Warum nur manche erstmalig Bodhichitta entwickelt haben

Die Faktoren der Buddha-Natur 

Wir haben anfangsloses mangelndes Gewahrsein, diese zwei Schleier, und anfangslose Buddha-Natur, diese zwei Netzwerke. Auf der grundlegenden Ebene ist es nur ein Samsara-bildendes Netzwerk, weil wir die positive Kraft mit mangelndem Gewahrsein, Naivität usw. aufbauen. Damit sie Reines-bildende Netzwerke werden, muss ein begrenztes Wesen erstmalig Entsagung oder Entsagung und Bodhichitta aufbauen und sie weiter entwickeln. Im Gegensatz dazu, meine Mutter zu werden, kann das Entwickeln von Entsagung und Bodhichitta nicht natürlich, ohne die Inspiration und die Lehren von einem Buddha und ohne individuelle Bemühung stattfinden. 

Teil unserer Buddha-Natur, eines anderen Aspektes, ist die Fähigkeit unseres Geisteskontinuums inspiriert zu werden. Das bezieht sich auf eine ganze Reihe von Faktoren, die sich in die verschiedenen Körper des Buddha umwandeln oder das Stattfinden solch einer Umwandlung ermöglichen. Kennt ihr die Körper eines Buddha, die Formkörper, Nirmanakaya, Sambhogakaya, Dharmakaya? Einer dieser Faktoren, der diese Umwandlung ermöglicht, ist die Tatsache, dass wir im Gegensatz zu einem Stein inspiriert und erhoben werden können. Das Wort „Inspiration“ (tib. byin-gyis rlabs) wird von vielen Leuten mit „Segen“ übersetzt, was ich für eine völlig irreführende Übersetzung halte. Es hat nicht damit zu tun, von oben einen Segen zu erhalten. Wenn wir durch einen Buddha, einen Lehrer oder wie wir es im Westen sagen würden, durch den Sonnenuntergang inspiriert werden, kann uns das einen Auftrieb, eine Inspiration verleihen. 

Wir haben also diesen Aspekt als Teil unserer Buddha-Natur und wir haben auch die anfangslosen Geistesfaktoren, durch die wir uns bemühen können. Wir haben Konzentration – wir haben all diese Geistesfaktoren, die Teil der Aggregate sind, doch sie sind wiederum bedeckt und begrenzt durch anfangsloses mangelndes Gewahrsein und das Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz. Wir haben also die Faktoren, die es uns ermöglichen, Buddhaschaft zu erlangen und dann haben wir andere Faktoren, welche ihre volle Funktionsweise verhindern. Das ist die Dynamik, mit der wir konfrontiert sind und die Samsara, die Höhen und Tiefen von Samsara beschreibt. Es ist die Dialektik zwischen diesen beiden, also Samsara. 

Die Auswirkungen der anfangslosen Zeit in Bezug auf die Entwicklung der der Faktoren der Buddha-Natur

Nun beginnen wir wieder, dies zu analysieren und darüber nachzudenken. Der wichtige Faktor, mit dem wir im Westen nicht so leicht fertig werden, ist die Anfangslosigkeit. Gäbe es einen Anfang und würden sich am Anfang alle begrenzten Wesen darin gleichen, genauso starkes mangelndes Gewahrsein und Greifen nach wahrhaft begründeter Existenz zu haben, wäre es schwierig zu erklären, warum sich diese beschränkte Zahl von begrenzten Wesen spirituell unterschiedlich entwickelt hat. Könnt ihr dem folgen? Würden wir alle am gleichen Punkt beginnen und gäbe es unendliche Zeit, wie würde man dann die Unterschiede erklären? Das ist das Problem mit einem Anfang, eins von zahlreichen Problemen. Und wie gesagt sollten wir die Stärke unser gewohnheitsmäßigen Denkweise bezüglich eines Anfangs nicht unterschätzen. Es gibt sie in der Wissenschaft mit dem Urknall, es gibt sie in unseren westlichen Religionen mit der Schöpfung, und daher ist sie ziemlich tief in unserer Denkweise verankert. 

