Ein zusätzlicher Punkt bezüglich der geistigen Benennung
Ein weiterer Punkt, den ich im Zusammenhang mit der Übung des Gleichsetzens und Austauschens der Einstellung gegenüber sich selbst und anderen noch erwähnen wollte, betrifft die Ausweitung der Grundlage für das konventionelle „Ich“. Dies steht damit in Verbindung, womit wir uns selbst identifizieren. Wir können zum Beispiel das konventionelle „ich“ als Bezeichnung für uns selbst als Einzelperson zuordnen. In Falle von Patricio könnte man sagen: „Ich bin Patricio, und deshalb strebe ich es an, die Leiden von Patricio zu beseitigen“, und das wäre eine richtige Aussage. Genauso richtig ist es, zu sagen: „ Ich bin ein Einwohner von Xalapa“ oder „Ich bin Einwohner von Mexiko“. Beides ist eine korrekte Grundlage für die Zuschreibung von „ich“. Es wäre auch angemessen, sich dafür einzusetzen, die Leiden der Menschen in dieser Stadt oder in diesem Land zu beseitigen. Wir können das noch weiter ausdehnen zu der Aussage: „Ich bin ein menschliches Wesen“ oder „Ich bin ein Lebewesen“, und auf dieser Grundlage dann daran arbeiten, eine Art von Problemen zu beseitigen, die alle haben.
Wenn wir uns z.B. dafür engagieren, die Umweltbedingungen zu verbessern oder Umweltverschmutzung zu verhindern, geht es nicht nur um unser individuelles Problem. Es geht dabei um Probleme aller auf diesem Planeten, einschließlich der Tiere. Auf solche Weise können wir auch das Gleichsetzen und Austauschen unserer Einstellung gegenüber uns selbst und anderen in Verbindung damit üben, womit wir uns identifizieren und für wen wir Leiden beseitigen und Glück erreichen wollen. So jedenfalls erklärt der Dalai Lama, dass es durchaus gültig ist, wenn wir das, woran uns liegt, auf alle ausweiten und nicht nur auf uns selbst beschränken. „Ich bin ein begrenztes Wesen, das im Daseinskreislauf gefangen ist“ – das ist eine korrekte Aussage, nicht wahr? Es ist ein angemessenes Ausmaß meines Ziels, allen begrenzten Wesen zu helfen, aus Samsara herauszukommen, weil ich eines von ihnen bin. Das ist eine hilfreiche Herangehensweise an die Übung des Tonglen, das Leiden von anderen zu übernehmen und ihnen unser Glück zu schenken.
Die sechs weit reichenden Geisteshaltungen
Togme-Sangpo erörtert nun die sechs weit reichenden Geisteshaltungen bzw. die so genannten „Vollkommenheiten“ oder „Paramitas“, die eine sehr wichtige Grundlage für das Bodhisattva-Verhalten bilden. Die Bodhisattva-Gelübde, insbesondere die Nebengelübde, bieten die Möglichkeit, die Übung dieser sechs Geisteshaltungen zu unterstützen.
(25) Die Übung der Bodhisattvas ist, freigebig zu sein, ohne etwas dafür zu erwarten oder in der Hoffnung auf karmische Ergebnisse. Denn wenn diejenigen, die Erleuchtung wünschen, sogar den eigenen Körper hergeben müssen, was braucht man da von äußerem Besitz überhaupt noch reden?
Die erste der weit reichenden Geisteshaltungen ist Großzügigkeit. „Weit reichende Geisteshaltungen“ ist eine ziemlich wörtliche Übersetzung des Sanskrit-Begriffs in dem Sinne, dass diese Zustände des Geistes, wenn wir sie entwickeln, sehr weit reichen. Sie bringen uns weit; sie bringen uns sogar bis hin zur Erleuchtung.
Genauer gesagt können sie uns entweder zur Befreiung bringen oder zu beidem: zu Befreiung und Erleuchtung. In den Hinayana-Traditionen des Buddhismus gibt es diese weit reichenden Geisteshaltungen ebenfalls, aber dort werden sie mit dem Ziel geübt, Befreiung zu erreichen, und natürlich auf dem Weg dahin auch anderen zu helfen. Eindeutig zu Übungen des Mahayana werden diese Geisteshaltungen dann, wenn Bodhichitta die Motivation dafür ist. Wenn wir diese weit reichenden Geisteshaltungen im Rahmen des Mahayana üben, ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass sie fest und sicher auf dieser obersten Zielsetzung in unserem Leben beruhen, auf Bodhichitta: dem Bestreben, Erleuchtung zu erreichen und bereits auf dem Weg dahin anderen helfen zu können und im größtmöglichen Ausmaß dann, wenn wir schließlich Erleuchtung erreichen.
Shantideva weist auf einen wichtigen Punkt hin, wenn er sagt, dass die sechs weit reichenden Geisteshaltungen eben genau das sind: Geisteshaltungen, bestimmte Zustände des Geistes. Es sind nicht die tatsächlichen Handlungen, die darauf beruhen. In seinem Werk „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ schreibt er:
(V.9) Wenn die Vollkommenheit der Großzügigkeit die Armut der umherwandernden Wesen beseitigen würde, wie könnten die Beschützer aus vergangenen Zeiten sie vervollkommnet haben, da doch die umherwandernden Wesen bis zum heutigen Tag noch Hunger leiden.
(V.10) Von der Vollkommenheit der Großzügigkeit wird gesagt, sie (entspringe) einer Geisteshaltung, allen Wesen all das zu geben, was mir gehört, (und dies) zusammen mit den Früchten (einer solchen Geisteshaltung); daher handelt es sich bei (der Vollkommenheit der Großzügigkeit) um eine Geisteshaltung.
Da das Entscheidende die Geisteshaltung des Wünschens und der Bereitschaft ist, jedem alles zu geben, können wir diese weit reichende Geisteshaltung auch entwickeln, wenn wir nichts besitzen. Wir können uns z.B: vorstellen: „Mögen alle sich an diesem wunderschönen Sonnenuntergang erfreuen können“ oder was auch immer es ist, dessen wir uns gerade erfreuen. Wir können uns auch vorstellen, anderen das zukommen zu lassen, was sie brauchen, was immer dies sein mag. Doch wenn wir tatsächlich etwas haben, das wir anderen geben können, um ihnen zu helfen, reicht es nicht, dies nur zu visualisieren und sich vorzustellen, dass man es anderen gibt. In dem Fall ist es erforderlich, tatsächlich etwas zu geben.
Wenn wir anderen tatsächlich großzügig etwas geben, ist es wichtig, dies, wie Togme-Sangpo betont, zu tun, ohne etwas dafür zu erwarten. Es geht hier nicht um einen Handel. Wir tauschten nicht etwas gegen etwas anderes ein oder geben etwas, um etwas dafür zurückzubekommen. Das bezieht sich nicht nur auf etwaige Erwartungen, etwas Materielles dafür zu bekommen, sondern auch darauf, jemandem etwas zu geben, weil wir möchten, dass er uns mag, liebt oder dankt. Das Geben soll frei von Hoffnungen auf Gegengaben und sonstigen Erwartungen sein. Wenn unsere Hand unserem Mund Speisen zuführt, erwartet sie dann Dank oder Anerkennung oder irgendeine Gegengabe dafür? Wir geben einfach deshalb, weil jemand etwas braucht. Wenn wir die Möglichkeit haben, jemandem zu geben, was er braucht, und es keinen Schaden bewirken wird oder so etwas, dann geben wir es ihm. Es ist so ähnlich, als würden wir unabgewaschenes Geschirr im Waschbecken stehen sehen - es spielt keine Rolle, ob es unsere Teller oder die von jemand anderem sind, es ist nötig, sie abzuwaschen, und deshalb tun wir es.
