Fehlerhafte Sichtweisen der tiefsten Wahrheit der Dinge

Andere Sprache

Einleitung und Frage zu Konzepten über nicht-existierende Phänomene

Wir hatten mit der zweiten Hälfte des Textes begonnen – mit den Kapiteln, die sich mit der Leerheit beschäftigen. Insbesondere geht es bei diesen Diskussionen um die Überwindung falscher Ansichten über die Leerheit, über die tiefste Natur der Dinge. Wir haben das neunte Kapitel abgeschlossen, welches Methoden aufzeigt, um statische wirksame Phänomene zu widerlegen. Jetzt kommen wir zum zehnten Kapitel, dem „Aufzeigen von Methoden zur Widerlegung eines (statischen, unmöglichen) ‚Selbst‘ oder einer ‚Seele‘“.

Wie beim neunten Kapitel werde ich nur einige der Hauptpunkte und Argumentationen durchgehen, die dazu dienen, einige Positionen zu widerlegen, die aus dem Blickwinkel des Prasangika fehlerhaft sind. Aber ich werde dabei nicht zu sehr ins Detail gehen. Auch hier ist die Methode wieder, dass auf widersprüchliche Schlussfolgerungen hingewiesen wird, die sich aus den Annahmen der anderen ergeben. Im neunten Kapitel gab es auch ein Beispiel für eine logische Unstimmigkeit, die Aryadeva aufgezeigt hatte: Nur weil etwas nicht erzeugt wurde, heißt dies nicht zwingend – es besteht also keine logische Durchdringung –, dass es beständig ist, denn nicht-existierende Dinge werden ebenfalls nicht erzeugt. Das geht eher in Richtung Svatantrika, wo man tatsächlich versucht, etwas mithilfe logischer Durchdringungen zu beweisen oder zu widerlegen, während die eigentliche Prasangika-Methode darin besteht, dass man die Widersprüche und abwegigen Schlussfolgerungen aufzeigt, die aus den Annahmen der anderen Person folgen, ohne auf (formale) Logikfehler (der anderen Seite) einzugehen. Mit Logikfehlern zu arbeiten ist die Svatantrika-Methode.

Dinge, die nicht existieren, sind aber trotzdem Konzepte. Und Konzepte sind beständig. Gibt es dann nicht ein Problem mit dem Beispiel, das erwähnt wurde?

Nein, da gibt es einen Unterschied. Man kann ein Konzept von etwas haben, das nicht existiert, aber das bedeutet nicht, das das Phänomen, welches nicht existiert, dadurch existieren würde. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Konzept oder einer Erscheinung von wahrer Existenz und tatsächlicher Existenz.

Die entscheidende Frage ist allerdings: Wie kann etwas nicht-existierendes denn erscheinen? Es ist so, dass etwas Nicht-Existierndes nicht tatsächlich erscheint. Dieser Einwand wird übrigens – ich glaube von einem der Karmapas – gegenüber Tsongkhapa’s Erklärung über nicht-existierende Phänomene vorgebracht. Auf der Website gibt es hierzu einen Artikel. Aber es stimmt nicht, dass wahre Existenz selbst erscheint. Was erscheint ist etwas, das wie wahre Existenz wirkt oder diese repräsentiert. Aber es ist nicht der Fall, dass tatsächliche wahre Existenz erscheint, wenn das Bewusstsein eine Erscheinung von wahrer Existenz erzeugt. Und wenn man einen konzeptuellen Gedanken an ein Hasenhorn hat, dann ist (dadurch das Hasenhorn) nicht tatsächlich (vorhanden). Aber ich möchte keine komplizierte Erklärung zum konzeptuellen Denken und zu beständigen (statischen) Phänomenen und unbeständigen (nicht-statischen) Phänomenen geben, also lassen wird das lieber. Dies wird recht umfassend auf meiner Website erklärt und es ist ziemlich kompliziert.

Aber wie dem auch sei, man hat eine Erscheinung – zum Beispiel eine Erscheinung eines Hasen und eine Erscheinung von Ziegenhörnern, oder Cartoon-Hörnern oder etwas ähnlichem auf dem Hasen. Man könnte jedoch nicht eine tatsächliche Erscheinung von Hasenhörnern haben, also keine Erscheinung von Hasenhörnern auf dem Hasen.

Ein anderes Beispiel, das ich gern verwende, sind Hühnerlippen. Es gibt keine Hühnerlippen. Man kann sich Cartoon-Lippen an einem Huhn vorstellen aber es gibt keine tatsächlichen Hühnerlippen an einem Huhn.

Ist das Konzept unbeständig?

In dieses Thema möchte ich lieber nicht eintauchen. Ein Konzept hat beständige oder (statische) und unbeständige (nichtstatische) Aspekte.

Denn wir haben es hier ja mit Kategorien zu tun und mit Bildern, die eine Rolle spielen, wenn wir in Kategorien denken. Es ist zu kompliziert, in dieses Thema einzutauchen. Wir können einfach sagen, das Kategorien statisch sind.

Aber das ist das Problem. Es gibt die Kategorie eines Hasenhorns.

Es gibt die Kategorie eines „Hasenshorns“. Aber es gibt kein Hasenhorn.

Aber die Kategorie existiert?

Ja, die Kategorie existiert.

Aber dann passt dieses Beispiel nicht.

Warum nicht? Eine Kategorie ist nicht dasselbe wie ein einzelner Vertreter dieser Gruppe. Es kann ein Wort „Hasenhorn“ geben und man kann eine Kategorie „Hasenhorn“ haben. Aber diese beziehen sich nicht auf tatsächlich existierende Phänomene. Sie können sich höchstens auf nicht-existierende Phänomene beziehen, die man für existent hält. Aber wir sollten dies nicht weiter verfolgen – dies würde zu lange dauern und uns fehlt die Zeit. Ich schlage vor, dass du den Artikel über die Wahrnehmung nicht-existierender Phänomene auf meiner Website liest und dann können wir darüber sprechen.

Im Beispiel geht es einfach um logische Durchdringung. Wenn etwas statisch ist, dann ist es zwingend davon durchdrungen, dass es nicht erzeugt worden ist. Aber wenn etwas nicht erzeugt worden ist, dann ist es noch lange nicht zwingend davon durchdrungen, dass es auch statisch ist. Dies ist eine einfache logische Durchdringung. Ein Hund ist zum Beispiel (logisch) davon durchdrungen, ein Tier zu sein, aber etwas, das ein Tier ist, ist nicht zwangsläufig davon durchdrungen, ein Hund zu sein. Genau in dieser Art und Weise besteht bei einem Phänomen, welches statisch ist, eine Durchdringung, dass es nicht von Ursachen und Umständen erzeugt wurde; aber, nur weil etwas nicht erzeugt wurde, besteht keine Durchdringung, dass es statisch ist.

Kapitel 10: Aufzeigen von Methoden zur Widerlegung eines (statischen, unmöglichen) „Selbst“ oder einer „Seele“

Nun zu Kapitel zehn. Wie ich bereits erwähnt habe, könnte man mit jedem einzelnen Punkt hier vermutlich ein oder zwei Unterrichtsstunden oder mehr verbringen. Man benötigt dafür einen ganzjährigen Kurs oder mehr. Erinnert euch, wie lange wir allein für das neunte Kapitel von Shantideva benötigt haben. Wir haben fünf Jahre dafür gebraucht. Und es waren nur etwas mehr als einhundert Verse. Hier haben wir vierhundert Verse.

Lasst uns nun mit dem zehnten Kapitel beginnen, in dem es um die Widerlegung eines statischen unmöglichen „Selbst“ also einer Art „Seele“ geht. Ich versuche hier das Wort „Atman“ zu übersetzen. Ist dies eine Seele? In vielerlei Hinsicht ist es eine Seele. Oder ist es ein Selbst? Was ist es genau? Aber ich denke, dass das Atman der nicht-buddhistischen Systeme eher dem westlichen Konzept einer Seele nahe kommt.

(10.1) Ein (statisches, wahrhaft existierendes) inneres „Selbst“ (das heißt, ein Atman, so wie die Vaisheshikas es behaupten) kann weder weiblich noch männlich noch zweigeschlechtlich sein (sonst müsste es immer mit diesem Geschlecht wiedergeboren werden). Deshalb ist es nur aufgrund von Unwissenheit der Fall, dass ihr an die Existenz eines (wahrhaft existierenden) männlichen „Selbst“ (und so weiter) denkt.

Die Annahme eines beständigen, statischen, wahrhaft existierenden „Selbst“ oder einer solchen „Seele“ führt zu zahlreichen logischen Unstimmigkeiten. Denn so ein „Selbst“ oder so eine „Seele“ kann weder männlich noch weiblich noch zweigeschlechtlich sein, wie die Vaisheshikas dies behaupten. Denn, wenn dies der Fall wäre, dann würden alle immer mit dem gleichen Geschlecht wiedergeboren. Aber dies ist nicht der Fall.

Und da andererseits die Elemente des Körpers, also Erde, Wasser, Feuer und Wind, ohne Geschlecht sind, könnte ein Selbst, das auf ihnen beruht, kein Geschlecht besitzen.

(10.2) Und wenn keines der Elemente (aus denen der Körper besteht) als etwas männliches, weibliches oder zweigeschlechtliches existiert, wie könnte dann (ein äußerliches „Selbst“), das auf diesen beruht etwas (wahrhaft) männliches, weibliches oder zweigeschlechtliches sein?

Darüber hinaus besitzen die Elemente des Körpers – Erde, Wasser, Feuer und Luft – kein Geschlecht. Deshalb könnte ein „Selbst“, das auf ihnen beruht auch kein Geschlecht haben.

Es heißt (bei den Vaisheshikas), dass eine „Seele“ oder ein „Selbst“ in manchen Fällen männlich, in manchen Fällen weiblich und in manchen Fällen zweigeschlechtlich ist. Im Westen identifizieren sich viele Menschen sehr stark mit ihrem Geschlecht und für sie ist die Geschlechterfrage eine der wichtigsten Fragen überhaupt. Und manche meinen auch, dass jeder einen männlichen und einen weiblichen Teil besitzt; wie bei Carl Jung. Man sollte also, wie ich auch während des Santideva-Kurses immer wieder betont habe, nicht denken, dass dies einfach nur merkwürdige Ansichten sind, die im Westen keine Relevanz haben, wenn solche indischen Systeme erwähnt werden. Wenn man etwas genauer schaut, dann sind das Dinge, über die wir ebenfalls sprechen, nur dass eben die Begriffe und der Kontext manchmal ein bisschen verschieden sind.

(10.3) Was dein „Selbst“ ist, ist nicht mein „Selbst“. Deshalb kann dieses (Objekt deiner Selbstbezogenheit) nicht ein (wahrhaft existierendes) „Selbst“ sein. Denn (falls es dies wäre, müsste es das Objekt meiner Selbstbezogenheit sein aber dies) kann nicht festgestellt werden. Entsteht der Gedanke (von einem „Selbst“) nicht (nur als eine Zuschreibung) auf die nicht-statischen funktionierenden Phänomene (der Aggretat-Faktoren des eigenen Erlebens)?

Falls ein bestimmtes Selbst wahrhaft als „DAS Selbst“ existieren würde, dann müsste es das Selbst von allen sein. Und dann müsste dein „Selbst“ auch das Objekt meiner Selbstbezogenheit sein. Aber das ist nicht der Fall.

(10.4) Eine „Person“ (oder ein „Selbst“) müsste ihren Aspekt in Einklang mit (den Veränderungen des) Körpers (und der Lebensform) von Wiedergeburt zu Wiedergeburt verändern. Deshalb ist es unlogisch, dass ihr (daran festhaltet), dass (das „Selbst“) eine vom Körper verschiedene (substanzielle) Entität und (etwas) Statisches ist.

Ein „Selbst“ kann also nicht mit jeder Wiedergeburt seine Aspekte verändern aber trotzdem statisch sein.

(10.5) Etwas, das keinen Kontakt (mit irgendetwas anderem) haben kann, lässt sich nicht als etwas bezeichnen, dass ein funktionierendes Phänomen (in Aktion) versetzt. Deshalb kann das „Lebende“ (also das „Selbst“) nicht der Handelnde sein, der die Bewegung des Körpers (bewirkt).

