Das Uttaratantra: Die letzten vier Vajra-Punkte

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Frage zur Leerheit von anderem

Eure Heiligkeit hat gestern über die Sichtweise der Leerheit von anderem der Jonangpas gesprochen. Könnte Eure Heiligkeit auch etwas über Mipams Sichtweise der Leerheit von anderem sagen? Unterscheidet sich sein Verständnis von dem?

Die Leerheit von anderem, wie gestern besprochen, ist die Sichtweise, wie sie in der Jonang-Schule in verschiedenen Kommentaren in Verbindung mit dem Kalachakra von Meistern wie Dölpopa vertreten wird. In den Kagyü- und Nyingma-Traditionen gibt es Erklärungen im Rahmen des Anuttarayoga-Tantra, der höchsten Tantra-Klasse, die sich scheinbar auf die Sichtweise der Leerheit von anderem beziehen, in denen es aber in Wirklichkeit um etwas ganz anderes geht. Darin wird die Leerheit von anderem in Bezug auf die ursprünglichste, subtilste Ebene des Bewusstseins bzw. auf den ursprünglichen Geist klaren Lichts dargestellt, welcher durch die Methoden des Anuttarayoga-Tantra hervorgebracht werden kann. 

Dies ist insofern ein Beispiel für Leerheit von anderem, da der ursprüngliche Geist klaren Lichts frei von flüchtigen Makeln ist; er ist also leer bzw. frei von anderem, nämlichen von flüchtigen Makeln, die den Geist bedecken bzw. beflecken. Durch verschiedene Methoden entfernt man diese Makel vom ursprünglichen Geist, welcher als leer von anderem beschrieben wird. Er ist etwas, das den Geist eines jeden auf allen drei Zeitebenen – der Grundlage, des Pfades und des Resultats – durchdringt.

Wenn man nun in der Lage ist, zur Leerheit von anderem Zugang zu finden – zum ursprünglichen Geist klaren Lichts frei von flüchtigen Makeln –, dann ist auch, wie es in den Lehren von Mipam, beispielsweise im Kontext des Nyingma-Dzogchen, der großen Vollendung, heißt, der ursprüngliche Geist klaren Lichts selbst frei von in sich selbst begründeter Existenz. Der Begriff, der in diesem Zusammenhang verwendet wird, ist ka-dag im Tibetischen – „von Beginn an rein“.

Das bedeutet, dass er nicht auf in sich selbst begründete Weise oder von seiner Seite aus existiert. Wenn man also die Meditationsmethoden des Dzogchen anwendet, um zu ihm vorzudringen, indem man einen Zustand ohne flüchtige Makel bzw. die Leerheit von anderem kultiviert, wird man auch zu einem richtigen Verständnis von dessen Abwesenheit wahrhafter, in sich selbst begründeter Existenz kommen.

Diese Darstellungsweise der Leerheit von anderem, wie sie in den Anuttarayoga-Tantra-Lehren der Kaygü- und Nyingma-Traditionen – wie beispielsweise auch bei Mipam – zu finden ist, ist ein Beispiel dafür, wie die zweite und die dritte Drehung des Dharma-Rades miteinander kombiniert werden können. In diesem Sinne ist diese Darstellung eine durchaus akzeptable Sichtweise. 

Verschiedene Darstellungen der zwei Wahrheiten

Es gibt verschiedene Darstellungen der beiden Wahrheiten, wie z.B. die der oberflächlichen, konventionellen Wahrheit und der tiefsten Wahrheit, wie man sie aus den Madhyamaka-Lehren kennt, beispielsweise in Nagarjunas „Wurzelversen des mittleren Weges“. In diesem Zusammenhang wird die tiefste Wahrheit in Bezug auf das sogenannte objekthafte klare Licht erklärt. 

In den Systemen des Anuttarayoga-Tantra, wie beispielsweise dem Guhyasamaja-Tantra, werden die zwei Wahrheiten auf der Ebene der Vollständigkeitsstufe dargestellt. In diesem Fall ist die tiefste Wahrheit der Geist klaren Lichts und die konventionelle bzw. relative Wahrheit der Illusionskörper; insgesamt eine etwas andere Art der Darstellung.  

In den Lehren der Nyingma bzw. der alten Schule, insbesondere im Guhyagarbha-Tantra, gibt es noch eine andere Darstellungsweise der zwei Wahrheiten. Dort werden sie die „außergewöhnlichen zwei Wahrheiten“ genannt, etwa so ähnlich wie im Guhyasamaja-System. 

