Verkehrte Ansichten über die konventionelle Wahrheit der Dinge

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Kapitel 5: Aufzeigen des Verhaltens eines Bodhisattvas

(5.1) Bei den Buddhas gibt es keine Handlungen, die nicht Ursachen dafür sind (anderen zu helfen). Sogar ihr Atem wird ausgesendet, um als Medizin für die begrenzten Wesen (zu dienen),

Kapitel 5 zeigt das Verhalten von Bodhisattvas auf. Aryadeva beginnt mit einem sehr wichtigen Punkt: er weist darauf hin, dass keine Handlung eines Buddhas ohne Nutzen für andere ist. Und der Grund dafür ist, dass ein Buddha allwissend ist und deshalb auch weiß, was nützlich und was nicht nützlich ist. Deshalb dienen sämtliche Handlungen eines Buddha und – implizit auch die eines Bodhisattvas – ausschließlich zum Nutzen für anderen.

(5.3) Der Geschickte Weise (Buddha) besitzt (die Voraussicht), (Zu wissen, wann er) handeln und nicht handeln (sollte), was (er) lehren und nicht lehren (sollte). Welchen Grund gibt es also, zu behaupten, der Allwissende sei nicht allwissend?

Wenn man bestimmte buddhistische Erklärungen hört, dann fragt man sich vielleicht manchmal: „Warum hat der Buddha ausgerechnet das erklärt? Das kommt mir sehr merkwürdig vor“. Aber wenn man genauer nachdenkt, hat der Buddha, was immer er erklärt hat, nur gelehrt, um anderen zu helfen. Auch wenn man für sich selbst eine bestimmte Erklärung nicht nützlich findet, heißt dies nicht, das sie nicht für jemand anderen einen bestimmten Nutzen hat. Zum Beispiel könnte man sich fragen: „Warum hat der Buddha all diese anderen philosophischen Positionen gelehrt, die nicht so genau sind und die widerlegt oder falsifiziert werden können?“ Der Grund dafür ist, dass es für bestimmte Individuen passend und hilfreich war. Aryadeva kommt mehrmals auf diesen Punkt zurück, sowohl an dieser Stelle als auch später im Text.

(5.4) Man findet (bei allen Handlungen), wie beispielsweise beim Auszug (in die Ordination) nichts, das ohne den Gedanken, (der es motiviert), positiv und so weiter (wird). Deshalb ist der Geist entscheidend für sämtliches Karma.

Hier spricht Aryadeva einen weiteren sehr wichtigen Punkt an, der wirklich ein zusätzliches Verständnis erfordert. Er sagt, dass alle Handlungen, die man ausführt, in Abhängigkeit von der Motivation nützlich und schädlich werden.

(5.5) Für Bodhisattvas können also konstruktive (Handlungen) uns sogar (normalerweise) zerstörerische (Handlungen) Aufgrund ihrer Absicht konstruktiv und positiv werden. Warum? Weil diese Handlungen (im Einklang) mit ihrem Geist kontrolliert werden.

Ein Bodhisattva kann also aufgrund seiner Motivation und Absicht auch Handlungen zu etwas Konstruktivem werden lassen, die normalerweise zerstörerisch sind.

Diesen Punkt kann man natürlich debattieren. Man kann zum Beispiel das Thema der Euthanasie betrachten. Dabei tötet man jemanden, der dem Tod relativ nah ist, der keine Möglichkeit zur Genesung hat und der starkem Leiden und starken Schmerzen ausgesetzt ist. Ganz gleich, ob das nun eine Person ist oder beispielsweise ein Haustier wie ein Hund oder eine Katze. Wie ist es dann, wenn die Motivation gut ist und wenn man wirklich möchte, dass die Person dadurch frei von Leiden und Schmerzen wird? Ist es dann karmisch konstruktiv? Zuerst einmal muss man hier sehr genau schauen, ob man die andere Person oder das Tier vielleicht nicht auch in gewissem Sinne loswerden möchte, einfach weil man es selbst nicht mehr ertragen kann, damit konfrontiert zu sein und einen leichten Ausweg sucht. Aber was wäre, wenn es wirklich von Mitgefühl motiviert ist?

