Unentschiedene, nachfolgende, verzerrte und unentschlossene Wahrnehmungen

Unentschiedene Wahrnehmung 

Ein Erkennen (von etwas), das eine unentschiedene Wahrnehmung ist, ist ein Erkennen, dessen beteiligtes Objekt eine objektive Entität ist, die klar aber ohne Entschiedenheit erscheint. Wird sie unterteilt, so gibt es drei Arten: (1) (unentschiedene) bloße Sinneswahrnehmung, (2) (unentschiedene) geistige bloße Wahrnehmung und (3) (unentschiedene) bloße Wahrnehmung durch reflexives Gewahrsein.

Im Allgemeinen gibt es vier Arten der bloßen Wahrnehmung (tib. mngon-sum): sensorische, geistige, jene des reflexiven Gewahrseins und yogische. Mit diesen kann man objektive Entitäten als die beteiligten Objekte (tib. ’jug-yul) erkennen. Im Sautrantika-System sind objektive Entitäten (tib. rang-mtshan) jene Phänomene, deren Existenz nicht dadurch begründet wird, dass sie lediglich durch konzeptuelle Wahrnehmung zugeschrieben werden. Sie umfassen alle unbeständigen Phänomene.

Wenn eine der fünf Arten des Sinnesbewusstseins durch ein nicht fehlerhaftes Sinnesorgan ein Objekt frisch und korrekt begreift, ohne es mit irgendwelchen Konzepten zu vermischen, handelt es sich dabei um bloße Sinneswahrnehmung (tib. dbang-mngon). Ein Beispiel dafür ist der erste Augenblick, in dem unser visuelles Bewusstsein korrekt die Form eines Tonkruges wahrnimmt. Nach einer solchen bloßen Sinneswahrnehmung und bevor unser Geist beginnt, sie konzeptuell zu erfassen, muss unser geistiges Bewusstsein zunächst ebenfalls die Form dieses Tonkruges korrekt erfassen. Das ist die geistige bloße Wahrnehmung (tib. yid-mngon) einer Form. Sie dauert nur ganz kurz an. Unser anfängliches Gewahrsein solch gültiger Wahrnehmungen, das uns erlaubt, uns später an sie zu erinnern, ist die bloße Wahrnehmung durch reflexives Gewahrseins (tib. rang-rig mngon-sum). Hatte man solche bloßen Wahrnehmungen, ist sich jedoch ihrer nicht sicher oder war mit der Aufmerksamkeit woanders, werden sie als unentschiedene Wahrnehmungen (tib. snang-la ma-nges-pa) bezeichnet.

Was in dieser Hinsicht die yogische bloße Wahrnehmung betrifft, gibt es so etwas, wie unentschiedene yogische bloße Wahrnehmung nicht, da alles, was (in ihr) erscheint, entschieden (wahrgenommen wird).

Jeder Moment im Kontinuum eines jeden individuellen begrenzten Wesens besteht aus fünf Aggregat-Faktoren der Erfahrung. Jeder dieser Faktoren ändert sich fortwährend von einem Augenblick zum nächsten. Diese von einem Augenblick zum nächsten stattfindende Veränderung nennt man subtile Unbeständigkeit (tib. mi-rtag-pa phra-mo, subtiles Nichtstatischsein).

Was diese fünf Aggregate betrifft, bilden alle Objekte der Wahrnehmung, die Formen physischer Phänomene sind, einschließlich des Körpers der Person und dessen körperliche Sensoren der Wahrnehmung, ihr Aggregat der Form (tib. gzugs-kyi phung-po). Ihr Aggregat des Bewusstseins (tib. rnam-shes-kyi phung-po) bezieht sich auf ihre sechs Arten des Primärbewusstseins, während ihr Aggregat des auseinanderhaltenden Gewahrseins (tib. ’du-shes-kyi phung-po) und ihr Aggregat des Empfindens eines Grades an Glücklichsein (tib. tshor-ba’i phung-po) ihre Geistesfaktoren sind, die diese zwei Funktionen erfüllen. All ihre anderen Geistesfaktoren, wie auch ihre Tendenzen, ständigen Gewohnheiten, ihr konventionelles „Ich“ oder Selbst und alle anderen unbeständigen Phänomene, die weder Formen physischer Phänomene sind, noch Weisen, sich etwas gewahr zu sein, werden als ihr Aggregat anderer beeinflussender Variablen (tib. ’du-byed-kyi phung-po) zusammengefasst. Somit umfasst dieses fünfte Aggregat alles andere, was ihre Wahrnehmungen ausmacht, das unbeständig ist und nicht zu den anderen fünf Aggregaten gehört.

