Buddhistische Analyse: Arten von Phänomenen

Einleitung 

Wir sprechen über buddhistische Metaphysik, bei dem es sich um ein umfangreiches Thema handelt, das eine große Menge an Lehrstoff abdeckt, der sowohl schwierig, als auch komplex ist und zahlreiche verschiedene Elemente umfasst. Aber ich denke, dass es wichtig ist, diese Dinge zu studieren, da sie dafür gedacht sind, als analytisches Werkzeug zu dienen. 

Wie ihr wahrscheinlich wisst, zielt die gesamte buddhistische Schulung darauf ab, uns zu helfen, Befreiung von Leiden und Unglück, sowie dessen Ursachen zu erlangen. Unser Unglück und unsere Probleme entstehen im Grunde aus unserer Unwissenheit in Bezug auf die Wirklichkeit – wie wir und wie alles existiert. „Unwissenheit“ (tib. ma-rig-pa) heißt, dass wir etwas entweder nicht wissen oder es nicht richtig verstehen und so ziemlich verwirrt sind. Das Problem besteht darin, dass unser Geist die Dinge auf unmögliche Weise erscheinen lässt und wir glauben, sie würden der Wirklichkeit entsprechen. 

Eine Art, wie unser Geist verwirrende Erscheinungen kreiert, ist, Dinge auf sehr feste und konkrete Weise darzustellen. Wir erfahren etwas und meinen: „Oh, da gibt es dieses furchtbare Problem“ und so machen wir eine große Sache daraus und regen uns auf. Umgangssprachlich würden wir sagen: „Wir machen aus allem ein großes Ding.“ Es ist notwendig, diese Dinge, die so fest und furchtbar zu sein scheinen, dekonstruieren zu können und wenn uns das möglich ist, werden wir die Wirklichkeit dieser Dinge etwas besser verstehen können. Das Verständnis der Leerheit (tib. stong-pa-nyid) ist zweifellos die tiefgründigste Art des Dekonstruierens dieser unmöglichen Existenzweisen, die unser Geist produziert und die nichts Realem entsprechen. Aber auch eine weniger tiefgründige Vorgehensweise kann hilfreich sein, denn all unsere Erfahrungen bestehen immer aus unterschiedlichen Dingen, verschiedenen Ursachen und Bedingungen usw.; also nichts Solidem. 

Diese metaphyischen Themen, die wir hier durchgehen werden, sind die analytischen Mittel, die uns helfen werden, das, was wir erfahren, dekonstruieren zu können und die Probleme und Schwierigkeiten, die wir haben, zu überwinden. In der traditionellen buddhistischen Schulung arbeitet man mehrere Jahre mit diesem Lehrstoff, indem man Debatten durchführt. Man geht ihn nicht nur in fünf kurzen Vorträgen durch. Ich würde diese Themen gern, in Bezug auf bestimmte schwierige Erfahrungen, die wir haben mögen, präsentieren und zeigen, wie wir die verschiedenen Dinge, wie existierend, nicht existierend, statisch, funktionell usw. anwenden können, indem wir diese Erfahrungen analysieren und dekonstruieren. 

Als Beispiel habe ich etwas Hypothetisches ausgewählt, etwas, das mir nicht wirklich passiert ist. Sagen wir einmal ich kam am Flughafen an und als ich meine Sachen zusammensuchte, nahm ich die falsche Computertasche mit. Sie stand am Boden und ich habe einfach eine andere genommen. Ich habe nicht richtig aufgepasst und nun komme ich hier an, bin sehr betrübt und denke, was für ein Idiot ich doch bin. Ich ärgere mich über mich selbst und bin richtig traurig. Wie könnten wir nun also diese Situation dekonstruieren? Es ist offensichtlich, dass ich darunter leide. 

Existierende und nicht existierende Phänomene 

Zunächst können wir diese Dinge als Themen oder Elemente einer Debatte (rtsod-gzhi) betrachten. Das würde sich auf etwas beziehen, das wir analysieren können und das umfasst nicht existierende Elemente oder Themen (tib. med-pa) und existierende Elemente oder Themen (tib. yod-pa). Etwas, das nicht existiert, kann nicht gültig erkannt werden. Ein vollkommener Idiot – jemand der in absolut jedem Aspekt und in jedem Moment seines Lebens ein Idiot ist – existiert nicht. Niemand existiert auf diese Weise. Es handelt sich jedoch um etwas, das wir analysieren können. Wir können sagen: „Ich denke, ich bin ein völliger Idiot.“ Das ist eine Sache, die allerdings nicht existiert. Was existiert, kann gültig erkannt werden (tib. shes-bya, ein gültig erkennbares Phänomen; tib. gzhi-grub, etwas, das als Grundlage für etwas gültig Erkennbares festgelegt werden kann), wie ich, der ich ein völliger Idiot bin. Nun, ich kann gültig erkannt werden – ich existiere – aber ein völliger Idiot, den gibt es nicht. Und der Computer, auch er existiert. Er ist ein existierendes Phänomen und er kann gültig erkannt werden. „Gültig“ heißt korrekt und entschieden. 