Gäbe es einen Anfang und jeder würde an derselben Stelle beginnen, warum würden dann manche begrenzten Wesen erstmalig Entsagung und Bodhichitta entwickeln, um Befreiung und Erleuchtung zu erlangen, und andere nicht? Mangelndes Gewahrsein und Unwissenheit verhindert Befreiung und Erleuchtung. Die Gegenkraft ist korrektes unterscheidendes Gewahrsein der Leerheit. Doch das nur für sich ist nicht genug. Mit einer korrekten konzeptuellen Wahrnehmung der Leerheit, doch ohne die Kraft von Entsagung oder Bodhichitta dahinter, werden wir lediglich in Samsara ziemlich clever und vielleicht intelligent werden. Ohne Entsagung und Bodhichitta ist es unmöglich, eine nicht-konzeptuelle Wahrnehmung der Leerheit zu haben. Man kann eine konzeptuelle Wahrnehmung haben. 

Wisst ihr, was eine konzeptuelle Wahrnehmung und eine nicht-konzeptuelle bedeuten? Das ist nicht so einfach zu verstehen. Hier wieder eine Fußnote: Konzeptuell bedeutet, sich gedanklich auf eine Kategorie, Leerheit, zu beziehen, und dann haben wir etwas, das es repräsentiert, wenn wir uns darauf ausrichten oder darüber nachdenken. Denkt einmal an einen Hund. Jetzt hat garantiert jeder ein anderes Bild davon im Geist – sozusagen im Geist, wie wir es im Westen sagen –, wie ein Hund aussieht. Denken wir an einen Hund, gibt es da entweder den Klang des Wortes „Hund“ oder ein geistiges Bild eines Hundes, aber wir beziehen uns gedanklich auf die Kategorie „Hund“. Konzeptuell muss nicht verbal sein und es muss auch kein Gedankengang sein. Richten wir uns also konzeptuell auf die Leerheit, haben wir die Kategorie „Leerheit“, wir wissen, was sie bedeutet, und wir haben etwas, das sie repräsentiert, wie leeren Raum. Und so können wir uns auf tatsächliche Leerheit richten, doch es geschieht durch den Schleier, die Kategorie, ein geistiges Bild und dann durch die Leerheit selbst. Das wäre konzeptuell. 

Nicht-konzeptuell heißt, ohne die Kategorie und das geistige Bild. Wir könnten der Sache jedoch einen Namen geben und wir wissen, was es ist. Das ist das Schwierige, was es in Bezug auf das Nicht-Konzeptuelle zu verstehen gilt: es gibt nach wie vor ein Verständnis. Doch darauf werden wir nicht weiter eingehen. Es ist wichtig, wirklich zu verstehen worauf sich die Begriffe konzeptuell und nicht-konzeptuell beziehen, wenn wir ständig darüber reden. Wenn wir einen Hund sehen, wissen wir, dass es ein Hund ist, ohne „Hund“ zu denken. Und natürlich können wir ihn auch sehen, ohne „Hund“ in unserem Geist zu sagen; um diese vereinfachte Ebene geht es nicht. Egal, genug davon. 

Das korrekte Verständnis der Leerheit muss also von der Kraft des Bodhichitta getragen werden, um diesen Faktoren, die Befreiung und Erleuchtung verhindern, entgegenzuwirken. Hierin liegt nun die Schwierigkeit und ich denke, es ist nicht leicht, die Verzweigung dieses nächsten Punktes wirklich zu würdigen. Da es keinen Anfang gibt und jedes begrenzte Wesen ein Individuum mit verschieden starkem mangelnden Gewahrsein und Greifen nach wahrhafter Existenz ist, wird es für immer anders sein. Es gab keinen Anfang – es war immer anders: unterschiedliche Stärken dieser zwei Netzwerke, dieser Samsara-bildenden Netzwerke, unterschiedliche Stärken karmischer Hinterlassenschaft und Tendenzen der störenden Emotionen und so weiter. Die Hinterlassenschaft des Karma, der karmischen Tendenzen, und die verschiedenen Tendenzen der störenden Emotionen, der Tendenz wütend zu werden, der Tendenz Anhaftung zu haben, all das war bei jedem immer anders. Und die verschiedenen Stärken der Geistesfaktoren, welche spirituelles Wachstum ermöglichen; da gab es immer unterschiedliche Ebenen in allen – Ebenen der Konzentration, des unterscheidenden Gewahrseins, der Intelligenz. Es ist schwer nachzuvollziehen, dass es immer anders war. Es gibt keinen Anfang, an dem es bei Null oder auf der ersten Ebene losging. Doch wegen diesen Unterschieden entwickeln manche begrenzten Wesen gelegentlich Entsagung und Bodhichitta. 