Die Person (tib. gang-zag) – das Selbst, das konventionelle „Ich“ – ist ein Zuschreibungsphänomen auf der Grundlage eines individuellen Kontinuums solcher Aggregat-Faktoren. Ein Zuschreibungsphänomen (tib. btags-pa) ist etwas, das nicht unabhängig von einer Grundlage der Zuschreibung (tib. gdags-gzhi) existieren und unabhängig von dieser Grundlage wahrgenommen werden kann. Als solche ist die Person die Grundlage, der das Wort „Ich“ oder irgendein Name zugeschrieben werden kann, um sich auf ihn oder sie zu beziehen.

Personen sind frei von einer Existenz (1) als eine statische, teilelose Seele (tib. bdag, Skt. ātman), die nach der Befreiung unabhängig von diesen fünf Aggregaten existieren kann und (2) als eine eigenständig erkennbare (tib. btags-yod) Seele, die unabhängig für sich wahrgenommen werden kann, ohne das ein Teil ihrer Grundlage der Zuschreibung auch parallel erscheint und wahrgenommen wird. Die Leerheit (Leere) oder völlige Abwesenheit des konventionellen „Ichs“, dessen Existenz als eine dieser zwei Arten von Seelen festgelegt wird, kennt man jeweils als die grobe Selbstlosigkeit einer Person (tib. gang-zag-gi bdag-med rags-pa, grobe Identitätslosigkeit einer Person) und die subtile Selbstlosigkeit einer Person (tib.gang-zag-gi bdag-med phra-mo, subtile Identitätslosigkeit einer Person).

Jeder, der ein nicht-konzeptuelles Begreifen einer dieser zwei Ebenen der Selbstlosigkeit der Person hat, wird als ein „Arya“ (tib. ’phags-pa, ein Edler, ein hochverwirklichtes Wesen) bezeichnet. Dieses nicht-konzeptuelle Begreifen geschieht mit einem verbundenen Paar (tib. ’zung-brel) oder „Yoga“ (tib. rnal-’byor, ein Joch) eines still gewordenen und zur Ruhe gekommenen Shamatha-Geistes (tib. zhi-gnas) und eines außergewöhnlich wahrnehmungsfähigen Vipashyana-Geistes (tib. lhag-mthong). Der Erste ist ein Zustand des Hochgefühls von Körper und Geist mit vertiefter Konzentration (tib. ting-nge-’dzin, Skt. samādhi) in ein Objekt, frei von jeglicher geistiger Flatterhaftigkeit und Dumpfheit. Beim Zweiten wird dem eine zweite Ebene des Hochgefühls hinzugefügt und man ist in der Lage, alle Details seines Objektes zu erkennen.

Nicht-konzeptuelles Begreifen subtiler Unbeständigkeit oder die grobe oder subtile Selbstlosigkeit der Person, wenn solches Begreifen während völliger Vertiefung (tib. mnyam-bzhag) in solche Objekte und mit einem verbundenen Paar von Shamatha und Vipashyana stattfindet, ist die so genannte yogische bloße Wahrnehmung (tib. rnal-’byor mngon-sum). Nur Aryas haben solch eine Wahrnehmung; sie ist niemals unentschieden. Gemäß den Sautrantika-Behauptungen begreift man während solch einer Wahrnehmung der groben oder subtilen Selbstlosigkeit der Person mit der yogischen bloßen Wahrnehmung explizit die fünf Aggregate und die Person, während man mit einer explizit die fünf Aggregate und die Person begreifenden begleitenden konzeptuellen Wahrnehmung auch eine bloße Wahrnehmung durch reflexives Gewahrsein hat, durch das man die Selbstlosigkeit der Person implizit begreift.