Es gibt eine weitere Unterteilung, die ich als gültige und ungültige Phänomene bezeichne. Eigentlich möchte ich es etwas langsamer angehen. Bevor wir also damit beginnen, nehmen wir uns ein, zwei Minuten Zeit, um jedes dieser Dinge, die ich anspreche, etwas zu verinnerlichen. Ansonsten ist es so, dass ich einfach einen Punkt nach dem anderen durchgehe und das dann zu viel für euch wird. 

Wir haben also Themen, die analysiert oder besprochen werden können. Einige von ihnen existieren, wie ich oder mein Computer – sie können gültig erkannt werden. Und andere existieren nicht im Mindesten, wie ein völliger Idiot, der ich meiner Meinung nach bin, denn so etwas wie einen völligen Idioten gibt es nicht. 

Das versuchen wir einwirken zu lassen. Denken wir darüber nach. Schaut mich nicht so voller Erwartungen an! Ihr sollt darüber nachdenken und dann sagen: „Ja, jetzt habe ich es verstanden.“ 

Ein Monster ist ein nicht existierendes Phänomen. Ich kann denken, ich wäre ein Monster. Gibt es Monster, wirkliche Monster? Können wir Monster gültig sehen? Nein. Können wir jedoch über Monster sprechen? Ja.

Gültige und ungültige, existierende Phänomene 

Bei den existierenden Phänomenen, gibt es Dinge, die gültig (tib. srid-pa) und Dinge, die ungültig (tib. mi-srid-pa) sind. Es verhält sich genau wie beispielsweise bei der Milch, die entweder haltbar oder abgelaufen ist, oder wie mit den U-Bahn-Fahrkarten in Berlin. Die Monatskarte für September ist im Moment noch gültig, aber die Karte für August ist ungültig; sie ist nicht mehr gültig, sondern abgelaufen. 

Ein gültiges Phänomen ist etwas, das gegenwärtig stattfindet. Ein ungültiges Phänomen ist etwas, das nicht länger stattfindet (tib. ’das-pa) oder noch nicht stattfindet (tib. ma-’ong-pa). Gültig ist das, was ich gegenwärtig erfahre. Ich sitze hier und denke darüber nach, was für ein Idiot ich doch bin. Was nicht mehr gültig, sondern ungültig ist, ist das nicht mehr stattfindende Ereignis, die falsche Computertasche mitzunehmen; es findet nicht mehr statt. Und was noch nicht stattfindet, ist, dass ich hoffentlich meinen Computer wiederbekomme. Aber ich muss mich mit dem, was gegenwärtig passiert, auseinandersetzen. Was gegenwärtig geschieht und was in diesem Moment Gültigkeit hat, ist, dass ich hier sitze und darüber nachdenke, was für ein Idiot ich doch bin. Lasst das für einen Moment einwirken. 

Kann ich etwas gültig erkennen, das nicht länger stattfindet? Ja. Ich kann erkennen, dass ich nicht die richtige Computertasche mitgenommen habe. Es findet gegenwärtig nicht mehr statt, aber ich kann es korrekt erkennen. Es handelt sich um ein existierendes Phänomen. Was noch nicht stattfindet ist: wenn sie meinen Computer am Flughafen finden, werde ich ihn wiederbekommen. Das findet noch nicht statt. Aber ich kann es erkennen, insbesondere wenn ich dort anrufe und sie mir sagen: „Ja, wir haben ihn“, dann kann ich erkennen, dass ich ihn zurückbekommen werde. Aber es findet noch nicht statt. 

Habt ihr das verstanden? Es ist wie mit dem Jahr 2010. Es ist gültig; es findet gegenwärtig statt. Das Jahr 2009 findet nicht länger statt. Handelt es sich um ein existierendes Phänomen? Ja. Es gab so etwas wie das Jahr 2009, aber es findet gegenwärtig nicht statt. Ich kann mich daran erinnern. Handelt es sich bei dem Jahr 2011 um ein existierendes Phänomen? Nun, ja, denn ich kann Pläne für dieses Jahr machen. Aber findet es gegenwärtig statt. Nein. Findet das Jahr 2011 gegenwärtig irgendwo anders statt? Nein. Wo könnte es stattfinden? Es könnte diese Jahreszahl 2011 in einem anderen Universum geben, aber das wird nicht das Jahr 2011 sein, das hier nächstes Jahr stattfinden wird. Mein hohes Alter findet nicht jetzt statt; und es findet auch nicht irgendwo anders statt. Ich esse gegenwärtig nicht mein Frühstück von morgen. Es findet nirgendwo anders statt. Aber ich kann darüber nachdenken, es einplanen usw. 