Ebenso wenig soll das Geben mit Hoffnung auf karmische Ergebnisse verknüpft sein. Tatsächlich besteht das Ergebnis von Großzügigkeit darin, dass wir, insbesondere in zukünftigen Leben, reich sein werden. Doch wenn wir z.B. großzügige Spenden an Dharma Zentren geben und dergleichen, weil wir das als eine gute Investition ansehen und denken, dass sich das später gut rentieren wird und wir in zukünftigen Leben dadurch reich werden, so entspricht das ebenfalls nicht dem Sinn der Geisteshaltung, die hier gemeint ist. Außerdem ist es wichtig, dass wir nicht an den Dingen hängen, die wir weggeben, oder darauf bestehen, dass der Empfänger sie so verwendet, wie wir es gern hätten. Nachdem wir ein Geschenk gegeben haben, wem gehört es dann, der anderen Person oder uns?
Mit den Worten „Denn wenn diejenigen, die Erleuchtung wünschen, sogar den eigenen Körper hergeben müssen“ bezieht sich Togme-Sangpo auf Beispiele wie dasjenige von Buddha Shakyamuni, der in früheren Leben als weit fortgeschrittener Bodhisattva Teile seines Körpers hergab, um eine hungrige Tigerin damit zu füttern. Folglich heißt es hier „was braucht man da von äußerem Besitz überhaupt noch zu reden?“ Nicht nur die Anhaftung an unsere äußeren Besitztümer ist aufzugeben, sondern sogar die an den eigenen Körper, nämlich hier in dem Sinne, dass man ihn in den Dienst der anderen stellt.
Doch wenn wir noch kein fortgeschrittener Bodhisattva sind, gilt, wie es in den Lehren heißt: „Ein Fuchs setzt nicht mit einem Spring dorthin, wo ein Löwe hinspringen kann“. Das heißt: Wenn wir noch nicht so weit sind, dass wir unseren Körper oder unser Leben für andere hergeben können, sollten wir es nicht tun. So etwas zu versuchen, wenn wir noch nicht bereit dafür sind, wird unweigerlich dazu führen, dass ein sehr negativer Geisteszustand entsteht, und das ist keineswegs förderlich. Als Test, wie weit wir in puncto Großzügigkeit tatsächlich sind, ist es recht interessant, einmal auszuprobieren: Wie bereit sind wir, einer Mücke Nahrung zu gönnen, wenn sie sich auf unserem Arm niederlässt und uns sticht? Die meisten Menschen sind nicht bereit zuzulassen, dass die Mücke irgendetwas bekommt. Aber wie Seine Heiligkeit sagt: „Sie nimmt sich doch nur einen winzigen Tropfen Blut. Es ist gar nicht viel.“
Wenn wir bereit sind, etwas herzugeben, dass wir sowieso nicht mehr brauchen oder nicht besonders mögen oder etwas, das übrig geblieben ist – „Ich kann diese Kleider nicht mehr sehen, deshalb werden ich diese alten Klamotten irgendeinem armen Menschen schenken“ - dann ist das keine große Errungenschaft. Es geht um die Bereitschaft, anderen etwas zu geben, dass wir wirklich schätzen, z.B. unsere „kostbare Zeit“.
(26) Die Übung der Bodhisattvas ist, ethische Selbstdisziplin zu wahren, ohne weltliche Bestrebungen zu hegen. Denn wenn wir ohne ethische Selbstdisziplin nicht einmal unser eigenes Wohl verwirklichen können, ist es lachhaft, das Wohl der anderen bewirken zu wollen.
Die nächste weit reichende Geisteshaltung ist ethische Selbstdisziplin. Das ist ein Geisteszustand, der davon Abstand nimmt, schädlich zu handeln, sowie auch die geistige Stärke, etwas Konstruktives zu tun, um anderen zu helfen. Wichtig ist, diese Selbstdisziplin in einem weiteren Sinne zu verstehen – ähnlich wie wir auch unter Großzügigkeit nicht nur das Hergeben von materiellen Dingen verstehen, sondern auch, jemandem Hilfe, Zeit, Aufmerksamkeit und Liebe zu geben, ihnen die Lehren zugänglich zu machen usw.
Togme-Sangpo weist darauf hin, dass ethische Selbstdisziplin zu wahren – d.h. darauf zu achten und sicherzustellen, dass wir angemessen handeln - etwas ist, das es ohne weltliche Bestrebungen zu tun gilt. Was ist mit weltlichen Bestrebungen gemeint? Warum entwickeln wir Disziplin? Ein Athlet braucht Disziplin und ein Musiker auch; es gibt viele Arten von Disziplin, die man entwickeln kann. Aber was ist unsere Absicht, wenn wir Disziplin üben? Tun wir es lediglich für weltliche Zwecke, etwa um ein guter Athlet zu werden und eine Medaille zu gewinnen, oder um ein virtuoser Musiker zu werden? Was wir brauchen, ist ethische Selbstdisziplin, um Befreiung und Erleuchtung erreichen zu können, anderen helfen zu können, und zwar sowohl auf dem Weg dahin und noch viel mehr, sobald wir Erleuchtung erreicht haben.
Es gibt viele Arten, Selbstdisziplin zu entwickeln, die sehr weltlich geprägt sind, etwa wenn wir unseren Körper trainieren, um Muskeln aufzubauen. Viele Menschen trainieren regelmäßig, bloß um ein starkes Aussehen zu erlangen. Oder wir halten uns davon zurück, kalorienreiche Speisen oder bestimmte Speisen, die wir mögen, zu essen, weil wir Diät halten wollen, um attraktiver auszusehen. Das hat viel mit Eitelkeit zu tun. Das sind nicht die Arten von Selbstdisziplin, um die es hier geht. Deswegen habe ich hier in der Übersetzung des Begriffs die Spezifizierung „ethische“ Selbstdisziplin hinzugefügt; aber selbst ethische Selbstdisziplin kann mit weltlichen Absichten verbunden sein. Zum Beispiel: Wir wollen ein guter Praktizierender sein, wir wollen kein schlechter Buddhist sein, weil wir unserem Lehrer gefallen möchten. Das ist eine weltliche Absicht, nicht wahr? Erinnern Sie sich: Es ist notwendig, diese weit reichenden Geisteshaltungen mit Bodhichitta zu üben, und zwar nicht nur mit konventionellem Bodhichitta, sondern mit tiefstem Bodhichitta, dem Verständnis der Leerheit. Wir setzen Disziplin hier also nicht für eigene, selbstsüchtige Ziele ein.
Togme-Sangpos Worte „wenn wir ohne ethische Selbstdisziplin nicht einmal unser eigenes Wohl verwirklichen können“ beziehen sich auf die spirituellen Ziele anfänglichen und mittleren Ausmaßes. Für unser eigenes Wohl möchten wir eine bessere Wiedergeburt und insbesondere wieder ein kostbares menschliches Leben erlangen, und wir möchten Befreiung erlangen. Wenn schon diese Ziele nicht ohne ethische Selbstdisziplin erreichbar sind, wie können wir dann auch nur daran denken, ohne sie das Wohl der anderen bewirken zu wollen, indem wir Erleuchtung erreichen?!