In den beiden letztgenannten Systemen wird auf der tiefsten Ebene vom klaren Licht im Sinne eines Bewusstseins gesprochen, etwas, das ein kognitives Objekt nimmt. In den Anuttarayoga-Tantra-Lehren sowohl der Nyingma-Schulen als auch der neuen Sarma-Schulen spricht man vom klaren Licht; es gibt das objekthafte klare Licht und das Klare-Licht-Bewusstsein, das etwas als Objekt nimmt. Diese beiden sind untrennbar und werden beide „klares Licht“ genannt. In diesem Sinne gibt es im Anuttarayoga-Tantra zwar die beiden Wahrheiten, doch die Betonung liegt eher auf der Seite des klaren Lichts als Bewusstsein, das ein Objekt nimmt. 

In den Nyingma-Lehren gibt es dafür viele Quellen; ich folge jedoch hauptsächlich den Texten von Dodrub Jigme Tenpai Nyima, einem großen Gelehrten und Praktizierenden, in den ich großes Vertrauen habe. 

Viele spätere Gelehrte der Nyingma-Tradition, wie z.B. Dilgo Khyentse Rinpoche, sprechen von zwei Sichtweisen in Bezug auf die Leerheit von anderem: eine positive und eine negative Auffassung der Leerheit von anderem. Die negative Sichtweise findet man in einigen Texten der Jonang-Tradition. Die ursprüngliche Quelle dieser Auffassung geht auf den Meister Yumo Mikyö Dorje und seinen spirituellen Sohn Dharmeshvara zurück. Er verfasste einen Text, in dem er viel Kritik an der Darstellungsweise der Leerheit in Nagarjunas Werken übte.

Wenn wir nun einen solchen Standpunkt haben, der Nagarjuna stark kritisiert, und dann eine Abstimmung machen würden, um zu sehen, welche Position die verschiedenen Traditionen Indiens und Tibets vertreten, würde sich zeigen, dass sich alle auf die Erklärungen des großen Meisters Nagarjuna als Grundlage ihrer Sichtweise der Leerheit beziehen. Wird in einem Text also viel Kritik an seinen Ansichten geübt und werden sie in ihm als nicht richtig betrachtet, begibt man sich mit so einem Standpunkt in eine ziemlich schwierige Position. 

Wie dem auch sei, es geht hier nicht nur um Mehrheit gegen Minderheit, sondern vielmehr um Logik und Argumentation. Nagarjunas Darstellung der Leerheit ist, egal wie wir sie untersuchen oder logisch analysieren, vollkommen einwandfrei und von Logik und Argumenten gestützt. 

Diese Darstellung, diese Madhyamaka-Sichtweise des mittleren Weges, nehmen wir deshalb als Grundlage für unsere logische Argumentation. Es ist eine Auffassung, die die beiden Extreme wahrhaftbegründeter Existenz und totaler Nicht-Existenz durchschneidet. Nagarjunas Aufassung der Leerheit ist deswegen makellos, da sie vollkommen von Logik und Argumenten untermauert ist, und wird deshalb von allen als Grundlage akzeptiert.  

Frage über den klaren ursprünglichen Geist

Wie können wir den ursprünglichen Geist offenlegen?

Außer den Pfaden und Methoden, die im Anuttarayoga-Tantra beschrieben werden, gibt es keine anderen Möglichkeiten, den ursprünglichen Geist klaren Lichts offenzulegen. Die im Anuttarayoga-Tantra enthaltenen Methoden beinhalten verschiedene Praktiken, in denen man mit den subtilen Energiewinden arbeitet. So ist die Tradition von Nagarjuna, der unseren Pfad erleuchtet.  

Auch gibt es die Methode, den Geist klaren Lichts durch Tummo, die innere Hitze, manifestieren zu lassen. Diese Tradition stammt hauptsächlich aus der Hevajra-Tantra-Literatur, findet sich aber auch im Chakrasamvara-System. Man kann allerdings auch zum Geist klaren Lichts vordringen, indem man einsgerichtet mit einem nicht-konzeptuellen Geisteszustand meditiert.