In den Jataka-Geschichten, gibt es ein klassisches Beispiel dafür, das wahrscheinlich jeder kennt: Es war also so, dass der Buddha in einer früheren Geburt als Bodhisattva der Navigator auf einem Schiff mit 499 Händlern war. Und der Steuermann hatte vor, sie alle zu töten und es gab keinen anderen Weg gab, ihn aufzuhalten, als diesen Steuermann stattdessen zu töten. Der Buddha tat dies dann aus großem Mitgefühl, um einerseits all die Passagiere zu retten und um andererseits zu verhindern, dass dieser Steuermann diese Absicht ausführt und eine Wiedergeburt in den Höllen erfährt. War dies nun eine konstruktive Handlung, dieses Töten?

Wenn wir uns also die Erklärung anschauen, dann müssen wir zwei verschiedene Dinge unterscheiden, nämlich einerseits die eigentliche Handlung und andererseits die Motivation, aufgrund derer die Handlung ausgeführt wird. Beide führen zu getrennten Ergebnissen. Bei dieser Geschichte mit dem Buddha, wo er dann diesen Steuermann getötet hat, heißt es, dass er durch seine reine Motivation die erste unzählige Ansammlung von zahllosen Zeitaltern an positiver Kraft vollendet hat. Andererseits ist es aber so, dass die Handlung des Tötens, welche eine von Natur aus zerstörerische Handlung ist, dann trotzdem eine negative Auswirkung hatte. Ich bin nicht mehr sicher, ob es dann so war, dass der Buddha dadurch noch einmal Kopfschmerzen hatte oder ob dies die Ursache dafür war, das er sich einen Dorn in den Fuß getreten hat – aber es war etwas in dieser Art. Jedenfalls wurde durch diese sehr positive Motivation natürlich die negative Auswirkung sehr stark abgeschwächt, aber es war trotzdem eine negative Handlung und diese konnte nicht komplett in etwas Positives umgewandelt werden.

Innerhalb der sekundären Bodhisattva-Gelübde gibt es ein Nebengelübde, dass man, wenn die Notwendigkeit dafür besteht, Dinge tun soll, die zerstörerisch sind. Dann darf man nicht einfach sagen, „Ich darf das jetzt nicht tun wegen meiner Gelübde“. Im Vinaya gibt es ja auch Beispiele, die in diese Richtung gehen: Zum Beispiel wenn eine Frau ertrinkt, dann kann ein Mönch natürlich nicht einfach sagen, „ich darf jetzt die Frau nicht anfassen“. Er muss sie natürlich retten. Eine Frau anzufassen ist allerdings keine von Natur aus zerstörerische Handlung. Bei den Bodhisattva-Gelübden geht es also an dieser Stelle um schwerwiegendere Dinge. Aber wenn man negative Handlungen ausführt, dann sind es trotzdem negative Handlungen. Und die Idee dahinter ist eher, dass ein Bodhisattva dann im Zweifelsfall auch bereit ist, die entsprechenden negativen Auswirkungen tatsächlich auf sich zu nehmen, im Zweifelsfall auch Wiedergeburten in einer Hölle, wenn es nötig ist, um anderen dadurch wirklich nützen zu können. Darum geht es. Andererseits ist es aber schon so, dass die Motivation insgesamt und die Absicht der wichtigste Faktor sind.