Bestätigungs- und Negierungs-Phänomene 

Es gibt auch so genannte Bestätigungs-Phänomene (tib. sgrub-pa) und Negierungs-Phänomene (tib. dgag-pa). Sehen wir uns die genaue Definition eines Bestätigungs-Phänomens an. Ich hoffe, ich kann sie finden, es handelt sich um eine sehr schwierige Definition. Egal. Ein Bestätigungs-Phänomen ist etwas, das wir in gewissem Sinne nur durch das Phänomen selbst kennen können, ohne etwas Anderes, wie beispielsweise meinen Computer, negieren zu müssen. Ich kann einfach sagen: „Das ist mein Computer.“ Es ist nicht notwendig, vorher irgendetwas zu kennen. 

Ein Negierungs-Phänomen ist „nicht mein Computer.“ Ich sehe mir diesen Computer, der einem anderen gehört, an – er hat eine andere Farbe und ist ein anderes Modell – und ich verstehe: „Das ist nicht mein Computer.“ Das ist ein Negierungs-Phänomen. Es handelt sich nicht um meinen Computer. Wie könnten wir erkennen, dass es nicht mein Computer ist? Wie könntet ihr es erkennen? Müsstet ihr vorher etwas gekannt haben? Ja, ihr müsstet meinen Computer vorher gekannt haben, um sehen zu können, dass es sich hierbei nicht um meinen Computer handelt. Das ist der Unterschied zwischen einem Bestätigungs- und einem Negierungs-Phänomen. Ein Bestätigungs-Phänomen wäre die Gegenwart eines anderen Computers und ein Negierungs-Phänomen wäre die Abwesenheit meines Computers – „das ist nicht mein Computer.“ 

Implizierende und nichtimplizierende Negierungen

Es gibt verschiedene Arten von Negierungs-Phänomenen, wie das so genannte implizierende Negierungs-Phänomen (tib. ma-yin dgag). Ich bin mir nicht sicher, wie man es auf Deutsch übersetzt. Jeffrey Hopkins bezeichnet es als eine bestätigende Negierung. „Implizierend“ weist hier darauf hin, dass etwas übrig bleibt, wenn wir etwas negieren. Und wenn die Rede davon ist, dass „etwas übrig bleibt“, bezieht sich das darauf... Wenn man beispielsweise ein Boot hat und es durch das Wasser gleiten lässt, hinterlässt es eine Art Nachlaufströmung, auf Englisch nennen wir es „wake“ (tib. bkag-shul) – es ist eine Spur oder Welle – und das ist der Begriff für das, was übrig bleibt. 

Ein Beispiel wäre also „das ist nicht mein Computer.“ Was übrig bleibt, was implizierend ist oder was dadurch impliziert wird, ist der Computer eines anderen. Oder: „Mein Computer ist nicht hier.“ Was impliziert das? Mein Computer muss irgendwo anders sein. Wenn wir diesen Computer sehen, wissen wir, dass es der Computer eines anderen ist. Es ist nicht meiner und daher muss er einem anderen gehören. Und mein Computer ist nicht hier, also muss er irgendwo anders sein. So funktioniert unser Verständnis, nicht wahr?

Eine nichtimplizierende Negierung (tib. med-dgag) ist etwas, das nichts hinterlässt. „Mein Computer ist nicht da. Mein Computer ist weg.“ Das impliziert nichts, es hinterlässt nichts. Er ist einfach weg; er ist nicht da. Das impliziert nicht, dass er irgendwo anders wäre. Wir sagen einfach nur: er ist nicht da. Oder wenn wir sagen: „Ich habe meinen Computer nicht“, bleibt damit nicht das Ich zurück. „Ich habe meinen Computer nicht“ impliziert nicht, dass ich etwas anderes habe, sondern nur, dass ich meinen Computer nicht habe. Oder vielleicht suchen wir im Kühlschrank nach Milch und sehen, dass es keine gibt. „Es gibt keine Milch“ impliziert nichts, es hinterlässt nichts. Es ist einfach eine Aussage, die eine Abwesenheit ausdrückt. 

Bei diesem nichtimplizierenden Phänomen – etwas ist abwesend, etwas ist nicht da – könnte es sich entweder um ein existierendes Phänomen oder um ein nicht existierendes Phänomen handeln. Wir sagen: „Es ist keine Milch im Kühlschrank“, aber es befindet sich auch kein Monster im Kühlschrank. Es könnte sich also um eine Abwesenheit von etwas handeln, das existiert oder existieren könnte, oder um eine Abwesenheit von etwas, das nicht existiert und nie existieren könnte. Hier geht es um die Abwesenheit meines Computers, etwas, das existiert. Aber es gibt auch die Abwesenheit eines völligen Idioten – nun, ein völliger Idiot existiert nicht und könnte auch nie existieren. Lasst das für einen Moment einwirken.