Ein statisches „Selbst“ könnte keine Körperbewegungen auslösen, weil ein statisches Objekt überhaupt nichts tun kann. Es kann also kein statisches „Selbst“ in uns geben, welches dann aktiv wird und die Maschinerie des Körpers verwendet.

(10.6) (Wenn) es nicht geschädigt werden kann, wie könnt ihr dann glauben, dass ursächliche (Handlungen) irgendeinen Nutzen haben könnten, (um Leid) für ein statisches „Selbst“ (zu verhindern)? Ein Zepter, das hart wie ein Diamant ist, müsste man in keinster Weise vor Holzwürmern schützen.

Falls ihr meint, dass ein statisches, beständiges „Selbst“ nicht geschädigt werden kann, warum sollte man sich dann die Mühe machen, um etwas zu tun, das Leid und Schmerz vermeidet.

Versteht ihr den ersten Punkt hierbei, dass ein „Selbst“ nicht mit jeder Geburt einen anderen Aspekt annehmen und dennoch statisch sein kann? Das wäre so, als ob „Alex“ jetzt als „Fifi der Pudel“ geboren wird, und als ob es dabei ein statisches Ich gäbe, das dann der Pudel wird. Es gibt Alex – statisch – und jetzt bin ich ein Pudel, jetzt bin ich ein Wurm, jetzt bin ich eine Frau, als ob derselbe Alex nun dies oder jenes wäre. Das ist stimmt nicht und ist Unsinn. Aber es ist ein Missverständnis, das viele über Wiedergeburt haben: sie denken, das ist immer noch „Ich“, aber ich bin etwas anderes.

(10.8) Und vielleicht (meint ihr, dass es) ein „Selbst“ (ist), welches (die Qualität von) Bewusstsein besitzt, welches tatsächlich (frühere Leben und so weiter) erkennt, aber dann könnte eine solche „Person“ (das heißt, ein solches „Selbst“), das nicht (von sich aus) bewusst ist (aber dann die Qualität von) Bewusstsein erwirbt, nicht statisch sein. 

Wenn man wie die Nyayas meint, dass das „Selbst“ von sich aus nicht bewusst ist, aber dann Bewusstheit gewinnt, indem es sich mit einem körperlichen Bewusstsein verbindet – so als ob es an einen Geist „ankoppelt“ und damit bewusst ist – wie könnte dann das Selbst statisch und beständig sein, wenn es sich dadurch verändert, dass es sich mit einem Bewusstsein verbindet?

(10.10) Wenn jedoch (wie bei den Samkhyas das „Selbst“ oder die „Person“ die Natur) von Bewusstsein besitzt und statisch und beständig ist, dann wäre es widersprüchlich (dass es sich für) die Aktion (des Wahrnehmens von Objekten auf Wahrnehmungssensoren stützen müsste). Wäre Feuer statisch und beständig, so wäre (seine Abhängigkeit von) Brennstoff, (um brennen zu können), unsinnig.

Und wenn man andererseits wie die Samkhyas annehmen würde, dass es ein statisches, beständiges „Selbst“ gäbe, welches auf inhärente Weise etwas Bewusstes ist, dann wäre die Frage, warum es sich auf Wahrnehmungssensoren wie die lichtempfindlichen Zellen des Auges stützen muss, um Dinge wahrzunehmen.

(10.11) So lange es ein substanziell existierendes (Potenzial für Gewahrsein gibt, welches nicht von der statischen „Person“ verschieden ist und welches) die Funktion (besitzt), (die Wahrnehmungen der „Person“ zu bewirken), wird es niemals (darin) schwanken, (dies zu tun), bis (die „Person“) vergeht. Weil (ihr aber annehmt), dass die „Person“ (statisch und ewig) existiert, ist es unsinnig, zu sagen, dass ihre Wahrnehmungen je zu Ende gehen.

Und auch falls das „Selbst“, etwas Bewusstes wäre, das jedoch statisch und beständig ist, dann würde es niemals aufhören, sich einer bestimmten Sache bewusst zu sein, derer es sich bewusst ist. Dies war ein Argument, das Shantideva angeführt hatte. Wenn es sich einer Sache bewusst ist und wenn es statisch – also unveränderlich – ist, dann sollte es sich für immer dieser Sache bewusst sein.

(10.17) (Ein „Selbst“, wie die Vaisheshikas es postulieren,) besitzt Handlungen (und) kann (ebenfalls) nicht statisch sein. Und (auch) ein („Selbst“), welches alle (Zeiten und Orte) umfasst, kann keine Handlungen (wie kommen oder gehen) besitzen. (Deshalb sind eure Annahmen darüber widersprüchlich.) Weiterhin (wäre ein „Selbst“) das ohne Handlungen wäre gleichbedeutend mit etwas Nicht-Existierendem. Weshalb sollte man sich (also) nicht an (der Tatsache) erfreuen, (dass) kein (wahrhaft existierendes) „Selbst“ existiert?

Die Nyaya-Vaisheshika vertreten ein Selbst, welches jederzeit das gesamte Universum durchdringt. Aber auch das ist unlogisch, denn dann könnte es nicht hierhin kommen oder dorthin gehen. Dies ist also eine Vorstellung, dass das „Selbst“ die Größe des ganzen Universums besitzt: „Ich bin das gesamte Universum“. Diese Vorstellung ergibt keinen Sinn, denn wie könnte man von hier nach dort gehen, wenn man das ganze Universum durchdringt?

(10.21) Aber vielleicht (meint ihr, dass es zwar kein im wiederkehrenden samsarischen Dasein wahrhaft existierendes „Selbst“ gibt, dass das befreite „Selbst“ jedoch wahrhaft erwiesene Existenz besitzt. Aber dann) müsste das befreite („Selbst“) nicht-wahrhaft existent sein, weil es zuvor ebenfalls nicht-wahrhaft existent gewesen ist. (Dies muss so sein, weil) das, was man über (die Leerheit eines „Selbst“) erkennt, welches keine (Beziehung mit irgendetwas anderem) besitzt, als dessen Natur erklärt wird, (egal, ob es befreit ist oder nicht).

Die Vedantas sind der Auffassung, dass ein unbeständiges „Selbst“ eine Illusion ist. Sie sagen, das Atman im Zusammenhang mit Samsara sei Maya: eine Illusion, die nicht wahrhaft existiert. Aber das befreite Selbst ist für sie wahrhaft existent. Auch diese Ansicht ist widersprüchlich. Wie kann sich eine Illusion in etwas wahrhaft existierendes verwandeln? Und sie behaupten, dass all dies auf Grundlage eines Statischen „Selbst“ geschieht. Dieses System ist deshalb unlogisch.

Was hier allerdings nicht angesprochen wird, ist der Punkt, dass einige Systeme Antworten: „Natürlich ist unser System nicht logisch – es geht über die Logik hinaus und ist jenseits der Logik.“ Aber dies ist eine Frage, die sehr schwer zu diskutieren ist. Deshalb sagt Shantideva am Anfang seines neunten Kapitels, dass zwei Systeme nur dann eine Debatte führen können, wenn es zumindest einige gemeinsam akzeptierte Grundlagen gibt. Das Minimum ist, dass beide die Gültigkeit von Logik und das gleiche System von Logik akzeptieren, damit sie eine Debatte führen können. Dies ist auch der Punkt, der zwischen Svatantrika und Prasangika debattiert wird. Gibt es eine inhärent existierende Logik? Ist das Universum inhärent, von seiner eigenen Seite aus, logisch? Dies ist eine interessante metaphysische Frage.

Und nur als Anmerkung: Es gibt natürlich viele Arten, wie ein Bewusstsein das Universum erklären könnte, und eine Erklärungsweise ist mithilfe von Logik. Aber diese Logik selbst ist auch nur auf Grundlage von geistiger Benennung etabliert und als etwas gültiges erwiesen. Das wäre die Prasangika-Antwort auf diese Frage. Ihnen zufolge gibt es nichts, das von der Seite des Universums her existiert, und das man auffinden könnte, welches dann „die Gesetze der Logik“ sind oder beispielsweise auch „die Gesetze der Physik“. Sondern das sind alles Versuche des Geistes, dem einen Sinn zu verleihen, was man wahrnimmt. Das ist auch ein wichtiger Punkt in der Wissenschaftsphilosophie: Gibt es wirklich nur ein einziges Gesetz, welches gültig ist und das Universum beschreibt?

Kapitel 11: Aufzeigen von Meditationen, um (wahrhaft existierende) Zeit zu widerlegen

Das ist vielleicht das schwierigste Kapitel.

(11.1) Wenn eine Vase noch nicht entstanden ist, existiert weder die Vase, die gegenwärtig sein wird, noch (die Vase), die später vergangen sein wird. (Falls hingegen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft statisch wären und wahrhaft existieren würden, wie die Vaidantikas behaupten, dann würden die Vase, die gegenwärtig sein wird, und jene, die vergangen sein wird, schon existieren, wenn sie) noch nicht entstanden sind. Deshalb gäbe es dann keinen (Zeitpunkt, zu dem sie) noch nicht (zustande) gekommen (sind).

Die Anhänger des Vedanta meinen, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft statisch und wahrhaft existent sind. In diesem Fall wären eine nicht mehr existierende Vase, eine gegenwärtig existierende Vase und eine noch nicht existierende Vase alle ewig vorhanden. Damit bestünde keine Notwendigkeit, irgendetwas zu erzeugen.

Dies sind wirklich sehr interessante Fragen, denn zumindest in der Science Fiction existiert die Vorstellung, dass es möglich sein könnte, in die Zukunft zu reisen. Aber falls die Zukunft jetzt stattfinden würde – nur vielleicht in einer Art anderen Dimension – warum müsste man dann etwas tun, um diese Zukunft herbeizuführen? Es wird also sehr interessant und schwierig. Wir werden übrigens im September hier auch einen Wochenendkurs zum Thema „Zeit“ haben. Dort wird es um verschiedene Analysen des Themas Zeit gehen und ich werde auch versuchen, die relativistische Ansicht der Zeit aus dem Blickwinkel der westlichen Wissenschaft ein wenig einzubeziehen.

[See: Die Wesensart der Zeit als ein Zeitintervall]

(11.6) (Die Vaibhashikas behaupten, die drei Zeiten seien wahrhaft existierende statische Phänomene, und dass Vergangenheit und Zukunft eines Objekts dasselbe sind wie das Objekt selbst. Aber) wenn (eine Vase), die noch nicht (zustande)gekommen ist, (bereits) entstanden ist, wie sollte diese nicht (gleichbedeutend mit) einer gegenwärtigen (Vase) werden (die hier und jetzt existiert, weil sie entstanden und noch nicht vergangen ist)? Entweder (wäre) dies (der Fall) oder falls sie ohne Entstehen ist, würde die noch nicht (zustande) gekommene (Vase) dann nicht ewig werden? (Sie müsste ewig werden, denn etwas, das ewig und statisch ist, hat kein Entstehen.)

Würde man wie die Nyaya-Vaisheshikas und die Vaibhashikas annehmen, dass Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unbeständig aber trotzdem wahrhaft existent sind, wie könnte sich dann etwas verändern und erst eine wahrhaft noch nicht existierende Vase sein, sich dann zu einer wahrhaft gegenwärtig existierenden Vase verändern und schließlich zu einer wahrhaft nicht mehr existierenden Vase werden?

(11.8) Was die bereits vergangene (Vase) und die gegenwärtige (Vase) betrifft: (Falls sie substanzielle Existenz besitzen) könnten sie nicht unbeständig werden, weil etwas, das wahrhaft aufgehört hat, nicht vergehen kann, und weil etwas wahrhaft Gegenwärtiges nicht mit einem Prozess des Vergehens verbunden sein kann). Daher kann die dritte (Zeit, also das noch nicht Entstandene), deren Aspekt von diesen (beiden) verschieden ist, (auch) nicht (als etwas) existieren (das sowohl substanziell existent als auch unbeständig ist, weil es dann unabhängig von den anderen beiden Zeiten wäre).

Einige Vaibhashikas behaupten, dass es einen gemeinsamen Nenner eines Objektes in den drei Zeiten gibt, aber auch das ist widersprüchlich. Es würde bedeuten, dass eine noch nicht existierende Vase, eine gegenwärtig existierende Vase und eine nicht mehr existierende Vase wahrhaft existieren und identisch mit der wahrhaft existierenden Vase selbst sind. Falls dies der Fall wäre, dann wären alle drei Zeiten identisch und nichts könnte zerfallen oder aufhören.