Teilnehmer: In manchen Kommentaren zu diesen Bodhisattva-Gelübden heißt es, dass es um die sieben zerstörerischen Handlungen innerhalb der üblicherweise beschriebenen zehn zerstörerischen Handlungen geht – also um die drei körperlichen und vier sprachlichen Handlungen. Denn bei diesem Punkt geht es nicht um zerstörerische Denkweisen, weil diese niemand anderen direkt beeinflussen. Aber bezogen auf diese sieben Handlungen ist es nur zulässig, sie auszuführen, wenn man übersinnliche Kräfte besitzt, um – wenn man das Leben eines Lebewesens nimmt – dieses wieder zum Leben erwecken zu können. Ich glaube, das klassische Beispiel war Tilopa bezogen auf Naropa. Naropa war außerordentlich gelehrt und gebildet und war der Abt des Klosters Nalanda, als er fort ging und Tilopa traf. Und um Naropa zu überzeugen, dass er ihn wirklich etwas besonderes lehren konnte, aß Tilopa lebende Fische, legte ihre Knochen auf den Boden, schnippte mit den Fingern und sie wurden wieder lebendig. Ich denke nicht, dass es hier um Mitgefühl mit dem Fisch ging. Ich denke, bei dieser Erzählung geht es vielleicht eher um eine Demonstration. Hier gibt es ein anders Bodhisattva-Gelübde: um andere zu positiven Handlungsweisen zu bewegen, ist es erforderlich, übersinnliche Kräfte einzusetzen und sich nicht aus Bescheidenheit zurück zu halten. Vielleicht bezieht es sich eher darauf. Ich weiß nicht.

Ich weiß nicht, ob diese Interpretation, die Du beschrieben hast, aus einem bestimmten Kloster kommt oder nicht. Das kann ich nicht sagen. Aber es ist definitiv so, dass man auf einer ziemlich hohen Stufe sein muss, um solche negativen Handlungen dann wirklich durchzuführen, weil es sehr viel voraussetzt, tatsächlich reines Mitgefühl zu haben, aufgrund dessen man zerstörerische Handlungen dann wirklich mit dem Wunsch für das Wohl anderer ausführt. Wenn es dagegen so ist, dass diese zerstörerischen Handlungen nicht aus reinem Mitgefühl passieren, dann ist es zum Beispiel so, dass ganz schnell auch Ärger und ähnliches mit im Spiel ist und dann wird es natürlich wesentlich zerstörerischer.

In den Abhidharma-Texten werden weitere Punkte besprochen, welche neben der beabsichtigenden Motivation ebenfalls die Auswirkung einer Handlung beeinflussen. Hier gehört nicht bloß die beabsichtigende Motivation dazu, bevor man die Handlung ausführt, sondern auch der begleitende emotionale Zustand, den man während der Handlung selbst hat. Wenn es also zum Beispiel so ist, dass man Mitgefühl mit dem eigenen Kind hat und es deshalb vor einem Moskito schützen möchte, das vielleicht Malaria hat und das Kind stechen möchte, dann ist es trotzdem so, dass man beim Erschlagen des Moskitos in der Regel Aggressionen empfindet. Man möchte ja diesen Moskito wirklich töten. Man muss also sehr vorsichtig sein.

Genau so, wenn man jetzt vielleicht Insekten im Haus hat und dann diese Insekten vollständig ausrotten möchte, dann ist es auch sehr deutlich, dass eine Menge Aggression mit im Spiel ist, weil man sie dann vollständig beseitigen will. Und ein weiterer Faktor, der dann eventuell noch dazukommt, ist die abschließende Emotion: am Ende ist es vielleicht sogar noch so, dass man dann stolz darauf ist und denkt „Ach, das ist was wirklich tolles, ich hab sie alle erwischt“. Das macht die Sache dann natürlich auch nochmal schwerwiegender. Selbst wenn man jetzt wirklich aus Mitgefühl negative Handlungen für das Wohl anderer ausführen muss, dann sollte man darüber nicht Stolz oder Glück empfinden, weil man es getan hat.

Es gibt also viele Beispiele, die man anführend könnte für das Ausführen negativer Handlungen mit einem positiven Ziel: wenn im Zweiten Weltkrieg jemand Juden versteckt hat, die verfolgt wurden und dann vielleicht irgendwelche Sondereinheiten zum Haus gekommen sind und gefragt haben, „Wird hier irgendjemand versteckt?“, dann wäre es sicher nicht angebracht, dass ein Bodhisattva in dieser Situation sagt: „Oh ja, die sind hier! Die sind hier, hinter der Wand.“ Insofern gibt es durchaus vorstellbare Situationen, wo diese Erklärung auch für uns anwendbar ist.

Welche Rolle spielt das Bereuen, wenn man eine negative Handlung bereut?