Wiederholen wir das noch einmal. Ein existierendes Phänomen könnte entweder ein Bestätigungs-Phänomen oder ein Negierungs-Phänomen sein. Bestätigungs- und Negierungs-Phänomene können entweder gültig sein, also gegenwärtig stattfinden oder ungültig sein, also nicht mehr oder noch nicht stattfinden. „Ich habe meinen Computer nicht“ ist etwas, das gegenwärtig stattfindet. „Ich habe meinen Computer gestern nicht mitgenommen“ ist etwas, das gegenwärtig nicht stattfindet. Es ist ein Negierungs-Phänomen. Es findet gegenwärtig nicht statt. 

Wie ihr seht, können sich all diese verschiedenen Untergruppen vermischen. Daher werden wir uns später mit diesem ganzen Thema der Beziehungen zwischen zwei Gruppen von Dingen befassen. Im Grunde geht es dabei um die Mengenlehre und das wird dann noch sehr viel komplizierter. Es handelt sich um etwas, womit man beim Debattieren arbeitet. 

[Pause]

Statische Phänomene 

Die nächste Unterteilung in der Gruppe existierender Phänomene sind statische Phänomene (tib. rtag-pa), die man auch als nichtwirksame, unbedingte oder nichtbeeinflusste Phänomene (tib. dngos-med) bezeichnet, und nichtstatische Phänomene (tib. mi-rtag-pa), auch bekannt als wirksame, bedingte oder beeinflusste Phänomene (tib. dngos-po).

Ist die Rede von statischen Phänomenen, geht es um etwas, das sich nicht von einem Moment zum anderen ändert. Ich glaube die Definition ist „etwas, das nicht von kurzer Dauer ist.“ Wir müssen verstehen, was „von kurzer Dauer“ bedeutet. Von kurzer Dauer heißt, es ändert sich von einem Moment zum nächsten. Einige dieser Phänomene sind dauerhaft – sie können ewig andauern – und andere sind vorübergehend.

Sehen wir uns das an unserem Beispiel mit dem Computer an. Die Kategorie „Computer“ ist ein statisches Phänomen. Wir werden über die Dinge reden, die man manchmal als „Allgemeinheiten“ (tib. spyi, konzeptuellen Kategorien) bezeichnet und ein Aspekt davon sind Kategorien. Die Kategorie eines Tisches ist einfach nur eine Kategorie. Sie tut nichts, sie ändert sich nicht, sie ist einfach nur eine Kategorie. In gewissem Sinne ist es etwas, worüber ich nachdenke. Worüber denke ich gerade nach? „Mein Computer“ – ich denke an einen Computer, die Kategorie „Computer“. Aber es handelt sich um ein vorübergehendes statisches Phänomen. Gab es eine Kategorie „Computer“ bevor Computer erfunden wurden? Nein. Während der Steinzeit gab es keine Kategorie „Computer“. Und in der entfernten Zukunft, wenn es so etwas wie Computer nicht mehr geben wird, weder in Museen, noch in den Geschichten der Menschen, wird es keine Kategorie „Computer“ mehr geben. Es ist also etwas Vorübergehendes. 

Aber die Kategorie „erkennbares Phänomen“ hat von einem buddhistischen Blickwinkel aus betrachtet weder Anfang noch Ende und ist somit ewig. Es wird immer eine Kategorie „erkennbares Phänomen“ geben, darüber muss ich nicht nachdenken. Aber da geistige Kontinua (tib. sems-rgyud) ebenfalls weder Anfang noch Ende haben, können wir uns gedanklich immer auf die Kategorie „erkennbares Phänomen“ beziehen.

Ich möchte hier nicht zu sehr in alle Einzelheiten gehen, denn das kann sehr kompliziert werden. Es gibt jedoch statische Phänomene, die Negierungs-Phänomene und einige, die Bestätigungs-Phänomene sind. 

Habt ihr dieses Konzept der statischen Phänomene verstanden? Es ist etwas, das sich nicht ändert, ob es nun ewig oder nur für kurze Zeit andauert. Solange es besteht, ändert es sich nicht – es tut nichts und es ändert sich nicht.