Ich habe euch bereits gewarnt, dass dieses Kapitel das schwierigste ist. Wenn man im Buddhismus über Zeit spricht – und wahrscheinlich auch generell in den verschiedenen indischen Schulen – dann gibt es nicht „die Zukunft“, „die Gegenwart“ und „die Vergangenheit“; sondern es ist die Rede von „noch nicht geschehen“, „gegenwärtig geschehend“ und “nicht mehr geschehend“. Es ist wichtig, dies nicht zu vergessen. Einige von Euch waren während des Wochenendkurses über negative Phänomene dabei und werden sich erinnern, das hier immer negative Phänomene im Spiel sind: „noch nicht geschehen“ oder „nicht mehr geschehend“.

Und was diese Vaibhashika-Ansicht über die Zeit betrifft, wie gerade erwähnt: viele von uns werden eine derartige Auffassung haben. Dies ist die Vorstellung, dass es ein „Ich“ gibt, welches gleich bleibt und sich durch die Zeit bewegt. Als ob „Ich“ es bin, in der Vergangenheit, „Ich“ gerade jetzt und „Ich“ in der Zukunft, aber es ist immer dasselbe „Ich“ – als ob es eine gemeinsame Basis oder einen gemeinsamen Nenner gibt. Dies ist die Vorstellung von Zeit, von der hier die Rede ist.

(11.10) Es ist unsinnig, zu behaupten, dass alles, das (später) zustande kommen wird, (bereits) zuvor (als eine substanziell existierende Zukunft) existiert. Falls das, was bereits existiert, (später) entstehen würde, dann würde dies bedeuten, das etwas bereits Entstandenes erneut zustande kommen (müsste).

Der nächste Punkt, den Aryadeva vorbringt ist folgender: Wenn etwas, das noch nicht existiert, gleichzeitig als eine wahrhaft existierende Zukunft existieren würde, dann gäbe es überhaupt keine Notwendigkeit, dass es entsteht. Es würde bereits geschehen.

(11.13) Falls deine Dharma-(Gelübde zum Zeitpunkt, wenn sie noch nicht entstanden sind, bereits substanzielle) Existenz (besitzen würden) ohne dass man dafür (eine Praxis) ausführen müsste, (um Interesse am Nehmen der Gelübde zu entwickeln), dann wäre es völlig sinnlos, (sich) zu bändigen (indem man sie nimmt). Warum (sollte man) auch nur die geringste (Mühe investieren)? Ein Ergebnis (der eigenen Bemühungen) wäre unmöglich, weil (die Gelübde zur Zeit des Noch-Nicht-Entstanden-Seins bereits substanziell) vorhanden (wären).

Aryadeva erwähnt folgendes Beispiel: Wenn die noch nicht existierenden Gelübde bereits wahrhaft existieren würden, warum sollte man sich dann überhaupt bemühen, um sie zu nehmen?

Ja, das stimmt. Aber im ersten Satz heißt es „falls etwas, das noch nicht existiert, bereits als wahrhaft existierende Zukunft existiert“ – und nicht als wahrhaft existierende Gegenwart.

Weil die Gelübde nicht wahrhaft existent in der Zukunft existieren, können sie in der Gegenwart genommen werden. Wenn sie aber wahrhaft existent in der Zukunft wären, wären sie für immer der Zukunft zugehörig und könnten nicht in der Gegenwart genommen werden. Aber wie ich bereits vorhin am Vormittag gesagt habe, sollten wir keine Debatte über jeden dieser logischen Punkte beginnen, sonst würden wir mit jedem Punkt einen ganzen Tag verbringen.

(11.14) (Die Sautrantikas meinen, dass die störenden Emotionen und Leiden, die noch nicht entstanden sind, nicht als nicht-statische funktionale, objektive Phänomene existieren würden, sondern nur als statische, nicht-funktionierende, metaphysische Phänomene. Doch dann) wäre man schon befreit, ohne (das eigene Bemühen für die Entwicklung wahrer Pfade) anzuspannen, (welche die Leerheit erkennen). Wie (bei) befreiten (Arhats) würden (störende Emotionen und Leiden), die noch nicht (zustande) gekommen sind, (objektiv) nicht (im Geringsten für dich) existieren (und könnten dich deshalb niemals beeinflussen). Falls dies so wäre, (würde) Verlangen (ohne jede Ursache entstehen), wenn es tatsächlich (in deinem Kontinuum entstehen würde, welches ebenso wie das Kontinuum eines Arhats) ohne (jede zukünftige) Anhaftung (gewesen sein müsste).

Nächster Punkt: Die Sautrantikas meinen, dass die noch nicht geschehenden Leiden als eine wahrhaft existente statische metaphysische Entität existieren, von der sie sagen, dass diese nicht wahrhaft existiert. Ich denke, dies muss man hier ergänzen. Falls dies der Fall wäre, wäre man bereits befreit und es gäbe keinen Bedarf für Dharma-Praxis, weil es niemals ein gegenwärtig existierendes Leiden werden könnte. Aber lassen wir lieber beiseite, was ich gerade gesagt habe – das macht es ein bisschen kompliziert. Lassen wir die Frage der wahren Existenz beiseite.

Aber du hast gesagt, es sei wahrhaft existent.

Deshalb habe ich gesagt, dass wir es lieber beiseite lassen sollten. Denn es gibt hierzu zwei verschiedene Meinungen: Panchen und Jetsunpa. Also könnte man den Vers auf zwei verschiedene Arten interpretieren. Gemäß Panchen – und so wie es hier in meiner Gliederung geschrieben ist – wäre „wahrhaft existierende metaphysische Entität“ passend. Aber falls man es gemäß Jetsunpa erklären wollte, müsste man dies ändern in „nicht wahrhaft existierend“, was bedeutete… Aber lassen wird das.

Darüber hinaus kommt mir in den Sinn, dass „wahrhafte Existenz“ hier (im Zusammenhang mit Aryadevas Vers) gemäß Prasangika definiert wird und nicht gemäß Sautrantika. Dafür spielen diese beiden Positionen der Sautrantika keine Rolle – beide Positionen gehen davon aus, dass Phänomene wahrhafte Existenz besitzen, dass metaphysische Entitäten wahrhafte Existenz besitzen, so wie diese bei Prasangika definiert wird.

Das ist der Grund, warum ich die Diskussion nicht für jeden einzelnen Punkt vertiefen möchte.

Natürlich liebe ich diese Dinge und Seine Heiligkeit lieb diese Dinge auch. Das ist eine der charakteristischen Eigenschaften einer Person, der man die Leerheit erklären sollte – dass es eine Person ist, die diese Dinge liebt. Wenn man diese Dinge nicht gern hat, dann ist man kein passendes „Gefäß“, um etwas über die Leerheit zu lernen. Und das stimmt. Wenn man sagt: „Oh, das ist zu viel. Das ist albern. Das ist Unsinn!“ dann ist man noch nicht bereit, die Leerheit zu studieren. Das ist ein guter Punkt, vielen Dank.

Wenn man feststellt, dass man diese Definition nicht erfüllt, dass man noch nicht ausreichend empfänglich ist, um derartig tiefgehende Argumente zu verstehen – dass man also in gewisser Weise noch nicht bereit ist, ein passendes Gefäß für die tiefsten Erklärungen zur Leerheit zu sein – weil man, wie Aryadeva sagt, noch nicht genug positive Kraft erzeugt hat, um geistig offen genug zu sein und entspannt genug zu sein, um damit zurecht zu kommen, ist es dann das Beste, nicht zu Erklärungen zu diesem Thema (wie jenen von Seiner Heiligkeit) zu gehen?

Nein, das ist nicht der Fall. Denn die Tibeter sagen immer, dass es gut ist, wenn man Instinkte entwickelt, indem man davon hört, auch wenn man es nicht versteht, weil dies vielleicht eine Art unterstützende Kraft haben kann, um die positive Kraft zu entwickeln (die zum Verstehen nötig ist). Deshalb bringen die Tibeter Babys und ihre Haustiere mit zu Einweihungen und Erklärungen. Oder, das ist der Grund, warum man den eigenen Hund um einen Stupa herum führt – man setzt Instinkte. „Samen für zukünftige Leben“, wie die Tibeter sagen würden. Man sollte dies allerdings nicht als Vorwand nehmen, damit man sich keine Mühe geben muss, es zu verstehen oder aufmerksam zu bleiben.

(11.19) Würde die Zeit (auf Grundlage von wahrer Existenz als etwas gegenwärtig geschehendes) verweilen, (dann) würde sich niemals ändern, (dass sie) die (aktuell) bestehende Zeit ist. (Doch andererseits,) wie könnte (die Zeit auf Grundlage von wahrer Existenz) nicht verweilen? Denn dann könnte sie nicht aufhören nicht zu verweilen (und nichts würde jemals geschehen).

Wenn Zeit ein wahrhaft existierendes Bestehen besäße, dann könnte kein Augenblick der Zeit sich jemals aus diesem Zustand des Geschehens heraus (in einen Zustand des nicht mehr Geschehens) verändern. (Jeder Augenblick) würde immer geschehen.

Und falls die Zeit stattdessen wahrhaft frei davon wäre, zu geschehen, dann könnte es kein Ende dieses nicht-Geschehens geben und dann könnte nichts je geschehen oder passieren.

Dies ist klassisches Prasangika: Aus beiden Möglichkeiten folgen absurde Schlussfolgerungen – sowohl, wenn die Zeit auf wahrhaft existierende Weise geschieht, als auch, wenn die Zeit auf wahrhaft existierende Weise nicht geschieht. Geschieht die Zeit? Das ist die Frage. Die Uhr tickt. Bedeutet das, dass die Zeit geschieht? Zeit vergeht. Gibt es da etwas, das vergeht? Das sind interessante Fragen.

Kapitel 12: Aufzeigen der Meditationen zur Widerlegung von (Anhaftung an verzerrte) Sichtweisen

In diesem Kapitel spricht Aryadeva über die Sichtweise der Leerheit, über die Einstellungen, die Personen gegenüber der Leerheit haben.

(12.1) Ein Zuhörer, der aufrichtig und unvoreingenommen ist, der vernünftige (Unterscheidungsfähigkeit) besitzt, und der starkes Interesse besitzt, wird als geeignetes Gefäß (für die Lehren über die Leerheit) beschrieben. (Für den Geist eines solchen geeigneten Schülers) werden sich die guten Eigenschaften der (Person), welche (die Lehren) erklärt, nicht in einen anderen Aspekt verwandeln (und daher nicht als Fehler erscheinen). Ebenso wenig wird es auch für den Zuhörer (zu dieser Veränderung von guten Eigenschaften in Fehler) kommen.

Aryadeva beginnt mit einer sehr wichtigen und sehr berühmten Zeile: Ein geeignetes Gefäß, um die Lehren über die Leerheit zu erhalten ist jemand, der aufrichtig und unvoreingenommen ist. Dies bedeutet, dass jemand nicht für die eine oder andere Sichtweise voreingenommen ist, das heißt, die Person hat eine offene Geisteshaltung. Und eine solche Person ist aufrichtig – sie ist bereit, Dinge aufrichtig zu prüfen. Und eine solche Person hat vernünftige (Unterscheidungsfähigkeit), das heißt, sie kann unterscheiden zwischen dem, was korrekt ist, und dem, was verkehrt ist. Und sie hat starkes Interesse an der Leerheit. Man muss wirklich Interesse dafür haben. Das meinte ich, als ich darüber gesprochen habe, dass man diese Dinge wirklich lieben sollte. Und dieser Vers wird als allgemeine Definition für eine Person angesehen, die empfänglich für irgendeinen Aspekt des Dharma ist, nicht nur für die Leerheit.

(12.2) (Der Buddha) lehrte das zwanghafte samsarische Dasein (als wahres Leiden) und die Methode für den (Eintritt in das) zwanghafte Dasein (als wahre Ursache des Leidens). Weiterhin (lehrte er) die Methode zur Befriedung (sowohl in Form von Wahren Pfaden) als auch deren Befriedigung (in Form von wahren Beendigungen). Doch die Weltlichen, die (ungeeignete Gefäße sind und) dies (deshalb) überhaupt nicht begreifen können, weisen (die Schuld dafür, dass sie dies nicht verstehen können) dem Geschickten Weisen (Buddha) zu, als sei (er dafür verantwortlich).