Generell sagt man, dass man nicht zum ursprünglichen Geist klaren Lichts vordringen kann, ohne vorher die Meditationen mit dem subtilen Energiesystem, den Kanälen usw. gemacht zu haben. Nichtsdestotrotz können einige Praktizierende unter ganz bestimmten Umständen durch die Inspiration des Segens eines großen Meisters und durch Meditation über einen nicht-konzeptuellen Geisteszustand auf Grundlage dieser Inspiration das subtilste Bewusstsein klaren Lichts offenlegen. Diese Methode wird vor allem im Kagyü-Mahamudra und im Nyingma-Dzogchen vertreten.  

Dies sind die drei grundlegenden Methoden, um den Geist klaren Lichts offenbar werden zu lassen. Es mag noch weitere geben, derer ich mir allerdings nicht bewusst wäre. 

Frage zu Shamatha und Vipashyana als Grundlage für das Entfernen flüchtiger Makel vom Geist klaren Lichts

Wie kann man die verschiedenen Makel, die den Geist klaren Lichts verdecken, ohne Vorbildung in den Grundlagen von Shamatha und Vipashyana beseitigen?

Shamatha ist ein gelassener und ruhiger Geisteszustand, während Vipashyana ein außergewöhnlich aufnahmefähiger Zustand ist. Es gibt zwei Ebenen des Geistes, der die kombinierte Kraft aus beiden besitzt – nämlich sowohl ruhig und gelassen als auch außergewöhnlich aufnahmefähig zu sein. Dies kann entweder auf einer groben oder einer subtilen Geistesebene stattfinden.  

Im Anuttarayoga-Tantra gibt es eine spezielle Methode, in der man mit dem subtilen Energiesystem, also mit den Kanälen und Energiewinden etc., arbeitet. Auf dieser Grundlage kann man einen Geisteszustand erzielen, in dem ruhige Gelassenheit und der außergewöhnlich aufnahmefähigen Aspekt kombiniert werden. Im System der Sutras und der drei niederen Tantras ist es so, dass man zuerst den ruhigen und ausgeglichenen Zustand von Shamatha generiert und dann erst zum außergewöhnlich wachsamem Vipashyana kommt. Im Anuttarayoga-Tantra werden die beiden jedoch gleichzeitig entwickelt. 

Frage über die Notwendigkeit von Selbstachtung

Könnte Eure Heiligkeit über Selbstakzeptanz sprechen, die man braucht, bevor man in den Kampf gegen die Makel des eigenen Geistes zieht? Ist es wichtig, Liebe und Respekt uns selbst gegenüber zu haben?

Es ist so: Manchmal, wenn wir unsere eigenen Fehler und negativen Seiten erkennen, fühlen wir uns vielleicht entmutigt. In solchen Momenten sind Ermutigung und Selbstwertgefühl sehr wichtig. Versucht in solchen Momenten, an die eigenen menschlichen Fähigkeiten zu denken, an die ursprüngliche Reinheit des Bewusstseins und an die tatsächliche Möglichkeit, einen gereinigten Geisteszustand zu erreichen. Ein solches positives Denken gibt uns Inspiration und Mut und stärkt unsere Willenskraft. 

Wenn unser Geist allerdings zu stolz, beschwingt oder gar arrogant ist, wird uns diese Einstellung im Weg stehen. Wir sollten so vorgehen, als würden wir die Temperatur in unserem Haus regulieren. Wenn es zu heiß ist, versuchen wir, es kühler zu machen; ist es zu kalt, drehen wir die Heizung auf. Das ist der richtige Weg, unseren Geist zu stabilisieren, und wenn wir das erreicht haben, ist das schonmal etwas.  

Vorgehensweise in der Erklärung des restlichen Textes

Heute werde ich es etwas anders machen. Wir werden es nicht schaffen, das erste Kapitel komplett durchzugehen; deshalb werde ich mit der Erklärung ein paar weiterer Verse fortfahren und dann ohne den Text freie Erklärungen geben. Etwas Praktisches wird an dieser Stelle wohl besser sein, nicht wahr?

Anfängliche Darstellung der letzten vier Vajra-Punkte 

(23) Aus der übereinstimmenden Natur, zunächst mit Makeln und dann makellos, den Qualitäten der makellosen Buddhaschaft und den erleuchtenden Taten der Siegreichen entspringen die drei Konstruktiven – selten und erhaben. Sie sind Objekte des Geistes derer, die das Tiefste sehen. 