Des Weiteren gibt es fünf Arten der bloßen Sinneswahrnehmung dieser (unentschiedenen) Art, wie die fünf eines gewöhnlichen Wesens, von der bloßen Sinneswahrnehmung, die eine sichtbare Form (als ihr beteiligtes Objekt) erfasst, bis zur bloßen Sinneswahrnehmung, die einen physischen Eindruck erfasst, wenn der Geist (der Person) in eine andere Richtung gelenkt wird,

Ein gewöhnliches Wesen (tib. so-so’i skye-bo) ist jeder, der noch nicht den Zustand eines Aryas erreicht hat. Wenn wir als ein gewöhnliches Wesen aufmerksam Musik hören, haben wir eine bloße akustische Wahrnehmung des Klanges der Musik. In solch einem Augenblick sind die Sinneswahrnehmungen des Bildes an der Wand vor uns, der Geruch oder Geschmack der Zigarette und die körperliche Empfindung der Uhr an unserer Hand allesamt unentschieden. Obwohl jedes dieser Sinnesobjekte klar in unserem Bewusstsein des Sehens, Riechens usw. erscheint, können wir uns nicht sicher sein, dass sie da sind. Wir bemerken sie nicht, weil die Aufmerksamkeit von etwas anderem beherrscht und abgelenkt wird.

oder der letzte Augenblick der fünf Arten der bloßen Sinneswahrnehmung im Geisteskontinuum eines gewöhnlichen Wesens.

Sieht man beispielsweise als ein gewöhnliches Wesen mit nicht fehlerhaften Sinnen auf korrekte Weise einen Tonkrug, mag die visuelle Wahrnehmung dessen, frei von jeglichem konzeptuellen Erfassen, mehrere Momente andauern. Die erste Instanz, wenn unser Erkennen frisch ist, ist unsere bloße Sinneswahrnehmung des Tonkruges, und das ist eine gültige Wahrnehmung dessen. Unmittelbar danach ist unser Erkennen dessen nicht mehr frisch und somit ist unsere nachfolgende Wahrnehmung ungültig, auch wenn wir den Tonkrug vielleicht weiter korrekt begreifen. Während der letzten Instanz der Kontinuität dieser spezifischen Sinneswahrnehmung begreifen wir jedoch den Tonkrug nicht mehr korrekt. Unsere Aufmerksamkeit ist kurz davor, sich auf ein anderes Objekt zu verlagern und wie eine Kerze, die kurz davor ist, auszugehen, verdunkelt sich unsere Klarheit. Obgleich der Tonkrug noch in unserem visuellen Bewusstsein erscheint, schenken wir ihm keine volle Aufmerksamkeit. Der letzte Moment ist ein Beispiel unentschiedener visueller Wahrnehmung.

Für ein gewöhnliches Wesen sind der winzige Moment der geistigen bloßen Wahrnehmung und alle (winzigen Momente der) reflexiven (Wahrnehmung) unentschiedene Wahrnehmungen. Was die hier angedeutete (Art der) geistigen bloßen Wahrnehmung betrifft, so wird im „Filigranschmuck der Argumentationsketten“ (vom Ersten Dalai Lama) gesagt, dass es sich bei ihr um eine gültige Wahrnehmung handelt, wenn sie die eines Aryas ist.