Begrenztes Wesen (tib. sems-can) – dieser Begriff wird für gewöhnlich mit fühlendes Wesen übersetzt, wobei es zu beachten gilt, dass Buddha kein fühlendes Wesen ist. „Begrenzt“ bezieht sich auf eine begrenzte Hardware, einen begrenzten Geist – nicht im Sinne von behindert, sondern im Sinne von „nicht allwissend“ – und einen begrenzten Körper. Denkt einmal darüber nach. Was könnten wir tun, wenn wir das Gehirn eines Regenwurms hätten? Unsere Hardware ist begrenzt. Wir könnten nur wenig tun mit dem Gehirn eines Huhnes als Hardware und wir hätten nicht einmal Hände. Es ist wirklich interessant, es als Hardware zu betrachten, wie die Hardware in einem Computer. Ein Buddha ist kein fühlendes Wesen und daher ist dieses Wort „fühlend“ ein wenig irreführend. Es geht hier auch nicht um Pflanzen. Es muss ein Wesen sein, dass eine Absicht hat und die Auswirkungen dessen erfahren wird, was es aufgrund der Absicht tut; also keine Pflanze und kein Stein. 

Es gibt keinen Anfang und somit waren all diese Faktoren immer unterschiedlich. Denkt einmal darüber nach. Es ist wirklich nicht so leicht zu verdauen. Und wann immer Zweifel dazu hochkommen, liegt es daran, gewohnheitsmäßig weiter daran an einen Beginn, an einen Anfangspunkt zu denken.  

Wegen diesen Unterschieden haben sich also nur manche von uns entwickelt, und wenn wir von Bodhichitta sprechen, so haben nur manche von uns Bodhichitta entwickelt. Doch damit das passieren kann, ist es notwendig, eine riesige Menge Samsara-bildender positiver Kraft aufzubauen, bevor dieses Netzwerk positiver Kraft, Samsara-bildender positiver Kraft stark genug ist, damit es für uns heranreifen kann, einen Buddha zu treffen, Lehren zu empfangen, ihnen zu folgen und erstmalig Entsagung und Bodhichitta zu entwickeln. Versteht ihr? Und dann die drei Zillionen zahlloser Weltalter mehr positiver Kraft. 

Shantideva hat das sehr schön formuliert. Nur einen positiven Gedanken zu haben, der nicht unter dem Einfluss störender Emotionen steht, ist laut ihm äußerst selten. Shantideva sagt also: 

(I.5) So wie ein Blitz in einer dunklen, Wolken verhangenen Nacht für einen Augenblick lang alles hell erleuchtet, so erscheint durch die Macht der Buddhas in dieser Welt eine verdienstvolle Geisteshaltung nur selten und für sehr kurze Zeit.
(I.6) Daher ist das konstruktive (Verhalten) stets schwach, wohingegen die negativen Kräfte extrem kraftvoll und äußerst unerträglich sind. Gibt es, abgesehen von einer vollständigen Bodhichitta-Ausrichtung, irgendetwas Konstruktives, das es vermag, diese (Kräfte) zu überstrahlen? 

Das ist genau das, worüber wir gerade gesprochen haben. Es steckt viel in Shantidevas Versen. 

Haben alle bereits Erleuchtung erlangt, ohne das wir es erkennen? 

Nun kommt ein Zweifel hoch. Vielleicht haben alle bereits Erleuchtung erlangt, aber wir erkennen es einfach nicht, wie wir auch nicht erkennen, dass alle bereits unsere Mutter gewesen sind, obwohl sie es tatsächlich waren. Ist das nicht dasselbe? Was ist der Unterschied? 

Ich erkenne ganz klar, dass ich störende Emotionen habe und daher ist es ein Unterschied, ob wir die Mütter nicht erkennen oder uns der Erleuchtung nicht bewusst sind. 

Wegen unseren störenden Emotionen? Nun, ich denke nicht, dass man es damit erklären kann. Da wir nicht wirklich Zeit dafür haben, dass alle etwas dazu sagen, werde ich euch die Antwort geben. Vielleicht gibt es andere und auch deine Antwort mag korrekt sein, aber wie gesagt habe ich meine Zweifel. Ich weiß nicht, ob du es so sagen wolltest, aber ganz einfach ausgedrückt sind wir laut dir einfach zu dumm, um sie zu erkennen, aber ich glaube nicht, dass das eine Antwort auf unsere Frage ist. Aber vielleicht hast du es ja gar nicht so gemeint. 