Im Gegensatz dazu gibt es Personen, die ungeeignete Gefäße für die Leerheit sind. Diese meinen, es sei der Fehler des Buddha, dass sie die Vier Edlen Wahrheiten oder die Leerheit nicht verstehen können.

Ich erinnere mich, dass sich manchmal Leute und auch ich selbst bei Serkong Rinpoche darüber beschwerten, wie die Wurzeltexte geschrieben wurden, und dass sie zum Teil sehr vage und unverständlich sind und so weiter. Und er schimpfte gleich mit mir und meinte: „Du solltest nicht denken, dass Nagarjuna dumm war oder nicht gut schreiben konnte. Falls er hätte klarer schreiben wollen, dann wäre er gewiss dazu in der Lage gewesen. Es wurde aus einem bestimmten Grund auf diese Weise geschrieben. Und das Problem sind nicht die Lehren – es ist nicht der Fehler des Buddha oder von Nagarjuna, dass sie es nicht klarer erklärt habe – sondern es ist unser eigener Fehler, dass wir nicht fähig sind, es zu verstehen.“ Dies bezog sich natürlich auf große Meister wie den Buddha und Nagarjuna. Wir sprechen nicht von manchen Lehrern, die tatsächlich schlechte Lehrer sind und die Dinge nicht klar erklären können. Das ist etwas anders, das sind gewöhnliche Lehrer.

(12.3) (Ihr Samkhyas und Vaisheshikas) seid wirklich erstaunlich: Ihr möchtet jenseits des Leidens (ins Nirvana) gehen, indem ihr alles aufgebt (aber ihr greift weiterhin nach dem Glauben an wahrhaft erwiesene Existenz). Welchen Grund habt (ihr, dass ihr) nicht mit diesen (Erklärungen über die Leerheit) zufrieden seid, (wenn deren Verständnis) all (eure störenden Emotionen und Leiden) entfernen wird?

Aryadeva bemerkt als Nächstes, dass es wichtig ist, sich über die Erklärungen zur Leerheit zu freuen und glücklich darüber zu sein, statt sich darüber zu beschweren: „Oh, das ist so schwierig. Wir sollten leichtere Dinge machen.“ Nur wenn man diese Erklärungen versteht, kann man sich tatsächlich vom Leid befreien.

(12.5) Jeder, der Zweifel über die verborgenen Phänomene entwickelt, die der Buddha gelehrt hat, (kann diese Zweifel auf Grundlage der Tatsache ausräumen, dass die Korrektheit seiner) Lehren zur Leerheit (überprüft werden kann. Dadurch) kann man nichts als Vertrauen in eben diesen (Heiligen entwickeln, auch wenn es um äußerst verborgene Phänomene geht).

Dies ist ein Punkt, der für andere Aspekte der Lehren des Buddha als sehr wichtig gilt und dort umfassender erklärt wird: Wenn man Überzeugung bezogen auf die Lehren des Buddhas zur Leerheit entwickeln kann, dann kann man auch eine Überzeugung entwickeln, dass der Buddha eine gültige Quelle für Informationen über äußerst verborgene Phänomene, wie Karma, ist.

Es gibt eine Einteilung der Phänomene in offensichtliche Dinge (wie Objekte, die man sehen oder hören kann), verborgene Dinge, über die man nur mithilfe von Logik etwas wissen kann, und äußerst verborgene Phänomene, über die man nur etwas wissen kann, indem man sich auf gültige Informationsquellen stützt. Und dann gibt es eine umfangreiche Diskussion in Dharmakirti’s Pramanavarttika, um zu beweisen, dass der Buddha eine gültige Quelle für Informationen über äußerst verborgene Dinge, wie Karma, ist. Wenn der Buddha die Leerheit erklärt hat und wenn man Gewissheit entwickelt, dass das, was er über die Leerheit gesagt hat, stimmt und dass der einzige Grund, warum der Buddha fähig war, den Punkt zu erreichen, an dem er dies verstehen und erklären konnte, sein Mitgefühl war, dann gibt es keinen Grund für den Buddha, über Karma oder generell über äußerst verborgene Phänomene zu lügen. Deshalb kann man sich auf den Buddha als gültige Quelle verlassen, wenn es um Informationen zu äußerst verborgenen Phänomenen geht. Zusammengefasst ist dies die Begründung, die im Pramanavarttika verwendet wird.

(12.8) Jene, welche (die Vorteile der Meditation über die Leerheit und die Nachteile, nicht darüber zu meditieren) nicht erkennen, beginnen noch nicht (einmal, sich vor der Leerheit) zu fürchten. Aber jene, welche die (Leerheit) erkennen, werden sich ganz und gar davon abwenden (sie zu fürchten). Deshalb heißt es, dass Furcht (vor der Leerheit) mit Sicherheit (nur) in jenen entsteht, die (nur) ein bisschen (darüber) wissen.

Nur jene, die sehr wenig über die Leerheit wissen, haben Angst davor. Das stimmt auch im Allgemeinen: wenn man vor etwas Angst hat, dann kennt man es meist nicht sehr gut.

(12.9) Es ist gewiss, dass unreife (Personen) an (eben) jene Sache gewöhnt sind, welche dafür sorgt, dass sie (wiederholt in das samsarische Dasein) eintreten – (nämlich das Greifen nach wahrer Existenz). Weil sie jedoch nicht (an die Leerheit) gewöhnt sind, entwickeln sie Angst vor (eben) jener Sache, die sie (aus dem samsarischen Dasein) heraus führen kann.

Der Grund (für diese Angst vor der Leerheit) ist, dass sie nicht mit der Leerheit vertraut sind. Aber weil solche Menschen sehr mit Unwissenheit und Verwirrung vertraut sind, welche weitere Leiden bewirken, haben sie vor letzteren keine Angst. Sie haben also nur deshalb Angst vor der Leerheit, weil sie nicht damit vertraut sind.

(12.12) Bei jenen, die keine passenden (Gefäße für die Erklärungen über die Leerheit sind), ist es das Beste, (sie im Einklang mit ihrem) Greifen nach einer unmöglichen „Seele“ (zu lehren) und (sie) nicht die Nicht-Existenz einer unmöglichen „Seele“ zu lehren. Für eine (solche Person würden die Erklärungen zur Leerheit bewirken, dass sie aufgrund von Missverständnissen) in den Zustand einer geringeren Wiedergeburt (geriete), während (sie) für außergewöhnliche (Personen) zum Zustand des Friedens (führten).

Wenn jemand nicht mit der Leerheit vertraut ist und Angst davor hat, dann ist es Aryadeva zufolge besser, einer solchen Person zu erklären, dass es ein wahrhaft existierendes Selbst gibt. Dies sollte man solchen Personen erklären, die kein geeignetes Gefäß für die Erklärungen über die Leerheit sind. Denn wenn man ihnen die Leerheit voreilig erklären würde, könnte es sein, dass sie sich komplett vom Dharma abwenden.

(12.15) Diese Lehre (der Leerheit) wurde von den (zur) So(heit) Gegangenen (Buddhas) nicht der Debatte wegen erklärt. Doch, wie dem auch sei, sie verbrennt (die verkehrten Ansichten der) Vertreter (aller) anderen (Lehren), so wie Feuer Brennstoff (verbrennt).

Die Buddhas haben die Leerheit nicht der Debatte wegen gelehrt. Aber trotzdem ist sie in der Lage, die fehlerhaften Sichtweisen von Herausforderern zu „verbrennen“.

(12.18) Nachdem man so viele (Tirthikas) gesehen hat, die fehlerhafte Ansichten über die Befreiung haben, welche zu Samen für sinnlose (Leiden im samsarische Dasein) werden, wie würde man da kein Mitgefühl für (diese) Wesen entwickeln, die nach den Lehren (über die Befreiung) suchen?

Und wenn man Personen sieht, die fehlerhafte Sichtweisen haben und dadurch nur in immer noch weitere Leiden verstrickt werden, dann sind sie angemessene Objekte für Mitgefühl und keine Feinde, die man in einem Debatten-“Kampf“ besiegen muss. Das ist ein guter Rat für Leute, die beispielsweise in buddhistischen Klöstern studieren.

(12.19) Der letztendliche Dharma der (Anhänger) von Shakya(muni), die nackten (Jains) und die Brahmanen – diese drei werden (jeweils) vom Geist, den Augen und den Ohren aufrecht erhalten. Deshalb ist die Tradition der klassischen Texte des Geschickten Weisen (Buddha) die subtilste.

Diese Erklärungen über die Leerheit übertreffen also die Lehren der Brahmanen und der Jainas bei weitem.

(12.21) Ebenso, wie (einige) Respekt für die (Tradition der) Brahmanen entwickeln, weil (sie nur die Rezitation der) Veden auf sich nehmen müssen, ebenso werden (einige) wohlgesonnen gegenüber (der Tradition der) nackten (Jains), weil (sie nur) verblendete (Handlungen) auf sich nehmen (müssen, wie beispielsweise sich selbst den Elementen auszusetzen). (12.22) Weil das Leiden (der Jain-Asketen ein) Heranreifen von Karma ist, wie soll es dann zu einer Dharma(praxis) werden? (Dies) ist es nicht. Und weil die Geburt (als Brahmane ebenfalls) aus Karma heran gereift ist, ist dies (ebenfalls) keine Dharma(praxis).

Bei den Jainas ist es so, dass sie auf den letzten Stufen ihres Pfades letztendlich zu Tode hungern.

Der Grund dafür ist, dass alles, was man tut – auch Essen – dazu führen würde, dass Lebewesen getötet werden. Sogar wenn man läuft und sich bewegt, wird man auf Lebewesen treten. Deshalb tun sie am Ende nichts derartiges mehr. Und Aryadeva weist darauf hin, dass das Leid, dem die Jainas sich aussetzen, wenn sie die Befreiung anstreben, indem sie beispielsweise im Winter nackt umher laufen oder sich aushungern, ein Ergebnis ihres Karmas ist, in dem Sinn, dass sie dieses Leiden auf sich nehmen und dann diese Leiden als karmisches Ergebnis erleben. Dies ist mit Sicherheit kein Pfad zur Befreiung.

Und wenn man als Brahmane geboren wurde, ist das Rezitieren der Veden einfach die Pflicht der eigenen Kaste, die man erfüllen muss. Dies kann also auch kein Pfad zur Befreiung sein, weil es auch nur ein karmisches Ergebnis ist, dass man als Brahmane geboren wurde, und weil man einfach seine Pflicht tut, wenn man sie rezitiert.

(12.23) Die (zur) So(heit) Gegangenen (Buddhas) erklärten, dass die Dharma(praxis) kurz gesagt bedeutet, keinen Schaden anzurichten (um den Zustand einer hohen Wiedergeburt zu erreichen) und die Leerheit – den natürlichen Zustand jenseits des Leidens – (zu erkennen, um Befreiung oder Erleuchtung zu erreichen). In diesem (Buddha-Dharma) gibt es nur diese beiden.

Im Gegensatz (zu diesen anderen Traditionen) erklärte der Buddha, dass die Dharmapraxis zwei Dinge umfasst: keinen Schaden zu bewirken und die Leerheit zu verstehen. Dies sind die beiden Hauptpunkte, die der Buddha gelehrt hat.

„Keinen Schaden anrichten“ beinhaltet dabei den Bereich der Disziplin aber auch des Mitgefühls, und Leerheit beinhaltet den Bereich der Weisheit. Aus diesem Grund, schlussfolgert Aryadeva, sollten sich alle bemühen, ein Interesse an der Leerheit zu entwickeln.

Es ist vielleicht erst einmal etwas überraschend, dass der Punkt „keinen Schaden anzurichten“ hier als einer der beiden wichtigsten Aspekte genannt wird. Aber wenn man darüber nachdenkt, erklärt Seine Heiligkeit basierend auf anderen Quellen einen ähnlichen Punkt. Er meint, wenn man es auf die wichtigsten Dinge reduziert, dann sind die wesentlichen Dinge im Dharma, dass man versucht, anderen zu helfen. Aber falls man nicht helfen kann, dann sollte man ihnen zumindest nicht schaden. Das ist also, worauf es letztlich hinaus läuft, keinen Schaden zu bewirken.

