und können uns sofort erneut ausrichten.
- Enges Platzieren (tib. nye-bar ‘jog-pa). Hier verlieren wir unser geistiges Festhalten am Objekt nicht, doch da die subtile geistige Flatterhaftigkeit eines Gedankenstroms im Hintergrund und die mittelstarke Dumpfheit große Gefahren sind, die immer noch auftreten können, müssen wir die Gegenmittel für Flatterhaftigkeit und Dumpfheit energisch aufrecht halten.
- Zähmen (tib. dul-bar byed-pa). Hier erfahren wir keine grobe Flatterhaftigkeit mehr, keine subtile Flatterhaftigkeit eines sich im Hintergrund befindenden Gedankenstroms mehr, und auch keine grobe oder mittelstarke Dumpfheit mehr. Doch weil wir uns übermäßig dabei angestrengt haben, uns zu konzentrieren, und tief in uns selbst versunken sind, haben wir den Faktor des Erscheinungs-Hervorbringens entspannt, der die Erscheinung des Ausrichtungsobjekts hervorbringt. Als Folge davon erfahren wir subtile Dumpfheit. Wir müssen das geistige Festhalten des Objekts erneuern und wieder aus der Versunkenheit hervorkommen (tib. gzengs-bstod), indem wir uns daran erinnern, welchen Nutzen es hat, wenn wir Shamatha erlangen.
- Beruhigen (tib. zhi-bar byed-pa). Hier sind wir, obwohl keine große Gefahr von subtiler geistiger Dumpfheit mehr besteht, beim Aufrichten des Geistes zu aufgeregt geworden, und der geistige Halt ist zu fest. Als Folge erleben wir die subtile Flatterhaftigkeit, die uns drängt, das Objekt der Ausrichtung zu verlassen. Wir müssen starke Wachheit benutzen, um dies zu entdecken und unseren geistigen Halt leicht zu entspannen.
- Völliges Beruhigen (tib. rnam-par zhi-bar byed-pa). Hier müssen wir uns, obwohl die Gefahr für subtile Flatterhaftigkeit oder Dumpfheit minimal ist, immer noch Mühe geben, diese vollkommen auszuschließen.
- Einsgerichtetheit (tib. rtse-gcig-tu byed-pa). Hier müssen wir uns nur am Anfang der Sitzung etwas bemühen. Wir wenden kontinuierlich den geistigen Klebstoff an; wir können unsere Konzentration ununterbrochen die ganze Sitzung über aufrechterhalten, ohne dabei irgendeine Form von Flatterhaftigkeit oder Dumpfheit zu erleben.
- Vertieftes Platzieren (tib. mnyam-par ‘jog-pa). Hier sind wir mühelos in der Lage, die gesamte Sitzung über unsere Konzentration aufrecht zu erhalten. Unsere Konzentration ist frei von jeglicher Störung. Das ist die Errungenschaft von einsgerichteter Konzentration (tib. ting-nge-‘dzin, Skt. samadhi).
Wenn wir zusätzlich zu der einsgerichteten Konzentration den Geistesfaktor eines belebenden Gefühls von geistiger und körperlicher Leistungsfähigkeit erlangen, mit dem wir uns in vollendeter Weise solange auf etwas konzentrieren können, wie wir wollen, dann erlangen wir Shamatha.
Die sechs Kräfte
Wir erlangen die neun Stufen, den Geist zur Ruhe zu bringen, indem wir uns auf sechs Kräfte (tib. stobs-drug) stützen:
- Wir erlangen die erste Stufe, in dem wir uns auf die Kraft des Hörens der Anweisungen (tib. thos-pa’i stobs) stützen.
- Wir erlangen die zweite Stufe, in dem wir uns auf die Kraft des Nachdenkens über die Anweisungen (tib. bsam-pa’i stobs) stützen.
- Wir erlangen die dritte und vierte Stufe, in dem wir uns auf die Kraft der Vergegenwärtigung (tib. dran-pa’i stobs) stützen.
- Wir erlangen die fünfte und sechste Stufe, in dem wir uns auf die Kraft der Wachheit (tib. shes-bzhin-gyi stobs) stützen.
- Wir erlangen die siebte und achte Stufe, in dem wir uns auf die Kraft freudiger Ausdauer (tib. brtson-‘grus-kyi stobs) stützen.
- Wir erlangen die neunte Stufe, in dem wir uns auf die Kraft vollkommener Vertrautheit (tib. yongs-su ‘dris-pa’i stobs) stützen.
Die vier Arten von Aufmerksamkeit
Im Prozess des Voranschreitens durch die neun Stufen, um den Geist zur Ruhe zu bringen, benutzen wir vier Arten von Aufmerksamkeit (tib. yid-byed bzhi), das heißt vier Arten, wie man das Objekt der Ausrichtung im Geiste hält:
- Während der ersten beiden Stufen benutzen wir gewissenhafte Aufmerksamkeit (tib. bsgrims-te ‘jug-pa’i yid-byed), mit der wir umfassend Kontrolle und Kraft ausüben, um das Konzentrationsobjekt im Geist zu halten.
- Während der dritten bis siebten Stufe benutzen wir wiederherstellende Aufmerksamkeit (tib. chad-cing ‘jug-pa’i yid-byed), mit der wir unsere Ausrichtung wiederholt auf das Objekt zurückbringen oder unseren Fokus wiederherstellen, wenn er fehlerhaft ist.
- Während der achten Stufe benutzen wir ununterbrochene Aufmerksamkeit (tib. chad-pa med-par ‘jug-pa’i yid-byed), mit der wir uns ohne Unterbrechung auf das Objekt ausrichten können.
- Während der neunten Stufe benutzen wir spontane Aufmerksamkeit (tib. lhun-gyi ‘grub-pa’i yid-byed), mit der wir unsere Ausrichtung auf das Objekt mühelos beibehalten können.