Dieser Vers bezieht sich auf die letzten vier der sieben Vajra-Punkte. Mit der übereinstimmenden Natur ist hier die Buddha-Natur gemeint, also die essenziellen Faktoren. Zunächst mit Makeln ist die Situation des essenziellen Faktors im Geisteskontinuum der fühlenden Wesen, jene mit begrenztem Gewahrsein. Makellos ist es dann, wenn alle Makel von diesen Faktoren entfernt worden sind, was uns erlaubt, Erleuchtung zu erlangen; es bezieht sich auf den Zustand der Erleuchtung selbst.

Dann haben wir noch die Qualitäten der makellosen Buddhaschaft und die erleuchtenden Taten der siegreichen Buddhas. Diese drei repräsentieren die drei Konstruktiven, die Drei Juwelen. Hier ist die Rede von den Quellen der Zuflucht aus der Perspektive des zukünftigen Resultats. Wenn wir mit diesen vier Aspekten (die letzten vier Vajra-Punkte) diese zukünftigen Resultate betrachten, die wir erlangen können, leiten wir unsere Zuflucht oder Quelle der Ausrichtung von den Drei Juwelen ab. Dass sie Objekte des Geistes derer sind, die das Tiefste sehen, meint hier, dass diese Objekte in ihrer Gesamtheit nur von den Buddhas selbst erkannt werden können. 

Vier Gründe, warum die letzten vier Vajra-Punkte jenseits unserer Vorstellungkraft sind

(24) Die Familieneigenschaften, die diese drei möglich machen, sind Objekt des Geistes derer, die alles sehen. Entsprechend der Reihenfolge des Verständnisses gibt es vier Gründe, warum die vier Aspekte jenseits der Vorstellungskraft sind:

Hier geht es um die vier Aspekte aus dem vorherigen Vers, die letzten vier der sieben Vajra-Punkte. Diese sind die Familieneigenschaften (unsere Buddha-Natur, d.h. essenzieller Faktor und Quelle, die es uns erlaubt, vollkommen erleuchtet zu werden) – der gereinigte Erleuchtungszustand selbst mit seinen erleuchtenden Qualitäten und seinem erleuchtenden Einfluss. Es gibt vier Gründe, warum diese vier Aspekte jenseits der Vorstellungskraft sind und warum sie nur von Buddhas erkannt werden können. Diese werden im folgenden Vers genannt. 

(25) Da sie rein sind und doch störende Emotionen besitzen; da sie vollkommen frei von störenden Emotionen und doch zu bereinigen sind; da sie undifferenzierbar sind und spontan alles vollbringen, ohne Unterschiede zu machen. 

Die Reihenfolge, in der die letzten vier Vajra-Punkte zu verstehen sind

(26) Das zu Verwirklichende, die Verwirklichung, deren Zweige und das, was Verwirklichung bringt, sind in der Reihenfolge zu verstehen, dass der erste Punkt die Ursache ist, welche Bereinigung ermöglicht, während die anderen drei die Umstände darstellen. 

Das zu Verwirklichende ist die Quelle, die Buddha-Natur bzw. die essenziellen Faktoren, die es allen Wesen ermöglichen, Buddhas zu werden. Verwirklichung bezieht sich auf den Zustand, in dem alle Makel von dieser Quelle entfernt worden, sodass alle guten Eigenschaften vollständig sind; mit anderen Worten, der gereinigte Zustand der Erleuchtung. 

Deren Zweige sind die verschiedenen erleuchtenden Qualitäten dieses Zustandes, und das, was Verwirklichung bringt, bezieht sich auf die Verwirklichung dieses Zustandes, die Makel der Quelle in den Geisteskontinua anderer zu bereinigen. Es ist also der erleuchtende Einfluss, den man als Buddha ausübt, um anderen zu helfen, selbst Verwirklichung desselben Zustandes zu erlangen. 

Die Reihenfolge, in der diese zu verstehen sind, spricht offensichtlich die Reihenfolge dieser Punkte an. Der erste Punkt ist die Ursache, die Bereinigung ermöglicht. Mit anderen Worten, die essenziellen Faktoren bzw. die Quelle in uns, die Buddha-Natur, ist die Ursache, die es möglich macht, dass dieser gesamte Reinigungsprozess stattfinden kann. Die anderen drei sind der Erleuchtungszustand selbst, dessen Qualitäten und der erleuchtende Einfluss. Sie sind die Umstände, die den Prozess der Reinigung der Makel von der eigenen Buddha-Natur unterstützen. 