Kapitel 13: Aufzeigen von Meditationen zur Widerlegung (wahrhaft existierender) Wahrnehmungssensoren und Wahrnehmungsobjekte

Wahrnehmungssensoren sind verschiedene Körperzellen, wie die lichtempfindlichen Zellen im Auge, die klangempfindlichen Zellen im Ohr, die geruchsempfindlichen Zellen in der Nase und so weiter. Dies sind die Wahrnehmungssensoren und diese sind materielle Objekte. Der Begriff „Wahrnehmungssensor“ (dbang-po) wird von den meisten Übersetzern als „Sinneskraft“ übersetzt aber ich finde diese Übersetzung unklar, weil „Sinneskraft“ sehr viel abstrakter klingt. Wir sprechen über winzig kleine körperliche Zellen, die innerhalb der Sinnesorgane existieren.

(13.1) Man sieht nicht ganz und gar alles an einer Vase, wenn man (ihre) Form sieht. Wer würde „(weil) die Vase (von) direkter (visueller) Wahrnehmung (wahrgenommen wird)“ als Grund angeben, (um) ihre (wahrhaft existierende) Wirklichkeit (zu beweisen)? (13.2) Mit der(selben) Analyse sollten jene mit überragender Intelligenz duftende Gerüche, süße (Geschmäcker) und sanfte (Tastempfindungen) – all (diese), jede einzeln (daraufhin) untersuchen (ob ihre Wahrnehmung mit unmittelbarer Sinneswahrnehmung die wahrhafte Existenz von materiellen Objekten beweist).

Aryadeva beginnt mit der Aussage, dass man nicht alle Merkmale und alle Aspekte einer Vase sieht, wenn man ihre sichtbare Form sieht. Wie kann also die bloße visuelle Wahrnehmung einer Form die wahre Existenz eines Objektes etablieren, wenn das Objekt nicht nur die Eigenschaft besitzt, sichtbar zu sein, sondern auch andere Merkmale, wie, dass es durch Berührung erlebt werden kann oder einen Geruch besitzt, den man riechen kann?

(13.3) Angenommen, es würden alle (Merkmale eines Objekts von der visuellen Wahrnehmung) gesehen, welche die Form (des Objekts) sieht. Wenn (eine visuellen Wahrnehmung) nicht (den Geruch des Objekts) sehen (kann, auch wenn) die Form gesehen wird, warum sollte es dann nicht der Fall sein, dass (auch) die Form nicht (gesehen wird? Dies würde absurderweise folgen, weil man alle Eigenschaften sehen müsste, wenn man eine von ihnen sieht. Und würde man eine Eigenschaft nicht sehen, dann sollte man keine sehen.)

Dies wollen wir uns genauer anschauen. Es gibt bestimmte Auffassungen, zum Beispiel laut einigen Erklärungen von Sautrantika ist es so, dass die Tatsache, dass etwas sichtbar, also das Objekt einer nicht-konzeptuellen Sinneswahrnehmung ist, beweist, dass es wahrhaft existiert. Wenn man es also sehen kann – wenn man beispielsweise eine Orange sehen kann – dann sieht man eine farbige Form. Man sieht nicht den Geruch der Orange oder den Geschmack der Orange. Aber wenn die Existenz der Orange dadurch bewiesen würde, dass man ihre farbige Form sieht, dann würde sie mit all ihren weiteren Eigenschaften existieren. Und falls dies als ein einziges Gesamtpaket existierte, dann müsste man beim Sehen der Orange auch ihren Geruch und Geschmack erkennen.

Der zweite Teil des Arguments bedeutet dann: Wenn man nicht wahrhaft alle Eigenschaften der Orange wahrnimmt, wenn man sie sieht, dann könnte man keine dieser Eigenschaften wahrnehmen und dann würde man auch die sichtbare Form nicht sehen. Denn das Sehen der Orange würde beweisen, dass sie wahrhaft existiert und falls sie wahrhaft existiert, dann mit all ihren Eigenschaften. Wenn man sie also sehen würde, würde man all ihre Eigenschaften sehen. Wenn man aber nicht all ihre Eigenschaften sehen würde, dürfte man überhaupt keine ihrer Eigenschaften sehen. Das ist wirklich Prasangika-Logik. Der Grund dafür ist, dass alle Eigenschaften gleichermaßen im Objekte vorhanden sein müssten, falls es wahrhaft existieren würde.

(13.7) Falls die (wahrhafte existierende) Form (einer Vase) von (ihrer wahrhaft existierenden) Farbe verschieden wäre, wie könnte dann (die visuelle Wahrnehmung der Farbe) die Form (als ihr Objekt) der Wahrnehmung nehmen? Falls sie jedoch nicht verschieden wären (aber trotzdem wahrhaft existieren würden), wieso (würdest du) mit deinem Körper nicht auch (in der Dunkelheit) die Farbe (als Objekt deiner visuellen Wahrnehmung nehmen)?

Falls die Form und Farbe eine Vase auf wahrhaft existierende Weise verschieden wären, wie könnte dann eine visuelle Wahrnehmung der Farbe einer Vase auch die Form dieser Vase wahrnehmen? Mit anderen Worten, wenn sie wahrhaft verschieden sind, dann sollte man, wenn man die Farbe der Vase sieht, nicht auch die Form der Vase sehen. Diese beiden müssten dann getrennte Dinge sein.

Aber falls sie im Gegensatz dazu identisch – auf wahrhaft existierende Weise identisch – wären, warum kann man dann, wenn man im Dunkeln eine Vase in der Hand hält und auf diese Weise ihre Form erkennt, nicht auch ihre Farbe erkennen? Warum sollte dies nicht so sein, falls sie wahrhaft identisch wären?

(13.9) Erde kann als etwas stabiles gesehen werden und sie kann auch vom Körper (als Objekt der Tastwahrnehmung) wahrgenommen werden. (Würde) also (das Erdelement wahrhaft erwiesene Existenz besitzen), warum sollte man dann sagen, dass die Erde nur (ein Objekt des) Tast(sinnes und nicht der visuellen Wahrnehmung) sein kann. (Darüber hinaus könnte das Erdelement keine Ursache für sichtbare Formen sein).

Wenn man die Erde als Beispiel nimmt, so kann man sowohl sehen, dass sie etwas Festes und Stabiles ist oder man kann dies auch durch Tastempfindung erkennen, indem man etwas Erde festhält oder anfasst und dadurch wahrnimmt, dass sie fest und stabil ist. Falls die Erde aber wahrhaft als Objekt der visuellen Wahrnehmung existieren würde, dann müsste sie ausschließlich als dies existieren und dann könnte sie nicht gleichzeitig ein Objekt der Tastwahrnehmung sein.

(13.11) (Die Wahrnehmungssensoren des) Auges (existieren nicht wahrhaft als Grundlage für die Wahrnehmung von Form, denn falls dies der Fall wäre), würde (eine solche Wahrnehmung von Form auf Grundlage von etwas) entstehen, (das ohne Beziehung ist und könnte deshalb) ebenso (auf Grundlage der Sensoren) des Auges (entstehen). Doch, was von (den Wahrnehmungssensoren des) Auges gesehen wird, wird von keinen anderen (Wahrnehmungssensoren) wahrgenommen. (Weil dies schwer zu verstehen ist und) weil das Heranreifen von Karma (noch schwieriger zu verstehen ist), wurde dies vom Geschickten Weisen (Buddha) als jenseits der Vorstellungskraft gelehrt.

Wie ist es mit den Sensoren des Auges? Wahrhaft existierende Sensoren des Auges können keine wahrhaft existierenden sichtbaren Formen wahrnehmen, die wahrhaft von ihnen verschieden sind. Mit anderen Worten: wenn man annimmt, dass die lichtempfindlichen Zellen des Auges wahrhaft als eine Sache existieren und die farbigen Formen – also die sichtbaren Formen – wahrhaft als etwas anderes existieren, dann könnten sie überhaupt keine Beziehung haben und man könnte diese Formen nicht wahrnehmen. Und falls jemand meint, dass eine sichtbare Form – eine wahrhaft existierende sichtbare Form – von etwas wahrgenommen werden kann, das wahrhaft von dieser Form verschieden ist, dann könnte es auch von den Sensoren des Ohres wahrgenommen werden, weil diese auch wahrhaft verschieden sind.

Versteht ihr? Wenn die Zellen im Auge und die sichtbare Form zwei völlig verschiedene Dinge sind, als ob sie jeweils in Plastik eingeschlossen sind, und man behauptet, dass das eine vom anderen wahrgenommen wird, dann wäre es etwa so, dass etwas völlig Verschiedenes und Beziehungsloses etwas anderes wahrnimmt, das völlig verschieden und beziehungslos ist. Es gäbe also keine Beziehung und das würde bedeuten, das alles von jedem wahrgenommen werden könnte.

Für die meisten nachfolgenden Diskussionen dieses Kapitels muss man die indische Analyse der Sinneswahrnehmung verstehen, die nicht nur in den buddhistischen Lehren sondern auch in verschiedenen nicht-buddhistischen Lehren zu finden ist. Dieser Darstellung der Sinneswahrnehmung zufolge bewegt sich die Kraft eines Wahrnehmungssensors hinaus zu den Sinnesobjekten, um diese wahrzunehmen. Das ist etwas, das sehr schwierig zu verstehen sein kann. Es ist nicht so, dass die Sinnesinformation von außen nach innen gelangen, sondern die Sinneswahrnehmung arbeitet in irgendeiner Form von innen nach außen.

Diese Sichtweise erklärt, wie es beispielsweise tausend Inder schaffen, auf dem Fußboden einer indischen Eisenbahnstation zu leben, ohne verrückt zu werden. Denn man sieht die Leuteeinfach nicht, die auf dem Tuch am Boden neben einem sind, weil die eigene Sinneskraft nicht über eine bestimmte Grenze hinweg nach außen geht. Oder wenn man in einem überfüllten Zug ist und sich ein Tuch über den Kopf legt, dann ist man nicht da und kann auf diese Weise schlafen und niemand wird einen ansprechen oder belästigen. Wenn man aber nichts über dem Gesicht hat, werden einen andere Leute ansprechen und die ganze Nacht lang nerven. Oder in einem indischen Bus wird die ganze Nacht lang ein Video gespielt und zwar derselbe Film immer wieder, die ganze Nacht, oder sehr laute Musik – denn es ist ein Video Bus. Und falls man sich beschwert, dann sagen sie: „dann höre einfach nicht hin.“ Man muss also diese indische Vorstellung der Sinneswahrnehmung verstehen und dann macht diese Antwort Sinn.

Aber es gibt natürlich viele logische Widersprüche, falls all dies auf wahrer Existenz beruhte. Aber zuerst ist es wichtig, die allgemeine Theorie zu verstehen.

Und eigentlich ist es nicht so merkwürdig, wenn man diese Diskussion vom Thema der Energie der Wahrnehmungssensoren, die nach außen geht, auf die westliche Idee der Aufmerksamkeit überträgt. Geht die eigene Aufmerksamkeit zum Objekt hinaus, welches man dann wahrnimmt? Oder kommt die Information in das Auge und nur dann bemerkt man sie und achtet darauf?

Nehmen Inder und Westler die Dinge unterschiedlich wahr?

Nun, nicht wirklich. Der Unterschied ist, wie man diese Dinge erklärt und benennt. Es ist nicht so, dass bei den Indern etwas tatsächlich anders abläuft als bei Westlern – sie erklären es einfach anders. Das ist also geistige Benennung. Es ist ein gutes Beispiel für geistige Benennung. Und eine westliche Person, die an „einen einzigen Gott und eine einzige Wahrheit“ glaubt, besteht vielleicht darauf, wissen zu wollen: „Aber wie ist es wirklich?“ und möchte die einzig wahre Erklärung finden, wie es wirklich ist. Aber nach all dem, was wir hier studieren, ist das eine fehlerhafte Denkweise. Alles steht im Zusammenhang mit geistiger Benennung, wie man etwas gedanklich erfasst. Und ich denke es ist sehr wesentlich zu verstehen, dass unsere westliche Denkweise sehr stark von den abrahamitischen Religionen geprägt ist – also Christentum, Judentum und Islam. In den abrahamitischen Religionen gibt es die Vorstellung eines „alleinigen Gottes“ und einer „alleinigen Wahrheit“. Das prägt uns sehr stark. Wir wollen wissen: „Aber wie ist es wirklich?“.