Wirksame (nichtstatische) Phänomene 

Kommen wir nun zu den wirksamen Phänomenen. Hierbei handelt es sich um nichtstatische Phänomene; sie ändern sich von einem Augenblick zum anderen, sie entstehen durch Ursachen und Bedingungen und sie tun etwas – sie üben einen Einfluss auf andere Dinge aus und haben eine Wirkung. Einige von ihnen sind dauerhaft und andere sind vorübergehend. Der Computer – dieser eine Computer – wäre beispielsweise vorübergehend, genau wie mein Körper. Er ist etwas, das an einem bestimmten Zeitpunkt entsteht und dann an einem anderen Zeitpunkt zerfällt, der von einem Augenblick zum nächsten degeneriert und seinem Ende immer näher kommt. Es gibt jedoch auch andere wirksame, nichtstatische Phänomene, die sich von einem Augenblick zum nächsten ändern, aber ewig andauern, wie das geistige Kontinuum – das individuelle geistiges Kontinuum. Es hat weder Anfang noch Ende, aber ändert sich von einem Augenblick zum nächsten, denn in jedem Augenblick bin ich mir anderer Dinge gewahr; das Bewusstsein, der Geist, ist sich verschiedener Dinge gewahr. 

Mein Computer ist ein nichtstatisches Phänomen. Er zerfällt. Irgendwann wird er nicht mehr funktionieren und schließlich werde ich ihn nicht länger haben. Vielleicht verliere ich ihn, er wird gestohlen oder geht ganz einfach kaputt. Von einem Augenblick zum anderen wird er zerfallen. Den eigentlichen Zerfall bezeichnet man als grobe Unbeständigkeit (tib. mi-rtag-pa rags-pa) und die subtile Unbeständigkeit (tib. mi-rtag-pa phra-mo) ist diese Annäherung – von einem Augenblick zum nächsten – bis zum Ende. 

Könnt ihr dem folgen? Es ist wie mit diesem Vortrag. Er wird enden, denn er ist nichts Dauerhaftes. Aber von einem Augenblick zum nächsten geschieht etwas anderes. Ist der Vortrag zu Ende, dann ist er vorbei. Aber mit jeder Minute kommt er seinem Ende immer näher. Was ist der Grund dafür, dass der Vortrag endet? Der Grund dafür, dass er zu einem Ende kommt, liegt darin, dass er begonnen hat. Hätte er nie begonnen, könnte er auch nie enden. 

Es mag merkwürdig klingen, aber sehen wir uns das am Beispiel des Computers an. Warum geht der Computer kaputt? Weil er hergestellt wurde. Er wurde hergestellt und daher wird er – abhängig von den Teilen usw., die ständig erneuert werden – irgendwann zerfallen und zu einem Ende kommen. Was ist die Ursache von Tod? Die Geburt. Die Krankheit, an der ich sterbe, ist einfach nur der Umstand. Die eigentliche Ursache liegt darin, dass ich geboren wurde. Was können wir also erwarten, wenn wir geboren wurden? Wir werden sterben. Was können wir erwarten, wenn wir einen Computer kaufen. Irgendwann wird er nicht mehr funktionieren. Versteht ihr das? 

Gibt es neben einem geistigen Kontinuum noch etwas, das ewig ist und sich von einem Augenblick zum nächsten ändert? Eine Individuum, ich. Wenn wir sagen, es gäbe keine Seele (tib. bdag-med, Skt. anatman, das Fehlen einer „Seele“, die unmöglich existieren kann), ist es nicht so, dass wir damit abstreiten, es würde da etwas Ewiges geben. Das Ich oder das Selbst ist ewig – es hat weder Anfang noch Ende – aber es ist nichts Gleichbleibendes, das getrennt von Körper und Geist existieren und für sich allein erkannt werden kann. Im Buddhismus erkennt man ein Selbst an – ob man es nun als Seele, Ich, Individuum oder Person bezeichnet. Es wird im Buddhismus anerkannt, es ist ewig und ändert sich von einem Augenblick zum nächsten, denn in diesem Moment tue ich dies und im nächsten jenes. Daher ziehe ich es vor, es als „kein unmögliches Selbst“, als „keine unmögliche Seele“ zu übersetzen. Es ist nicht so, dass es kein Selbst oder keine Seele gibt. Im Buddhismus verneint man vielmehr ein unmögliches Selbst oder eine unmögliche Seele.

Ein unmögliches Selbst bezieht sich auf nichts. Was wäre ein unmögliches Selbst? Es wäre ein Selbst, das man getrennt von einem Körper und einem Geist kennen kann und das durch nichts beeinflusst wird. Es ändert sich nie von einem Augenblick zum nächsten, sondern springt einfach in diesen Körper und in diesen Geist, als wären sie ein Fahrzeug, das von ihm gelenkt wird und dann steigt es wieder aus, um in das nächste Auto zu einzusteigen. Das ist unmöglich, denn es entspricht nichts Realem. Das verstehen wir unter Leerheit. Es geht um die Abwesenheit von etwas Realem, was dem entspricht und das ist unmöglich. Daher ist es wichtig, diese Negierungs-Phänomene zu verstehen. Wenn wir sagen, das Selbst existiere nicht auf diese Weise, heißt das, es existiert auf irgendeine andere Weise. Lasst das für einen Moment einwirken. 

