Kapitel 5: Aufzeigen des Verhaltens eines Bodhisattvas
(5.1) Bei den Buddhas gibt es keine Handlungen, die nicht Ursachen dafür sind (anderen zu helfen). Sogar ihr Atem wird ausgesendet, um als Medizin für die begrenzten Wesen (zu dienen),
Kapitel 5 zeigt das Verhalten von Bodhisattvas auf. Aryadeva beginnt mit einem sehr wichtigen Punkt: er weist darauf hin, dass keine Handlung eines Buddhas ohne Nutzen für andere ist. Und der Grund dafür ist, dass ein Buddha allwissend ist und deshalb auch weiß, was nützlich und was nicht nützlich ist. Deshalb dienen sämtliche Handlungen eines Buddha und – implizit auch die eines Bodhisattvas – ausschließlich zum Nutzen für anderen.
(5.3) Der Geschickte Weise (Buddha) besitzt (die Voraussicht), (Zu wissen, wann er) handeln und nicht handeln (sollte), was (er) lehren und nicht lehren (sollte). Welchen Grund gibt es also, zu behaupten, der Allwissende sei nicht allwissend?
Wenn man bestimmte buddhistische Erklärungen hört, dann fragt man sich vielleicht manchmal: „Warum hat der Buddha ausgerechnet das erklärt? Das kommt mir sehr merkwürdig vor“. Aber wenn man genauer nachdenkt, hat der Buddha, was immer er erklärt hat, nur gelehrt, um anderen zu helfen. Auch wenn man für sich selbst eine bestimmte Erklärung nicht nützlich findet, heißt dies nicht, das sie nicht für jemand anderen einen bestimmten Nutzen hat. Zum Beispiel könnte man sich fragen: „Warum hat der Buddha all diese anderen philosophischen Positionen gelehrt, die nicht so genau sind und die widerlegt oder falsifiziert werden können?“ Der Grund dafür ist, dass es für bestimmte Individuen passend und hilfreich war. Aryadeva kommt mehrmals auf diesen Punkt zurück, sowohl an dieser Stelle als auch später im Text.
(5.4) Man findet (bei allen Handlungen), wie beispielsweise beim Auszug (in die Ordination) nichts, das ohne den Gedanken, (der es motiviert), positiv und so weiter (wird). Deshalb ist der Geist entscheidend für sämtliches Karma.
Hier spricht Aryadeva einen weiteren sehr wichtigen Punkt an, der wirklich ein zusätzliches Verständnis erfordert. Er sagt, dass alle Handlungen, die man ausführt, in Abhängigkeit von der Motivation nützlich und schädlich werden.
(5.5) Für Bodhisattvas können also konstruktive (Handlungen) uns sogar (normalerweise) zerstörerische (Handlungen) Aufgrund ihrer Absicht konstruktiv und positiv werden. Warum? Weil diese Handlungen (im Einklang) mit ihrem Geist kontrolliert werden.
Ein Bodhisattva kann also aufgrund seiner Motivation und Absicht auch Handlungen zu etwas Konstruktivem werden lassen, die normalerweise zerstörerisch sind.
Diesen Punkt kann man natürlich debattieren. Man kann zum Beispiel das Thema der Euthanasie betrachten. Dabei tötet man jemanden, der dem Tod relativ nah ist, der keine Möglichkeit zur Genesung hat und der starkem Leiden und starken Schmerzen ausgesetzt ist. Ganz gleich, ob das nun eine Person ist oder beispielsweise ein Haustier wie ein Hund oder eine Katze. Wie ist es dann, wenn die Motivation gut ist und wenn man wirklich möchte, dass die Person dadurch frei von Leiden und Schmerzen wird? Ist es dann karmisch konstruktiv? Zuerst einmal muss man hier sehr genau schauen, ob man die andere Person oder das Tier vielleicht nicht auch in gewissem Sinne loswerden möchte, einfach weil man es selbst nicht mehr ertragen kann, damit konfrontiert zu sein und einen leichten Ausweg sucht. Aber was wäre, wenn es wirklich von Mitgefühl motiviert ist?
In den Jataka-Geschichten, gibt es ein klassisches Beispiel dafür, das wahrscheinlich jeder kennt: Es war also so, dass der Buddha in einer früheren Geburt als Bodhisattva der Navigator auf einem Schiff mit 499 Händlern war. Und der Steuermann hatte vor, sie alle zu töten und es gab keinen anderen Weg gab, ihn aufzuhalten, als diesen Steuermann stattdessen zu töten. Der Buddha tat dies dann aus großem Mitgefühl, um einerseits all die Passagiere zu retten und um andererseits zu verhindern, dass dieser Steuermann diese Absicht ausführt und eine Wiedergeburt in den Höllen erfährt. War dies nun eine konstruktive Handlung, dieses Töten?
Wenn wir uns also die Erklärung anschauen, dann müssen wir zwei verschiedene Dinge unterscheiden, nämlich einerseits die eigentliche Handlung und andererseits die Motivation, aufgrund derer die Handlung ausgeführt wird. Beide führen zu getrennten Ergebnissen. Bei dieser Geschichte mit dem Buddha, wo er dann diesen Steuermann getötet hat, heißt es, dass er durch seine reine Motivation die erste unzählige Ansammlung von zahllosen Zeitaltern an positiver Kraft vollendet hat. Andererseits ist es aber so, dass die Handlung des Tötens, welche eine von Natur aus zerstörerische Handlung ist, dann trotzdem eine negative Auswirkung hatte. Ich bin nicht mehr sicher, ob es dann so war, dass der Buddha dadurch noch einmal Kopfschmerzen hatte oder ob dies die Ursache dafür war, das er sich einen Dorn in den Fuß getreten hat – aber es war etwas in dieser Art. Jedenfalls wurde durch diese sehr positive Motivation natürlich die negative Auswirkung sehr stark abgeschwächt, aber es war trotzdem eine negative Handlung und diese konnte nicht komplett in etwas Positives umgewandelt werden.
Innerhalb der sekundären Bodhisattva-Gelübde gibt es ein Nebengelübde, dass man, wenn die Notwendigkeit dafür besteht, Dinge tun soll, die zerstörerisch sind. Dann darf man nicht einfach sagen, „Ich darf das jetzt nicht tun wegen meiner Gelübde“. Im Vinaya gibt es ja auch Beispiele, die in diese Richtung gehen: Zum Beispiel wenn eine Frau ertrinkt, dann kann ein Mönch natürlich nicht einfach sagen, „ich darf jetzt die Frau nicht anfassen“. Er muss sie natürlich retten. Eine Frau anzufassen ist allerdings keine von Natur aus zerstörerische Handlung. Bei den Bodhisattva-Gelübden geht es also an dieser Stelle um schwerwiegendere Dinge. Aber wenn man negative Handlungen ausführt, dann sind es trotzdem negative Handlungen. Und die Idee dahinter ist eher, dass ein Bodhisattva dann im Zweifelsfall auch bereit ist, die entsprechenden negativen Auswirkungen tatsächlich auf sich zu nehmen, im Zweifelsfall auch Wiedergeburten in einer Hölle, wenn es nötig ist, um anderen dadurch wirklich nützen zu können. Darum geht es. Andererseits ist es aber schon so, dass die Motivation insgesamt und die Absicht der wichtigste Faktor sind.
Teilnehmer: In manchen Kommentaren zu diesen Bodhisattva-Gelübden heißt es, dass es um die sieben zerstörerischen Handlungen innerhalb der üblicherweise beschriebenen zehn zerstörerischen Handlungen geht – also um die drei körperlichen und vier sprachlichen Handlungen. Denn bei diesem Punkt geht es nicht um zerstörerische Denkweisen, weil diese niemand anderen direkt beeinflussen. Aber bezogen auf diese sieben Handlungen ist es nur zulässig, sie auszuführen, wenn man übersinnliche Kräfte besitzt, um – wenn man das Leben eines Lebewesens nimmt – dieses wieder zum Leben erwecken zu können. Ich glaube, das klassische Beispiel war Tilopa bezogen auf Naropa. Naropa war außerordentlich gelehrt und gebildet und war der Abt des Klosters Nalanda, als er fort ging und Tilopa traf. Und um Naropa zu überzeugen, dass er ihn wirklich etwas besonderes lehren konnte, aß Tilopa lebende Fische, legte ihre Knochen auf den Boden, schnippte mit den Fingern und sie wurden wieder lebendig. Ich denke nicht, dass es hier um Mitgefühl mit dem Fisch ging. Ich denke, bei dieser Erzählung geht es vielleicht eher um eine Demonstration. Hier gibt es ein anders Bodhisattva-Gelübde: um andere zu positiven Handlungsweisen zu bewegen, ist es erforderlich, übersinnliche Kräfte einzusetzen und sich nicht aus Bescheidenheit zurück zu halten. Vielleicht bezieht es sich eher darauf. Ich weiß nicht.
Ich weiß nicht, ob diese Interpretation, die Du beschrieben hast, aus einem bestimmten Kloster kommt oder nicht. Das kann ich nicht sagen. Aber es ist definitiv so, dass man auf einer ziemlich hohen Stufe sein muss, um solche negativen Handlungen dann wirklich durchzuführen, weil es sehr viel voraussetzt, tatsächlich reines Mitgefühl zu haben, aufgrund dessen man zerstörerische Handlungen dann wirklich mit dem Wunsch für das Wohl anderer ausführt. Wenn es dagegen so ist, dass diese zerstörerischen Handlungen nicht aus reinem Mitgefühl passieren, dann ist es zum Beispiel so, dass ganz schnell auch Ärger und ähnliches mit im Spiel ist und dann wird es natürlich wesentlich zerstörerischer.