Es muss also einen Unterschied geben. Was all unsere Mütter betrifft, so findet der „Zustand, meine Mutter zu sein“ in Bezug auf alle anderen begrenzten Wesen, außer meiner Mutter in diesem Leben, wenn sie noch da ist, nicht länger statt. Der Zustand der Erleuchtung findet jedoch weiter gegenwärtig statt, wenn er einmal erlangt wurde. Wenn also aufgrund anfangsloser Zeit jeder bereits Erleuchtung erlangt haben sollte, würde der Zustand der Erleuchtung von allen nach wie vor gegenwärtig stattfinden, auch mein eigener. Das wird jedoch durch die gültige Wahrnehmung zumindest meines eigenen Handelns, Sprechens und Denkens widerlegt, denn ich bin nicht erleuchtet. 

Es lässt sich also nicht damit vergleichen, dass alle bereits meine Mutter gewesen sind, ich es jedoch nicht erkenne, weil sie es in diesem Leben nicht sind. Es ist nicht so, dass alle bereits Erleuchtung erlangt haben, ich es aber nicht erkenne, weil sie nicht in diesem Leben erleuchtet sind. Könnt ihr dem folgen? Der Grund, warum ich nicht erkenne, dass alle meine Mutter waren, ist, dass sie in diesem Leben nicht meine Mutter sind. Erlangt jedoch jemand Erleuchtung, ist er in diesem Leben noch immer erleuchtet. Störende Emotionen zu haben ist also zweitrangig, ob ich es nun sehen kann oder nicht. Der entscheidende Punkt ist nur, dass sie in diesem Leben nach wie vor erleuchtet sind und es möglich sein sollte, es zu erkennen. 

Deine Antwort, verwirrt zu sein, ist wie gesagt zu einfach. Zu dumm zu sein, wäre ein Grund dafür, keines dieser beiden zu erkennen, weder die Mütter noch die Erleuchtung. Es erklärt also nicht den Unterschied. Daher ist Logik, buddhistische Logik so wichtig und hilfreich, um ein klares Verständnis zu haben. Der Sinn und Zweck des Debattierens liegt darin, alle Zweifel zu klären, damit wir beim Meditieren in der Lage sind, uns mit einsgerichteter Konzentration fokussieren zu können, ohne dass Zweifel und Ungewissheit aufkommen. Das ist der Sinn und Zweck des Debattierens. Und beim Debattieren geht es nicht darum, die richtige Antwort zu geben; das ist nicht der Punkt. Die Übung besteht darin, einen Standpunkt zu haben und dann in der Lage zu sein, ihn zu verteidigen, während uns die andere Person auf Widersprüche oder Schwächen in unserer Denkweise hinweist, denn in unserer eigenen analytischen Meditation wären wir gegenüber unserem eigenen Denken niemals so kritisch wie ein anderer. Bitte versteht also die Wichtigkeit und das Ziel des Debattierens. Es handelt sich dabei nicht um einen intellektuelle Übung, sondern ist dazu da, uns bei der Meditation zu helfen. 

Die Gesetze der Wahrscheinlichkeit und die Rolle der positiven Kraft und der Gebete 

Nun können wir uns fragen: Wie kommt es, dass manche, aber nicht alle begrenzten Wesen genügend positive Kraft aufgebaut haben, einen Buddha zu treffen, Lehren zu empfangen, ihnen zu folgen und erstmalig Entsagung und Bodhichitta zu entwickeln? Wie haben sie das geschafft? Wie haben manche Leute das geschafft? Wie ist es passiert? Welche Rolle hat hier das Treffen von Entscheidungen gespielt? 

Das müssen wir analysieren. Um meine Mutter zu werden, war keine positive Kraft notwendig, noch war das Treffen von Entscheidungen daran beteiligt. Es geschieht einfach, dass jemand unsere Mutter wird, weil im Laufe unendlicher Zeit jeder mit jedem zusammenkommt. Das liegt daran, dass alle Wesen in dem Sinne ebenbürtig sind, samsarische Aktivitäten auszuführen und Wiedergeburten zu durchlaufen. Es ist nicht so, dass alle für immer an einer Position bleiben und sich alles andere ständig ändert. 