Im Gegensatz zu den Buddhas, verfügen die niedrigeren Aryas nur während der Phase völliger Vertiefung in ihrer Meditation über die Selbstlosigkeit der Person über yogische bloße Wahrnehmung, und sie ist niemals unentschieden. Während der nicht-konzeptuellen Phase der Periode der nachfolgenden Erlangung (tib. rjes-thob, „Nachmeditation“) so einer Meditation, wenn solche Aryas die Aggregate und die Person als illusionsgleich betrachten, begreifen sie explizit die Aggregate und die Person mit geistiger bloßer Wahrnehmung und wiederum implizit die Selbstlosigkeit der Person mit der bloßen Wahrnehmung des reflexiven Gewahrseins in einer begleitenden konzeptuellen Wahrnehmung, durch die sie die Aggregate und die Person explizit begreifen. Laut dem „Filigranschmuck von Argumentationsketten (Eine erklärende Abhandlung von Dharmakirtis Kommentar zu [Dignagas Kompendium des] gültig wahrnehmenden Geistes) (tib. Tshad-ma’i bstan-bcos rigs-pa’i rgyan)“ vom Ersten Dalai Lama (tib. rGyal-ba dGe-’dun grub) ist während dieser Periode sogar der winzigste Moment ihrer geistigen bloßen Wahrnehmung und ihres reflexiven Gewahrseins niemals unentschieden.

Das trifft nicht auf gewöhnliche Wesen zu. Der winzigste Moment der geistigen bloßen Wahrnehmung, der einem Strom von Kontinuität ihrer bloßen Sinneswahrnehmung folgt, vergeht zu schnell, um auf ihn achten zu können. Obwohl ihre bloße Wahrnehmung reflexiven Gewahrseins aufmerksam sein kann, erfordert diese Aufmerksamkeit in ähnlicher Weise mehrere Momente, um geschaffen zu werden. Daher sind diese winzigen Momente selbst unentschieden.

Für diese Art der (unentschiedenen) bloßen Wahrnehmung durch reflexives Gewahrsein gibt es zahlreiche Beispiele, wie das reflexive Gewahrsein, das im Geisteskontinuum eines Charvaka oder eines Jain, (jenen), die verzerrte Wahrnehmungen (erleben) usw. gültige schlussfolgernde Wahrnehmungen erlebt. Es gibt zum Beispiel auch (all die bloßen Wahrnehmungen durch) reflexives Gewahrsein im Geisteskontinuum der Vaibhashikas in unserer eigenen Tradition, sowie den letzten Augenblick im Kontinuum des reflexiven Gewahrseins eines gewöhnlichen Wesens.

Gemäß den Lehrsystemen der Charvaka (tib.rgyang-’phen-pa) und Jain (tib. gcer-bu-pa) kann man nichts durch schlussfolgernde Wahrnehmung gültig erkennen. Sehen Anhänger dieser zwei nicht-buddhistischen Schulen Rauch auf einem Berg, wissen sie dennoch, dass es dort ein Feuer gibt. Obwohl solch gültige schlussfolgernde Wahrnehmung klar in ihrem Geisteskontinuum erscheint und obwohl ihr reflexives Gewahrsein diese schlussfolgernde Wahrnehmung tatsächlich erlebt, sind sie sich nicht völlig bewusst darüber. Das liegt daran, dass ihr Geist von ihrem Glauben beherrscht wird, schlussfolgernde Wahrnehmung wäre keine gültige Art der Wahrnehmung von etwas. Somit ist die Wahrnehmung durch ihr reflexives Gewahrsein ihrer schlussfolgernden Wahrnehmung unentschieden.

Hat man eine verzerrte Wahrnehmung, wie die eines blauen Schneeberges, und ein geistiges Hologramm eines solchen erscheint klar im visuellen Bewusstsein – obwohl es in der Realität so etwas nicht gibt – ist das reflexive Gewahrsein dieser Wahrnehmung ebenso unentschieden. Außer dem eines Aryas erlebt das reflexive Gewahrsein eines gewöhnlichen Wesens lediglich einen Geisteszustand oder eine Wahrnehmung, oder ist sich über sie bewusst. Es versteht nicht, was diese Wahrnehmung ist, oder ob sie korrekt ist oder nicht. Mit dem reflexiven Gewahrsein erlebt man somit lediglich eine verzerrte Wahrnehmung, ohne zu wissen, dass sie fehlerhaft ist. Doch weil der Geist davon beherrscht ist zu denken, dass sich das, was man sieht, wirklich so verhält, ist man sich nicht völlig der eigenen verzerrten Wahrnehmung bewusst. Daher ist das Wahrnehmen dieser verzerrten Wahrnehmung durch das reflexive Gewahrsein unentschieden.