In den Abhidharma-Texten werden weitere Punkte besprochen, welche neben der beabsichtigenden Motivation ebenfalls die Auswirkung einer Handlung beeinflussen. Hier gehört nicht bloß die beabsichtigende Motivation dazu, bevor man die Handlung ausführt, sondern auch der begleitende emotionale Zustand, den man während der Handlung selbst hat. Wenn es also zum Beispiel so ist, dass man Mitgefühl mit dem eigenen Kind hat und es deshalb vor einem Moskito schützen möchte, das vielleicht Malaria hat und das Kind stechen möchte, dann ist es trotzdem so, dass man beim Erschlagen des Moskitos in der Regel Aggressionen empfindet. Man möchte ja diesen Moskito wirklich töten. Man muss also sehr vorsichtig sein.
Genau so, wenn man jetzt vielleicht Insekten im Haus hat und dann diese Insekten vollständig ausrotten möchte, dann ist es auch sehr deutlich, dass eine Menge Aggression mit im Spiel ist, weil man sie dann vollständig beseitigen will. Und ein weiterer Faktor, der dann eventuell noch dazukommt, ist die abschließende Emotion: am Ende ist es vielleicht sogar noch so, dass man dann stolz darauf ist und denkt „Ach, das ist was wirklich tolles, ich hab sie alle erwischt“. Das macht die Sache dann natürlich auch nochmal schwerwiegender. Selbst wenn man jetzt wirklich aus Mitgefühl negative Handlungen für das Wohl anderer ausführen muss, dann sollte man darüber nicht Stolz oder Glück empfinden, weil man es getan hat.
Es gibt also viele Beispiele, die man anführend könnte für das Ausführen negativer Handlungen mit einem positiven Ziel: wenn im Zweiten Weltkrieg jemand Juden versteckt hat, die verfolgt wurden und dann vielleicht irgendwelche Sondereinheiten zum Haus gekommen sind und gefragt haben, „Wird hier irgendjemand versteckt?“, dann wäre es sicher nicht angebracht, dass ein Bodhisattva in dieser Situation sagt: „Oh ja, die sind hier! Die sind hier, hinter der Wand.“ Insofern gibt es durchaus vorstellbare Situationen, wo diese Erklärung auch für uns anwendbar ist.
Welche Rolle spielt das Bereuen, wenn man eine negative Handlung bereut?
Reue oder Bedauern hilft, die negativen Konsequenzen abzuschwächen. Wenn man etwas Negatives tun musste oder auch wenn wir es aufgrund von störenden Emotionen getan haben, ohne dass wir das hätte tun müssen, kann man die Konsequenzen verringern, indem man zugibt, das dies ein Fehler war. Wir bedauern, dass wir es getan haben. Das hat nichts mit Schuldgefühlen zu tun, aber man wünscht, man hätte es nicht getan und man verspricht, dass man sein Bestes tun wird, um es nicht zu wiederholen. Außerdem bekräftigen wir innerlich für uns selbst wieder die positive Richtung, in die wir in unserem Leben unterwegs sind, und wir wenden Gegenmittel an, welche die negative Handlung kompensieren und sie ausgleichen, indem wir viel Positives tun.
Um zu dem Beispiel zurückzukommen, dass jemand Juden verstecken und den Sondereinheiten sagen würde: „Nein, hier ist niemand“, dann wäre das eine Handlung, die nicht aufgrund von Abneigung gegenüber den Sondereinheiten passieren würde, sondern aufgrund von Fürsorge für die versteckten Juden.
Oder anders gesagt – es wäre eine Handlung, bei der derjenige bewusst die Konsequenzen in Kauf nehmen würde, falls sich herausstellt, was er tut. Und dann wird es eine Art Bodhisattva-Handlung. Aber wir brauchen eine Kombination von Mitgefühl und Weisheit. Man führt nur dann eine zerstörerische Handlung aus, wenn wir unsere Weisheit einsetzen und verstehen, dass es wirklich überhaupt keine Alternative gibt, um die Situation zu Retten.
Und im Fall der Mutter und dem Malaria-Moskito: Wenn die Mutter Geld hat, gibt es vielleicht andere Möglichkeiten – vielleicht könnte sie ein Moskitonetz oder ein Mittel zum Vertreiben der Moskitos kaufen. Das sind alles sehr gute Vorsorgemaßnahmen. Aber falls die Situation so ist, dass das Moskito schon auf dem Gesicht des Kindes sitzt, dann wird man sich natürlich nicht erst sagen „Ich geh jetzt zum Laden und kauf erst mal Repellents.“ Das Moskito hat keine Pause-Taste also muss man irgendwas tun. Gut, und dann stellt sich natürlich auch die Frage, muss man jetzt das Kind dann ins Gesicht schlagen, um das Moskito töten zu können. Manchmal könnte das nötig sein. Manchmal muss man eine geringe negative Handlung tun, um eine größere positive Handlung durchführen zu können – dies ist ein weiterer Aspekt von Karma.
Nur ein kleiner Prozentsatz von Moskitos trägt Malaria in sich und...
Natürlich, in dieser Situationen, wenn man in einem Malaria-verseuchten Gebiet wohnt… Ich bin kein Entomologe, aber ich denke es gibt bestimmte Typen von Moskitos, die speziell Malaria übertragen. Aber laßt uns hier nicht in eine Diskussion über Insekten abgleiten. Ich denke dies alles gehört in den Rahmen der Erläuterungen, wie man Weisheit und Mitgefühl verbindet.
Was ist, wenn man dem (getöteten) Insekt eine gute Wiedergeburt wünscht?
Das ist ebenfalls hilfreich. Aber es ist gefährlich, alles zu töten, das man nicht leiden kann, mit dem Wunsch: „Viel Glück beim nächsten Mal“. Aber selbstverständlich ist es wichtig, Gebete zu machen für was auch immer es ist, das man töten musste.
(5.8) Ein spiritueller Mentor, der einem Schüler helfen möchte, muss dessen (Neigungen und Bedürfnisse) berücksichtigen. Weil er nicht weiß, (wie) er sich selbst nützen kann, nennt man (einen Schüler) „jemand, der zu unterrichten ist“.
Der nächste Punkt, den Aryadeva anspricht, ist, dass Bodhisattvas, um ihren Schülern zu helfen, auf deren Bedürfnisse eingehen müssen. Mit anderen Worten – man lehrt andere in Übereinstimmung damit, was sie benötigen, so wie ein Arzt es tun würde.
(5.9) So wie ein Arzt nicht mit einem (Patienten) kämpft, der von Dämonen oder Tobsucht ergriffen ist, ebenso betrachtet ein Weiser die störenden Emotionen als Feind, nicht die Person, die von diesen Emotionen beherrscht wird.
Und man kämpft nicht mit dieser Person. Der Feind ist nicht der Patient, sondern die Krankheit des Patienten. Und dasselbe trifft zu, wenn man als spiritueller Lehrer versucht, jemandem zu helfen. Das Wesentliche, was man verstehen muss, ist, dass man versucht dem Schüler zu helfen seine störenden Emotionen zu überwinden. Es ist sehr einfach, sich über den Schüler zu ärgern, wenn er oder sie faul ist und nicht das tut, was man sagt. Man wird ärgerlich und so weiter. Aber die Person ist nicht das Problem, die störenden Emotionen sind das Problem.
(5.10) Jemand sollte zuerst gelehrt werden, (im Einklang mit) denjenigen (Lehren) zu handeln, für die er eine Vorliebe hat. (Jemand ist keinesfalls) ein Gefäß (für die tiefgründigen) heiligen Lehren, wenn sie dafür sorgen, dass er (sich spirituell) verschlechtert (weil sie vorzeitig unterrichtet wurden).
Wenn es darum geht, Schüler zu unterrichten oder anderen zu helfen, sagt Aryadeva, dass es am Besten ist, wenn man beginnt, solche Themen zu unterrichten, die sie bevorzugen und die am passendsten für sie sind. Man sollte nicht sofort mit den tiefgründigsten Themen beginnen, wenn sie nicht bereit dafür sind diese zu hören, und wenn es zu einem spirituellen Verfall führen würde davon zu hören. Es ist wichtig, dies in Erinnerung zu behalten, damit wir vermeiden, andere vorschnell in der Leerheit, Tantra-Praxis und ähnlichem zu unterrichten.
Es heißt „lehre das, wofür jemand eine Vorliebe hat“. Ich meine nicht, dass dies bedeutet, dass man jemandem, der kommt und sagt „Oh, erkläre mir Tantra!“ und völlig verrückte Vorstellungen ohne jeglichen Hintergrund hat – dass man einer solchen Person von Anfang an auf einer tiefgründigen Ebene Tantra erklärt. Man könnte etwas sehr oberflächliches darüber sagen. Oder ich erinnere mich, wie es mit meinem eigenen Lehrer, Serkong Rinpoche, war. Jemand kam zu ihm der völlig weggetreten war – ein Hippie, der Drogen nahm – und der meinte, er würde gern die Sechs Yogas von Naropa erklärt bekommen. Serkong Rinpoche nahm ihn sehr ernst und meinte „Es ist sehr gut, dass Du daran interessiert bist. Das ist wirklich wunderbar. Und wenn Du das studieren möchtest, dann fängst Du zur Vorbereitung hiermit an“. Er sagte nicht einfach: „Das ist Unsinn. Du bist dafür nicht bereit.“
(5.11) So wie eine Mutter einem Kind gegenüber, das an einer Krankheit leidet, besonders besorgt und liebevoll wäre, ebenso ist die liebevolle Zuneigung der Bodhisattvas jenen gegenüber, die unangenehm sind, besonders (groß).