Reue oder Bedauern hilft, die negativen Konsequenzen abzuschwächen. Wenn man etwas Negatives tun musste oder auch wenn wir es aufgrund von störenden Emotionen getan haben, ohne dass wir das hätte tun müssen, kann man die Konsequenzen verringern, indem man zugibt, das dies ein Fehler war. Wir bedauern, dass wir es getan haben. Das hat nichts mit Schuldgefühlen zu tun, aber man wünscht, man hätte es nicht getan und man verspricht, dass man sein Bestes tun wird, um es nicht zu wiederholen. Außerdem bekräftigen wir innerlich für uns selbst wieder die positive Richtung, in die wir in unserem Leben unterwegs sind, und wir wenden Gegenmittel an, welche die negative Handlung kompensieren und sie ausgleichen, indem wir viel Positives tun.

Um zu dem Beispiel zurückzukommen, dass jemand Juden verstecken und den Sondereinheiten sagen würde: „Nein, hier ist niemand“, dann wäre das eine Handlung, die nicht aufgrund von Abneigung gegenüber den Sondereinheiten passieren würde, sondern aufgrund von Fürsorge für die versteckten Juden.

Oder anders gesagt – es wäre eine Handlung, bei der derjenige bewusst die Konsequenzen in Kauf nehmen würde, falls sich herausstellt, was er tut. Und dann wird es eine Art Bodhisattva-Handlung. Aber wir brauchen eine Kombination von Mitgefühl und Weisheit. Man führt nur dann eine zerstörerische Handlung aus, wenn wir unsere Weisheit einsetzen und verstehen, dass es wirklich überhaupt keine Alternative gibt, um die Situation zu Retten.

Und im Fall der Mutter und dem Malaria-Moskito: Wenn die Mutter Geld hat, gibt es vielleicht andere Möglichkeiten – vielleicht könnte sie ein Moskitonetz oder ein Mittel zum Vertreiben der Moskitos kaufen. Das sind alles sehr gute Vorsorgemaßnahmen. Aber falls die Situation so ist, dass das Moskito schon auf dem Gesicht des Kindes sitzt, dann wird man sich natürlich nicht erst sagen „Ich geh jetzt zum Laden und kauf erst mal Repellents.“ Das Moskito hat keine Pause-Taste also muss man irgendwas tun. Gut, und dann stellt sich natürlich auch die Frage, muss man jetzt das Kind dann ins Gesicht schlagen, um das Moskito töten zu können. Manchmal könnte das nötig sein. Manchmal muss man eine geringe negative Handlung tun, um eine größere positive Handlung durchführen zu können – dies ist ein weiterer Aspekt von Karma.

Nur ein kleiner Prozentsatz von Moskitos trägt Malaria in sich und...

Natürlich, in dieser Situationen, wenn man in einem Malaria-verseuchten Gebiet wohnt… Ich bin kein Entomologe, aber ich denke es gibt bestimmte Typen von Moskitos, die speziell Malaria übertragen. Aber laßt uns hier nicht in eine Diskussion über Insekten abgleiten. Ich denke dies alles gehört in den Rahmen der Erläuterungen, wie man Weisheit und Mitgefühl verbindet.

Was ist, wenn man dem (getöteten) Insekt eine gute Wiedergeburt wünscht?

Das ist ebenfalls hilfreich. Aber es ist gefährlich, alles zu töten, das man nicht leiden kann, mit dem Wunsch: „Viel Glück beim nächsten Mal“. Aber selbstverständlich ist es wichtig, Gebete zu machen für was auch immer es ist, das man töten musste.

(5.8) Ein spiritueller Mentor, der einem Schüler helfen möchte, muss dessen (Neigungen und Bedürfnisse) berücksichtigen. Weil er nicht weiß, (wie) er sich selbst nützen kann, nennt man (einen Schüler) „jemand, der zu unterrichten ist“.

Der nächste Punkt, den Aryadeva anspricht, ist, dass Bodhisattvas, um ihren Schülern zu helfen, auf deren Bedürfnisse eingehen müssen. Mit anderen Worten – man lehrt andere in Übereinstimmung damit, was sie benötigen, so wie ein Arzt es tun würde.