Als Buddha das Lehrsystem des Vaibhashika (tib. bye-brag smra-ba) lehrte, erklärte er nicht, dass begrenzte Wesen eine geistige Fähigkeit des reflexiven Gewahrseins haben. Obgleich Anhänger dieses Systems ihre geistigen Zustände und Wahrnehmungen durch solch eine Fähigkeit erleben, sind sie sich nicht völlig bewusst darüber. Das liegt daran, dass ihr Geist von der falschen Annahme beherrscht wird, sie hätten keine solche Fähigkeit. All solche Wahrnehmungen reflexiven Gewahrseins in ihrem Geisteskontinuum sind daher ebenfalls unentschieden.

Nachfolgende Wahrnehmung 

Nachfolgende Wahrnehmung wird als ein ungültiges Gewahrsein definiert, welches erfasst, was bereits erfasst wurde. Wird sie unterteilt, gibt es drei (Arten): die nachfolgenden Wahrnehmungen, die in einem Kontinuum (1) einer bloßen Wahrnehmung, (2) einer schlussfolgernden Wahrnehmung und (3) der nachfolgenden Wahrnehmungen entstehen, die keine dieser beiden ist.

Sowohl unbeständige als auch beständige Phänomene können gültig erkannt werden. Gemäß den Sautrantika-Lehrsystemen können unbeständige Phänomene gültig erkannt und explizit oder implizit begriffen werden, entweder nicht-konzeptuell mit bloßer Wahrnehmung oder konzeptuell mit schlussfolgernder Wahrnehmung. Beständige Phänomene können durch reflexives Gewahrsein, welches bloße Wahrnehmung einer konzeptuellen Wahrnehmung hat, implizit begriffen werden. 

Obwohl sich unbeständige Phänomene von einem Augenblick zum nächsten mit subtiler Unbeständigkeit ändern, existieren allgemein verständliche ganze Objekte laut dem Sautrantika-Zweig der Vertreter der wahren Aspekte dennoch objektiv in ihrer eigenen individuellen Position. Ein allgemein verständliches Objekt ist etwas, das sich auf all seine Teile und alle sensorischen Informationen – dessen Anblick, Klang, Geruch, Geschmack und körperlicher Empfindung – über einen bestimmten Zeitraum erstreckt. Hat man somit einen Tonkrug korrekt begriffen, kann man es anschließend wieder tun, denn obwohl der unbeständige Tonkrug sich von einem Augenblick zum nächsten verändert hat, existiert weiterhin objektiv ein Tonkrug als ein äußeres Objekt, der wiederholt korrekt gesehen werden kann.

Die Wahrnehmung dieses Tonkruges kann mehrere Momente andauern und man kann daher sagen, dass er eine ununterbrochene Kontinuität hat. Anfangs sieht man ihn mit bloßer Sinneswahrnehmung. Als ein frisches, nicht betrügerisches Gewahrsein, welches den Tonkrug explizit auf korrekte und entschiedene Weise begreift, ist es eine gültige Art, ihn wahrzunehmen. So, wie sich dieser Tonkrug von einem Augenblick zum nächsten ändert, ändert sich auch dessen Wahrnehmung. Man mag ihn weiter korrekt begreifen, doch normalerweise ist nur die erste Instanz davon gültig, denn nur diese anfängliche Wahrnehmung ist ein frisches Gewahrsein.