Es heißt, dass ein Bodhisattva sich genauso um andere kümmert, die emotional aufgewühlt sind, wie eine Mutter, die sich besonders um ihr krankes Kind kümmert und sorgt. Es gibt auch niemanden, dem ein Bodhisattva nicht versuchen würde zu helfen. Deshalb sind Bodhisattvas bereit, so lange bei den anderen Lebewesen bleiben, wie das Universum fortbesteht, um sie alle zur Befreiung und zur Erleuchtung zu führen.
Wenn jemand emotional sehr aufgebracht ist, dann ist es so, dass viele Angst bekommen und nicht wissen, wie sie mit der Situation umgehen sollen. In gewisser Weise weisen sie die andere Person dann zurück, vielleicht weil sie ein Gefühl der Unzulänglichkeit haben und nicht wissen, wie sie mit dieser Situation oder dieser Person umgehen sollen. Aber Aryadeva weist darauf hin, dass ein Bodhisattva sich solchen Personen gegenüber am freundlichsten und am sanftesten verhalten würden. Und wenn man selbst nicht weiß, wie man mit einer derartigen Situation umgehen soll, dann sollte man die Person auf eine freundliche Art und Weise an jemanden verweisen, der ihr helfen kann.
Mir kommt ein Beispiel in den Sinn: Wenn beispielsweise jemand heroinsüchtig oder Alkoholiker ist, dann ist es oft so, dass Leute die Einstellung haben, dass sie die Person für einen völlig hoffnungslosen Fall und für schlecht halten. „Ich kann damit nicht umgehen und ich will damit nichts zu tun haben“. Und vor allem betrachtet man die Person selbst als schlecht. Hiermit muss man wirklich vorsichtig sein. Das unterstreicht natürlich noch einmal den Punkt, dass wir neben Mitgefühl auch zusätzlich Weisheit oder Unterscheidendes Gewahrsein benötigen. Wir müssen wissen, womit der anderen Person am besten geholfen werden kann oder welche andere Person ihr helfen kann oder wer zumindest jemanden kennen könnte, der der anderen Person besser helfen könnte als wir.
Gibt es vielleicht jemandem, dem wir wirklich nicht helfen können? Und was ist, wenn jemand Abstand von uns haben möchte?
Um den zweiten Teil zuerst zu beantworten: Wenn die andere Person Abstand möchte, dann kann es eine große Hilfe sein für diese Person, wenn wir ihr auch Raum lassen und uns nicht aufdrängen. Gibt es jemandem, dem wir nicht helfen können? Also, vielleicht können wir ihnen im Moment nicht helfen aber als Bodhisattva haben wir natürlich die Bestrebung, letztlich allen zu helfen, letztlich alle zur Befreiung und zur Erleuchtung zu führen.
Falls jemand zu uns kommt aber wir momentan nicht helfen können… Ich erinnere mich sehr deutlich an eine Situation, als ich für den alten Serkong Rinpoche übersetzt habe. Jemand kam mit einem Problem zu ihm und er sagte: „Ich habe nicht die karmische Verbindung mit dir, um dir mit diesem Problem helfen zu können, aber bei dieser anderen Person, diesem Lama ist dies der Fall“. Und er hat ihn an die andere Person verwiesen. Manchmal müssen wir also zugeben, dass „ich nicht in der Lage bin, dir zu helfen“. So ist es, wenn jemand zu uns kommt. Wenn jemand nicht kommt, dann laufen wir nicht durch die Gegend und drängen uns den anderen auf, wenn sie unsere Hilfe nicht wollen, weil das kontraproduktiv wäre. Aber wir haben die Bereitschaft, zu helfen. Und in solchen Situationen, in denen wir helfen könnten und in denen jemand für unsere Hilfe empfänglich wäre, dann helfen wir, wenn es möglich ist. Aber ob man nun hilft oder nicht hilft und auch allgemein, ob man sich in irgendeine Situation hinein begeben sollte, hängt von vielen vielen vielen verschiedenen Faktoren ab.
Wenn zum Beispiel jemand von einem Auto angefahren wurde und wir sehen dies auf der Straße und es gibt schon viele Passanten oder Ärzte, die wissen, wie man einer verletzten Person hilft, und wenn ein Krankenwagen unterwegs ist und so weiter – und wenn wir keine Ahnung haben, wie man sich um eine verletzte Person kümmert aber wir sind ein Bodhisattva und möchten helfen – dann ist es vielleicht die größte Hilfe, wenn nicht noch eine weitere Person herum steht und wenn wir stattdessen jenen Raum geben, die wissen, wie man mit dieser Situation umgeht.
(5.17) Jene (Bodhisattvas), welche sogar die fünf übersinnlichen Fähigkeiten haben, um allen Wesen (zu helfen, nehmen sogar) geringere Formen an, zum Beispiel die von niederen (Tieren. Derartige) äußerst schwierige Handlungen (führen) Sie (aus, um anderen zu helfen).
Bodhisattvas nehmen jede Form an, mit der sie anderen helfen können, sogar die eines Tieres. Insofern ist es wichtig, sie nicht schlecht zu machen oder generell niemanden schlecht zu machen, weil wir einfach nicht wissen können, wer ein Bodhisattva ist. Das klingt vielleicht erst mal so, als ob das für unser normales Leben nicht wirklich relevant ist, aber da ich für verschiedene Lamas auch Übersetzer gewesen bin, habe ich wirklich erlebt, dass sie sich sehr unterschiedlich gegenüber verschiedenen Leuten verhalten haben. Einigen Menschen gegenüber waren sie extrem freundlich, extrem warmherzig und zuvorkommend, und bei anderen waren sie sehr ernst und streng und haben mit ihnen geschimpft und so weiter. Und sie können von einem Augenblick auf den anderen zwischen beidem umschalten. Wenn wir also anderen helfen wollen, dann müssen wir da auch in dieser Hinsicht flexibel sein. Dann dürfen wir nicht darauf bestehen: „Ich bin so und so. Und ich will mir selbst gegenüber, meinem Charakter gegenüber, treu sein und deshalb werde ich mich nur auf diese eine Art und Weise verhalten“. Nun, es gibt diesen Satz von Shakespeare: „Dies über alles: Sei dir selber treu - Und daraus folgt, so wie die Nacht dem Tage, Du kannst nicht falsch sein gegen irgendwen“. Wir nehmen jede Form, jede Erscheinung an, die erforderlich ist, um den anderen zu helfen.
(5.19) (Freiheit von) Tod, die Lehren des Dharma und (Gelegenheiten für) andere Leben – (all das) wird durch das (einzige Wort) „Geben“ ausgedrückt. Deshalb (empfinden) Bodhisattvas jedes mal (große Freude, wenn sie) das Wort „Geben“ hören.
Ein Bodhisattva freut sich am meisten, wenn er oder sie etwas geben kann und freut sich sogar schon, wenn er oder sie das Wort Großzügigkeit hört.
(5.20) Zu geben, um etwas (zurück) zu bekommen, weil man denkt, dass als Ergebnis großzügigen Gebens in diesem (Leben) große (Annehmlichkeit) zustande kommt, ist so wie Handel und ähnliches und wird (von den Erhabenen) verschmäht.
Wir sollten also die Einstellung vermeiden, dass wir anderen nur etwas geben, um einfach wieder etwas zurückzubekommen. Das wäre nichts anderes als eine Geschäftstransaktion.
Ein Beispiel das hierfür häufig erwähnt wird, auch wenn hier in diesem Text nicht davon die Rede ist, ist, dass man eine Arztausbildung oder eine Pflegerausbildung oder etwas ähnliches hat. In diesem Fall freut man sich sehr, wenn man jemandem tatsächlich damit helfen kann, was man gelernt hat. Man hat keine Vorbehalte oder Abneigung dagegen. Und wenn ein Bodhisattva gebeten wird, etwas zu geben oder etwas zu tun, um anderen zu helfen, dann wird er nicht abgeneigt sein, sondern sich freuen, dass er tatsächlich helfen kann.
Wenn man dies praktisch anwenden möchte, dann ist es bei uns eventuell nicht so, dass wir so fortgeschrittene Bodhisattvas sind, dass wir tatsächlich Tag und Nacht ununterbrochen für andere arbeiten können, und dann müssen wir manchmal vielleicht sagen: „Danke für Deine Bitte, und ich kann es zwar jetzt im Augenblick nicht machen, aber ich werde Dir helfen“ und so weiter. Auf diese Weise empfinden wir keine Ablehnung, wenn wir gefragt werden. Aber andererseits ist es wichtig, dass man es auch nicht auf morgen und übermorgen und überübermorgen verschiebt. Sondern man sagt beispielsweise: „Diese Woche bin ich sehr beschäftigt, aber nächste Woche habe ich Zeit. Und Bitte habe etwas Geduld“. Ich denke da zum Beispiel an meine Emails mit Fragen, die ich ständig wegen der Internetseite bekomme.
Kapitel 6: Aufzeigen von Methoden, um sich von störenden Emotionen zu befreien
(6.1) Weil angenehme Dinge dafür sorgen, dass Verlangen sich verstärkt, und schmerzhafte Dinge dafür sorgen, dass Ärger sich verstärkt, warum gehören dann angenehme Dinge nicht zu den asketischen Praktiken während schmerzhafte Dinge zu (diesen) Praktiken gehören?
Jetzt folgt das sechste Kapitel: Das Aufzeigen von Methoden, um sich von störenden Emotionen zu befreien. Und hier ist nicht die Rede von den tiefsten Methoden, um sich von störende Emotionen zu befreien – dies wäre das Verständnis der Leerheit – sondern hier geht es um Methoden, die wir zeitweilig anwenden können. Aryadeva spricht hier vor allem von den drei vergifteten Emotionen, welche die größten Schwierigkeiten bereiten. Das ist: begehrendes Verlangen, Ärger und Naivität.