Wirksame Phänomene agieren. Sie entstehen durch Ursachen und Bedingungen. Sie ändern sich von einem Augenblick zum anderen. Einige währen ewig; andere nur eine kurze Zeit und während sie andauern, degenerieren sie. Es gibt viele andere Arten nichtstatischer Phänomene, aber ich möchte hier nicht weiter darauf eingehen, weil es äußerst kompliziert werden würde. Ich habe es beim letzten Mal erklärt, als wir dieses Thema durchgegangen sind und es würde nur zu weiterer Verwirrung führen. 

Formen physischer Phänomene

Es gibt drei Arten wirksamer Phänomene und das ist nur eine Möglichkeit sie zu unterteilen. Es gibt jedoch noch viele andere Möglichkeiten, aber hier unterteilen wir sie in drei Arten und das ist die geläufigste Methode. Die erste Unterteilung wird hier im Deutschen als materielle Phänomene (tib. gzugs) bezeichnet. Ich ziehe den Ausdruck „Formen physischer Phänomene“ vor. Aber egal wie wir sie bezeichnen, es ist wichtig zu verstehen, wovon die Rede ist. Nun, die Rede ist von elf verschiedenen Arten. Es geht um Form (tib. gzugs), Geräusch (tib. sgra), Geruch (tib. dri), Geschmack (tib. ro) und körperliche Empfindungen (tib. reg-bya). Das sind die ersten fünf und sie beziehen sich auf taktile, körperliche Empfindungen. Bei körperlichen Empfindungen handelt es sich um hart und weich, heiß und kalt und die körperliche Empfindung von Bewegung. Es gibt zahlreiche körperliche Empfindungen. Man kann eine Bewegung spüren, nicht wahr? Wir würden das Wort „fühlen“ benutzen, aber in unseren Sprachen ist es so ein vages Wort. Es handelt sich jedoch um die körperliche Empfindung einer Bewegung.

Betrachten wir es gemäß der buddhistischen Analyse auf technische Art und Weise, besteht jedes der Sinnesobjekte aus Partikeln, aber das ist sehr schwer zu verstehen. 

Es gibt eine weitere Gruppe von fünf Arten und hierbei handelt es sich um Sensoren, um die Sensoren der Wahrnehmung (tib. dbang-po). Das sind diese winzigen Zellen in unserem Körper, die Formen wahrnehmen: die lichtempfindlichen Zellen der Augen (tib. mig-gi dbang-po), die geräuschempfindlichen Zellen der Ohren (tib. rna’i dbang-po), die geruchsempfindlichen Zellen der Nase (tib. sna’i dbang-po), die geschmacksempfindlichen Zellen der Zunge (tib. lce’i dbang-po) und die Zellen des Körpers, die empfindlich auf die körperlichen Wahrnehmungen sind (tib. lus-kyi dbang-po). 

Außerdem gibt es eine weitere Art, die nur durch das geistige Bewusstsein erkannt werden kann (tib. chos-kyi skye-mched-pa'i gzugs, Formen physischer Phänomene, die ausschließlich bei den kognitiven Anregern enthalten sind, die alle Phänomene sind); diese Dinge können nicht auf sensorische Weise erkannt werden. Ein Beispiel ist das, was wir in Träumen wahrnehmen. In Träumen gibt es Dinge, die Formen und Klänge zu sein scheinen, aber keine echten Objekte des Sehbewusstseins oder des Hörbewusstseins sind. Es sind Objekte des geistigen Bewusstseins. Es gibt noch andere Beispiele: auch Teilchen und Atome kann man nicht sehen, obwohl sind Formen physischer Phänomene sind. 

Wir haben über den Körper gesprochen und darüber, dass wir denken: „Ich bin ein völliger Idiot“; es geht also um den Körper. Oder wenn wir sagen: „Ich habe den falschen Computer mitgenommen“, dann geht es um den Computer. Dies sind Formen physischer Phänomene. Die visuelle Wahrnehmung des Computers, die taktile Empfindung, wenn ich ihn in der Hand halte und der Klang, wenn ich etwas tippe, all das sind Formen physischer Phänomene. Darüber hinaus können wir natürlich diese anderen Unterteilungen, über die wir gesprochen haben, mit einbeziehen: beispielsweise das, was ich gerade sehe und was ich nicht mehr sehe; die visuelle Wahrnehmung, die ich gerade habe und eine visuelle Wahrnehmung, die ich nicht mehr habe, die ich gestern hatte; den Computer eines anderen, den ich gegenwärtig sehe und meinen Computer, den ich nicht mehr sehe.