Während der ungebrochenen Kontinuität unseres Gewahrseins dieses Tonkruges hängt jeder nachfolgende Moment der Wahrnehmung von der unmittelbar vorangehenden des gleichen Objektes als unmittelbare Bedingung für das Hervorbringen einer Erscheinung und eines Begreifens dieses Objektes ab. Der anfängliche Moment in solch einer Abfolge hat jedoch keine solche Abhängigkeit. Er bringt eine Erscheinung dieses Objektes hervor und begreift es aus eigener Kraft. Gemäß der Sautrantika-Erklärung ist er nur deswegen wahrhaft gültig.

Jeder Augenblick in der Wahrnehmung eines Buddhas ist jedoch frisch und gültig, ohne sich jemals auf die unmittelbar vorangehende zu stützen, um ihr Objekt begreifen zu können. Für alle anderen Wesen, einschließlich der Aryas, fährt jedes Kontinuum eines Begreifens mit einem anfänglichen Moment, der frisch ist, fort, sein beteiligtes Objekt zu begreifen, jedoch durch objektive, nicht frische und daher ungültige Arten der Wahrnehmung. Solche Momente sind bekannt als nachfolgende Wahrnehmung (tib. bcad-shes).

Zudem gibt es in Bezug auf die erste (Wahrnehmung) viele (Arten), wie die nachfolgenden Wahrnehmungen der sensorischen, geistigen, reflexiven und yogischen bloßen Wahrnehmungen. Beispiele für jede sind in aufsteigender Form die zweiten Phasen (1) der fünf Arten der bloßen Sinneswahrnehmung, (2) des höher entwickelten Gewahrsein, das den Geist eines anderen wahrnimmt, (3) des reflexiven Gewahrseins mit einem Kontinuum und (4) der yogischen bloßen Wahrnehmung, die weiteres Trainings bedarf. Die zweite Phase einer bloßen Wahrnehmung kann als eine nachfolgende Wahrnehmung miteinbezogen werden, die (ausdrücklich) keine dieser vier ist.

In Bezug auf die zweite (Art), wäre sie wie die zweite Phase einer gültigen schlussfolgernden Wahrnehmung und in Bezug auf die dritte, wäre sie wie eine entschiedene Wahrnehmung, die durch eine spezifische (vorangegangene) bloße Wahrnehmung oder schlussfolgernde Wahrnehmung und zum Beispiel die zweite Phase einer gültigen Wahrnehmung herbeigeführt wird.

Zu dieser dritten Kategorie gehören alle Wahrnehmungen, in denen man sich an etwas erinnert, was man zuvor entweder durch bloße Wahrnehmung oder durch schlussfolgernde Wahrnehmung gültig erkannt hat, einschließlich des ersten Momentes.

Man kann sie in zwei zusammenfassen: (1) die konzeptuelle nachfolgende Wahrnehmung und (2) die nicht-konzeptuelle nachfolgende Wahrnehmung.

Bloße Wahrnehmung und schlussfolgernde Wahrnehmung sind jeweils nicht-konzeptuell und konzeptuell. Daher ist die nachfolgende Wahrnehmung der ersten ebenfalls nicht-konzeptuell, während die der zweiten konzeptuell ist.

Verzerrte Wahrnehmung 

Die verzerrte Wahrnehmung wird als eine Art der Wahrnehmung definiert, die ihr eigenes Objekt auf verdrehte Weise erfasst.

Von den fünf ungültigen Arten der Wahrnehmung von Dingen, sind die unentschiedene Wahrnehmung und die nachfolgende Wahrnehmung nicht unbedingt nachteilig für unseren spirituellen Fortschritt. Die erste Art mag zu einer korrekten und gültigen Wahrnehmung führen und die zweite folgt vielleicht einer solchen. Der letzte Moment unseres konzeptuellen Verständnisses der Selbstlosigkeit einer Person, bevor man eine yogische bloße Wahrnehmung von ihr hat, ist unentschieden, aber führt direkt zu diesem vorteilhaften Geisteszustand. Unsere nachfolgende yogische Wahrnehmung der Selbstlosigkeit, führt, auch wenn sie ungültig ist, da sie nicht frisch ist, zu einer vollständigen Vertrautheit mit dieser wahren Existenzweise von Personen. Indem wir solch eine Vertrautheit mit diesem korrekten Begreifen in der Meditation entwickeln, werden wir in der Lage sein, in allen Zeiten eine gültige bloße Wahrnehmung davon zu haben, wenn wir Buddhaschaft erlangen.