Dann kommt die buddhistische Logik, ein Beispiel anzuführen. Das Beispiel ist, dass alle Staubteilchen im Raum in einem unbegrenzten Zeitraum zusammenstoßen werden, weil sich alle gleichermaßen in Bewegung befinden. Das ist eine Analogie dafür, warum alle irgendwann unsere Mutter gewesen sind, wenn es keinen Anfang der Wiedergeburt gab. Das ist eine andere Darstellung dafür. Wenn es keinen Anfang gab und alle ständig Wiedergeburten durchlaufen, werden sie, wie zusammenstoßende Staubteilchen, aufeinandertreffen und jeder wird meine Mutter, mein Vater, mein Kind und mein Feind gewesen sein, wie die Staubteilchen, die in einem Raum aufeinandertreffen. 

Jetzt kommt ein weiterer Zweifel: Wie verhält es sich dann damit, in allen Leben auf alle Gurus zu treffen? Was ist der Unterschied? Um dem Dharma zu begegnen und spirituelle Lehrer zu treffen, um bei ihnen in all unseren Leben zu lernen, ist es notwendig, Gebete dargebracht und unsere positive Kraft gewidmet zu haben, damit es geschieht. Hier fügen wir ein weiteres Teil des Puzzles hinzu. Niemand würde für gewöhnlich Gebete darbringen und die positive Kraft widmen, damit er oder sie in allen Leben als das Kind einer bestimmten Person wiedergeboren wird. Das ist der Unterschied. 

Gut, kommen wir zu unserem wissenschaftlichen Hintergrund. Wir wollen hier die Gesetze der Wahrscheinlichkeit anwenden. Die Gesetze der Wahrscheinlichkeit führen zu der Schlussfolgerung, dass jeder irgendwann meine Mutter gewesen ist, genauso, wie die Gesetze der Wahrscheinlichkeit vorhersagen, dass all die Staubteilchen in einem Raum irgendwann zusammenstoßen werden, wenn sie genug Zeit dafür haben. Doch die Gesetze der Wahrscheinlichkeit führen nicht zu der Schlussfolgerung, dass jeder irgendwann einem Buddha begegnet ist. Warum nicht? Ihr könnt also sehen, wie wichtig es ist, Fragen zu stellen. Ist es nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit, dass wir irgendwann einem Buddha begegnen werden? Und wenn dem so ist, sollte es bereits passiert sein. Warum ist es nicht schon passiert? Weil ein Aufbauen positiver Kraft notwendig ist, um einen Buddha zu treffen, Lehren zu empfangen und so weiter. Damit jemand unsere Mutter sein konnte, mussten wir keine positive Kraft aufbauen. Und noch einmal: Gäbe es einen Anfang, an dem das Netzwerk positiver Kraft eines jeden gleich war, würde die gleiche Überlegung, dass jeder unsere Mutter gewesen ist, auch beweisen, dass jeder Bodhichitta entwickelt und Buddhaschaft erlangt hat. 

Wir wenden hier also das Prasanga-Argument an, indem wir uns das Gegenteil ansehen. Hätte eine Person einen Buddha getroffen, wären alle einem begegnet und hätte eine Person keinen Buddha getroffen, wäre niemand jemals einem begegnet, einschließlich den persönlichen Schülern von Shakyamuni. Die Gesetze der Wahrscheinlichkeit gelten also nicht. Das ist nicht leicht zu akzeptieren. Es kommen ständig Zweifel auf.

Was verhindert oder blockiert das Treffen mit einem Buddha? 

Was das Treffen mit einem Buddha verhindert, ist, dass wir nicht genügend positive Kraft aufgebaut haben. Und das ist es, wohin meine ganze Abhandlung führen soll – ich hoffe, wir werden es schaffen. Um positive Kraft aufzubauen, müssen wir in der Lage sein eine Wahl zu treffen. Wenn wir das Gefühl haben, destruktiv zu handeln, vielleicht jemanden anzuschreien, und wenn das Gefühl da ist, den anderen nicht anzuschreien, es zu unterlassen, wie findet dann die Entscheidung statt, das eine und nicht das andere zu wählen. Darauf läuft alles hinaus in dieser Diskussion. Wie trifft man die Entscheidung, jemanden anzuschreien oder nicht? Hat man überhaupt eine Wahl? Alles läuft darauf hinaus. Wie ich zu Beginn gesagt habe, ist dieses Material für euch da, damit ihr später damit arbeiten, es analysieren und miteinander debattieren könnt. Es handelt sich dabei um eine große und lange Analyse, denn es ist eine ziemlich schwierige Frage. 

