Unsere Mutter werden versus ein Buddha werden

Einleitung 

Heute werden wir ein äußerst wichtiges Thema besprechen: Wie entwickeln wir erstmalig Bodhichitta? Ist es freier Wille, Determinismus oder etwas anderes? Besteht unsere Motivation darin, allen Wesen zu helfen und müssen wir, um das tun zu können, Befreiung und Erleuchtung erlangen, ist die Frage: Wie passiert das? Ist es nur eine Frage des freien Willens – wir können uns einfach entscheiden, es zu tun? Ist es bereits festgelegt – hat Buddha es prophezeit, ergibt es sich aus unserem Karma oder ist es auf eine andere mechanistische Erklärung zurückzuführen? 

Ich habe eine ganze Vorlesung dazu verfasst und auch zwei Seminare zu der Frage des freien Willens versus Determinismus gegeben. Was ich in der heutigen Sitzung gern tun würde, ist, euch an eine analytische Meditation darüber heranzuführen.

[Siehe: Warum sind wir nicht alle schon erleuchtet? Siehe auch: Freier Wille im Vergleich zum Determinismus, und Karma: Weder freier Wille noch Determinismus]

Was ich geschrieben habe, ist ziemlich lang und ich glaube nicht, dass es so hilfreich wäre, es euch einfach vorzulesen. Vielmehr würde ich vorschlagen, es langsam durchzugehen, denn ich halte es für einen wesentlichen Aspekt, Übung darin zu bekommen, wie man solch schwierige Probleme analysiert, denn man kann es nicht einfach in irgendeinem Buch nachschlagen (in den traditionellen Behandlungen des tibetischen Buddhismus werden solche Sachen nicht wirklich durchgenommen). Wir werden also so weit machen wie wir kommen und hoffentlich habt ihr bis dahin ein paar Werkzeuge bei der Hand, damit ihr selbst weitermachen könnt, wenn ihr wollt. Schließlich liegt der Sinn und Zweck des Herkommens darin, etwas zu lernen. Auf dem buddhistischen Pfad übt man sich, indem man die Werkzeuge bekommt und dann lernt, wie man sie benutzt, denn der Pfad der spirituellen Entwicklung ist ein Pfad der Selbstentfaltung. Wir lernen selbst zu analysieren und zu arbeiten, um Erleuchtung zu erlangen. Auf diese Weise, durch unsere Bemühung und Inspiration (Anweisungen durch unsere Lehrer), können wir uns bis hin zur Erleuchtung entwickeln. 

Was das Analysieren betrifft, so benötigen wir eine große Anzahl an Werkzeugen, und das bedeutet, dass wir jede Menge Grundlageninformationen der buddhistischen Lehren zur Verfügung haben müssen. Daher ist das Studium so wichtig. Beispielsweise können wir den Lam-rim (den Stufenpfad) studieren, doch das ist ein einmaliger Vorgang. Man lernt Dinge und dann nimmt man alles vom gesamten Lam-rim, kehrt zurück zum Anfang und versucht, all die Dinge, die später kommen, mit den Punkten zu verbinden, sowie mit all den Madhyamaka-Studien und allen anderen Dingen, die man gelernt hat. 

Die Weise, wie wir den Dharma studieren, ist, als würden wir Teile eines Puzzles bekommen. Wir haben also all diese winzigen Teilchen und müssen lernen, sie zusammenzufügen. Allerdings lassen sie sich nicht nur auf eine, sondern auf vielfältige Weise miteinander verbinden. Aus diesem Grund benutze ich oft den Begriff „Netzwerk“, weil all diese Dinge miteinander verbunden sind und sich gegenseitig auf so multidimensionale Weise verstärken. Je mehr Dinge wir in dieses Netzwerk einbringen, desto tiefer werden unser Verständnis und unsere Einsicht sein, bis wir schließlich den allwissenden Geist eines Buddhas entwickeln, in dem alles Wissen und alles Verständnis im allwissenden Gewahrsein eines Buddhas miteinander verbunden sind. Es ist also ein Abenteuer. Betrachtet man es als ein Abenteuer anstatt einer schwierigen Aufgabe, kann man freudige Ausdauer entwickeln. Man erfreut sich daran, damit zu arbeiten. Lasst uns also unser Abenteuer heute beginnen. 

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