(27) Die Übung der Bodhisattvas ist, sich Geduld anzugewöhnen, ohne irgendjemandem gegenüber Feindseligkeit zu hegen. Denn für einen Bodhisattva, der einen Reichtum positiver Kraft aufbauen will, sind alle, die Schaden anrichten, wie ein kostbarer Schatz.
Geduld ist ein Geisteszustand, in dem wir nicht ärgerlich auf jemanden werden, der uns schädigt, uns nicht über all die Schwierigkeiten aufregen, die wir durchmachen müssen, um Erleuchtung zu erreichen, und nicht all der Mühen überdrüssig werden, die damit verbunden sind, anderen zu helfen. Anderen zu helfen ist nicht so einfach; deswegen ist es nötig, sich Geduld zu Gewohnheit zu machen. „Sich etwas zur Gewohnheit machen“ ist etwas, das in der Bedeutung des Wortes „meditieren“ enthalten ist. Aber es ist wichtig zu verstehen, dass die Bedeutung sich darauf bezieht, eine förderliche Gewohnheit zu entwickeln. Das heißt hier: Es ist nötig, Geduld zu entwickeln, indem wir sie immer wieder üben. Wir entwickeln die Gewohnheit der Geduld, indem wir keine Feindseligkeit oder Abneigung gegenüber irgendjemandem hegen. Wie schwierig es auch sein mag, ihm oder ihr zu helfen, wie schädlich er oder sie sich auch uns gegenüber verhalten mag, wir verzichten darauf, ärgerlich zu werden.
Wie Seine Heiligkeit der Dalai Lama erklärt, sind Geduld und Toleranz kein Zeichen von Schwäche, sondern in Wirklichkeit ein Zeichen unglaublicher Stärke. Geduld zu haben heißt nicht, zuzulassen, dass andere schädlich handeln oder uns schikanieren, und nichts dagegen zu tun. Es bedeutet vielmehr, dass wir die Person und ihre Handlungen unterscheiden und nicht ärgerlich auf die Person werden. Wie Shantideva schreibt: Wenn eine schwierige Situation auftritt, in der wir etwas tun können, um sie zu ändern, warum sollten wir dann ärgerlich werden? Wir ändern sie eben. Man tut es einfach. Und wenn eine Situation auftritt, in der es nichts gibt, was wir tun können, warum sollten wir dann ärgerlich werden? Das wird auch nicht helfen.
Geduld zu haben ist, wie Togme-Sangpo erwähnt, eine großartige Ursache für den Aufbau eines enormen Ausmaßes an positiver Kraft. Er schreibt: „Für einen Bodhisattva, der einen Reichtum an positiver Kraft aufbauen will“ – normalerweise wird das als „Verdienst“ übersetzt – „sind alle, die Schaden anrichten, wie ein kostbarer Schatz.“ Wieso? Nun, wie könnten wir Geduld entwickeln, wenn es keine Leute gäbe, die schwierig sind und uns auf die Nerven gehen? Ähnliche Gedankengänge finden wir auch in anderen Texten zur Schulung der Geisteshaltung. Diejenigen Wesen, mit denen wir Geduld üben können, sind sehr wertvoll, denn dadurch können wir einen Reichtum an positiver Kraft gewinnen, mit der wir dann Erleuchtung erreichen können.
(28) Die Übung der Bodhisattvas ist, freudige Ausdauer aufzubringen - die Quelle von guten Qualitäten zum Nutzen der umherwandernden Wesen, denn wir sehen, dass selbst Shravakas und Pratyekabuddhas, die lediglich ihr eigenes Wohl verwirklichen, eine solche Ausdauer haben, dass sie sich sogar von einem Feuer abwenden würden, das über ihrem Kopf ausbricht.
Freudige Ausdauer ist die vierte weit reichende Geisteshaltung. Das Sanskrit-Wort für diese Geisteshaltung, „virya“, ist verwandt mit dem Sanskrit-Wort „vira“, „Held“, dem lateinischen Wort „vir“, das „Mann“ bedeutet, und dem englischen Wort „virile“, „männlich“. Die Bedeutung hat also etwas mit heroischem Mut und der Tatkraft zu tun, sich energisch für etwas einzusetzen und entschlossen ein Ziel zu erreichen, das nicht einfach zu bewerkstelligen ist. Mit einer solchen Geisteshaltung können wir allerhand aushalten und machen mit unseren spirituellen Vorhaben immer weiter, ganz gleich, wie schwierig sie auszuführen sind, ohne uns je entmutigen zu lassen, ohne träge zu werden, ohne das Gefühl, ihnen nicht gewachsen zu sein, wie etwa in dem Gedanken „Ich kann das nicht“, und ohne etwas aufzuschieben. Wir haben Freude an dem, was wir tun, insbesondere daran, konstruktive Aktivitäten beharrlich weiterzuverfolgen. Das ist eine Quelle von guten Qualitäten, mit anderen Worten: dafür, Erleuchtung zu erreichen, um anderen besser von Nutzen sein zu können.
Wenn schon die Praktizierenden der Hinayana-Tradition, die Shravakas und Pratyekabuddhas, die nur um ihrer selbst willen nach Befreiung streben, heroischen Mut, Ausdauer und Anstrengungen aufbringen, um ihr Ziel zu erreichen, dann brauchen wir, um als Bodhisattvas zum Wohle aller zu wirken, noch erheblich mehr davon. Shravakas sind Praktizierende, die die Möglichkeit haben, Buddhas Lehren zu hören; während Pratyekabuddhas in dunklen Zeitaltern, in denen Buddhas Lehren unbekannt sind, allein auf der Grundlage ihrer inneren Eindrücke [aus früheren Leben] praktizieren. Die Analogie, die in diesem Vers genannt wird, ist aus früheren Texten übernommen und bezieht sich auf die Art von Ausdauer und Mut, die diese Shravakas und Pratyekabuddhas haben, nämlich so stark ausgeprägt, dass sie ihre Meditation, oder welche spirituelle Praxis auch immer sie ausüben, fortsetzen, selbst wenn ein Feuer über ihrem Kopf ausbricht. Sie würden nicht aus der Fassung geraten und ihre spirituelle Übung unterbrechen, um es zu löschen, sondern sich davon abwenden und ihre Meditationsübung fortsetzen. Wenn schon sie eine solch heroische Ausdauer haben, dass sie sich nicht einmal von den eigenen weltlichen Belangen ablenken lassen, ist für Bodhisattvas ein noch viel größeres Ausmaß davon vonnöten.
„Sich von einem Feuer abwenden, das über dem eigenen Kopf ausbricht“ ist eigentlich eine Metapher, die sich auf Entsagung bezieht. Sie entsagen den weltlichen Sorgen hinsichtlich des Feuers über ihrem Kopf. Der Ausdruck lautet wörtlich: „sich davon abwenden“. Einige Leute interpretieren das natürlich im Sinne von „das Feuer abwenden“ bzw. „das Feuer löschen“, aber das ist eigentlich nicht die Bedeutung. Die Bedeutung ist Entsagung.
(29) Die Übung der Bodhisattvas ist, sich geistige Stabilität zu eigen zu machen, die rein über die vier formlosen (Vertiefungen der Meditation) hinausreicht, denn wir wissen, dass ein Geisteszustand von außergewöhnlicher Wahrnehmungsfähigkeit, verbunden mit einem Zustand, der still geworden und zur Ruhe gekommen ist, die störenden Emotionen und Geisteshaltungen ganz und gar überwinden kann.