Da es also keinen Anfang gab, war das Netzwerk positiver Kraft eines jeden immer unterschiedlich stark. Das war immer so. Die positive Kraft, ihr Wert, ihre Ebene war also immer in allen verschieden. Aus diesem Grund haben nur manche begrenzten Wesen genügend starke positive Kraft aufgebaut, einen Buddha zu treffen, nicht alle. Wir müssen eine kostbare menschliche Wiedergeburt erlangt haben, um mehr positive Kraft aufzubauen. Wir benötigen jedoch die positive Kraft, um eine kostbare menschliche Wiedergeburt zu erlangen, was es schwierig macht. Und wie in allen Lam-rim-Texten erklärt wird, verfügen wir, wenn wir genügend starke positive Kraft für das Erlangen einer vollkommen ausgestatteten kostbaren menschlichen Wiedergeburt aufgebaut haben, über die Arbeitsgrundlage zum erstmaligen Entwickeln von Entsagung und Bodhichitta und zum Erlangen der Erleuchtung. Es geht also um die kostbare menschliche Wiedergeburt, darauf läuft es hinaus. Wie kommen wir dahin? 

Zusammenfassung der vorangegangenen Punkte 

Worin gleichen wir uns also alle? Was wir haben, sind zwei Gruppen von gegenteiligen Kräften und es gibt immer eine Dynamik zwischen diesen beiden. Wir haben die anfangslosen Faktoren der Buddha-Natur, die uns erlauben ein Buddha zu werden, doch wir haben anfangsloses mangelndes Gewahrsein gegenüber der Realität und das Greifen nach wahrer Existenz, welche dies verhindern. Und wir haben all die anderen Geistesfaktoren, die in jedem Leben zu den fünf Aggregaten gehören. Das ist unsere Arbeitsgrundlage. Sie werden immer unterschiedlich stark sein, doch sie sind unsere Arbeitsgrundlage. 

Man muss also die 51 Geistesfaktoren kennen und wir sollten sie mit hineinnehmen. Wir haben also neutrale – Drang, Absicht, Konzentration, unterscheidendes Gewahrsein, Interesse, all diese Dinge – die in beiden Richtungen, positiv und negativ, genutzt werden können. Und wir haben positive oder konstruktive – wir verfügen über sie – wie eine fürsorgliche Geisteshaltung, mit der wir uns um die Kleinen kümmern; einen Überlebensinstinkt, mit dem wir uns um uns selbst kümmern (also um uns selbst und um andere). Das geschieht instinktiv, es ist Teil der Hardware. Dann haben wir auch die störenden Emotionen und Geisteshaltungen, wie Wut, Gier, Anhaftung, die man auch in einem Hund finden kann. Es ist ausgesprochen wichtig und es ist nicht so, dass ihr Wert irgendwo bei Null anfing. Es gibt keinen Anfang und die Stärke von allen war bei jedem immer anders. Wir haben also die Faktoren, die uns zur Buddhaschaft führen werden und wir haben die Faktoren, die es verhindern. Wir verfügen über all die Werkzeuge und Voraussetzungen, die in jede Richtung gehen können und sie befinden sich immer auf unterschiedlichen Ebenen (der Stärke). 

Die eigentliche Frage ist nun, wie wir all diese Faktoren überwinden, die uns in endlosem Samsara, in unkontrollierbar sich wiederholender Wiedergeburt festhalten und zu immer mehr Leiden und unkontrollierbar sich wiederholenden Problemen führen. Was sind denn die wesentlichen Probleme? Welches sind die zwei Arten des Leidens? Durch negative Kraft sind wir unglücklich, durch positive Kraft sind wir glücklich, doch dieses Glück ist das gewöhnliche Glücklichsein, das nie andauert, nie zufriedenstellend ist, und wenn wir zu viel davon haben, wie zu viel von unserer Lieblingsspeise zu essen, wird es zu Leid. Das ist Samsara, die Höhen und Tiefen – manchmal Glück, manchmal Leid – man weiß nie, was als nächstes kommt und ist völlig unsicher. Das ist es, was wir überwinden wollen, und diesen Mechanismus, diese Art der Wiedergeburt, die zu den Höhen und Tiefen führt – glücklich, unglücklich, glücklich, unglücklich – und was immer uns sonst noch passiert. Es ist wichtig, dies zu verstehen, denn sonst ist es äußerst schwierig Entsagung zu entwickeln. Ihr solltet die Entsagung nicht für geringfügig halten und meinen, es ginge nur darum, keine Schokolade mehr zu essen. Davon ist nicht die Rede. 