(13.13) Falls diese (wahrhaft existierenden Sensoren des) Auges eine Bewegung besitzen (um sich zu ihrem wahrgenommenen Objekt zu bewegen, dann) würde etwas, das weiter entfernt ist, nach längerer Zeit gesehen (und etwas Näheres würde früher gesehen). Dies würde bedeuten, dass die Sensoren des Auges Dinge unterschiedlich wahrnehmen würden, wodurch sie nicht mehr wahrhaft existieren könnten. Falls die Sensoren des Auges aber wahrhaft existieren würden,) warum sind Formen, die sehr nah sind und solche, die weit entfernt sind, nicht (gleichermaßen) deutlich (obwohl beide auf die gleiche Weise wahrgenommen werden sollten)?

Der Buddhismus hat keine Einwände gegen diese (indische) Erklärung darüber, wie Sinneswahrnehmung funktioniert. Buddhisten stimmen zu, dass die Energie der Wahrnehmungssensoren nach außen zu einem Objekt hinaus geht. Aber dies kann dem Madhyamaka zufolge nicht auf wahrhaft erwiesener Existenz beruhen. Sie meinen, wenn die Kraft eines wahrhaft erwiesenen Augensensors sich zum wahrgenommenen Objekt hinaus bewegen müsste, wenn man es anschauen möchte, dann müsste es länger dauern, um ein entferntes Objekt zu sehen, als es dauert, ein nahes Objekt zu sehen. Und falls es dieselbe Zeit dauert, warum ist das nahe Objekt dann deutlicher als ein entferntes Objekt? Auf Grundlage des wahrhaft existierenden Augensensors sollten beide gleich klar sein. Man sollte beide Objekte gleichzeitig und mit der gleichen Klarheit sehen – es sollte genau gleich sein. Die Annahme ist hier, dass man keine Brille braucht.

Wir müssen hier nicht die Vorstellung der Lichtgeschwindigkeit einbeziehen und ob dies unsere Wahrnehmung von Informationen beeinflusst, wenn Licht in unsere Augen eintritt. Aber man kann verstehen, dass dies tatsächlich ein sehr tiefgründiges Thema ist, wenn wir astronomische Entfernungen bedenken und die Zeitspanne, die es benötigt, bevor Licht uns über diese Entfernungen hinweg erreicht. Dies hat dann eine Auswirkung auf die Vorstellung von Zeit: Sieht man die Vergangenheit?

(13.14) Wenn sich der Augen(sensor nach außen) bewegt, nachdem (er) eine Form (bemerkt hat), gäbe es keinen Nutzen dadurch, dass er sich nach außen bewegt hat (weil er das Objekt schon gesehen hätte). Aber (falls er sich nach außen bewegt, um ein Objekt zu sehen, dass noch nicht gesehen oder bemerkt wurde), wäre es eine Lüge, zu sagen „(Ich werde) definitiv (dieses Objekt sehen, das ich) wahrnehmen möchte“ (weil der Augensensor immer blind nach außen gehen und niemals das gewünschte Objekt finden würde).

Wenn also der Augensensor hin zum Objekt reist, nachdem er dieses bemerkt hat, dann gäbe es keine Notwendigkeit, es zu sehen. Man hätte es ja schon gesehen und bemerkt. Wenn der Sensor aber zum Objekt reist, ohne es bemerkt zu haben, dann würde er sich nach außen bewegen, um ein Objekt anzuschauen, ohne zu wissen, ob er irgendetwas anschauen wird. Er würde nur blind nach außen gehen, falls er etwas nicht bemerken und dann anschauen würde.

(13.15) Falls die wahrhaft existierenden (Augensensoren wahrhaft existierende) Formen wahrnehmen würden, ohne (sich nach außen zu ihnen bewegen zu müssen, dann) würde jeder derartige Dinge sehen. Jeder (Augensensor), der (sich) nicht (zum Objekt bewegen müsste, um es zu sehen) kann keinen (Unterschied in seiner Wahrnehmungsfähigkeit bestimmter Objekte) haben (egal, ob sie) weit (entfernt oder in der Nähe sind) oder sogar (ob sie) verdeckt (sind oder nicht).

Falls die Kraft des Augensensors nicht zum Objekt reisen müsste, dann sollte sie jederzeit alles sehen, egal ob es in der Nähe oder entfernt ist. Denn sämtliches Licht sollte eintreffen, egal ob es offensichtlich oder verdeckt ist.

(13.16) Falls die (wahrhaft existierende) Natur aller funktionierenden Phänomene zuerst (als) von ihrer eigenen Seite her (erwiesen) erscheint – (beispielsweise von der Seite der Wahrnehmungssensoren) – aus welchem Grund sollte (dann) der Augen(sensor) nicht den Augen(sensor) selbst (als Objekt wahrnehmen? Dies würde absurderweise folgen, weil nichts existieren könnte, das aus seinem Sichtbereich ausgeschlossen wäre, falls er wahrhaft als etwas Wahrnehmendes existieren würde).

(Der Wahrnehmungssensor) müsste außerdem in der Lage sein, sich selbst wahrzunehmen.

Kapitel 14: Aufzeigen der Meditationen zur Widerlegung des Greifens nach Extremen

(14.1) Jedes funktionierende Phänomen, (das wahrhafte Existenz besitzt), könnte nicht entstehen indem es auf etwas anderem beruht. (Und für endgültige Analyse) sollte seine (unabhängige) Natur (von der Seite des Phänomens allein) erwiesen sein. Jedoch existiert überhaupt nichts auf diese Weise.

Aryadeva beginnt mit einem sehr allgemeinen Punkt: ein wahrhaft existierendes funktionierendes Phänomen könnte nicht entstehen indem es auf etwas anderem beruht, weil es vollkommen unabhängig und aus eigener Kraft existieren müsste.

Dies ist wieder ein Prasangika-Argument: Wenn etwas wahrhaft existieren würde und etwas auf der Seite des Phänomens aus eigener Kraft seine Existenz begründen und etablieren würde, wie könnte es dann ein funktionierendes Phänomen sein? Es würde wie in Plastik eingekapselt existieren und müsste etwas enthalten, das es zu dem macht, was es ist, und seine Existenz etabliert. Also würde es nicht von Ursachen abhängig sein, die seine Existenz etablieren.

Es kann sein, dass Seine Heiligkeit daraufhin mit einer Diskussion des abhängigen Entstehens beginnt. Die Existenz der Dinge ist aufgrund von abhängigem Entstehen begründet und etabliert – sie sind etabliert aufgrund der Tatsache, dass sie in Abhängigkeit zustande kommen. Auf einer konventionellen Ebene kommen funktionierende Phänomene in Abhängigkeit von Ursachen und Umständen zustande. Und im Zusammenhang mit der tiefsten Wahrheit existieren sie in Abhängigkeit davon, worauf Worte und Konzepte sich beziehen. Es gibt also zwei Ebenen des abhängigen Entstehens: im Zusammenhang mit der Erklärung der konventionellen Wahrheit und der Erklärung der tiefsten Wahrheit.

(14.3) (Ihr Vaisheshikas) betrachtet die beiden (nämlich das allgemeine Phänomen der „Existenz“ und die einzelne Substanz einer „Vase“) von ihrer Definition her als etwas, das (wahrhaft in) Verschiedenen (Kategorien existiert). Falls jedoch in diesem Fall eine Vase (wahrhaft) vom Phänomen (der „Existenz“) verschieden wäre, könnte (das „Existent-Sein“) nicht (existieren). Und weshalb sollte das Phänomen (des „Existent-Seins“) nicht von der Vase (wahrhaft getrennt und) verschieden werden (wodurch auch die Vase nicht existieren würde)?

Und als nächstes widerlegt Aryadeva eine Position der Nyaya-Vaisheshikas. Ihnen zufolge gibt es die verschiedensten Phänomene, die wahrhaft existieren und dann irgendwie miteinander verbunden sind. Es gibt Verbinder zwischen den einzelnen Phänomenen, welche sie zusammen bringen. Sie sagen also, dass es zum Beispiel etwas wie eine „Vase“ gibt – sie ist ein wahrhaft existierendes Phänomen. Und dann gibt es die allgemeine Kategorie namens „Existenz“ und diese existiert ebenfalls wahrhaft.

Aryadeva weist darauf hin, dass es Unsinn wäre, dass man einerseits die „Vase“ hat, die wahrhaft existiert, andererseits die allgemeine Kategorie der „Existenz“, die ebenfalls wahrhaft existiert, wobei diese beiden getrennte Arten von wahrhaft existierenden Dingen sind. Falls dies der Fall wäre, müsste die Vase wahrhaft nicht-existent sein. Wie kann man behaupten, dass es eine Kategorie namens „Existenz“ gibt, die von der Vase getrennt ist? Sie sagen, dass es eine wahrhaft existierende „Vase“ gibt, aber dann gibt es noch eine zusätzliche Kategorie namens „Existenz“. Falls dies zwei getrennte Dinge wären, wie kann man dann eine „Vase“ postulieren? Sie müsste nicht-existent sein. Es ist Unsinnig, zu denken, dass etwas nur existiert, weil es wie durch einen Stock mit einem Ball da drüben verbunden ist, den man „Existenz“ nennt.

Aber dies sind keine so abwegigen Ideen. Manchmal sagen wir, dass „etwas Existenz annimmt“, als ob da schon etwas vorhanden wäre, was die Existenz annimmt, oder im Englischen sagt man „come into existence“, so als ob die Existenz ein eigener Ort wäre, in den etwas eintritt. Aber dann kommt man in eine lange Diskussion, die wir bei Shantideva hatten: existiert etwas oder existiert etwas nicht bevor es existent wird? Kann etwas Nicht-Existierendes zu einer existierenden Sache werden?

Und ich möchte hier noch etwas ergänzen, weil ich dies für einen sehr wichtigen und interessanten Punkt halte: Vielleicht erinnert ihr euch, dass wir diese Diskussion im Zusammenhang mit dem Thema der Abtreibung besprochen hatten. Ist es so, dass vor einem bestimmten Zeitpunkt noch kein Mensch existiert? Und dann, nach einer bestimmten Anzahl an Wochen, existiert da etwas als menschliches Wesen? Und wie kann sich etwas Nicht-Existierendes in etwas Existierendes verwandeln? Dies steckt hinter vielen Diskussionen über Abtreibung: Es existiert noch nicht als menschliches Wesen – es ist noch kein menschliches Wesen – bevor eine bestimmte Entwicklungsphase erreicht ist.

Dies sind also nicht bloß merkwürdige metaphysische Diskussionen. Die haben eine praktische Anwendung.

(14.7) Eine Vase kann nicht (wahrhaft) als eins (mit den acht Arten von grundlegenden Teilchen existieren, aus denen sie besteht, wie die Sautrantikas meinen), denn falls (sie) nicht (von den acht Arten von Teilchen ist, aus denen sie besteht und die jeweils ihre eigenen) definierenden Merkmale (besitzen, müsste die Vase, welche eine einzige Einheit ist, ebenfalls als acht wahrhaft existierende Dinge existieren). Aber weil jedes (der acht Teilchen allein) nicht die Vase ist, ist es unsinnig, dass (die Vase) auf vielfache Weise (existiert, als etwas, das wahrhaft von den acht getrennt existiert.)

Als nächstes beginnt Aryadeva eine lange Diskussion mit vielen Beispielen und verwendet dabei zuerst das Beispiel einer Vase. Dieses Beispiel der Vase ist äußerst beliebt und generell geht es hier um folgendes: Laut verschiedenen buddhistischen Systemen – und Aryadeva bezieht sich hier vor allem auf das Sautrantika-System – gibt es acht Arten von Teilchen aus denen Materie besteht. Diese Darstellung stammt eigentlich aus dem Abhidharma. Wenn man aber behauptete, dass die Vase etwas wahrhaft Existierendes ist und aus acht verschiedenen Arten von wahrhaft existierenden Teilchen besteht, dann gäbe es folgende Konsequenzen: Falls die Vase dasselbe wie diese verschiedenen Teilchen wäre, müssten all diese verschiedenen Arten von Teilchen ein und dasselbe sein. Und falls es sich um viele handelte, dann müsste es acht verschiedene Vasen geben, weil es acht verschiedene Teilchen gibt. Dies ist also das Thema von „weder eins noch viele“. Dies ist ein sehr umfassendes Thema, das wir aus Zeitgründen nicht vertiefen können, aber Aryadeva wendet es auf sehr viele Beispiele an. Der Rest des Kapitels beschäftigt sich hauptsächlich mit dieser Untersuchung.