Verzerrte Wahrnehmung ist jedoch äußerst nachteilig für unsere Entwicklung. Ungeachtet dessen kann sie eine letzte Instanz haben. Mit dem Anwenden geeigneter Gegenmittel können all solche Wahrnehmungen vernichtet werden. Echte Praktizierende haben das Gefühl, dass störende Emotionen und Täuschungen viel leichter zu überwinden sind, als äußere Feinde. Das liegt an ihrer Erkenntnis, dass weder Bomben noch ausgefeilte Waffen notwendig sind, um sie zu entwurzeln. Durch das Entwickeln geeigneter Gegenmittel in ihrem Geisteskontinuum können sie frei von all solchen Hindernissen bezüglich ihrer Befreiung und Erleuchtung sein.

Wird sie unterteilt, gibt es zwei (Arten): (1) konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung und (2) nicht-konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung. Die Definition der ersten Art ist ein konzeptuell impliziertes Gewahrsein, das bezüglich seines eigenen konzeptuell implizierten Objektes trügerisch ist. Die Definition einer nicht-konzeptuellen verzerrten Wahrnehmung ist ein Gewahrsein, das eine klare Erscheinung (eines Objektes) hat, welche bezüglich der eigenen Weise des kognitiven Erfassens trügerisch ist. Die erste ist wie die zwei Arten des Greifens nach einer unmöglichen „Seele“, also von Phänomenen und Personen, während die zweite beispielsweise wie die Sinneswahrnehmung ist, in der ein Schneeberg blau zu sein scheint.

Alle Arten konzeptueller Wahrnehmung – auch bekannt als konzeptuell implizierendes Gewahrsein (tib. zhen-rig)  – sind trügerisch (tib. ’khrul-ba), da eine statische Kategorie, wie beispielsweise die Objekt-Kategorie (tib. don-spyi) „Tibet“, mit einem geistigen Hologramm (tib. rnam-pa) eines Aspektes von Tibet verwechselt wird, die Tibet repräsentiert, wenn man darüber nachdenkt. Das erscheinende Objekt solch einer Wahrnehmung ist eine statische Kategorie. Ein erscheinendes Objekt (tib. snang-yul) ist das direkte Objekt, das in einer Wahrnehmung entsteht, als würde es sich direkt vor dem Bewusstsein befinden, und ist eine geistige Ableitung (tib. gzugs-brnyan) eines kognitiven Objektes. Das geistige Hologramm, das die Kategorie repräsentiert, kennt man als das konzeptuell implizierte Objekt (tib. zhen-yul) – wörtlich ein Objekt, das mit einer „daran hängenden Grundlage“ (tib. zhen-gzhi, eine konzeptuell erfasste Grundlage) verbunden ist. Im Fall einer nicht verzerrten konzeptuellen Wahrnehmung, wie einer Wahrnehmung von Tibet, ist die Kategorie „Tibet“ zum Beispiel das erscheinende Objekt in unserem Bewusstsein, während das geistige Hologramm einen Aspekt von Tibet als sein konzeptuell impliziertes Objekt repräsentiert. Obwohl das geistige Hologramm, welches man benutzt, um Tibet im Gedanken an das Land zu repräsentieren, nicht das gleiche ist, wie das Land selbst, ist Tibet, als die „daran hängende Grundlage“ etwas gültig Erkennbares.