Was brauchen wir, um die Entscheidung treffen zu können, auf die Erleuchtung hinzuarbeiten? 

Die Frage ist also: Wenn wir mit der Wahl konfrontiert sind, danach zu streben, erstmalig Bodhichitta zu entwickeln oder nicht, und somit eine Wahl haben, wie findet dann das Treffen einer Entscheidung statt, wenn es weder freier Wille noch Determinismus ist? 

Nun nutzen wir die wissenschaftliche Methode des Analysierens. In meinen jungen Jahren haben ich organische Chemie studiert und dort gibt es die chemische Verbindung, die man herstellen will. Hier geht es darum, was davor kommt, was man davor machen muss und woraus es sich ergibt? Die Frage ist, was davor und davor und schließlich davor kommt, um zu den grundlegendsten Bausteinen zu gelangen. Man wendet die gleiche Methode der Analyse an. 

Was benötigen wir, um einfach nur in der Lage zu sein, um zu entscheiden, ob wir die Erleuchtung anstreben, damit wir allen Wesen bestmöglich nutzen können? Die Sache, die unmittelbar davor kommt, ist der zuversichtliche Glaube an die Existenz der Qualitäten eines Buddhas, an unsere Fähigkeit sie zu erlangen, an ein Streben, sie selbst zu erreichen und daran, dass wir sie erreichen können. Warum sollten wir etwas anstreben, das unmöglich ist oder nicht einmal existiert? Man muss überzeugt davon sein, dass es tatsächlich existiert, dass es möglich ist. 

Leider denken die meisten Menschen, die dem Buddhismus folgen, nicht einmal auf diese Weise. Sie ziehen nie wirklich ernsthaft in Betracht, dass die Erleuchtung möglich ist. Und natürlich muss man wissen, was Erleuchtung ist, um sich ernsthaft fragen zu können: Ist es möglich? Oft wissen wir nicht einmal, worauf wir hinarbeiten. Sind wir ehrlich, geht es uns doch nur darum, Samsara in diesem Leben zu verbessern und weniger Probleme in diesem Leben zu haben. Das ist in Ordnung. Die buddhistischen Lehren können uns helfen, dieses Leben zu verbessern, doch wir sollten den Buddhismus nicht nur darauf reduzieren. Dann wird er nur eine andere Form der Psychologie. Der Buddhismus ist aber sehr viel mehr als das. 

Um dies nun zu entwickeln, tatsächlich an die Möglichkeit der Qualitäten eines Buddhas und deren Existenz zu glauben, was kommt davor? Man muss den Lehren eines Buddhas begegnen. Wenn man nie vom Buddhismus, dem Buddha und Dharma gehört hat, wie kann man dann überhaupt daran denken zu fragen, ob Erleuchtung möglich ist? Man hat nie etwas davon gehört. Wir müssen also ein Interesse an den Lehren eines Buddhas haben und einem Lehrer begegnen, der sie lehrt. Und wenn wir den Lehren und einem Lehrer begegnen, heißt das, dass wir keine feindselige verzerrte Geisteshaltung ihnen gegenüber haben. Wir brauchen einen offenen Geist und Interesse. (Heutzutage gibt es all diese buddhistischen Zentren, aber viele Leute haben überhaupt kein Interesse daran. Es reicht also nicht, dass die Lehren verfügbar sind.) Und es ist notwendig, Liebe und Mitgefühl zu haben, um auch anderen zu helfen und nicht nur vollkommen egoistisch zu sein. 