(14.21) Um (die verschiedenen philosophischen) Positionen (zu widerlegen, welche) Existenz, Nicht-Existenz sowohl Existenz und Nicht-Existenz oder weder Existenz noch Nicht-Existenz (annehmen), sollten die Gelehrten immer (derartige Untersuchungen) anwenden (um zu analysieren, ob Dinge wahrhaft) eins und so weiter (sind).

Am Ende schließt Aryadeva mit der Aussage, dass man diese Analyse, ob die Dinge wahrhaft eins oder vieles sind, verwenden sollte, um alle extremen Existenzweisen von Existenz, Nicht-Existenz, von beidem, oder von „weder – noch“ zu widerlegen.

Kapitel 15: Aufzeigen der Meditationen zur Widerlegung des Greifens nach beeinflussten Phänomenen als endgültig (wahrhaft existent)

Dieses Kapitel untersucht die Frage des Entstehens der Phänomene. Beeinflusste Phänomene – das heißt, funktionierende Phänomene – sind jene Phänomene, die dadurch entstehen, dass sie von Ursachen und Umständen beeinflusst werden. Jetzt untersucht Aryadeva dieses Entstehen: ist es endgültig und wahrhaft existent? Und das Hauptargument, das hier verwendet wird ist, dass ein Ergebnis nicht aus etwas entstehen kann, das entweder mit diesem identisch ist oder das von ihm verschieden ist – weder dasselbe noch verschieden.

(15.1) Falls im letzten (Moment der Ursache das Ergebnis wahrhaft) nicht-existent ist und dann (als etwas wahrhaft Existierendes) zustande kommt, (so ist dies unsinnig, weil auch ein Hasenhorn entstehen könnte). Wie kann also etwas wahrhaft Nicht-Existierendes entstehen? Und falls ihr akzeptiert, dass (das Ergebnis zum Zeitpunkt der Ursache wahrhaft) existiert und dann zustande kommt (dann ist dies ebenfalls unsinnig, weil es schon entstanden wäre und deshalb nicht neu entstehen müsste). Wie kann also etwas wahrhaft entstehen?

Etwas, das zum Zeitpunkt der Ursache wahrhaft nicht-existent ist, kann zum Zeitpunkt des Ergebnisses nicht entstehen. Wenn es wahrhaft nicht-existent ist, kann es auch nie entstehen. Aber falls ein wahrhaft existierendes Ergebnis schon zum Zeitpunkt der Ursache existierte, dann bräuchte es nicht noch einmal entstehen, weil es schon existieren würde. Das Ergebnis kann also zum Zeitpunkt der Ursache weder wahrhaft existent noch wahrhaft nicht-existent sein.

(15.4) Ebenso wie es kein Entstehen gibt, bei dem ein (wahrhaft existierendes) Phänomen sich selbst (erzeugt, weil dies nicht nötig ist), ebenso gibt es kein Entstehen, bei dem etwas ein (wahrhaft) anderes Phänomen (erzeugt, weil diese beiden wahrhaft verschieden und ohne Beziehung wären).

Eine wahrhaft existierende Ursache kann auch kein Ergebnis hervorbringen, das entweder mit ihr selbst identisch oder von ihr verschieden ist.

(15.5) (Das Entstehen) am Anfang, (das Bestehen) in der Mitte und (das Vergehen) am Ende existieren nicht bevor etwas entsteht. Und zu (jedem dieser Zeitpunkte) existieren die anderen beiden nicht (aber dennoch sind sie nicht wahrhaft unabhängig von einander). Ebenso wie jedes beginnt, (und folglich gibt es ohne Entstehen kein Bestehen oder Vergehen, ebenso ist es auch mit dem Bestehen und Vergehen).

Man kann auch nicht sagen, dass es ein wahrhaft existierendes Entstehen, Bestehen und Vergehen gäbe, weil zu jedem dieser drei Zeitpunkte die anderen beiden wahrhaft nicht-existent wären, was bedeuten würde, dass diese beiden niemals passieren und niemals passiert sein könnten. Dies hat also mit dem Problem der drei Zeiten zu tun.

Mit anderen Worten: wenn immer nur einer dieser Zeitpunkte auf einmal geschieht und wenn sie wahrhaft existieren, dann wären die beiden Zeitpunkte, die gerade nicht vorhanden sind, nicht-existent. Und dann könnten sie niemals zustande kommen beziehungsweise niemals zuvor existiert haben – je nachdem.

(15.8) Wenn (etwas) zuerst entsteht, (ist es nicht alt), weil (es neu ist. Falls es also wahrhaft als etwas Neues existieren würde), dann könnte etwas, das anfangs entsteht, nicht alt werden. Später (könnte es nicht alt sein,) auch nachdem es vollständig entstanden ist, und auch noch später könnte etwas, das (als etwas wahrhaft Neues entstanden war,) nicht (alt) geworden sein.

Wenn etwas das entsteht wahrhaft neu ist, könnte es niemals alt werden.

(15.9) Ein funktionierendes Phänomen der Gegenwart wird nicht durch seine eigene (wahrhaft existierende Zeit der Gegenwart) erzeugt. Es wird nicht von einer (Wahrhaft existierenden Zeit) erzeugt, die noch nicht entstanden ist. Und es wird (auch nicht) von einer (wahrhaft existierenden Zeit erzeugt), die schon vergangen ist.
(15.10) Etwas, das (auf wahrhaft existierende Weise) entstanden ist, kann kein Kommen und auch kein Vergehen besitzen. Wieso sollte also das (konventionelle) Dasein nicht wie eine Illusion sein? (15.11) Da (wahrhaft existierendes) Entstehen, Bestehen und Vergehen weder gleichzeitig noch nach einander geschehen können, wann sollten sie dann geschehen?

Aryadeva fährt fort mit weiteren Begründungen, warum es kein wahrhaft existierendes Entstehen, Verweilen oder Vergehen geben kann. Sie können weder getrennt und unabhängig voneinander noch gleichzeitig mit einander geschehen. Die Frage ist also: wann geschehen sie? Sie geschehen nicht als wahrhaft existierende Dinge, die von einander getrennt und ohne Beziehung zu einander sind, aber sie geschehen auch nicht alle gleichzeitig.

(15.16) Während (etwas) entsteht, ist es (schon) halb entstanden (und zur Hälfte noch nicht entstanden) – deshalb kann der Vorgang des Entstehens kein (wahrhaft existierendes) Entstehen sein (was unabhängig von diesen Teilen existiert). Sonst würde die absurde Schlussfolgerung folgen, dass alle (drei Zeiten – nämlich der Teil des noch-nicht-entstanden-Seins, der Teil des gerade-Entstehens und der Teil des schon-entstanden-Seins) das (wahrhaft existierende) Entstehen wären.

Als nächstes beginnt Aryadeva eine umfangreiche Diskussion darüber, wie etwas sich vom Noch-Nicht-Entstehen zum Entstehen, vom Entstehen zum Bestehen und vom Bestehen zum Vergehen verwandelt. Gibt es jeweils eine Lücke zwischen beiden? Gibt es zum Beispiel eine Lücke zwischen einem wahrhaft existierenden Ergebnis, das noch nicht existiert, und dem Zeitpunkt, wenn es wahrhaft existiert? Und existiert es während dieser Lücke zur Hälfte wahrhaft, und zur anderen Hälfte wahrhaft nicht?

(15.20) (Du meinst, dass der Prozess des Entstehens wahrhafte Existenz besitzt, bevor das Ergebnis entstanden ist, und sich auf eine Weise vollzieht, die vom Ergebnis getrennt ist. Doch) wenn das, was entstanden sein wird (wahrhaft existiert), dann könnte zu dieser Zeit kein Prozess des Entstehens existieren (denn das Entstehen wäre bereits vergangen. So kann nicht etabliert werden, dass das Entstandene durch diesen Vorgang des Entstehens hervorgebracht wurde, von dem du behauptest, dass er zuvor und vom Entstandenen getrennt existiert. Diese beiden wären ohne Beziehung. Falls du dies eingestehst aber basierend auf wahrer Existenz behauptest, dass das, was entstanden sein wird, sich im Vorgang des Entstehens befindet: Nun) wenn das, was entstanden sein wird sich im Vorgang des Entstehens befindet, welchen Grund gibt es dann zu diesem Zeitpunkt dafür, dass es (noch einmal) erzeugt werden müsste? (Denn es wäre schon entstanden, weil es wahrhaft existieren würde).

Hier untersucht Aryadeva, wann der Vorgang des Entstehens stattfindet. Wie kann ein wahrhaft existierendes Entstehen vor einem Objekt existieren, welches wahrhaft entsteht? Was wäre die Verbindung? Falls man das Entstehen zu einer wahrhaft existierenden Sache macht, welche Verbindung gibt es dann zwischen diesem Entstehen und dem Objekt, das entsteht?

(15.23) (Du meinst vielleicht außerdem, dass) der Vorgang des Entstehens, schon bevor er geschehen ist, als (ein wahrhaft) existierendes (funktionierendes Phänomen bezeichnet werden kann), weil (er) später (mit der Aktion des Entstehens verbunden werden wird. Doch) damit (würdest du) tatsächlich (gezwungen sein, zu schlussfolgern, dass nur) etwas, das noch nicht entstanden ist, entsteht. (Doch auf der Grundlage von wahrer Existenz ist dies unlogisch, denn) was noch nicht entstanden ist, von dem sagt man, dass es nicht stattgefunden hat (und deshalb kann es nicht den Status eines funktionierenden Phänomens angenommen haben. Daher könnte es nicht mit der Aktion des Entstehens beginnen und) könnte nicht entstehen.

Wie kann das Entstehen wahrhaft existieren, bevor es stattgefunden hat, um dann mit einem wahrhaft existierenden Objekt verbunden zu werden, welches noch nicht vorhanden ist, um durch dies Verbindung dafür zu sorgen, dass das Objekt entsteht?

Mit anderen Worten: ist das Entstehen eine wirkliche „Sache“, ähnlich wie die Nyayas es meinen – sie hatten beispielsweise „Existenz“ als eine getrennte Sache betrachtet, so als wäre sie in einen Plastikball eingekapselt. Wie ist es also mit dem Entstehen? Ist das Entstehen auch etwas, dass eigenständig wie in einem Plastikball isoliert ist und sich dann mit einem Objekt verbindet? Wie kann es ein Entstehen geben, dass getrennt vom entstehenden Objekt existiert? Und wann geschieht dieses Entstehen?

Ein historisches Ereignis ist noch nicht geschehen, aber es soll nun diese Sache namens „Entstehen“ geben. Es kommt also dieses „Entstehen“ – aber wie soll es sich mit dem Ereignis verbinden, das noch nicht geschehen ist, so dass dadurch dann das Ereignis geschieht? Das ist absurd. Es funktioniert nicht so, dass man irgendein noch nicht geschehenes Ereignis in die Steckdose steckt und auf dieser Grundlage passiert es dann.

Kapitel 16: Aufzeigen, wie man erreicht, dass Lehrer und Schüler, Gewissheit (über Leerheit) gewinnen

Dies ist das Kapitel, in dem Aryadeva letztendlich wahrhaft existierende Logik widerlegt. Wenn man Gewissheit über die Leerheit gewinnt, dann tut man dies mithilfe von Logik, egal ob es mit der üblichen Logik oder der Prasangika-Form von Logik ist. Aber dies passiert nicht mithilfe von wahrhaft existierender Logik.

(16.1) All diese Kapitel dienten dazu, alle Begründungen einzeln zu widerlegen (die andere vorbringen könnten, um nach der wahren Existenz der Dinge zu greifen) als seien sie nicht leer, obwohl (alles) leer (von wahrer Existenz ist.)

Aryadeva erklärt, dass er all diese Kapitel geschrieben hat, um alle Begründungen zu widerlegen, die jemand vorbringen könnte, um nach den Dingen zu greifen, als seien sie nicht leer in der Art, wie es die Prasangikas meinen - mit anderen Worten, um nach einer wahrhaften Existenz der Dinge zu greifen.