(6.2) Die Aktivität des Verlangens ist es, (Dinge) anzusammeln. Die Aktivität des Ärgers ist es, zu streiten. Und die Aktivität der Naivität ist es, wie der Wind bezogen auf all die (anderen) Elemente, (zum Beispiel Feuer) – sie lässt (die anderen störenden Emotionen) aufflammen.
Die Funktion des Verlangens ist es, Dinge für uns anzusammeln. Es gibt Verlangen und Anhaftung. Begehrendes Verlangen besteht darin, Dinge bekommen zu wollen, die wir nicht haben. Anhaftung besteht darin, Dinge zu behalten und nicht loszulassen, die wir haben. Die Funktion des Ärgers ist es, Streit zu verursachen und (unerwünschte) Dinge von uns selbst entfernen zu wollen. Und die Funktion der Naivität ist, dass sie als Grundlage für die anderen beiden wirkt, damit diese beiden aufsteigen oder aufflammen können. Naivität hat verschiedene Formen. Es gibt Naivität bezogen auf Ursache und Wirkung und es gibt Naivität bezogen auf die letztliche Wirklichkeit – bezogen darauf, wie die Dinge entweder konventionell oder endgültig existieren.
(6.3) Trifft man nicht auf (das, was man wünscht), leidet man aufgrund von Verlangen. Hat man nicht die Macht (Feinde zu überwinden), leidet man aufgrund von Ärger. Wenn man (die Wirklichkeit) nicht vollständig versteht, unterliegt man der Naivität. (Wenn man) von diesen (drei vergifteten Geisteshaltungen überwältigt ist), erkennt man (das Leiden, welches) diese (verursachen,) nicht (als Leid).
Nun geht Aryadeva etwas ausführlich darauf ein, was diese drei vergifteten Einstellungen sind. Er sagt, dass Verlangen entsteht, wenn wir etwas nicht bekommen können, das wir bekommen möchten. Wenn wir nicht die Macht haben, etwas von uns zu entfernen, das wir nicht mögen, entsteht Ärger - „Ich muss es los werden!“. Wenn wir kein vollständiges Verständnis der Wirklichkeit besitzen, dann entsteht Naivität.
(6.4) So wie man sieht, dass bei (den Menschen) nicht gleichzeitig Schleim und Galle auftreten, ebenso sieht man, dass bei (den Menschen) nicht gleichzeitig Verlangen und Ärger (bezüglich desselben Objekts) auftreten.
Aryadeva weist aber darauf hin, dass einige Personen Anhaftung und andere Personen Ärger dem gleichen Objekt gegenüber empfinden, d. h. die Reaktion ist nicht inhärent im Objekt vorhanden, sondern sie hat mit dem Geisteszustand der einzelnen Person zu tun. Das lässt sich sehr leicht mit alltäglichen Beispielen Verstehen: zum Beispiel mit verschiedenen Speisen. Wenn es etwas bestimmtes zum Abendessen gibt, haben einige vielleicht sehr starkes Verlangen danach, weil sie es sehr mögen, und andere mögen es überhaupt nicht und werden vielleicht ärgerlich und wünschen sich, dass es etwas anderes geben sollte. Die Reaktion ist also nicht im Objekt selbst vorhanden, sondern sie geht von den Personen aus. Das liegt daran, dass Personen alle verschieden und individuell sind.
Da verschiedene Personen – und in diesem Fall vor allem Schüler – verschieden sind, muss man als spiritueller Lehrer auch seine verschiedenen Schüler unterschiedlich behandeln, je nach dem, mit welchen Emotionen sie auf etwas reagieren. Aryadeva sagt, dass dies davon abhängt, unter welcher störenden Emotion sie am stärksten leiden. Und ich denke, das gilt nicht nur für Schüler oder Studenten, die man vielleicht hat, falls man ein Lehrer ist, sondern einige dieser Punkte gelten vielleicht auch, wenn man Kinder groß zieht. Dann muss man jedes Kind auch als Individuum behandeln. Jedes Kind hat eine eigene Persönlichkeit, hat verschiedene störende Emotionen, die bei ihm vorherrschen. Einige Kinder haben viel Wut und Aggression, andere sind sehr gierig oder eigensüchtig. Man muss sie unterschiedlich behandeln.
(6.5) (Ein spiritueller Mentor) sollte (Schüler, die voller Begierde sind,) als Diener einsetzen. Warum? Weil es eine Medizin für ihr (Verlangen) ist, nicht ehrerbietig (mit ihnen) zu sein. Aber jene, die ärgerlich sind, sollte er als Herren behandeln, weil die Medizin für ihren (Ärger) ist, ihnen Ehrerbietung (zu zeigen).
Es ist sehr interessant, was Aryadeva vorschlägt, insbesondere ist es interessant darüber nachzudenken, wie geschickt dieser Rat für jemanden mit einem westlichen Hintergrund ist. Oder ist es ein allgemeiner Rat, der unabhängig von irgendeinem kulturellen Hintergrund für jeden zutrifft? Jedenfalls meint Aryadeva, dass Schüler, die starkes Verlangen haben, nicht mit Ehrerbietung behandelt werden sollten, also nicht besonders gelobt oder bevorzugt werden sollten und so weiter, sondern stattdessen wie Diener behandelt werden sollten. Und jemand, bei dem Ärger vorherrscht, der sollte wie ein Herr oder Herrscher behandelt werden und mit Ehrerbietung, so dass man seinen Ärger nicht anstachelt.
Wie gesagt muss man recht genau darüber nachdenken, wie gut dieser Rat auch für unsere moderne Situation ist oder nicht. Wenn jemand in einer Beziehung sehr fordernd ist und ständig etwas fordert und gierig ist, hilft es dieser Person dann beim Überwinden des eigenen Verlangens, wenn man es nicht gibt, oder sorgt das dafür, dass diese Person es noch mehr möchte? Wenn man dem anderen immer das gibt, was er will, dann ist es klar, dass der andere trotzdem nie zufrieden gestellt sein wird. Andererseits wenn man es überhaupt nicht gibt, hilft dies der Person dabei, ihr Verlangen zu überwinden?
Die Person könnte sagen: „Blöder Lehrer! Ich werde dich verlassen.“
Ich weiß es nicht. Ich denke nicht nur über Lehrer und Schüler nach. Ich frage mich auch bezogen auf Eltern und Kinder oder in einer Partnerschaft: Wenn jemand sehr gierig ist und ständig nach sehr viel Zuneigung verlangt und die gesamte Zeit des anderen einfordert. Wenn man dieser Person beispielsweise seine gesamte Zeit gibt, dann ist es klar, dass die Person noch mehr wollen wird. Es wird nie genug sein. Aber falls man der Person nicht die Zuneigung und die freundlichen Worte gibt, die sie wünscht, dann fühlt sie sich häufig noch schlechter und empfindet noch größeren Mangel, nicht wahr? Ich denke, man muss also recht vorsichtig sein in solchen Situationen.
Und ich denke auch über meine eigene Situation nach und meine eigenen Erfahrungen. In der Beziehung zwischen einem Dharma-Schüler und einem Dharma-Lehrer gibt es – falls es eine wirklich ernsthafte Verbindung ist – von Anfang an eine grundlegende Übereinkunft: „Egal, was Du tust, ich werde nicht Ärgerlich mit dir sein. Ich werde alles, was du, der Lehrer, tust, als Methode sehen, die mir hilft und nützt.“ Dadurch kann es funktionieren und sehr effektiv sein. In meinem eigenen Fall wollte ich definitiv meinem Lehrer helfen, ihn unterstützen, und so weiter, weil ich eine Anhaftung daran hatte, wertgeschätzt zu werden, Dank zu bekommen und so weiter. Und mein Lehrer dankte mir zweimal in neun Jahren. Er sagte nie „Danke“. Und das war sehr nützlich für mich, um zu verstehen, warum ich anderen helfe. Tut man es, wie Geshe Dhargyey immer als Beispiel sagte, damit man wie ein Hund den Kopf gestreichelt bekommt und dann mit dem Schwanz wedelt? Es funktioniert also, wenn es diese Übereinkunft gibt – wenn es dieses Verständnis gibt.
(6.11) Wenn (die Dinge) aufgrund des Abhängigen Entstehens zustande kommen, (können sie nicht wahrhaft existieren). (Wenn man dies) erkennt, wird Naivität nicht entstehen. Deshalb sollte man sich ganz und gar (darum) bemühen, (denn) nur dies soll in diesem (Text) erklärt werden.
Aryadeva fährt nun fort und bespricht, welche enormen Nachteile jede der drei vergifteten Geisteshaltungen bewirkt. Und wenn jemand sehr von Naivität beeinflusst ist, dann ist es deshalb wichtig, das Abhängige Bestehen zu studieren, um besser Ursache und Wirkung und die Wirklichkeit zu verstehen.
(6.13) Die Buddhas haben gesagt, dass jene mit Verlangen es ganz und gar aufgeben sollten, hervorragende Nahrung, Kleidung und Unterkunft zu haben, und dass sie stets in der Nähe ihrer spirituellen Mentoren sein sollten.
Jene, die sehr viel Verlangen haben, sollten von Essen und Unterhaltung und so weiter, an denen sie anhaften, fernbleiben und in der Nähe ihres spirituellen Lehrers bleiben. Dies ist ebenfalls etwas, worüber man sehr genau nachdenken kann.
(6.14) Sich über jemanden zu ärgern, den man nicht (ändern) kann, macht bloß das eigene Gesicht hässlich. Und für jemanden keine Liebe zu empfinden, dem man nicht (helfen) kann, wird als abscheulich bezeichnet.
Bei Schülern, die sehr von Ärger geprägt sind, ist es also wichtig, dass sie darüber nachdenken, dass es in keiner Situation hilfreich oder nützlich ist, über jemanden oder über etwas ärgerlich zu sein.