Weisen, sich etwas gewahr zu sein

Es gibt also Formen physischer Phänomene und die zweite Unterteilung nichtstatischer Phänomene sind „Weisen, sich etwas gewahr zu sein“ (tib. shes-pa). Auch hier unterscheiden wir zwischen mehreren Arten. 

Es gibt das so genannte Primärbewusstsein (tib. rnam-shes). Im Buddhismus geht es nicht einfach nur um Bewusstsein, als einen allgemeinen Begriff, sondern vielmehr um das visuelle Bewusstsein (tib. mig-gi rnam-shes), das Hörbewusstsein (tib. rna’i rnam-shes), das Riechbewusstsein (tib. sna’i rnam-shes), das Geschmacksbewusstsein (tib. lce’i rnam-shes), das Bewusstsein der körperlichen Empfindungen (tib. lus-kyi rnam-shes) und das geistige Bewusstsein (tib. yid-kyi rnam-shes), das mit dem Träumen oder Nachdenken verbunden wäre. Das Primärbewusstsein nimmt etwas wahr; es ist sich der so genannten essentiellen Natur (tib. ngo-bo) von Dingen gewahr. Bei der essentiellen Natur einer Sache handelt es sich um die allgemeine Art von etwas. Das visuelle Bewusstsein ist sich also einer Sache als Form gewahr. Das Hörbewusstsein ist sich einer Sache als Klang gewahr. Es geht einfach um diese allgemeine Kategorie, um die Art der Information. Handelt es sich um Informationen des visuellen Bereiches oder des Klangbereiches? Betrachten wir es am Beispiel eines Computers, haben wir eine digitale Repräsentation von etwas und da gibt es eine Art Prozessor, der sich gewahr sein kann, dass es sich um Informationen des visuellen Bereiches oder des Klangbereiches handelt. Das ist die Funktion des Primärbewusstseins. 

Als nächstes haben wir Geistesfaktoren (tib. sems-byung, Nebengewahrsein), die uns helfen, mit dieser Information umzugehen. Einige dieser Faktoren sind Dinge, wie Aufmerksamkeit (tib. yid-la byed-pa), Konzentration (tib. ting-nge-’dzin, geistiges Fixieren), Interesse (tib. don-gnyer) und eine Ebene von Glück oder Unglück zu erfahren (tib. tshor-ba). Und dann gibt es all die verschiedenen Emotionen, die ebenfalls unsere Erfahrung eines Objektes einfärben können (tib. dge-ba), positive Emotionen und destruktive Emotionen (tib. mi-dge-ba), störende Emotionen (tib. nyon-mongs). 

Hier haben wir die Gruppierung eines Primärbewusstseins mit all den begleitenden Geistesfaktoren, die sich alle auf das gleiche Objekt richten, alle zur gleichen Zeit auftreten usw. Sie alle haben fünf Gemeinsamkeiten (tib. mtshungs-ldan lnga). Hier können wir uns einen Kronleuchter vorstellen, mit einem großen Licht in der Mitte und all den kleineren Lichtern ringsherum, die alle zur gleichen Zeit angehen und das gleiche Objekt beleuchten. 

Das sind Weisen, sich etwas gewahr zu sein. Ich sehe mir diese Tasche an und erkenne, das es nicht mein Computer ist. Ich bin unglücklich und wütend darüber – all diese Dinge passieren hier.

Nichtkongruente beeinflussende Variablen

Dann haben wir eine dritte Kategorie (tib. ldan-min ’du-byed, nichtstatische Abstraktion, nichtkongruente beeinflussende Variable), was schwer zu übersetzen ist. Es ist etwas, das nichtstatisch ist – es ändert sich von einem Augenblick zum nächsten – aber es ist weder die Form eines physischen Phänomens, noch eine Weise, sich etwas gewahr zu sein. Zum Beispiel das Selbst, von dem wir sagen, es sei einem Strom von Kontinuität aller möglichen sich ändernden Faktoren zugeschrieben, sowohl physischen, als auch Weisen, sich etwas gewahr zu sein. 

Was geschieht hier? In jedem Augenblick ist es so, dass eine andere Art von Bewusstsein am Werke ist. Manchmal sind es mehrere gleichzeitig – beispielsweise das Sehen und das Hören. Einige von ihnen manifestieren sich, andere finden unterbewusst statt, wie beispielsweise das Spüren der Kleidung an unserem Körper. Die taktile Empfindung, dieses Bewusstsein, ist da, aber ich bin mir nicht bewusst darüber. Es findet also unterbewusst statt – ich achte nicht darauf. Wie ist es mit der Wahrnehmung der Zunge in unserem Mund? Wie oft sind wir uns über sie bewusst? Achten wir jedoch darauf, können wir die Zunge in unserem Mund spüren. Wenn man darüber nachdenkt, ist es wirklich recht merkwürdig. 