Dieser Vers enthält viele Fachbegriffe und Spezialausdrücke. Er bezieht sich auf die weit reichende Geisteshaltung geistiger Stabilität, manchmal auch „Konzentration“ genannt – aber der Begriff bedeutet nicht einfach gewöhnliche Konzentration. Es handelt sich um einen stabilen Geisteszustand, der nicht von geistiger Flatterhaftigkeit, geistigem Abschweifen, Ablenkung oder geistiger Trägheit beeinträchtigt ist. Er wird auch nicht von störenden Emotionen bewegt oder aufgewühlt, ist also völlig stabil. Das ist die eigentliche Bedeutung dieses Ausdrucks.
Mit einer solchen geistigen Stabilität können wir natürlich fast alles bewerkstelligen, nicht wahr? Wir wollen eine Art von geistiger Stabilität erreichen, die über die vier formlosen (Vertiefungen der Meditation) völlig hinausreicht. Die vier formlosen Versenkungen sind sehr tiefe meditative Trancezustände, die, wenn wir daran hängen, zur Wiedergeburt in den vier Bereichen der Ebene formloser Wesen führen würde, im so genannten formlosen Bereich. Die geistige Stabilität, um die es hier geht, ragt darüber weit hinaus. Das Wort „rein“ ist hier in dem Sinne gemeint, dass die vier formlosen Versenkungen den Makel mangelnden Gewahrseins bzw. der Unwissenheit aufweisen und als davon verunreinigt gelten. Was wir erreichen wollen, ist eine Art von geistiger Stabilität, die rein davon ist, die darüber hinausgeht, die nicht mit mangelndem Gewahrsein oder Verwirrung einhergeht.
Worauf wollen wir diese geistige Stabilität richten können? Was für einen Geisteszustand wollen wir erreichen, der mit dieser geistigen Stabilität versehen ist? Es handelt sich um einen Geisteszustand, der eine Kombination bzw. der vereinigte Zustand von Shamatha und Vipashyana ist, um die Sanskrit-Ausdrücke zu verwenden. Shamatha ist ein Zustand, der still geworden und zur Ruhe gekommen ist, und Vipashyana ist ein Geisteszustand von außergewöhnlicher Wahrnehmungsfähigkeit. Was ist nun ein völlig still gewordener und zur Ruhe gekommener Geisteszustand? In ihm ist alles geistige Abschweifen, jegliche Flatterhaftigkeit des Geistes still geworden, geistige Trägheit hat aufgehört, und er ist ruhig und beständig in voller Konzentration einzig auf ein bestimmtes konstruktives Objekt gerichtet. Er ist mit einem Gefühl von Leistungsfähigkeit verbunden, einem sehr erhebenden physischen und geistigen Zustand, in dem der Geist sich auf alles konzentrieren und dabei bleiben kann, solange man wünscht.
Mein Lehrer Serkong Rinpoche pflegte zu sagen, es sei, als habe man einen riesigen Jumbo Jet zur Verfügung. Wenn man ihn am Boden abstellt, so bleibt er dort, aber wenn er sich in die Lüfte erhebt, fliegt er einfach. So ähnlich ist das Gefühl der Leistungsfähigkeit, dass der Geist sich auf alles konzentrieren und alles tun kann, für das wir ihn verwenden möchten, und stabil dabei bleiben kann. Es ist vergleichbar mit dem Gefühl von Leistungsfähigkeit, dass ein gut trainierter Athlet hat. Sein Körper ist so fit, dass es sich anfühlt, als könne er alles schaffen und einfach immer weiterlaufen.
Auf dieser Grundlage kann man die Meditation fortsetzen und mit Vipashyana verbinden, einem Zustand außergewöhnlicher Wahrnehmungsfähigkeit. Das ist ein Geisteszustand, der die Charakteristika von Shamatha bereits hat. Er ist bereits still geworden und zur Ruhe gekommen, imstande, sich auf alles zu konzentrieren, und zu dem bereits erwähnten Gefühl der Leistungsfähigkeit ist noch das Gefühl hinzugekommen, dass er alles erkennen und verstehen kann - nicht nur die Leerheit, sondern alles. Er ist vollständig einsatzfähig und kann alles in allen Einzelheiten und in aller Tiefgründigkeit verstehen. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass man nur mit diesem außergewöhnlich wahrnehmungsfähigen Geisteszustand von Vipashyana, wie Togme Sangpo sagt, die störenden Emotionen und Geisteshaltungen ganz und gar überwinden kann. Wenn wir das verstehen, werden wir uns bemühen, geistige Stabilität in Verbindung mit diesem Zustand zu entwickeln, in dem Shamatha undVipashyana vereinigt sind. Dann wird er über die vier formlosen Versenkungen hinausgehen, die uns bloß weiterhin in Samsara gefangen halten würden.
(30) Die Übung der Bodhisattvas ist, das unterscheidende Gewahrsein zu kultivieren, das mit wirksamen Methoden verbunden ist und keine Vorstellungen [wahrhafter Existenz] der drei Sphären hegt, denn ohne das unterscheidende Gewahrsein können die fünf [anderen] weitreichenden Geisteshaltungen nicht zur Verwirklichung vollkommener Erleuchtung führen.
Der Begriff, der hier als „unterscheidendes Gewahrsein“ wiedergegeben ist, wird normalerweise als „Weisheit“ übersetzt, aber ich finde dieses Wort viel zu ungenau und unklar. Es geht hier darum, unterscheiden zu können, wie die Dinge wirklich existieren und wie nicht.
Wir brauchen ein unterscheidendes Gewahrsein, das mit wirksamen Methoden verbunden ist. Das Wort „Methoden“ bezieht sich hier auf Bodhichitta, und Bodhichitta beruht auf Liebe und Mitgefühl. Unterscheidendes Gewahrsein der Leerheit kann uns Befreiung bringen. Es kann die emotionalen Schleier beseitigen, welche Befreiung verhindern, nämlich mangelndes Gewahrsein (Unwissenheit), die störenden Emotionen und die Tendenzen zu beiden. Aber nur wenn es mit Bodhichitta verbunden ist, hat es genügend Kraft, um auch die zweite Art von Schleiern zu durchbrechen: die kognitiven Schleier, die Erleuchtung und Allwissenheit verhindern, nämlich die ständigen Gewohnheiten, nach wahrhaft erwiesener Existenz zu greifen, die bewirken, dass der Geist Erscheinungen wahrhaft erwiesener Existenz hervorbringt. Bodhichitta zusammen mit Liebe und Mitgefühl sind die Methoden, die hier gemeint sind.
Dieses unterscheidende Gewahrsein muss frei von Vorstellungen [wahrhafter Existenz] der drei Sphären sein. Der Ausdruck „die drei Sphären“ bezieht sich auf die Personen, die meditiert, das, worüber man meditiert, und die Meditation selbst; die Vorstellungen, die hier gemeint sind, sind diejenigen von wahrhaft begründeter Existenz. Wir möchten uns von der Vorstellung wahrhaft begründeter Existenz der drei Sphären befreien, und überdies möchten wir, dass dieses ganze Verständnis frei von begrifflichen Vorstellungen ist. Wenn wir etwas begrifflich wahrnehmen, projiziert unser Geist darauf die Erscheinung wahrhaft begründeter Existenz, und solange wir noch nicht Befreiung erlangt haben, glauben wir, dass diese Erscheinung dem entspricht, wie die Dinge existieren. Mit anderen Worten: Wir greifen nach wahrhaft begründeter Existenz. Es ist also wirklich in vielerlei Hinsicht notwendig, eine unbegriffliche Wahrnehmung der Leerheit zu erlangen.