Ein gutes Beispiel ist eine Freundschaft oder Partnerschaft, in der man das Gefühl hat, dass man zu wenig Aufmerksamkeit bekommt. Falls wir ärgerlich werden und eine Szene machen, wird das dafür sorgen, dass die andere Person mehr Zeit mit uns verbringen wird? Oder wird es sie nur noch mehr abstoßen? „Ich ärgere mich so über dich. Warum liebst Du mich nicht mehr? Warum willst Du nicht häufiger mit mir zusammen sein?“. Und dann schreit man die andere Person an. Die andere Person wird doch erst recht weglaufen wollen, nicht wahr?
Diese Anweisung, in der Nähe des Lehrers zu bleiben, wenn man starke Anhaftung an Essen und Unterhaltung hat, muss man wahrscheinlich in einer klösterlichen Umgebung verstehen. Wenn man im Haus des Lehrers wohnt, hat man nicht alle möglichen Formen von Unterhaltung und alle möglichen Arten von Schokolade und Lieblingsgerichte und so weiter zur Verfügung. Und üblicherweise wird man dann, wenn man zum Beispiel mit dem Lehrer am Tisch sitzt, nicht anfangen gierig alles in sich hinein zu essen. Man ist aus Respekt von Natur aus ein bisschen zurückhaltend.
Viele der Nachteile von Ärger und der Möglichkeiten zur Überwindung von Ärger, die Aryadeva hier anführt, werden auch von Shantideva in seinem Kapitel über Geduld besprochen und dort weiter ausgeführt. Sehr viele Punkte, die Shantideva anspricht, kommen aus diesem Text hier.
(6.25) (In Kürze,) jeder (Yogi mit) einem Bewusstsein (das realisiert,) dass Bewusstsein selbst vollständig leer von einem (wahrhaft existenten) Verweilen ist und so weiter, wird keinen Platz haben in seinem intelligenten (Geist), an dem sich störende Emotionen aufhalten könnten.
Zusammengefasst sagt Aryadeva, dass ein Bodhisattva die drei störenden Emotionen überwinden muss, und anderen helfen sollte, das gleiche zu tun.
Kapitel 7: Aufzeigen von Methoden, um sich vom Verlangen nach angenehmen Objekten zu befreien, die Menschen begehren
Kapitel Sieben spricht über das Aufzeigen von Methoden, um sich vom Verlangen nach Genussobjekten zu befreien. Dies ist der Titel des Kapitels, aber eigentlich geht es darum, sich vom Verlangen nach weltlichen Vergnügungen zu befreien. Wir sind der Meinung, dass weltliches Glück oder weltliches Vergnügen durch Vergnügungsobjekte wie Essen oder Unterhaltung, Bier usw. entsteht.
(7.1) Dieser Ozean des Leidens ist ohne jedes Ende. Kindischer, warum fürchtest Du dich nicht, wenn Du darin versunken bist?
Aryadeva weist zuerst darauf hin, dass der Ozean der unkontrolliert wiederkehrenden samsarischen Wiedergeburten endlos ist, falls wir nicht etwas tun, um uns daraus zu befreien.
(7.2) Deine (jetzige) Jugend folgte nach (deinem vorherigen Alter in der Vergangenheit) und wird wiederum vor (dir liegen, nachdem Du gestorben bist). Auch wenn (Du vielleicht jetzt stolz auf deine Jugend bist und meinst) dass sie anhalten wird, sind (Jugend, Alter und Tod) in dieser Welt wie Wettläufer, die in einem Rennen (darum konkurrieren, wer der) erste (ist).
Es wiederholt sich immer und immer wieder: Jugend kommt vor dem Alter, und dann folgt sie wieder im nächsten Leben. Deshalb ist es sinnlos, sich an die eigene Jugend zu klammern und stolz darauf zu sein. Jugend, Alter und Tod sind wie Konkurrenten in einem Wettrennen, die miteinander wetteifern, wer der erste ist. Beispielsweise: Wird der Tod vor dem Alter eintreten?
(7.3) Im zwanghaften Samsara besitzt man nicht (die Macht), eine andere, (bessere) Wiedergeburt nach den eigenen Wünschen zu garantieren. Welche verständige Person würde sich deshalb nicht fürchten, weil sie unter der Macht von etwas anderem steht: (unter der Macht karmischer Impulse und störender Emotionen).
Es gibt also keine Garantie, welche Wiedergeburt nach der jetzigen folgen wird. Solange man unter dem Einfluss von störenden Emotionen und Karma steht ist es deshalb angebracht, in Angst und Furcht zu sein. Und es ist angebracht, die störenden Emotionen und Karma zu verwerfen sowie den samsarischen Wiedergeburten zu entsagen, die unter der Kontrolle von störenden Emotionen und Karma stehen.
(7.4) (Wenn Du dich jetzt nicht bemühst,) wird es in Zukunft kein Ende (deiner fortgesetzten samsarischen Geburten geben). Denn in allen (bisherigen) Leben (bist du) ein gewöhnliches Lebewesen (geblieben). Lass dein jetziges Leben deshalb nicht ebenso (bedeutungslos) sein. Werde nicht genau so, wie Du bisher gewesen bist.
(7.5) Ein Zusammentreffen eines (geeigneten) Zuhörers, der zu hörenden (Lehre) und von jemandem, der sie erklärt, ist äußerst selten. Zusammengefasst: Obwohl Samsara nicht endlos sein wird, (wenn diese Umstände zusammen treffen), wird es ohne Ende sein (falls sie es nicht tun).
Wir müssen uns also stattdessen bemühen, den Dharma zu hören, darüber nachzudenken und darüber zu meditieren.
Im Westen haben viele Menschen Einwände gegen das Wort „Furcht“ und dagegen, dass hier Furcht als Motivation verwendet wird. Wenn man extreme Furcht hat, dann ist das sicherlich auch etwas Neurotisches. Aber ich denke, man muss sich das genauer anschauen. Wenn man zum Beispiel eine gefährliche Arbeit ausführt und zum Beispiel ein sehr kraftvolles Gerät wie eine Kreissäge verwendet, mit der man sich leicht die Hand abschneiden könnte, dann wird man nicht einfach bloß sagen: „Ja, ich hoffe mal, dass mir nichts passieren wird“. Das wäre einfach nur eine gewisse Scheu, und das wird am Anfang vielleicht nicht ausreichen. Am Anfang wird man sicherlich wirklich Angst haben, dass man sich in die Hand schneidet oder dass man jemandem anders damit schadet. Also wird man wirklich sehr aufpassen, dass man genau das nicht tut. Ich denke nicht, dass das neurotisch ist, auch wenn es natürlich neurotisch werden kann, wenn es eine extreme Form annimmt.
Aber es gibt verschiedene Ebenen von Motivation und ich denke, als „Westler“ sollten wir ein bisschen aufpassen, Furcht als Motivationsfaktor auf einer anfänglichen Stufe nicht zu vernachlässigen. Im Buddhismus wird Furcht nur auf einer anfänglichen Motivationsstufe angesprochen. Und zwar ist dies die Furcht vor schlechteren Wiedergeburten und – wie Aryadeva betont – außerdem die Furcht davor, völlig unter die Macht der störenden Emotionen zu geraten. Zum Beispiel wäre es unangebracht, wenn man sich fürchtet, dass man so ärgerlich wird und so unter die Kontrolle von Ärger gerät, dass man aus diesem Ärger heraus eventuell jemanden tötet. Einige haben sehr sehr starken Ärger, bei ihnen besteht durchaus diese Gefahr. Denn, in welchem Zusammenhang wird Furcht im Lamrim (den aufeinanderfolgenden Stufen des Pfades) vorgestellt? In dem Zusammenhang, dass man Selbstdisziplin entwickelt und sich zurückhält, so dass man keine zerstörerischen, schädigenden Handlungen ausführt. Später, auf fortgeschritteneren Stufen, werden dann andere Motivationen, wie zum Beispiel Mitgefühl, entwickelt.
Es besteht ein großer Unterschied dazwischen, auf welche Art man Angst hat. Wenn man zum Beispiel sagt, „Ich hab Angst, einen Fehler zu machen“, dann würde man dies im buddhistischen Zusammenhang so verstehen, dass man sagt, „Ich hab Angst einen Fehler zu machen, also werde ich wirklich aufpassen und nicht fahrlässig handeln“. Aber der Buddhismus empfiehlt nicht, dass man sagt „Ich habe Angst. etwas falsch zu machen, also mache ich lieber überhaupt nichts. Ich versuche es nicht einmal.“ Wenn die Furcht so stark wird, dass man nicht einmal mehr etwas versucht, weil man denkt, dass man vollkommen unfähig und für überhaupt nichts zu gebrauchen ist, dann ist das nicht angemessen und nicht hilfreich. Natürlich wird man nicht Dinge versuchen, für die man nicht die erforderlichen Fähigkeiten besitzt – das ist etwas anderes. Aber hier geht es darum, dass man aufgrund von Furcht eine gewisse Selbstkontrolle und auch eine gewisse Sorgsamkeit entwickelt und sich dann auf dieser Grundlage weiter und weiter übt.
(7.7) (Das Leiden der) Menschen auf der Welt, das aus ihrer negativen karmischen Schuld gereift ist, konkurriert nur (mit dem der freudlosen Höllenbereiche). Daher erscheint den Heiligen (Aryas) das zwanghafte samsarische Dasein ebenso wie ein Schlachthaus.
(7.8) Wenn man verrückt ist, wenn der eigene Geist nicht (unter der eigenen Kontrolle) bleibt, welcher Weise würde dann nicht (auch) jene als verrückt betrachten, die noch im zwanghaften samsarischen Dasein verweilen?