(16.2) Du (entgegnest) vielleicht, dass es unangemessen ist, zu sagen, dass Autor, Thema sowie (die Worte dieser Kapitel) leer sind (weil sie existieren. Aber) alles, das in Abhängigkeit von (etwas Anderem) entsteht, ist (leer von wahrer Existenz. Deshalb sind) diese drei ebenfalls nicht (wahrhaft) existent.

Und sogar der Autor, das Thema und die Worte des Textes sind leer von wahrhaft erwiesener Existenz.

(16.4) Um eine andere Position zu widerlegen und seine eigene Position zu beweisen, (muss man sich auf Begründungen stützen.) Falls eine Seite (nur) Freude daran hätte, (die andere) zu kritisieren, warum sollte sie dann nicht (zufrieden sein, ihre eigene Position nur aufgrund der eigenen Meinung und nicht aufgrund von Logik) zu etablieren?

Um die Position einer anderen Person zu widerlegen und die eigene Position zu beweisen, muss man sich auf Logik und logische Beweisführungen stützen.

(16.5) Falls eine Position nach gründlicher Analyse nicht (vernünftig ist, dann) ist (sie) kein (gültig erkennbares Phänomen). Damit werden alle drei (Behauptungen, dass die Dinge wahrhaft als entweder) eins (oder viele oder auf unaussprechliche Weise existieren würden,) zu unhaltbaren Positionen.

Wenn man die Existenz von etwas annimmt, dessen Existenz aber mit Hilfe von Logik nicht zu finden ist, dann sollte man verstehen, dass es überhaupt nicht existiert. Aryadeva erklärt hier also, das man Logik anwenden sollte, und dass man mithilfe von Logik die Existenz bestimmter Dinge widerlegen kann.

(16.6) (Du meinst vielleicht, dass) alles, was von unmittelbarer (Sinneswahrnehmung) gesehen wird (wahrhafte Existenz) besitzt – zum Beispiel eine Vase. (Doch) diese (Tradition, welche die Leerheit von inhärenter Existenz vertritt), besitzt keine (derartig fehlerhaften) Begründungen (als Teil ihrer Positionen, wie sie) von anderen (buddhistischen Mahayana-Traditionen) stammen, (auch wenn) wir bezogen auf andere (Dinge zahlreiche gemeinsame Ansichten haben, wie beispielsweise beim Ziel des Bodhichitta).

Als nächstes meint Aryadeva: wir Prasangikas verwenden keine fehlerhaften Begründungen, wie sie sogar andere Buddhisten verwenden. Und er erwähnt einige Beispiele für fehlerhafte Begründungen, mit denen wir uns nicht befassen werden.

Wenn man nach Art der Prasangikas etwas sucht, dann sucht man danach, ob es auffindbar ist. Alles hier dreht sich um die Frage der wahrhaft erwiesenen Existenz. Wenn man also beispielsweise die vermeintlich wahrhaft existierenden Aggregate und das vermeintlich wahrhaft existierende „Selbst“ untersucht und feststellt, dass sie weder wahrhaft eins noch wahrhaft verschieden sind, dann muss man diese Ansicht aufgeben. Falls diese beiden Dinge wahrhaft existieren würden, dann müssten sie entweder als wahrhaft dasselbe oder als wahrhaft verschiedene Dinge existieren. Es gibt keine andere Möglichkeit. Und falls sie als keins von beiden gefunden werden können, dann kann die ganze Grundlage für diese Auffassung – wahre Existenz – nicht existieren. Das ist, worauf Aryadeva sich bezieht.

Und es heißt laut Prasangika, dass wahrhaft erwiesene Existenz nicht zu finden ist – nicht nur, wenn man die tiefste Wahrheit untersucht sondern auch, wenn man die konventionelle Wahrheit untersucht. Bitte denkt daran, dass dies eine Widerlegung der Svatantrika-Ansicht ist, die meint, dass die Dinge vom Blickwinkel des Konventionellen aus betrachtet eine Eigennatur besitzen. Mit anderen Worten: Den Svatantrikas zufolge existiert etwas von der Seite des Phänomens, welches in Verbindung mit geistiger Benennung dessen Existenz beweist, aber vom Blickwinkel der tiefsten Wahrheit lässt sich nichts finden. Das ist ein Aspekt von Svatantrika. Sie sagen: „Gut, auf der tiefsten Ebene kann man keine wahrhaft erwiesene Existenz finden. Aber konventionell sind die Dinge wahrhaft erwiesen.“ Das ist die Svatantrika-Position. Aber die Prasangikas sind der Meinung, dass man nicht einmal konventionell eine wahrhaft erwiesene Existenz finden kann. Wahrhaft erwiesene Existenz bezieht sich nicht auf die tatsächlich konventionell existierenden Phänomene.

(16.8) Wäre (die Position der Leerheit) eine wahrhaft erwiesene Position, dann würde das, was nicht diese Position ist (also die wahrhafte Existenz ebenfalls) zu einer wahrhaft existierenden Position. (Doch weil die Leerheit ebenfalls nicht wahrhaft existiert,) ist das, was nicht die Position (der Leerheit) ist, (ebenfalls) nicht wahrhaft existent. (Weil wahrhaft existierende Phänomene überhaupt nicht existieren,) was sollte dann die Gegen-Menge (jener Dinge) bilden, (die nicht leer von wahrer Existenz sind und die erforderlich wären, um alles, was leer ist, zu eine wahrhaft existierenden Menge zu machen)?

Aryadeva erklärt, dass die Prasangikas nicht einmal von der Leerheit meinen, dass sie wahrhaft erwiesene Existenz besitzt, wie das die Chittamatrins behaupten. Denn wenn die Leerheit – als eine logische Position, die man beweisen möchte – wahrhaft erwiesene Existenz besitzen würde, dann müsste die Gegenposition – also Nicht-Leerheit – ebenfalls wahrhaft existent sein, weil die zwei Bestandteile einer logischen Beweisführung von einander abhängig sind. Dies hat mit der Struktur der indischen Logik zu tun. Weil aber die Leerheit nicht wahrhaft existiert, gilt dies auch für die Nicht-Leerheit.

(16.13) Weil es unter allen Phänomenen keine (wahrhaft existierenden) Phänomene gibt, ist es unlogisch, (die Phänomene in wahrhaft erwiesene und nicht wahrhaft erwiesene zu unterteilen. Die Leerheit) aller Dinge, die erkannt wird, kann keine Unterteilung sein (die der wahren Existenz gegenübergestellt ist, weil alles leer ist).

Es macht keinen Sinn, die Phänomene zu unterteilen in einige Phänomene, die wahrhaft existent sind und andere, die nicht wahrhaft existent sind, so wie die Chittamatrins dies tun. Es ist also nicht der Fall, dass einige Phänomene leer von wahrer Existenz sind, andere aber nicht. Der Grund dafür ist, dass man nicht sagen kann, dass es zwei Unterteilungen oder Gruppen von Phänomenen gibt – solche Dinge, die wahrhaft existieren und nicht leer sind, sowie solche, die nicht wahrhaft existieren und leer sind. 

(16.14) Falls (wir Prasangikas) anderen Positionen nichts entgegnen könnten, weil (wir die völlige) Nicht-Existenz (von allem vertreten würden), warum kann dann deine eigene Position von der Logik (der Leerheit) widerlegt und nicht (durch Logik) bewiesen werden?

Falls du die Prasangikas beschuldigst, sie würden vertreten, das alles überhaupt nicht existiert, warum ist unsere Logik dann in der Lage, deine Position zu widerlegen?

(16.15) Du meinst vielleicht, (es sei) in der Welt sogar wohlbekannt, dass man leicht Begründungen findet, welche (die Leerheit) entkräften. (Doch) wieso bist du dann unfähig, (irgendwelche) Fehler an unserer Position aufzuzeigen, welche anders (als wahre Existenz) ist (weil wir die Leerheit vertreten, welche logischer Überprüfung standhält)?

Falls du meinst, dass die Prasangika-Logik unsinnig ist, warum kannst du dann keine Fehler an ihr finden?

(16.16) Falls allein durch (deine Worte, dass alles) wahre Existenz (besitzt, alle) Phänomene wahrhaft existieren würden, warum sollte (dann) nicht (bloß) durch (unsere Worte), dass (sie) nicht wahrhaft existent sind, (alles) wahrhaft existent werden?

Falls du deine Position der Nicht-Leerheit nicht durch Logik beweisen kannst und sie einfach deshalb für richtig hältst, weil du sagst, dass sie richtig ist, dann wäre jede Position richtig, indem man einfach nur behauptet, sie sei korrekt.

(16.23) Falls die funktionierenden Phänomene mit wahrhaft erwiesener Existenz existieren würden, welchen Nutzen hätte es dann, die Leerheit zu erkennen (weil sie fehlerhaft wäre)? Doch weil man (dadurch im samsarischen Dasein im Leid) gebunden ist, (dass man alles) mit falschen Vorstellungen (als wahrhaft existent) betrachtet, deshalb sollte (das implizierte Objekt des Greifens nach wahrhafter Existenz) hier widerlegt werden.

Aryadeva schließt den Text ab indem er sagt: falls die Phänomene wahrhaft erwiesene Existenz besitzen würden, welchen Nutzen hätte es dann, die Leerheit zu verstehen? Denn dann wäre die Leerheit verkehrt. Der Buddha lehrte die Leerheit von wahrhaft erwiesener Existenz, weil sie korrekt ist und das Leiden tatsächlich dauerhaft beseitigt. Sie bewirkt eine wahre Beendigung der Leiden.

(16.25) (Kurz gesagt:) Jede Position, die (entweder) wahre Existenz, völlige Nicht-Existenz, sowohl wahre Existenz als auch Nicht-Existenz (oder keins von beidem annimmt), existiert nicht (als eine gültige Position, die auf Logik beruht). Auch nach äußerst langer Zeit (werden Vertreter) solcher (Positionen) niemals in der Lage sein, eine Antwort darzulegen, (welche die Leerheit widerlegen könnte, weil die Leerheit nicht widerlegbar ist).

Egal, ob man wahrhaft erwiesene Existenz, wahrhaft erwiesene Nicht-Existenz, beides oder nichts von beidem annimmt, all dies wird durch die Leerheit widerlegt. Und damit beendet Aryadeva den Text.

Abschluss

Das war also eine kurze Zusammenfassung dieser sechzehn Kapitel von Aryadevas Abhandlung in Vierhundert Versen. Wir müssen uns einfach überraschen lassen, welche Punkte Seine Heiligkeit davon erklärt und wo er die Schwerpunkte setzt und ins Detail geht oder nicht. Aber falls man diesen Text wirklich ernsthaft studieren möchte, sollte man ihn in einem längeren Kurs studieren, denn jeder Punkt darin ist sehr tiefgründig und wie wir gesehen haben, ist sehr viel Hintergrundwissen erforderlich, um ihn genauer zu verstehen.

Und bei diesen Erklärungen ist es sehr wichtig, nicht frustriert oder genervt oder entmutigt zu sein, wenn man etwas nicht versteht. Denn Aryadeva selbst weist darauf hin, dass der Buddha all diese Dinge erklärt hat, um Leiden zu beseitigen. Und wenn man wirklich Befreiung vom Leiden erreichen möchte, muss man diese Dinge wirklich verstehen. Es wurde also alles zu diesem Zweck gelehrt, und wenn wir wirklich Befreiung erreichen möchte, müssen wir diese Art von Material in der einen oder anderen Form verstehen. Man entwickelt also eine große Bewunderung dafür und einen starken Wunsch, dies zu verstehen, und man entwickelt mithilfe von Seiner Heiligkeit und Aryadeva Inspiration, um es verstehen zu können. Und außerdem hängt natürlich alles sehr stark von unserer Motivation ab. Wollen wir es aufgrund von Entsagung gegenüber dem Leiden verstehen und aufgrund des Entschlusses, uns selbst davon zu befreien? Oder wollen wir zusätzlich aufgrund von Bodhichitta in der Lage sein, mit diesem Verständnis allen anderen zu helfen, ebenfalls das Leid zu überwinden? Während der Erklärungen ist die Motivation also sehr, sehr wichtig. Und auch die Widmung am Ende.

Vielen Dank.

Top