Warum müssen wir dieses weit reichende unterscheidende Gewahrsein entwickeln? Togme-Sangpo sagt: „denn ohne das unterscheidende Gewahrsein können die fünf [anderen] weitreichenden Geisteshaltungen nicht zur Verwirklichung vollkommener Erleuchtung führen“. Selbst mit konventionellem Bodhichitta, dem Wunsch, Erleuchtung zum Wohle aller zu erreichen, reicht es nicht aus, sich nur in den ersten fünf weit reichenden Geisteshaltungen zu üben. Sie alle müssen mit dem weit reichenden unterscheidenden Gewahrsein der Leerheit einhergehen.
Von Bedeutung ist hier auch, dass wir dieses unterscheidende Gewahrsein in Bezug auf „die drei Sphären“ haben, und nicht nur in Bezug auf die Person, „mich“. Gemäß der Hinayana-Tradition ist es lediglich erforderlich zu verstehen, dass eine Person – „ich“ - nicht auf unmögliche Weise, etwa mit einer unmöglichen Seele, existiert. Gemäß der Philosophie des Mahayana reicht das Gewahrsein der Leerheit des „Ich“ nicht, um Erleuchtung zu erreichen. Dafür brauchen wir das unterscheidende Gewahrsein der Leerheit sämtlicher Phänomene, also der Leerheit, die sich nicht nur auf „mich“, die meditierende Person, sondern auch auf das, worüber man meditiert, und auf die Handlung der Meditation selbst. Gemäß der Prasangika- Philosophie, wie sie in der Gelug-Tradition dargelegt wird, brauchen wir dieses unterscheidende Gewahrsein der Leerheit der drei Sphären sogar schon, um Befreiung zu erlangen.
Die tägliche Übung eines Bodhisattvas
Die nächsten Verse befassen sich mit der täglichen Übung des Bodhisattvas.
(31) Die Übung der Bodhisattvas ist, fortwährend unsere Selbsttäuschungen zu untersuchen, denn wenn wir nicht selbst überprüfen, wo und wie wir uns täuschen, kann es passieren, dass wir etwas tun, das [zwar die äußeren] Form von Dharma hat, aber nicht Dharma ist.
Wie auch in der Schulung der Geisteshaltung in sieben Punkten gesagt wird, ist es nötig, dass wir den Spiegel des Dharma nach innen richten, nicht nach außen. Es ist wichtig, dass wir uns selbst überprüfen, ob wir den Dharma tatsächlich richtig praktizieren, und nicht den Spiegel nur nach außen richten, um zu sehen, ob die anderen unserer Meinung nach richtig praktizieren.
In demselben Text heißt es auch, dass wir uns selbst als den wesentlichen Zeugen befragen sollen, ob unsere Übung rein ist. Nur wir selbst können unsere eigentliche Motivation am besten beurteilen und einschätzen, was wirklich in unserem Geist vorgeht. Es kann leicht passieren, dass man sich Selbsttäuschungen hingibt und sich etwas vormacht mit Gedanken wie: „Ich folge dem buddhistischen Pfad“ oder „Ich habe die Selbstsucht überwunden“ und dergleichen mehr. Aber wir müssen das sorgfältig überprüfen, wie Togme-Sangpo betont, und uns diesbezüglich von Täuschungen befreien.
Denn wenn wir [dies] nicht selbst überprüfen, kann es passieren, dass wir nur der äußeren Form nach dem Dharma folgen. Es kann zum Beispiel sein, dass wir der äußeren Form nach jede Menge Niederwerfungen machen, dass dies jedoch innerlich gar kein Dharma ist. Wir könnten dann genauso gut 100.000 Liegestütze machen. Oftmals meditieren wir oder führen bestimmte Dharma-Praktiken aus, aber nicht, weil wir mit dem Herzen dabei sind, sondern weil wir Schuldgefühle hätten, wenn wir es nicht tun würden. Das ist ein gutes Beispiel dafür, der Form nach dem Dharma zu folgen, aber eigentlich etwas zu tun, das nicht Dharma ist.
(32) Die Übung der Bodhisattvas ist, nicht über die Fehler von jemandem zu reden, der sich auf den Mahayana-Pfad begeben hat, denn wenn wir unter dem Einfluss störender Emotionen und Geisteshaltungen über die Fehler von anderen reden, die Bodhisattvas sind, mindern wir nur uns selbst herab.
Jemand, der den Mahayana-Pfad eingeschlagen hat, ist jemand, der tatsächlich den Pfad der Bodhisattvas übt. Jemanden zu bemängeln, der eigentlich ein Bodhisattva ist, ist ein Geisteszustand, in dem wir Bodhichitta und Bodhisattva-Verhalten herabsetzen und bemängeln. Das bewirkt, dass unser eigenes Bodhisattva-Verhalten sich verschlechtert, weil wir eine negative Haltung gegenüber dem Verhalten von Bodhisattvas einnehmen.
Bemerkenswert ist, dass Togme-Sangpo sich explizit auf den Fall bezieht, dass wir unter dem Einfluss störender Emotionen und Geisteshaltungen über die Fehler von anderen reden, die Bodhisattvas sind. Dass er diesen Punkt extra erwähnt, ist bedeutsam. Es mag Bodhisattvas geben, die in ihren Methoden nicht sonderlich geschickt sind, was in gewisser Weise ein Fehler ist, und wir können natürlich diesbezüglich konstruktive Kritik üben und Vorschläge machen, wie man geschickter vorgehen könnte. Aber das ist etwas ganz anderes als aufgrund eigener störender Emotionen und Geisteshaltungen an anderen herumzukritisieren.
Was diese störenden Emotionen betrifft, so kann es z.B. sein, dass wir jemanden kritisieren, weil wir neidisch darauf sind, was er oder sie tut, oder nur uns selbst zum Maß aller Dinge machen, etwa wenn wir das, was jemand tut, missbilligen, weil wir es anders machen würden. Es könnte sich auch um Arroganz handeln, im Sinne von: „Ich könnte das viel besser als der dort“. Oder es könnte Naivität sein, indem wir die Methode und die weit reichende Absicht des Bodhisattvas einfach nicht verstehen und unsere Denkweise sehr begrenzt ist. Es könnten auch Anhaftung und Ärger beteiligt sein, z.B. mit dem Gedanken: „Eigentlich wollte ich das machen, und jetzt ist mir dieser Bodhisattva zuvorgekommen“, und uns deshalb über ihn ärgern. Auf solche Zusammenhänge bezieht sich Togme-Sangpos Aussage: „Wenn wir unter dem Einfluss störender Emotionen und Geisteshaltungen über die Fehler von anderen reden, die Bodhisattvas sind, mindern wir nur uns selbst herab.“
Das heißt nicht, dass wir jemandem gegenüber, der als Bodhisattva versucht, anderen zu helfen, nicht konstruktive Vorschläge machen könnten, wenn wir meinen, er könnte vielleicht noch etwas anderes tun. Natürlich gilt allgemein, dass es nicht hilfreich ist, destruktive Kritik zu üben und nur von den Fehlern anderer Menschen zu sprechen. Aber dieser Abschnitt könnte in dem Sinne missverstanden werden, dass wir niemals versuchen sollten, jemanden zu korrigieren oder jemandem zu helfen, wenn er einen Fehler macht. Worauf es ankommt, ist: Wenn wir kritische Anmerkungen machen, ist es wichtig, dies mit großem Respekt zu tun und mit der Motivation, die andere Person dabei zu unterstützen, anderen noch mehr zu helfen. Dafür ist Demut erforderlich, nicht Arroganz. Außerdem ist zu beachten, dass wir unsere Vorschläge zu einem passenden Zeitpunkt und in einer angemessenen Situation vorbringen; sonst könnte es möglicherweise andere, die zuhören, verwirren.