(5.9) So wie ein Arzt nicht mit einem (Patienten) kämpft, der von Dämonen oder Tobsucht ergriffen ist, ebenso betrachtet ein Weiser die störenden Emotionen als Feind, nicht die Person, die von diesen Emotionen beherrscht wird.

Und man kämpft nicht mit dieser Person. Der Feind ist nicht der Patient, sondern die Krankheit des Patienten. Und dasselbe trifft zu, wenn man als spiritueller Lehrer versucht, jemandem zu helfen. Das Wesentliche, was man verstehen muss, ist, dass man versucht dem Schüler zu helfen seine störenden Emotionen zu überwinden. Es ist sehr einfach, sich über den Schüler zu ärgern, wenn er oder sie faul ist und nicht das tut, was man sagt. Man wird ärgerlich und so weiter. Aber die Person ist nicht das Problem, die störenden Emotionen sind das Problem.

(5.10) Jemand sollte zuerst gelehrt werden, (im Einklang mit) denjenigen (Lehren) zu handeln, für die er eine Vorliebe hat. (Jemand ist keinesfalls) ein Gefäß (für die tiefgründigen) heiligen Lehren, wenn sie dafür sorgen, dass er (sich spirituell) verschlechtert (weil sie vorzeitig unterrichtet wurden).

Wenn es darum geht, Schüler zu unterrichten oder anderen zu helfen, sagt Aryadeva, dass es am Besten ist, wenn man beginnt, solche Themen zu unterrichten, die sie bevorzugen und die am passendsten für sie sind. Man sollte nicht sofort mit den tiefgründigsten Themen beginnen, wenn sie nicht bereit dafür sind diese zu hören, und wenn es zu einem spirituellen Verfall führen würde davon zu hören. Es ist wichtig, dies in Erinnerung zu behalten, damit wir vermeiden, andere vorschnell in der Leerheit, Tantra-Praxis und ähnlichem zu unterrichten.

Es heißt „lehre das, wofür jemand eine Vorliebe hat“. Ich meine nicht, dass dies bedeutet, dass man jemandem, der kommt und sagt „Oh, erkläre mir Tantra!“ und völlig verrückte Vorstellungen ohne jeglichen Hintergrund hat – dass man einer solchen Person von Anfang an auf einer tiefgründigen Ebene Tantra erklärt. Man könnte etwas sehr oberflächliches darüber sagen. Oder ich erinnere mich, wie es mit meinem eigenen Lehrer, Serkong Rinpoche, war. Jemand kam zu ihm der völlig weggetreten war – ein Hippie, der Drogen nahm – und der meinte, er würde gern die Sechs Yogas von Naropa erklärt bekommen. Serkong Rinpoche nahm ihn sehr ernst und meinte „Es ist sehr gut, dass Du daran interessiert bist. Das ist wirklich wunderbar. Und wenn Du das studieren möchtest, dann fängst Du zur Vorbereitung hiermit an“. Er sagte nicht einfach: „Das ist Unsinn. Du bist dafür nicht bereit.“

(5.11) So wie eine Mutter einem Kind gegenüber, das an einer Krankheit leidet, besonders besorgt und liebevoll wäre, ebenso ist die liebevolle Zuneigung der Bodhisattvas jenen gegenüber, die unangenehm sind, besonders (groß).

Es heißt, dass ein Bodhisattva sich genauso um andere kümmert, die emotional aufgewühlt sind, wie eine Mutter, die sich besonders um ihr krankes Kind kümmert und sorgt. Es gibt auch niemanden, dem ein Bodhisattva nicht versuchen würde zu helfen. Deshalb sind Bodhisattvas bereit, so lange bei den anderen Lebewesen bleiben, wie das Universum fortbesteht, um sie alle zur Befreiung und zur Erleuchtung zu führen.