(7.9) Wenn man versucht, sich vom Leiden des (übermäßigen) Laufens und so weiter abzuwenden (indem man sich hinsetzt und so weiter,) erkennt man (dass das Vergnügen der Erleichterung schließlich) zur Neige geht. Jene, die Intelligenz besitzen sollten deshalb ihren Geist entwickeln, um all ihr (werfendes) Karma zu erschöpfen.
Einer der wesentlichen Punkte, die in diesem Kapitel betont werden, ist Entsagung. Die Entsagung von weltlichen, samsarischen Vergnügungen. Deshalb beschreibt Aryadeva die verschiedenen Arten des Leidens in samsarischen Geburten: wie das Leid des Leidens und das Leid des Wandels – dass keine weltliches Glück oder Vergnügen jemals Befriedigung verschafft.
(7.10) Wenn für keine einzige Wirkung (wie beispielsweise den Geist) eine anfängliche Ursache erscheint und in dem Moment, in dem man die umfassenden (Wirkungen) auch nur einer einzigen (negativen Handlung) erkennt, bei wem würde dann keine Furcht (vor wiederholter samsarischer Existenz) entstehen?
Karmische Wirkungen wachsen also auch an – aus einer negativen Handlung können wiederholt zahlreiche entsetzliche Wirkungen entstehen.
(7.11) Es besteht keine Gewissheit, dass sämtliche (weltlichen karmischen) Früchte (wie beispielsweise Wohlstand) zustande kommen werden. Und auch wenn sie zustande kommen, werden sie ein Ende finden. Warum solltest Du dich für sie zugrunde richten?
Außerdem ist es nicht einmal sichergestellt, dass wir aufgrund von konstruktivem Verhalten weltliches Glück erreichen werden, denn wir können die positive Kraft aufgrund von positiven Handlungen zerstören, indem wir ärgerlich werden. Insbesondere ist dies der Fall, falls wir auf einen Bodhisattva ärgerlich werden oder auf jemanden, der wie ein Bodhisattva dafür arbeitet, anderen zu helfen.
(7.12) (Weltliche) Handlungen, die mit Mühe ausgeführt wurden, werden ohne jede Mühe vergehen, wenn sie getan sind. Da dies (von Natur aus) geschieht, warum wendest Du dich niemals von der Anhaftung an (weltliche) Handlungen ab?
(7.13) (Im Bewusstsein) der Vergangenheit ist kein Glück zu erreichen (weil es schon vergangen ist) und auch nicht in der Zukunft (weil diese noch nicht eingetreten ist). (Ebenso) ist es auch mit der Gegenwart, weil dies eintreten wird. Was ist dann der Sinn, dass Du (all diese Bemühungen) in karmische Handlungen (investierst, um weltliches Glück zu erreichen)?
(7.14) Die Weisen entwickeln sogar Furcht vor den (Zuständen der) höheren (Wiedergeburten), ebenso wie (sie es) gegenüber den freudlosen Höllenbereichen tun. Es ist selten, dass sie keine Furcht entwickeln – gegenüber jeglicher Situation überall im zwanghaften samsarischen Dasein.
Weltliches Glück, ganz gleich, ob es vergangenes, gegenwärtiges oder zukünftiges Glück ist, wird niemals zufriedenstellend sein, einfach aus dem Grund, weil es unbeständig ist und nicht anhalten kann. Aus diesem Grund sollte man sich nicht damit zufrieden geben, einfach nur auf weltliches Glück hinzuarbeiten – dies ist ein Ziel, dem die Weisen entsagen.
Dieses Thema ist wohl nicht das angenehmste oder netteste im Buddhismus. Aber ich denke, es ist wichtig – und es ist nicht nur so, dass ich es wichtig finde, es ist natürlich auch im Zusammenhang mit dem Dharma sehr wichtig, dass man über Entsagung nachdenkt und dass man prüft, welche Rolle eigentlich die Suche nach weltlichem Glück im eigenen Leben spielt. Um ein ganz einfaches Beispiel zu geben: Wir wollen eine schöne Zeit erleben. Das ist eine Form von weltlichem Vergnügen. Die meisten von uns wollen sicherlich eine schöne Zeit mit anderen erleben oder überhaupt eine schöne Zeit haben – beispielsweise mit Freunden und unserer Familie. Und dann haben wir ein sehr starkes verlangen danach, mit dieser oder jener Person zu sein, und mit dieser Person dieses oder jenes zu tun. Aber die andere Person ist vielleicht beschäftigt, oder sie ist gerade mit jemand anderem zusammen. Dann funktioniert das nicht, dann sind wir frustriert.
Oder selbst wenn es uns gelingt, das zu haben, was wir als schöne Zeit bezeichnen, dann wird es irgendwann aufhören, oder es geht vielleicht zu lange und dann sind wir gelangweilt oder müde oder die Person geht uns auf die Nerven. Und dann sind wir auch frustriert, dass wir keine schöne Zeit mit dieser Person haben, oder dass die Person keine Zeit für uns hat, und wir suchen nach jemand anderem… Wenn es dort mit dieser neuen Person nicht so läuft, wie wir wollen, suchen wir wieder nach jemand anderem und so weiter. Das haben wir unzählige Male und über unzählige Leben hinweg immer und immer wieder getan.
Wenn das wesentliche Ziel unseres Lebens ist, dass wir eine schöne Zeit haben wollen, dann ist es aussichtslos. Wir denken dann zum Beispiel: „Gut, ich muss meine Arbeit machen. Ich muss dies und das machen. Aber am Abend hab ich dann eine schöne Zeit. Oder im Urlaub, da hab ich dann aber eine schöne Zeit.“ Mann muss diese Meditation über Entsagung also auf solche ganz grundlegenden, ganz einfachen Alltagserlebnisse anwenden und persönliche Beispiele dafür verwenden. Ich denke, dieses Beispiel, dass man eine schöne Zeit haben möchte, zum Beispiel, indem man nach Unterhaltung sucht oder was auch immer, ist sicherlich für viele Menschen sehr relevant.
Die Weisen geben also dieses Ziel auf. Das bedeutet natürlich nicht, dass wir jetzt absichtlich versuchen würden, eine schlechte Zeit zu haben, sondern es geht darum, dass man auf ein höheres Ziel hinarbeitet, auf ein bleibenderes Ziel.
(7.17) Wenn Du deinen Geist in diesem (Leben von Vergnügungsobjekten abwendest, weil Du höhere Wiedergeburten anstrebst), ist wohl bekannt, dass Du (in zukünftigen Leben) weiterhin auf sie fixiert sein wirst. Dies ist verzerrte Dharma(praxis). Weshalb solltest man dies als korrekt annehmen?
Es reicht noch nicht aus, dass wir einfach den Wunsch nach Glück und nach Vergnügen in diesem Leben aufgeben, denn Aryadeva sagt, dass wir uns immer noch an das weltliche Glück zukünftiger Leben klammern können. Er sagt also, dass die Motivation, die im Stufenpfad (Lamrim) als grundlegende Motivation bezeichnet wird, nicht ausreichend ist.
(7.23) Positive Handlungen (mit dem Wunsch) nach Belohnung auszuführen, ist nichts anderes als (an) Lohn (für weltliche Arbeit anzuhaften). Wie könnte jemand, der akzeptiert, dass alle konstruktiven Handlungen (die auf diese Weise durchgeführt werden, Ursachen für Samsara sind) jemals negative Handlungen ausführen?
Man sollte also keine positive Dharmahandlung ausführen, nur um in zukünftigen Leben, beispielsweise in irgendwelchen Götterbereichen, eine schöne Zeit zu haben. Denn wenn man danach strebt, dann ist das nicht besser, als wenn wir an der Bezahlung anhaften, die wir für gute Arbeit bekommen.
(7.24) Aber jene, welche die umher wandernden Wesen als illusionsartig betrachten – so wie (die Hervorbringungen) einer Ansammlung von mechanischen Apparaturen, bewegen sich zur erhabenen, äußerst strahlenden Errungenschaft (der Erleuchtung).
(7.25) Jene, (welche die Wirklichkeit erkennen) finden deshalb in keinem Objekt des wiederkehrenden Samsara die geringste Freude. (Sich) in diesem (Samsara) an irgendeiner Situation (zu) erfreuen, ist völlig unangebracht.
Wenn wir das weltliche Glück und weltliche Annehmlichkeiten ähnlich wie eine Illusion betrachten können, können wir das Greifen nach ihnen überwinden und Befreiung und Erleuchtung erreichen. Aryadeva gibt uns also den Hinweis, dass wir die Befreiung, die wir anstreben, wenn wir Entsagung entwickelt haben, nur erreichen können, wenn wir ein Verständnis der Leerheit gewinnen. Und andererseits ist es so, dass das Verständnis der Leerheit wiederum die Intensität der Entsagung verstärkt.
Entsagung ist also erforderlich, um ein Verständnis der Leerheit zu gewinnen, und dieses Verständnis von Leerheit führt dann wiederum dazu, dass sich die Entsagung verstärkt. Was folgt jetzt daraus? Um wieder zu unserem Alltagsbeispiel zurückzukehren: wenn wir eine schöne Zeit mit jemandem haben oder einfach wenn wir allein Unterhaltung genießen und dabei eine schöne Zeit haben, dann sollten wir dies wie eine Illusion betrachten. Es erscheint uns beständig und solide und wie etwas, dass uns wirklich glücklich machen wird, aber es ist eben nicht tatsächlich auf diese Weise vorhanden, wie es erscheint. Weil es nicht so existiert wie es erscheint, existiert es wie eine Illusion.
Wenn wir das verstehen, dann können wir die Dinge als das genießen, was sie sind und nicht als etwas, was sie eigentlich nicht sind. Es ist nur etwas flüchtiges, das sich von Augenblick zu Augenblick verändert, das nicht von Dauer ist und uns nicht letztlich befriedigt. Und auf dieser Grundlage genießt man es und dadurch wird man frei vom Greifen danach und von all dem Leid, das aus diesem Greifen entsteht, von der Enttäuschung, die folgt, wenn es nicht befriedigend ist.