Die Buddha-Natur als Quelle

Nun kommen wir zum Hauptteil über die Quelle, die Buddha-Natur, wo es darum geht, warum jedes Wesen diese besitzt. 

(27) Da die Buddha-Körper etwas ausstrahlen; da ihre übereinstimmende Natur undifferenzierbar ist und da sie die Familieneigenschaften besitzen, haben alle Wesen mit begrenzten Körpern schon immer die essenziellen Faktoren für einen Buddha besessen.
(28) Da das tiefe Gewahrsein der Buddhas die Masse an Wesen mit begrenztem Gewahrsein durchdringt und da deren Selbstnaturen makellos sind, was in der Tat nicht unübereinstimmend ist – mit anderen Worten, die Familieneigenschaft, die Buddhaschaft ermöglicht, wird direkt entsprechend ihrer Resultate benannt –, heißt es, dass alle umherwandernden Wesen die essenziellen Faktoren für einen Buddha besitzen. 

Vers 27 nennt nun also die Gründe, warum jeder die Quelle bzw. die Buddha-Natur besitzt. Der erste Grund ist, dass die Buddha-Körper etwas ausstrahlen. Gemäß einer Erklärungstradition, jener von Gyaltsab Je, strahlt der erleuchtende Einfluss der Buddhas fortwährend zu allen Wesen hin aus. 

Der erleuchtende Einfluss kann auf zwei Arten erklärt werden. Es gibt den erleuchtenden Einfluss, um einen höheren Status bzw. eine höhere Wiedergeburt zu erlangen und den erleuchtenden Einfluss, um in der Lage zu sein, den Zustand der Allgüte zu erlangen –Befreiung oder Erleuchtung. In diesem Vers geht es hauptsächlich um die zweite Art, den erleuchtenden Einfluss für Allgüte, um andere Wesen so zu beeinflussen, dass sie diesen Zustand ebenso erlangen können. Die Buddhas strahlen einen solchen Einfluss konstant aus. Dies ist der erste Grund, warum alle Wesen die Faktoren haben, die das Erlangen der Erleuchtung ermöglichen.  

Der zweite Grund aus dem Text ist, dass ihre übereinstimmende Natur undifferenzierbar ist. Dies bezieht sich auf die tiefste Natur des Geistes der fühlenden Wesen, derjenigen mit begrenztem Gewahrsein. Ihre übereinstimmende Natur, die Leerheit ihres Geistes, ist die gleiche wie die übereinstimmende Natur, also die Leerheit, des Geistes der vollkommen erleuchteten Buddhas. In diesem Sinne ist die tatsächliche Natur sowohl eines begrenzten Geistes als auch eines allwissenden Geistes etwas, das nicht unterscheidbar ist. Sie haben beide die gleiche Natur. 

In Bezug darauf gibt es ein Zitat aus den „Sechzig Versen“ von Nagarjuna, wo er sagt, dass es in Bezug auf Samsara und Nirvana keine Dualität gibt. Die Natur von Samsara – mit anderen Worten, die Natur von allem, das sich unkontrollierbar wiederholt – ist frei von wahrhaft begründeter Existenz. Genauso ist Leerheit auch die Natur von allem, das frei von Problemen und Schwierigkeiten ist; sprich, alle Phänomene, die mit Nirvana zusammenhängen. Wenn man die Realität, die Abwesenheit der wahrhaft begründeten Existenz aller Phänomene der zwanghaft wiederauftretenden Existenz bzw. Samsara versteht, erlangt man Nirvana, die Befreiung von allen Problemen. 

Der dritte Grund, der im Text genannt wird, ist die Tatsache, dass alle Wesen die Familieneigenschaften haben, d.h. die essenziellen Faktoren, die es ihnen erlauben, vollkommene geistige Klarheit bzw. die vollkommene Entwicklungsstufe eines Buddhas zu erlangen. Die Realität oder die Natur ihres Geistes ist von Natur aus vollkommen makellos. 

Obwohl der Geist von vorübergehenden Makeln verdeckt ist, sind diese flüchtig und liegen nicht in seiner tatsächlichen Natur. Die Natur des Geistes aller begrenzten, fühlenden Wesen ist rein und ihr Geist ist frei von in sich selbst begründeter Existenz. Die Wesen werden diese Natur des Geistes auch dann noch haben, wenn die Makel entfernt worden sind und sie Erleuchtung erlangt haben. 