(33) Die Übung der Bodhisattvas ist, sich von der Anhaftung an das häusliche Leben von Verwandten, Freunden und an die Wohnstätten von Mäzenen zu befreien, denn wenn wir unter dem Einfluss [des Begehrens nach] Gewinn und Ansehen stehen, werden wir miteinander streiten und unsere Aktivitäten des Zuhörens, Nachdenkens und Meditierens werden nachlassen.
Vielleicht fällt uns auf, dass dies der dritte Vers ist, in dem Togme-Sangpo über ein ganz ähnliches Thema spricht. Wenn wir uns im Haus von Verwandten und Freunden oder Mäzenen aufhalten, mit anderen Worten, im Haus von Personen, die uns finanziell unterstützen usw., kann es sehr schwierig werden, wenn wir eine Menge störender Emotionen haben. Hier bezieht sich Togme-Sangpo speziell auf die störende Emotion, auf irgendeinen Gewinn aus zu sein oder großes Begehren danach zu haben, in diesem Fall z.B. danach, Geld oder Respekt von einem Mäzen zu erhalten.
Wenn wir beispielsweise dem Bodhisattva-Pfad folgen, während wir mit unserer Familie zusammenleben, und unsere Angehörigen keine Achtung davor haben, was wir tun oder es sogar missbilligen, aber wir daran hängen, Anerkennung von ihnen zu bekommen - was wird dann passieren? Wie Toge-Sangpo sagt: Wir werden miteinander streiten und unsere Aktivitäten des Zuhörens, Nachdenkens und Meditierens werden nachlassen. Weil uns so an ihrer Anerkennung liegt, werden wir sehr angespannt sein und uns leicht aufregen.
Ra Lotsawa, ein berühmter tibetischer Übersetzer, sagte einst: „Die Art von Dharma-Praxis, in der ich mich übe, ist etwas, das mein Lehrer mir geraten und aufgetragen hat, und deshalb kümmert es mich nicht, wenn niemand mich mag wegen dem, was ich tue.“ Anders ausgedrückt: Wir üben unsere Dharma-Praxis nicht aus, um dafür Anerkennung von anderen Leuten zu bekommen. Wenn wir wissen, dass wir entsprechend den Anleitungen eines vollkommen qualifizierten Lehrers dem buddhistischen Weg folgen, spielt solche Anerkennung keine Rolle. Wir brauchen niemandes Zustimmung dazu. Vielmehr ist es wichtig, nicht an so etwas zu hängen.
Von Geshe Pen Kungyal wird Folgendes berichtet: Er meditierte hoch in den Bergen in einer Höhle, und sein Mäzen hatte angekündigt, ihn zu besuchen. Also richtete er seinen Altar sehr schön her, säuberte seinen Meditationsraum und sorgte dafür, dass er selbst sauber und ordentlich aussah, damit der Mäzen einen guten Eindruck bekommen und seine Unterstützung aufrechterhalten würde. Dann merkte er, dass das, was er da tat, mit weltlichen Interessen vermischt war, nämlich im Hinblick darauf, dass er Ruhm und Respekt erlangte, und so nahm er eine Handvoll Asche und streute sie quer über alle seine Gaben auf dem Altar. Ein anderer großer Meister, der in etlicher Entfernung lebte und dies mithilfe seiner außersinnlichen Wahrnehmungskräfte sah, sagte daraufhin: „Geshe Pen Kungyal hat gerade die reinste Gabe in ganz Tibet dargebracht.“ Diese Geschichte bringt einen ähnlichen Punkt zum Ausdruck wie das, was in diesem Vers hier gemeint ist.
(34) Die Übung der Bodhisattvas ist, barsches Reden aufzugeben, das den Geist anderer verstört, denn grobe Worte wühlen andere auf und bewirken, dass unser Bodhisattva-Verhalten sich verschlechtert.
Wenn wir Leute anschreien oder mit Schimpfworten benennen usw., ist das natürlich unangenehm für die anderen. So etwas gefällt niemandem und es wühlt ihren Geist auf. Wenn wir als Bodhisattva versuchen, andere glücklich zu machen und ihnen zu innerem Frieden zu verhelfen, handeln wir natürlich genau gegenteilig, wenn wir ihren Geist mit barschen Worten verstören; somit wird dadurch unser Bodhisattva-Verhalten verschlechtert.
Wenn hier von barschen Worten die Rede ist, so ist damit immer eine Redeweise mit boshafter Absicht gemeint, nämlich dass wir andere mit diesen Worten verletzen wollen. Manchmal ist es natürlich erforderlich, in lautem und energischem Tonfall zu sprechen. Wenn z.B. ein Kind dabei ist, auf die Straße zu laufen, auf der reger Verkehr herrscht, und wir das Kind nicht mehr mit der Hand zurückhalten können, müssen wir versuchen, es durch lautes Rufen aufzuhalten.
Manchmal ist es vonnöten, sehr nachdrücklich mit jemandem zu sprechen, um ihm nutzen zu können. Mein eigener Lehrer, Serkong Rinpoche, sagte immer „Trottel“ oder „Dummkopf“ zu mir. Als er mich als einen persönlichen Schüler annahm, hatte ich ihn gebeten: „Bitte bringen Sie mir, der so ein Esel ist, bei, geschickter darin zu werden, anderen zu helfen.“ Das war meine Bitte an ihn gewesen. Als ich jünger war, war ich sehr arrogant, mit meinem Universitäts-Hintergrund von Harvard usw. Serkong Rinpoche nahm meine Bitte sehr ernst und ließ keine Gelegenheit aus, mich darauf hinzuweisen, wenn ich mich wie ein Dummkopf benahm, und das war ziemlich oft. Er hielt sich auch nie zurück, das sogar in großen Gruppen von Menschen zu sagen, wenn ich übersetzte und Fehler machte. Obwohl man diese Redeweise, mich als „Trottel“ oder „Dummkopf“ zu bezeichnen, als barsch betrachten könnte, tat er das sehr liebevoll und mitfühlend, um mir zu nützen, und ich habe mich nie darüber geärgert.
Sein Verhalten war etwas ganz anderes als die Situation, die hier im Vers angesprochen wird, nämlich von barschem Reden, das den Geist anderer verstört, da dies mit der Absicht geschieht, die Gefühle der anderen Person zu verletzen.
(35) Die Übung der Bodhisattvas ist, dafür zu sorgen, dass die Wächter der Wachsamkeit und Vergegenwärtigung kraftvolle Abwehrmittel ergreifen und störende Emotionen und Geisteshaltungen wie Anhaftung usw. augenblicklich vertreiben, sobald sie erstmals aufgetreten sind. Denn wenn wir uns an die störenden Emotionen und Geisteshaltungen gewöhnen, wird es schwer sein, sie durch Gegenmittel abzuwenden.