Wenn jemand emotional sehr aufgebracht ist, dann ist es so, dass viele Angst bekommen und nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. In gewisser Weise weisen sie die andere Person dann zurück, vielleicht weil sie ein Gefühl der Unzulänglichkeit haben und nicht wissen, wie sie mit dieser Situation oder dieser Person umgehen sollen. Aber Aryadeva weist darauf hin, dass ein Bodhisattva sich solchen Personen gegenüber am freundlichsten und am sanftesten verhalten würden. Und wenn man selbst nicht weiß, wie man mit einer derartigen Situation umgehen soll, dann sollte man die Person auf eine freundliche Art und Weise an jemanden verweisen, der ihr helfen kann.

Mir kommt ein Beispiel in den Sinn: Wenn beispielsweise jemand heroinsüchtig oder Alkoholiker ist, dann ist es oft so, dass Leute die Einstellung haben, dass sie die Person für einen völlig hoffnungslosen Fall und für schlecht halten. „Ich kann damit nicht umgehen und ich will damit nichts zu tun haben“. Und vor allem betrachtet man die Person selbst als schlecht. Hiermit muss man wirklich vorsichtig sein. Das unterstreicht natürlich noch einmal den Punkt, dass wir neben Mitgefühl auch zusätzlich Weisheit oder Unterscheidendes Gewahrsein benötigen. Wir müssen wissen, womit der anderen Person am besten geholfen werden kann oder welche andere Person ihr helfen kann oder wer zumindest jemanden kennen könnte, der der anderen Person besser helfen könnte als wir.

Gibt es vielleicht jemandem, dem wir wirklich nicht helfen können? Und was ist, wenn jemand Abstand von uns haben möchte?

Um den zweiten Teil zuerst zu beantworten: Wenn die andere Person Abstand möchte, dann kann es eine große Hilfe sein für diese Person, wenn wir ihr auch Raum lassen und uns nicht aufdrängen. Gibt es jemandem, dem wir nicht helfen können? Also, vielleicht können wir ihnen im Moment nicht helfen aber als Bodhisattva haben wir natürlich die Bestrebung, letztlich allen zu helfen, letztlich alle zur Befreiung und zur Erleuchtung zu führen.

Falls jemand zu uns kommt aber wir momentan nicht helfen können… Ich erinnere mich sehr deutlich an eine Situation, als ich für den alten Serkong Rinpoche übersetzt habe. Jemand kam mit einem Problem zu ihm und er sagte: „Ich habe nicht die karmische Verbindung mit dir, um dir mit diesem Problem helfen zu können, aber bei dieser anderen Person, diesem Lama ist dies der Fall“. Und er hat ihn an die andere Person verwiesen. Manchmal müssen wir also zugeben, dass „ich nicht in der Lage bin, dir zu helfen“. So ist es, wenn jemand zu uns kommt. Wenn jemand nicht kommt, dann laufen wir nicht durch die Gegend und drängen uns den anderen auf, wenn sie unsere Hilfe nicht wollen, weil das kontraproduktiv wäre. Aber wir haben die Bereitschaft, zu helfen. Und in solchen Situationen, in denen wir helfen könnten und in denen jemand für unsere Hilfe empfänglich wäre, dann helfen wir, wenn es möglich ist. Aber ob man nun hilft oder nicht hilft und auch allgemein, ob man sich in irgendeine Situation hinein begeben sollte, hängt von vielen vielen vielen verschiedenen Faktoren ab.

Wenn zum Beispiel jemand von einem Auto angefahren wurde und wir sehen dies auf der Straße und es gibt schon viele Passanten oder Ärzte, die wissen, wie man einer verletzten Person hilft, und wenn ein Krankenwagen unterwegs ist und so weiter – und wenn wir keine Ahnung haben, wie man sich um eine verletzte Person kümmert aber wir sind ein Bodhisattva und möchten helfen – dann ist es vielleicht die größte Hilfe, wenn nicht noch eine weitere Person herum steht und wenn wir stattdessen jenen Raum geben, die wissen, wie man mit dieser Situation umgeht.

(5.17) Jene (Bodhisattvas), welche sogar die fünf übersinnlichen Fähigkeiten haben, um allen Wesen (zu helfen, nehmen sogar) geringere Formen an, zum Beispiel die von niederen (Tieren. Derartige) äußerst schwierige Handlungen (führen) Sie (aus, um anderen zu helfen).