Wenn wir beispielsweise mit einer anderen Person zusammen sind und eine schöne Zeit haben und die andere Person sagt: „Ich muss jetzt gehen“, dann klammern wir und sagen: „Kannst Du nicht noch eine halbe Stunde bleiben? Kannst Du nicht noch eine Stunde bleiben?“ Als ob es dann nach einer halben Stunde oder einer Stunde genug wäre. Aber so funktioniert es ja nicht.
Kapitel 8: Die Ausbildung von Schülern
Das achte Kapitel befasst sich mit der Ausbildung von Schülern. Und hier liegt Aryadeva’s Schwerpunkt sehr stark darauf, wie Lehrer ihren Schülern helfen können.
(8.1) So wie verschiedenartige Menschen langfristig nicht eng befreundet bleiben (wenn ihre Anhaftung verschwunden ist), ebenso wird Anhaftung nicht langfristig in jenen bestehen bleiben, welche die Fehler aller (Dinge) erkennen.
Das bedeutet: Genau so, wie Menschen, die sehr verschieden sind, nicht lange Freunde bleiben, ebenso wird man auch den Wunsch verlieren, mit samsarischen Dingen in Samsara zusammen zu treffen, wenn man ihre Nachteile erkennt. Wenn man also Freunde hat, mit denen man eigentlich nichts gemeinsam hat, dann fehlen da auch Anziehungspunkte, die dafür sorgen, dass man einander nah bleiben möchte. Und wenn man die Fehler von weltlichen Annehmlichkeiten und so weiter sieht und erkennt, wie sie sich von den eigenen spirituellen Zielen unterscheiden, dann wird man seine Bemühungen nicht mehr auf weltliches Glück lenken wollen. Das heißt, es läuft letztlich darauf hinaus, das man verstehen muss, dass weltliche Annehmlichkeiten nicht wirklich das sind, was man eigentlich möchte. Und wenn man das versteht, möchte man sie auch nicht mehr.
Ich denke, um diese Diskussion über Entsagung zu verstehen, muss man sich auch vor Augen halten, in welchem Zusammenhang dieses Thema Entsagung im Lamrim beschrieben wird. Im Lamrim (dem Stufenweg zur Erleuchtung) ist Entsagung die Grundlage dafür, dass man Mönch oder Nonne wird – dass man die Gelübde der individuellen Befreiung nimmt. Das ist die Bedeutung des Wortes Pratimoksha: es bedeutet „zur individuellen Befreiung“. Man erkennt, dass dieses Streben nach weltlichem Vergnügen, nach perfekten Partnerschaften, nach dem perfekten Job, nach dem perfekten Zuhause, der perfekten Garderobe usw. letztlich lächerlich ist und zu nichts führt. Auf dieser Grundlage, dieser Entsagung, wende man sich deshalb ausschließlich spirituellen Zielen zu. Dies ist der Grund dafür, Mönch oder Nonne zu werden. Das ist also immer der Zusammenhang im Lamrim, in dem diese Diskussion von Entsagung auftritt. Ich denke, wir sollten diesen Kontext nicht außer Acht lassen oder vergessen. Muss nun also jeder ein Mönch oder eine Nonne werden, um persönliche Befreiung zu erreichen? Das ist nicht der Fall, aber es wird dadurch wesentlich erleichtert.
(8.2) Einige empfinden Anhaftung für ein bestimmtes (Objekt oder eine bestimmte Person). Einige haben Abneigung gegen dieselbe (Sache). Und einige empfinden nichts dafür. Deshalb (existiert) ein Objekt der Begierde nicht (wahrhaft als solches).
Aryadeva erklärt dann, dass jedes Objekt für verschiedenste Leute eine Grundlage für Anhaftung, Abneigung oder Gleichgültigkeit sein kann. Deshalb ist eine Person oder ein Objekt nicht von sich aus attraktiv.
(8.3) Es gibt kein (wahrhaft) existierendes Verlangen und so weiter ohne konzeptuelles Denken (welches Dinge auf diese Weise betrachtet). Welche einsichtige Person würde (gleichzeitig) eine vollständig erwiesene letztendliche (Existenzweise) und (eine Existenz, die bloß durch) konzeptuelles Denken (erwiesen ist) akzeptieren?
Die Attraktivität eines Objekts oder einer Person beruht nur auf geistiger Benennung und entsteht in Abhängigkeit davon.
(8.4) Es ist unmöglich, dass irgendein (Mann inhärent) mit irgendeiner (Frau) verbunden ist. Wenn man (wahrhaft) mit jemand anderem verbunden wäre, wäre es unlogisch, dass man jemals getrennt wird.
Die Konsequenz ist, dass es keine Beziehung, keine Verbindung zwischen zwei Personen gibt, die wahrhaft existiert und ewig besteht. Einer der stärksten Aspekte unseres Klammerns ist es, dass wir an anderen Leuten hängen. Es sind andere Personen, die wir äußerst anziehend finden, und wir verlieben uns in sie und sind von ihnen besessen. Und üblicherweise ist es so, dass man völlig aus dem Gleichgewicht gerät und sämtliche anderen Aspekte des eigenen Lebens ignoriert, wenn man sich verliebt. Nicht nur die spirituelle Praxis, sondern eben auch unsere Arbeit, unsere Freunde, sonstige Verpflichtungen usw. Wir wollen nur noch mit dieser einen Person zusammen sein. Im Westen sagt man ja, das ist eine Beziehung, die ist wie im Himmel gemacht. Aber es gibt keine wahrhaft aus sich heraus bestehende und ewige Verbindung zwischen zwei Personen.
Dies bringt also wieder die Erklärungen über Unbeständigkeit hinein und über die Unattraktivität des Körpers und über den Körper als eine Quelle des Leidens. Und es gibt auch keine unmögliche „Seele“ im Sinne von „Ich“ liebe „Dich“. Es geht also darum, Schülern zu helfen, dieses Greifen nach verschiedenen Dingen zu überwinden. Das bedeutet natürlich auch, dass man nicht dafür sorgen möchte, dass der Schüler an einem selbst, dem Lehrer, anhaftet und nach ihm greift. Denkt an die Geschichte, als Marpa Milarepa aus dem Haus geworfen hat. „Es ist Zeit für Dich in eine Höhle in den Bergen zu gehen und zu meditieren!“
Die Attraktivität von Personen und Objekten entsteht also in Abhängigkeit von geistiger Benennung, weil wir eben bestimmte Dinge als begehrenswert benennen und betrachten. Diese Erklärung führt zu einem Verständnis der Leerheit. Und das Hauptthema in diesem Kapitel ist eben, wie man Schülern die Leerheit vermittelt. Das ist also die Überleitung zum zweiten Teil des Textes, der sich mit den Erklärungen über die Leerheit beschäftigt.
(8.5) Jene, die wenig positive Kraft besitzen, werden nicht einmal Zweifel über diese Lehre (der Leerheit) hegen. Aber indem man einfach nur daran zweifelt, wird das eigene zwanghafte Dasein zerschlissen.
Um die Leerheit zu verstehen, ist es sehr wichtig, dass man sehr sehr viel positive Kraft oder Verdienst angesammelt hat, damit man einen offeneren Geist besitzt, der klar und für das Verständnis der Leerheit empfänglich ist. Wenn dies nicht der Fall ist, dann wird man eben viele geistige und emotionale Blockaden haben. Aryadeva sagt deshalb auch in einem sehr bekannten Vers, dass diejenigen mit wenig positiver Kraft nicht einmal Zweifel über die Leerheit haben. Das heißt sie denken nicht mal: „Ja, könnte es wirklich so sein?“. Aber bei jenen, die positive Kraft besitzen wird das zwanghafte Dasein (Samsara) zerschlissen wie ein altes Kleidungsstück, das abgetragen ist und das sehr leicht durchlöchert werden kann.
All dies impliziert auch, dass wir die tiefste Ebene der Erklärungen über die Leerheit verstehen müssen, weil es Aryadeva zufolge keine andere Möglichkeit gibt, um Befreiung zu erreichen:
(8.7) (Vielleicht denkst Du,) „Ich werde jenseits des Leidens (ins Nirvana) gehen“. Aber der (zur) So(heit) Gegangene (Buddha) erklärte, wenn Du (die) leeren (Phänomene) nicht als leer (von wahrer Existenz) erkennst, dann kannst Du nicht jenseits des Leidens gehen mit einer verkehrten Ansicht.
Aber die Lehren über die Leerheit bedeuten nicht, dass die Dinge überhaupt nicht vorhanden wären. Das ist eine Anschuldigung, welche die anderen buddhistischen Schulen oft gegen die Prasangikas erheben. Sie denken, dass die Prasangika-Position ein völliger Nihilismus sei demzufolge überhaupt nichts existiert. Aryadeva warnt vor diesem Missverständnis. Indem man Handlungen ausführt, von denen man weiß, dass sie ohne wahrhafte Existenz sind, kann man Befreiung erreichen.
Aber er weist auch darauf hin, dass man keine sektiererischen Ansichten entwickeln sollte. Man sollte weder nach Handlungen als etwas wahrhaft existierendem greifen noch nach verschiedenen Positionen über die Leerheit, denen zufolge die Leerheit ein wahrhaft existierendes „Ding“ ist. Wir sollten nach nichts davon greifen, als etwas, das entweder wahrhaft anzunehmen oder zurückzuweisen ist.
(8.9) Falls Du Furcht entwickelst, weil Du denkst, „(Wenn die Dinge frei von wahrer Existenz wären), wäre alles (überhaupt) nicht-existent. Was ist also der Sinn (sich um die Befreiung zu bemühen)?“ Nun, falls Handlungen (tatsächlich) wahrhaft erwiesene Existenz besitzen würden, könnte (die Erkenntnis) dieser Lehre (der Leerheit) nicht die Handlung der Umkehr (von Samsara) hervor bringen.