Dieser Vers steht ganz in Übereinstimmung mit Shantidevas Lehren. Normalerweise werden Vergegenwärtigung und Wachsamkeit als geistige Faktoren genannt, die bei der Entwicklung von Konzentration zum Einsatz kommen, aber Shantideva erklärt sie im Zusammenhang mit der Entwicklung ethischer Selbstdisziplin. Er führt sie in seinem Kapitel über dieses Thema auf, und auch hier finden wir wiederum das Bild einer Streitmacht im Kampf. Im Grunde tragen wir einen Kampf gegen die störenden Emotionen und Geisteshaltungen aus, welche uns veranlassen, destruktiv zu handeln. Ärger und Anhaftung bewirken, dass wir sehr schädlich handeln, und deswegen wird geraten, als Streitkräfte bzw. Wächter Vergegenwärtigung und Achtsamkeit einzusetzen.
Vergegenwärtigung ist der geistige Klebstoff, der an unserer Disziplin festhält und nicht von ihr ab lässt. Wachsamkeit ist der geistige Faktor, der die Vergegenwärtigung beobachtet, um sicherzustellen, dass das Erfassen des Objekts nicht verlorengeht, der Griff auf das Objekt aber auch nicht zu fest ist. Diese beiden Geistesfaktoren halten kraftvolle Gegenmittel bereit. Allgemein kann man ethische Disziplin als Gegenmittel betrachten, aber es gibt auch noch andere Gegenmittel. Dem Ärger entgegengesetzt ist Liebe; oder wenn man übermäßig an einem attraktiven Körper hängt, kann man, um dem entgegenzuwirken, an die Unreinheit des Körpers und an die Substanzen denken, die sich im Magen und in den Eingeweiden befinden. Die Achtsamkeit wirkt wie ein Alarmsystem, das anschlägt, wenn die Aufrechterhaltung der Vergegenwärtigung fehlerhaft ist. Dann kommt Aufmerksamkeit ins Spiel und stellt die Vergegenwärtigung wieder her. Es ist die Aufmerksamkeit, die eine förderlichere Art, jemanden zu betrachten, wiederherstellt. Wir richten nämlich die Aufmerksamkeit auf verschiedene Weise auf das Objekt. Das heißt, statt die Aufmerksamkeit mit Ärger darauf zu richten, können wir sie mit Liebe darauf richten
Wir versuchen zu erkennen, wann unsere Aufrechterhaltung ethischer Disziplin und positiver Geisteszustände nachlässt. Wir wollen es korrigieren, sobald sich störende Emotionen und Geisteshaltungen in unseren Geisteszustand einschleichen und ihn uns rauben wollen, wie Shantideva es ausdrückt. Wir versuchen das so rasch wie möglich zu korrigieren, denn, wie Togme-Sangpo hervorhebt, wenn wir uns an die störenden Emotionen und Geisteshaltungen gewöhnen, wenn wir ihnen freien Lauf lassen, und zulassen, dass sie die Herrschaft über unseren Geisteszustand übernehmen, und nichts dagegen unternehmen, werden wir uns daran gewöhnen, einfach mit diesen störenden Emotionen auf die ihnen entsprechende destruktive Weise zu denken. Dann wird es wirklich schwer sein, sie durch Gegenmittel abzuwenden bzw. sie zum Aufhören zu bringen. Deshalb ist es wichtig, dass wir unseren Geist erwischen, sobald er von der ethischen Disziplin abweicht. Dann ist es sehr viel leichter, ihn zu korrigieren.
Das ist so ähnlich wie beim Erlernen einer Sprache: Es kann passieren, dass wir anfangs nicht lernen, wie man die Wörter richtig ausspricht. Das passiert z.B. oft, wenn Leute Tibetisch lernen, und so gewöhnen sie sich eine völlig falsche Aussprache an. Wenn das zu einer starken Gewohnheit wird, ist es sehr schwierig, so etwas zu korrigieren. Korrigiert man es aber gleich am Anfang, wenn man mit der Aussprache gerade erst beginnt, dann wird man erheblich besser imstande sein, die Wörter richtig auszusprechen.
Vers 36 ist eine Zusammenfassung dessen, was wir brauchen, um dem Bodhisattva-Pfad zu folgen. Togme-Sangpo schreibt:
(36) Kurz gesagt: Die Übung der Bodhisattvas ist, das Wohl der anderen zu bewirken, indem wir stets Vergegenwärtigung und Wachsamkeit aufrechterhalten und, wo immer wir sind und wie wir uns auch verhalten, uns fragen: In welcher Verfassung ist mein Geist?
Dies gleicht, in komprimierter Form, den Ratschlägen, die Shantideva gibt. Auf welche Weise arbeiten wir daran, das Wohl der anderen zu bewirken bzw. ihnen von Nutzen zu sein? Wir brauchen ständige Vergegenwärtigung und Wachsamkeit. Vergegenwärtigung erhält Disziplin, Liebe, Mitgefühl und Bodhichitta aufrecht. Wachsamkeit, das Alarmsystem, ist dazu da, dass wir korrigierend eingreifen können, wenn die Aufrechterhaltung der ethischen Disziplin, Liebe usw. verlorenzugehen droht oder nachlässt.
Auf diese Weise können wir, wo immer wir sind und was auch immer wir tun, überprüfen, was in unserem Geist vor sich geht. Atisha, ein großer Meister, der vor Togme-Sangpo lebte, schrieb in der letzten Zeile seines Textes „Ein Juwelenkranz des Bodhisattvas“:
28) Ich will immer wieder meine Sprache prüfen, wenn ich inmitten vieler bin, und wieder und wieder meine Geisteszustände, wenn ich alleine bin.
Das ist eine ganz ähnliche Aussage.
(37) Die Übung der Bodhisattvas ist, mit dem unterscheidenden Gewahrsein, dass die drei Sphären völlig rein sind, die förderlichen Kräfte, die durch Bemühungen wie diese entstanden sind, der Erleuchtung zu widmen, um die Leiden der zahllosen umherwandernden Wesen zu beseitigen.
Dieser Vers beinhaltet die Widmung. Wenn wir eine Widmung jeglicher konstruktiven bzw. positiven Kraft vornehmen, die aus unserem Bodhisattva-Verhalten entstanden ist, ist es wichtig, dies mit dem unterscheidenden Gewahrsein der Leerheit zu tun. Das wird hier mit den Worten „Gewahrsein, dass die drei Sphären völlig rein sind“ ausgedrückt. Mit anderen Worten: Es geht dabei um die Leerheit desjenigen, der diese positive Kraft aufbaut, sowie auch der Handlung, durch die sie aufgebaut wurde, und der positiven Kraft selbst.
Togme-Sangpo schreibt „der Erleuchtung zu widmen“, und das bedeutet, all das zu widmen, um die Leiden der zahllosen umherwandernden Wesen zu beseitigen. Die beste Art, eine Widmung vorzunehmen, wird sehr gut im letzten Kapitel von Shantidevas Werk „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ aufgezeigt. Er formuliert sie nie mit den Worten „Möge ich Erleuchtung erreichen können, damit ich das Leiden aller Lebewesen beseitigen kann.“ Er nimmt die Widmung nie für sich selbst vor. Der Schwerpunkt liegt nicht auf „ich“, wie etwa in der Formulierung „Möge ich Erleuchtung erreichen“ usw.; das wäre eine Widmung, die mit dem Greifen nach einem „Ich“ verbunden ist, nicht wahr?
In seinem Widmungs-Kapitel schreibt Shantideva einfach: „Mögen alle Erleuchtung erreichen“ und „Möge das Leiden aller beseitigt werden“, „Möge dies zur Ursache dafür werden, dass alle Erleuchtung erreichen, sodass nie wieder jemand die Leiden schlimmer Zustände von Wiedergeburt erleben muss“ usw. Das hat nichts mit einem persönlichen „Ich“ zu tun, dem großen Bodhisattva, der zu einem großartigen Buddha wird, der allen helfen wird.