Bodhisattvas nehmen jede Form an, mit der sie anderen helfen können, sogar die eines Tieres. Insofern ist es wichtig, sie nicht schlecht zu machen oder generell niemanden schlecht zu machen, weil wir einfach nicht wissen können, wer ein Bodhisattva ist. Das klingt vielleicht erst mal so, als ob das für unser normales Leben nicht wirklich relevant ist, aber da ich für verschiedene Lamas auch Übersetzer gewesen bin, habe ich wirklich erlebt, dass sie sich sehr unterschiedlich gegenüber verschiedenen Leuten verhalten haben. Einigen Menschen gegenüber waren sie extrem freundlich, extrem warmherzig und zuvorkommend, und bei anderen waren sie sehr ernst und streng und haben mit ihnen geschimpft und so weiter. Und sie können von einem Augenblick auf den anderen zwischen beidem umschalten. Wenn wir also anderen helfen wollen, dann müssen wir da auch in dieser Hinsicht flexibel sein. Dann dürfen wir nicht darauf bestehen: „Ich bin so und so. Und ich will mir selbst gegenüber, meinem Charakter gegenüber, treu sein und deshalb werde ich mich nur auf diese eine Art und Weise verhalten“. Nun, es gibt diesen Satz von Shakespeare: „Dies über alles: Sei dir selber treu - Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage, Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen“. Wir nehmen jede Form, jede Erscheinung an, die erforderlich ist, um den anderen zu helfen.

(5.19) (Freiheit von) Tod, die Lehren des Dharma und (Gelegenheiten für) andere Leben – (all das) wird durch das (einzige Wort) „Geben“ ausgedrückt. Deshalb (empfinden) Bodhisattvas jedes mal (große Freude, wenn sie) das Wort „Geben“ hören.

Ein Bodhisattva freut sich am meisten, wenn er oder sie etwas geben kann und freut sich sogar schon, wenn er oder sie das Wort Großzügigkeit hört.

(5.20) Zu geben, um etwas (zurück) zu bekommen, weil man denkt, dass als Ergebnis großzügigen Gebens in diesem (Leben) große (Annehmlichkeit) zustande kommt, ist so wie Handel und ähnliches und wird (von den Erhabenen) verschmäht.

Wir sollten also die Einstellung vermeiden, dass wir anderen nur etwas geben, um einfach wieder etwas zurückzubekommen. Das wäre nichts anderes als eine Geschäftstransaktion.

Ein Beispiel das hierfür häufig erwähnt wird, auch wenn hier in diesem Text nicht davon die Rede ist, ist, dass man eine Arztausbildung oder eine Pflegerausbildung oder etwas ähnliches hat. In diesem Fall freut man sich sehr, wenn man jemandem tatsächlich damit helfen kann, was man gelernt hat. Man hat keine Vorbehalte oder Abneigung dagegen. Und wenn ein Bodhisattva gebeten wird, etwas zu geben oder etwas zu tun, um anderen zu helfen, dann wird er nicht abgeneigt sein, sondern sich freuen, dass er tatsächlich helfen kann.

Wenn man dies praktisch anwenden möchte, dann ist es bei uns eventuell nicht so, dass wir so fortgeschrittene Bodhisattvas sind, dass wir tatsächlich Tag und Nacht ununterbrochen für andere arbeiten können, und dann müssen wir manchmal vielleicht sagen: „Danke für Deine Bitte, und ich kann es zwar jetzt im Augenblick nicht machen, aber ich werde Dir helfen“ und so weiter. Auf diese Weise empfinden wir keine Ablehnung, wenn wir gefragt werden. Aber andererseits ist es wichtig, dass man es auch nicht auf morgen und übermorgen und überübermorgen verschiebt. Sondern man sagt beispielsweise: „Diese Woche bin ich sehr beschäftigt, aber nächste Woche habe ich Zeit. Und Bitte habe etwas Geduld“. Ich denke da zum Beispiel an meine Emails mit Fragen, die ich ständig wegen der Internetseite bekomme.

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