In einer verzerrten konzeptuellen Wahrnehmung, wie jener einer beständigen, statischen Identität von uns selbst als einer Person, ist die Objekt-Kategorie „beständiges Selbst“ das erscheinende Objekt in unserem Bewusstsein, welches durch ein geistiges Hologramm dessen repräsentiert wird, was man sich als ein beständiges Selbst vorstellt. Das geistige Hologramm ist das konzeptuell implizierte Objekt. Doch da es so etwas wie ein tatsächliches beständiges Selbst mit einer beständigen Identität nicht gibt, wird diese konzeptuelle Wahrnehmung hinsichtlich dessen getäuscht, was sie konzeptuell erfasst. Da solch eine daran hängende Grundlage nicht existiert, ist jede konzeptuelle Wahrnehmung, in der man sich gedanklich auf diese Kategorie „beständiges Selbst“ bezieht, verzerrt.

Sieht man einen weißen Schneeberg als blau, wenn man ihn aus weiter Entfernung durch Dunst oder durch eine getönte Brille betrachtet, oder sieht man zwei Monde, wenn man das Objekt schielend ansieht, erscheinen geistige Hologramme solcher Objekte klar in unserem visuellen Bewusstsein. Sie sind nicht mit anderen Kategorien vermischt. Doch unsere nicht-konzeptuelle Wahrnehmung von ihnen ist verzerrt. Was in unserem visuellen Bewusstsein erscheint, als würde es sich um tatsächliche äußere Objekte handeln, existiert in der Realität keineswegs. Unsere Weise, das Objekt kognitiv zu erfassen (tib. ’dzin-stangs) ist trügerisch und daher ist unsere Wahrnehmung verzerrt.

In „Geistige Dunkelheit beseitigen: (Ein Filigranschmuck für [Dharmakirtis] Sieben Bände über) gültige Wahrnehmung“ heißt es: „Verzerrte konzeptuelle Wahrnehmung, konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung und Verfälschung sind alles Begriffe, die sich auf dasselbe beziehen. Ein unentschlossenes Schwanken, welches nicht zur Tatsache tendiert, kann auch als eine konzeptuelle verzerrte Wahrnehmung betrachtet werden.“

Verfälschung (tib. sgro-’dogs) ist die Projektion eines Objektes von etwas, das nicht da ist, oder eine Existenzweise, die es nicht gibt.

Unentschlossenes Schwanken 

Unentschlossenes Schwanken ist ein Geistesfaktor, der zwischen zwei Schlussfolgerungen in Bezug auf sein Objekt schwankt. Es gibt drei (Arten): unentschlossenes Schwanken, welches (1) zur Tatsache tendiert, (2) welches nicht zur Tatsache tendiert, und (3) welches (zwischen den Zweien) ausgeglichen ist. Das wären (zum Beispiel) wiederum Arten der Wahrnehmung, bei denen man (1) sich fragt: „Könnte Klang unbeständig sein?“ (2) sich ebenso fragt: „Könnte er beständig sein?“ und (3) sich fragt: „Könnte Klang beständig oder unbeständig sein?“

Was das unentschlossene Schwanken betrifft, so betrachten es (manche) als deckungsgleich mit einer grundlegenden störenden Emotion. Es gibt auch jene, die es in zwei unterteilen: als störender Faktor oder nicht als störender Faktor.

Es ist diese letztere Tradition, der man für gewöhnlich folgt. Somit wird ein unentschlossenes Schwanken, welches zu einer korrekten Schlussfolgerung tendiert, nicht als eine störende Emotion betrachtet, während eines, das zu einer fehlerhaften tendiert oder ausgeglichen ist, als störend betrachtet wird. Eine störende Emotion oder Geisteshaltung (tib. nyon-mongs, Skt. kleśa) wird als ein Geistesfaktor definiert, mit dem wir unseren geistigen Frieden und unsere Selbstbeherrschung verlieren, wenn er auftritt. Die sechs Grundlegenden sind sehnsüchtiges Verlangen, Wut, Arroganz (Stolz), mangelndes Gewahrsein (Unwissenheit), störendes unentschlossenes Schwanken und verblendete Auffassungen.

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