Was brauchen wir also dafür? (Hier gehen wir einen weiteren Schritt zurück.) Um das zu entwickeln, brauchen wir zumindest eine kostbare menschliche Wiedergeburt, damit die Lehren und Lehrer für uns verfügbar sind, sie sollten gefördert werden (wie euer wunderbares Zentrum hier), wir sind ein menschliches Wesen und kein Hund oder eine Fliege, wir treffen tatsächlich auf die Lehrer und Lehren, sind ihnen gegenüber empfänglich – die ganze Liste der Qualitäten einer kostbaren menschlichen Wiedergeburt – und wir nehmen sie ernst. Das ist notwendig. 

Was kommt dann davor? Was sind die Ursachen für eine kostbare menschliche Wiedergeburt? Wie ihr sehen könnt, setzen wir hier all die Puzzleteile aus dem Lam-rim zusammen. Was brauchen wir? Wir brauchen ethische Disziplin – die Hauptursache – ethische Disziplin und Gebete. Wir müssen beten und die positive Kraft widmen: „Möge ich immer, in all meinen Leben, bis hin zur Befreiung und Erleuchtung, eine kostbare menschliche Wiedergeburt haben. Unterstützend dazu kommen die anderen fünf weitreichenden Geisteshaltungen (oder Vollkommenheiten, Paramitas, wie auch immer wir sie nennen wollen). Also Großzügigkeit, Geduld, wir hatten schon ethische Disziplin, also Geduld, freudige Ausdauer, geistige Stabilität, die manchmal auch als „Konzentration“ übersetzt wird. Hierbei geht es nicht nur um Konzentration, sondern um Stabilität, also kein emotionales Auf und Ab, geistiges Abschweifen oder Dumpfheit, sondern Stabilität. Und unterscheidendes Gewahrsein, was manche Leute auch als Weisheit bezeichnen, aber das ist etwas zu vage. 

Es gibt verschiedene Arten ethischer Disziplin, doch die eigentliche ist hier das Meiden destruktiven Verhaltens beruhend auf dem unterscheidenden Gewahrsein der Nachteile destruktiven Verhaltens und der Vorteile, es zu unterlassen. Das ist es was wir voneinander unterscheiden. Es geht nicht nur darum, furchtbare Handlungen zu unterlassen, um seinem Lehrer zu gefallen. In gewissem Sinne vermeiden wir, in Schwierigkeiten zu geraten, aber nicht auf eine steife und mechanische Weise. Dem Ganzen muss ein Verständnis zugrunde liegen. 

Hier kommt eine wirklich interessante Frage, über die ich viel mit meinen Schülern nachgedacht habe: Warum stehlen oder lügen wir nicht? Was hält uns ganz persönlich davon ab? Und wenn wir sagen: „Weil ich ein guter und kein schlechter Mensch sein will“, worauf ist das zurückzuführen? Vielleicht, weil unsere Eltern sagen werden: „böses Mädchen“, „böser Junge“, „sei gut“? 

Ich will nicht ins Gefängnis gehen. 

Du willst nicht ins Gefängnis. Für die meisten Dharma-Leute läuft es darauf hinaus, dass es sich einfach nicht richtig anfühlt. Es ist wirklich interessant, das zu analysieren. Warum stehlen wir nicht? Weil es sich nicht richtig anfühlt, es zu tun. Doch im eigentlichen buddhistischen Sinne sollte es mit dem vollen Verständnis verbunden sein, dass es karmische Konsequenzen hat, wenn ich lüge, wenn ich stehle (es führt zu Unglück), und wenn ich davon ablasse, führt es zu Glück; davon sollten wir überzeugt sein. 

Und was ist unterscheidendes Gewahrsein? Vasubandhu definiert es im „Abhidharmakosha“ recht schön. Es bedeutet intelligentes Gewahrsein und das wird als der Geistesfaktor definiert, der entschieden festlegt, ob etwas korrekt ist oder nicht, ob etwas konstruktiv oder destruktiv ist, ob etwas schädlich oder nützlich ist. Es kommt also Entschiedenheit dazu. Er ist ein überaus wichtiger Faktor, den wir uns ansehen werden. Wir bestimmen mit Entschiedenheit ein Objekt und unterscheiden damit zwischen hilfreich und nicht hilfreich, was entweder korrekt sein könnte oder nicht. Doch solch ein unterscheidendes Gewahrsein können wir nur in einer kostbaren menschlichen Wiedergeburt entwickeln. Alles läuft auf die kostbare menschliche Wiedergeburt hinaus.

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