Nihilismus bedeutet, dass man Leerheit so versteht, als ob nichts existiert. Und falls nichts existiert, dann ist es sinnlos, auf Befreiung hinzuarbeiten, also tut man überhaupt nichts. Das wäre die Folge dieser nihilistischen Fehleinschätzung.
(8.14) Für jene mit geringsten (Fähigkeiten) sprach (der Buddha) über Großzügigkeit, für die Mittleren sprach er über ethische Disziplin, jenen von höchster (Kapazität) sprach er über (Leerheit – die Methode um alle Leiden zu) befrieden. (Strebe) deshalb immer (danach), zum höchsten zu werden.
Schüler müssen entsprechend ihrer Kapazität angeleitet werden. Hier finden wir einen Vorläufer der Lamrim-Struktur mit den verschiedenen Fähigkeitsstufen, bei der man nach einander schrittweise verschiedene Dinge erklärt, auch wenn es hier nicht genauso formuliert ist wie im Lamrim (dem Stufenpfad).
Aryadeva sagt, dass der Buddha jene, die die geringste Kapazität besitzen, Großzügigkeit gelehrt hat, jene mit mittlerer Kapazität ethische Disziplin und jene von höchster Kapazität die Leerheit. Es lohnt sich darüber nachzudenken, wenn man sich fragt, wie man anderen tatsächlich helfen kann. Er sagt, dass man ihnen nicht sofort sagen soll, dass sie mehr Selbstkontrolle und Disziplin entwickeln sollen, sondern dass man ihnen hilft, indem man ihnen empfiehlt, großzügiger und liebevoller zu sein.
Das klingt für uns vielleicht erst einmal so, als sei das eine fortgeschrittene Mahayana-Motivation, aber in dieser Form ist das sehr einfach. Wenn Seine Heiligkeit auf der grundlegendsten, einfachsten Ebene Erklärungen gibt, dann erklärt er auch, wie man, dass man ein guter Mensch sein sollte. Das ist die elementarste Sache, die er am Anfang erklärt. Man sollte zumindest versuchen, eine freundliche, liebevolle Person zu sein. Und wenn jemand etwas stärker ist, dann sollte die Person ethische Disziplin entwickeln, um wilde, zerstörerische Verhaltensweisen und störende Emotionen zu kontrollieren. Und wenn jemand höchste Kapazität besitzt, dann erklärt man dieser Person die Leerheit.
(8.15) Zuerst wendet man sich von unheilsamen (Handlungen) ab, in der Mitte wendet man sich ab vom (Greifen nach einem groben) Selbst und schließlich wendet man sich ab von allen Sichtweisen (wahrer Existenz). Wer (diese Stufen zur Anleitung von Schülern) kennt, ist weise.
Aryadeva umreißt dann eine Abfolge in drei Stufen, wie ein Lehrer die Erklärungen geben sollte. Diese sind dem Lamrim dann sehr ähnlich, nur der Schwerpunkt ist ein etwas anderer. Er erklärt, dass es als erstes wichtig ist, dass man den Schülern beibringt, sich von zerstörerischen Handlungen abzuwenden. Das entspricht also der ersten Stufe der Motivation im Lamrim. Dann soll man ihnen in der Mitte helfen, sich vom Greifen nach einem groben Selbst zu befreien, was notwendig ist, um Befreiung zu erreichen. Und schließlich soll man ihnen helfen, sich von allen Formen des Greifens nach einer wahrhaft erwiesenen Existenz zu befreien. Dieses Verständnis ist erforderlich, um Erleuchtung zu erreichen.
Dies wäre die Darstellung der Nicht-Prasangika-Schulen. Man kann diese aber sowohl auf eine Nicht-Prasangika-Art als auch auf eine Prasangika-Art auslegen. Die Mahayana-Schulen außer der Prasangika-Schule, das heißt das sind die Svatantrikas und die Chittamatrin, sind der Meinung, dass man die persönliche Befreiung erreichen kann, indem man ein grundlegenderes Verständnis von einer bestimmten unmöglichen Existenzform hat und dass man dieses Verständnis nur bezogen auf die Person – also bezogen auf einen selbst – benötigt. Um aber ein Buddha zu werden, muss man laut diesen Schulen ein Verständnis einer subtileren unmöglichen Existenzweise haben und dieses Verständnis muss sich auf alle Phänomene beziehen.
Man kann dies aber auch im Prasangika-Sinne interpretieren. Den Prasangikas zufolge benötigt man dasselbe Verständnis, sowohl für die Befreiung als auch um ein Buddha zu werden, und diese Verständnis wendet man zuerst auf die Person und dann auf alle Phänomene an. Das ist auch ein gutes Beispiel dafür, wie ein solcher Text als Wurzeltext funktioniert. Man kann ihn – bereits innerhalb des Madhyamaka – auf verschiedene Arten erklären, entweder gemäß Svatantrika oder gemäß Prasangika.
(8.16) Der (Buddha) erklärte: der, der (die Leerheit) eines Phänomens erkennt, kennt (die Leerheit von) allem. Die Leerheit eines (Phänomens) ist von Natur aus (dasselbe wie) die Leerheit aller (Phänomene).
Dies ist eine sehr bekannte Zeile: wenn man die Leerheit einer Sache erkennt, dann hat man die Leerheit von allen verstanden. Man muss also nicht jede einzelne Sache durchgehen, die existiert, um die Leerheit aller Phänomene zu verstehen.
(8.20) Der (Buddha) lehrte tatsächlich (wahrhafte) Existenz, nicht-(wahrhafte) Existenz, sowohl (wahrhafte) Existenz als auch nicht-(wahrhafte) Existenz und nichts von beidem. Kann denn entsprechend der Krankheit nicht alles als Medizin bezeichnet werden?
Hier kommen wir zum letzten Punkt dieses Kapitels. Dort ist davon die Rede, dass der Buddha die Leerheit nicht für alle auf die gleiche Art und Weise erklärt hat. Eine einzige Medizin ist nicht passend für alle Krankheiten. Deshalb lehrte der Buddha einigen Schülern, dass alle Phänomene wahrhaft erwiesene Existenz besitzen. Anderen Schülern lehrte er, dass es manche Phänomene gibt, die wahrhaft erwiesene Existenz besitzen und andere, die diese nicht besitzen. Und wiederum anderen Schülern lehrte er, dass überhaupt kein Phänomen wahrhaft existiert. Was wir hier sehen ist vermutlich eine der frühesten Formulierungen der sogenannten drei Drehungen des Dharmarades oder auch der drei Übermittlungszyklen der Lehren des Dharma.
Ich möchte jetzt nicht ins Detail gehen, was diese Übermittlungstyklen sind, aber in unterschiedlichen Sammlungen von Erklärungen lehrte der Buddha ganz verschieden. Und das hat zu tun mit den verschiedenen Lehrmeinungen im Buddhismus. Wenn man beispielsweise das System der Vaibhashikas nimmt, dann ist alles wahrhaft existent. Für Sautrantika und Chittamatra sind einige Phänomene wahrhaft existent und andere nicht, und bei den Madhyamikas gibt es überhaupt keine Phänomene, die wahrhaft existent sind. Es ist allerdings so, dass wahrhaft erwiesene Existenz in diesen verschiedenen Systemen jeweils unterschiedlich definiert. Jedenfalls ist dieser Text eine der ältesten Quellen für die Einteilung der buddhistischen Lehrmeinungen in verschiedene philosophische Lehrmeinungssysteme.
(8.21) Wenn man die reine (Sicht der Leerheit vollständig) erkennt, (erreicht man) den höchsten Zustand (der Befreiung). Und wenn man sie ein bisschen erkennt, (erreichst man) den Zustand einer hervorragenden Wiedergeburt. Deshalb sollten jene, die weise sind, stets ihre Intelligenz entwickeln, um über (die Leerheit) ihres inneren Selbst nachzudenken.
Aryadeva weist darauf hin, dass auch schon das Verständnis der weniger ausgefeilten Lehrmeinungen sehr hilfreich ist, weil man dadurch zumindest eine höhere Wiedergeburt erreichen kann.
(8.25) So wie man das Ende eines Samens beobachten kann (wenn dieser verbrannt wird) obwohl (die Abfolge, aus der dieser Samen entstand,) keinen Anfang besitzt, ebenso wird Wiedergeburt gewiss nicht mehr auftreten (wenn man die Unwissenheit beseitigt hat), weil die Ursachen für (weitere Wiedergeburt) nicht vollständig sein werden.
Aber ein vollständiges Verständnis der Leerheit – mit dem auch alle karmischen Samen „verbrannt“ werden – wird dazu führen, dass man die Befreiung erreicht. Und hiermit beendet Aryadeva die erste Hälfte des Textes.
Ich denke, bereits nach der ersten Hälfte, man kann schon aus dieser kurzen Zusammenfassung des Textes erkennen, dass dies eine sehr wichtige frühe Quelle für viele Themen und Inhalte ist, die später in der indischen und tibetischen Literatur entwickelt wurden. Und es gibt sehr viele Punkte, bei denen Seine Heiligkeit entscheiden könnte, sehr tief ins Detail zu gehen – beispielsweise bei den drei Übermittlungszyklen des Dharma. Aber es kann auch sein, dass Seine Heiligkeit die Verse nur schnell vorlesen und zu etwas anderem übergehen wird. Aber es ist eben gut, eine ungefähre Vorstellung vom Umfang dieses Textes und der Themen darin zu haben, damit wir die Wichtigkeit dieses Textes erkennen und vielleicht Interesse entwickeln, ihn später ausführlicher zu studieren.