Es gibt also all diese Formen, Klänge und Gerüche, all die Arten des Bewusstseins und all diese Geistesfaktoren, die sich in unterschiedlichen Abständen ändern. Manchmal bin ich glücklich und manchmal unglücklich; dann habe ich diese oder jene Emotion; die Ebenen meiner Aufmerksamkeit und meines Interesses ändern sich ständig, auf unterschiedliche Weise. Und um es einzuordnen, können wir in gewisser Weise all dem ein „Ich“ zuschreiben. Sehe ich etwas? Denke ich etwas? Nun, ja, aber ich denke nicht nur allein, ich sehe nicht nur allein. Es ist das Sehbewusstsein und das Sehbewusstsein sieht etwas. Aus diesem Grund sagen wir: „ich sehe etwas“, obwohl es dem, was geschieht, zugeschrieben wird. Das „Ich“ kann selbst nichts sehen; es kann nicht getrennt von einer Grundlage – hier dem Bewusstsein – existieren oder erkannt werden. 

Das Selbst – das Ich – kann nicht getrennt erkannt werden und es kann, nur für sich selbst, weder etwas sehen, noch existieren oder irgendetwas tun. Es kann nur der Erfahrung, die stattfindet, zugeschrieben werden. Es ist nicht etwas Getrenntes von allem, was in meiner Erfahrung stattfindet. Es handelt sich nicht um eine Art Beobachter, der aus der Ferne zuschaut, die Knöpfe betätigt und Dinge geschehen lässt. Darüber sollte man ernsthaft nachdenken. 

Wer ist der Autor der Stimme, die in mir spricht? Wer redet da? Ich rede, niemand sonst. Gibt es da ein getrenntes kleines „Ich“, das dort irgendwo in einer Art Kontrollraum sitzt und in ein Mikrofon spricht? Offensichtlich nicht. Die Informationen werden nicht auf einer Videoleinwand projiziert und kommen nicht durch Lautsprecher, durch unsere Ohren, in diese Schaltzentrale, in der das Ich sitzt und überlegt, was es jetzt tun soll, ob es dieses oder jenes tun, die Hand heben und einen Hebel dafür betätigen wird. So ist das nicht, aber es fühlt sich so an. Auf diese Weise werden wir in die Irre geführt und das ist sehr verwirrend, nicht wahr? Es fühlt sich so an, als würde es da jemanden in uns geben, der zu uns redet, aber das ist unmöglich; es entspricht nichts Realem. Da gibt es kein Wesen, das in uns sitzt, wie in dem Film „Alien“, in dem eine Art Alien den Körper übernimmt und ihn manipuliert. 

Aber es scheint so ein unabhängig existierendes „Ich“ wirklich zu geben und das ist das Problem: wir glauben, es wäre real. Sobald wir nicht mehr daran glauben, sind wir befreite Wesen. Und wenn unser Geist damit aufhört, diese täuschende Erscheinung hervorzurufen, sind wir Buddhas. Das ist der Unterschied. Ist man ein befreites Wesen, ruft der Geist immer noch diesen Unsinn hervor. Sind wir uns jedoch im Klaren darüber, dass es Unsinn ist, hören wir auf, daran zu glauben und reagieren nicht mehr darauf. Dann sind wir Buddhas und unser Geist ruft diese Erscheinung überhaupt nicht mehr hervor.

Schlussfolgerung 

Es gibt also diese drei Arten wirksamer Phänomene: Formen physischer Phänomene, Weisen, sich etwas gewahr zu sein und Dinge, die keins von beidem sind. 

Ein weiteres Beispiel für die dritte Unterteilung wäre Zeit. Zeit vergeht von einem Augenblick zum nächsten. Sie ist nicht statisch, sie ist keine Form eines physischen Phänomens und sie ist keine Weise, sich etwas gewahr zu sein. Ich habe beispielsweise meinen Computer nicht. Die Zeit vergeht und je länger ich warte und nichts unternehme, desto geringer sind die Chancen, ihn wiederzubekommen. 

Wiederum gibt es zahlreiche Möglichkeiten in Bezug darauf, was ein Negierungs-Phänomen sein könnte: einige sind statisch, andere nichtstatisch; es gibt also jede Menge Variationen. Ich habe meinen Computer nicht. Diesen Computer nicht zu haben, ist ein sich änderndes Phänomen – ich habe ihn für eine Minute nicht, dann für zwei, drei, vier Minuten und schließlich fehlt er mit seit vier Tagen. Es ist ein sich änderndes Phänomen. Ihn nicht zu haben, ist ein Negierungs-Phänomen. Es gibt so viele Möglichkeiten, wie sich diese Unterteilungen überschneiden können. „Eine Sache nicht zu haben“ ist etwas, das sich von einem Augenblick zum nächsten ändert.

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