Dieser Grundzustand der Natur des Geistes ist etwas, das alle begrenzten Wesen seit anfangsloser Zeit besitzen; es ist schon immer so gewesen. Aus diesem Grund, da die Natur des Geistes begrenzter Wesen diese Familieneigenschaft als andauernde Natur hat, haben alle Wesen mit begrenzten Körpern schon immer die essenziellen Faktoren dafür besessen, ein Buddha zu werden.

Die Nyingma-Interpretation von Ju Mipam

Eine weitere Kommentartradition zu unserem Text geht auf den tibetischen Meister Ju Mipam zurück. In dieser Nyingma-Tradition erklärt er den ersten der zuvor genannten Gründe als die Tatsache, dass die Buddha-Körper etwas ausstrahlen. Hierbei geht es nicht um das geistige Kontinuum der Buddhas selbst oder ihren erleuchtenden Einfluss, die sie in unsere Richtung ausstrahlen, sondern um das Geisteskontinuum jedes einzelnen Wesens. 

Etwas weiter unten im Text heißt es:

(50) Da die Makel flüchtig sind, deren Selbstnatur jedoch Qualitäten sind, die Korrekturen von Unzulänglichkeiten darstellen, ist deren tatsächliche Natur unveränderlich – wie zuvor, so auch später. 

Dies bedeutet, dass die leere Natur des Geistes in ihrer wahren Natur nicht von flüchtigen Makeln verdeckt ist, und zwar deshalb, da diese entfernbar sind. Außerdem sind alle guten Eigenschaften, wie die zehn Kräfte und so weiter, eines vollkommen erleuchteten Wesens in den Potenzialen des Kontinuums der Natur des Geistes selbst in sich vollständig. Wenn der Text von den ausstrahlenden Buddha-Körpern spricht, bedeutet dies gemäß dem Nyingma-Kommentar von Mipam, dass die Möglichkeit im geistigen Kontinuum aller begrenzten Wesen, alle Qualitäten eines Buddhas zu erlangen, schon immer vorhanden und in sich vollständig war und zu jeder Zeit fortwährend ausstrahlt. 

Zwei Arten von Familieneigenschaften

Bei den Familieneigenschaften – ein anderes Wort für die Quelle, Buddha-Natur –, die Buddhaschaft ermöglichen, gibt es zwei Arten; dies wird im weiteren Verlauf des Textes angesprochen. Diese beiden Arten sind die „natürlich andauernden Familieneigenschaften“ (tib. rang-bzhin gnas-rigs) und die „sich entwickelnden Familieneigenschaften“ (tib. rgyas-’gyur-gyi rigs). Erstere beziehen sich auf die tatsächliche Natur des Geistes selbst, frei von jeglichen Makeln. Diese Natur der Realität des Geistes ist etwas, das schon immer als die Natur des Geistes ohne Anfang präsent war. Es ist ein natürlich andauerndes Familienmerkmal, das schon immer so vorhanden war.  

Die zweite Art der Familieneigenschaften sind die sich entwickelnden Familieneigenschaften. Dies bezieht sich auf die verschiedenen Faktoren im geistigen Kontinuum, die, wenn sie kultiviert werden, es einem ermöglichen, die Körper eines Buddhas zu erlangen. Dies erfordert Anstrengung, und wenn man sich dann bemüht und konstruktive Handlungen ausführt, kann man dadurch positive Potenziale aufbauen; basierend auf diesen Faktoren im Geisteskontinuum, die sich entwickeln können. 

Die zehn Themen bezüglich der Quelle, Buddha-Natur

Der Text fährt nun mit der Darstellung der Quelle, Buddha-Natur, fort, die es uns erlaubt, ein So-Gegangener, ein Buddha, zu werden. In Vers 29 werden diesbezüglich zehn Punkte genannt: 

(29) Ihre wesentliche Natur; ihre Ursachen, Folgen, ihr Einfluss und ihre Ausstattung; das, was sie durchdringt, ihre Phasen, ihre Eigenschaft, alles zu durchdringen; ihre dauerhafte Unveränderlichkeit, sowie ihre Untrennbarkeit von ihren Eigenschaften werden die Punkte dessen genannt, was mit der Sphäre des tiefsten Punktes gemeint ist. 

Wir werden an dieser Stelle mit der Erklärung des Textes aufhören, und ich werde nun noch einige allgemeine Ratschläge geben. 

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