Auf ähnliche Weise fügen wir die positive Kraft, die wir aufgebaut haben, und sei sie auch nur gering, diese riesigen Menge an positiver Kraft hinzu, die sämtliche Bodhisattvas der Erleuchtung aller gewidmet haben. Es ist nicht so, dass sie die entstandene Kraft ihrer eigenen Erleuchtung gewidmet haben, sondern sie widmeten sie der Erleuchtung aller. Wenn wir unser kleines Ausmaß an positiver Kraft dem großen Vorrat an positiver Kraft, die zur Erleuchtung aller wirkt, hinzufügen, indem wir sie auf diese Weise widmen, wird sie erheblich größere Wirkung haben.
Wir müssen in all unseren Bodhisattva-Übungen gut achtgeben, dass wir sie nicht mit Gedanken vermischen, die überwiegend um uns selbst kreisen – „Möge ich – ich, ich, ich – dazu in der Lage sein, allen zu helfen“ usw. Auch nicht: „Möge mein kleines Quäntchen Korn alle satt machen.“
Deshalb ist es so wichtig, dass die Widmung mit einem Verständnis der Leerheit einhergeht, sodass wir das Extrem vermeiden können, etwas mit der vorherrschenden Auffassung eines festen „Ich“ zu widmen.
Die abschließenden Verse
Ich habe diese 37 Übungen der Bodhisattvas gemäß den Worten der erhabenen Wesen und der Bedeutung dessen, was in den Sutras, Tantras und Abhandlungen kundgetan wurde, für diejenigen zusammengestellt, die sich auf dem Pfad der Bodhisattvas schulen wollen.
Togme-Sangpo weist darauf hin, dass dieses Material ursprünglich nicht von ihm stammt. Er folgte den Worten der großen Meister und der Bedeutung, die in den großartigen Texten zu finden ist. Wir haben gesehen, dass viele der Inhalte, die hier in den „37 Übungen“ zum Ausdruck kommen, aus Shantidevas „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ und Geshe Chekawas „Schulung der Geisteshaltung in sieben Versen“ stammen, also aus Texten, zu denen Togme-Sangpo ebenfalls Erläuterungen geschrieben hat, sowie aus anderen „Lojong“-Texten (Texten zur Schulung des Geistes).
Dann fügt er noch hinzu:
Da ich nicht sehr intelligent und nur wenig gebildet bin, sind sie nicht in einem Versmaß abgefasst, das die Gelehrten erfreuen würde, doch da ich mich auf die Sutras und die Worte der Erhabenen gestützt habe, denke ich, dass die [hier dargelegten] Bodhisattva-Übungen ohne Täuschung sind.
Togme-Sangpo entschuldigt sich, dass er seine Dichtung nicht in ausgefeiltem Versmaß darbieten konnte. Im Grunde bringt er zum Ausdruck, dass er zwar weder der beste Dichter noch besonders intelligent oder geschickt sei, aber trotzdem - „da ich mich auf die Sutras und die Worte der Erhabenen gestützt habe“ - sagen kann: „dass die [hier dargelegten] Bodhisattva-Übungen ohne Täuschung sind“.Mit anderen Worten, er irrt sich nicht darin, dass dies tatsächlich Übungen der Bodhisattvas sind.
Er fährt fort:
Nichtsdestotrotz bitte ich die Erhabenen, Nachsicht zu haben mit meinen vielen Fehlern, falls sich zum Beispiel etwas widersprechen sollte oder unzusammenhängend ist, denn für solche von so geringer Intelligenz wie mich ist es schwer, die Tiefe der großen Wogen des Bodhisattva-Verhaltens zu ermessen.
Auch hier ist er sehr bescheiden. Er sagt sinngemäß: „Wie kann jemand, der so begriffsstutzig und einfältig ist wie ich, das umfassende Bodhisattva-Verhalten verstehen, das die großen Bodhisattvas ausüben?“ Er ersucht die erhabenen Wesen, nachsichtig mit ihm zu sein sowie mit allen Fehlern, die er gemacht haben mag, z.B. durch widersprüchliche Formulierungen – also indem er in seinem Text über die Bodhisattva Übungen etwas so dargestellt hat, dass es widersprüchlich oder unzusammenhängend erscheint, oder die Verbindung zwischen den Versen nicht so herstellen konnte, dass sie leicht verständlich ist usw.
Der letzte Vers schließlich lautet:
Mögen mithilfe der konstruktiven Kraft, die daraus entstanden ist, alle umherwandernden Wesen durch das höchste letztendliche und konventionelle Bodhichitta dem Beschützer Avalokiteshvara gleich werden, der weder im Extrem zwanghafter samsarischen Existenz noch in der Selbstzufriedenheit des Nirvana verweilt.
Bitte beachten Sie, dass er nicht schreibt: „Möge ich dem Beschützer Avalokiteshvara gleich werden.“ Die Formulierung erinnert daran, was ich zuvor im Hinblick auf die Widmung erwähnt habe. Togme-Sangpo sagt: „Mögen alle dem Beschützer Avalokiteshvara gleich werden.“ Mit anderen Worten: Mögen alle Erleuchtung erlangen, indem sie das höchste letztendliche und konventionelle Bodhichitta entwickeln.“ Der Zustand von Avalokiteshvara ist ein erleuchteter Zustand, der, wie schon erwähnt wurde, nicht im Extrem von Samsara oder Nirvana verharrt.
Am Ende folgt noch der Kolophon:
Diese Verse wurden in der Rinchen-Höhle in Ngulchu von dem disziplinierten Mönch Togme, einem Lehrer der Schriften und der Logik, zum eigenen Nutzen sowie auch zum Nutzen anderer verfasst.
Damit sind die Erklärungen zu den „37 Übungen der Bodhisattvas“ abgeschlossen.
Es kommt wirklich darauf an, zu versuchen, all dies so viel wie möglich in die Praxis umzusetzen. Als hilfreiche Übung für die tägliche Praxis wird geraten, jeden Tag diese Verse zu lesen, und zwar nicht nur die Worte herunterzuleiern, sondern die eigentliche Bedeutung im Sinn zu behalten. Dabei können wir z.B. jeden Tag einen Moment darauf verwenden, uns auf einen bestimmten Vers zu konzentrieren. Das ist eine wirksame Methode, die Inhalte allmählich so zu integrieren, dass wir wirklich damit vertraut werden und uns daran erinnern können, während wir unser Leben führen. Auf diese Weise werden wir nach und nach in der Lage sein, das alles in die Tat umzusetzen.
Zusammenfassung
Um ein Bodhisattva zu werden, jemand mit mühelosem Bodhichitta - mit Herz und Geist völlig darauf ausgerichtet, Erleuchtung zu erlangen, um auf diese Weise jedem am besten helfen zu können, Leiden zu überwinden - ist es notwendig, einem stufenweisen Entwicklungsverlauf zu folgen. Die aufeinander aufbauenden Stufen des Lam-rim bieten eine solche Abfolge. Insbesondere kommt es darauf an, negative Umstände in positive umzuwandeln, indem wir über bloße Selbstbezogenheit hinausgehen und uns in den sechs weit reichenden Geisteshaltungen üben. Die 37 Bodhisattva-Übungen, die in diesem kurzen Text dargestellt sind, enthalten Richtlinien für den gesamten Bodhisattva-Pfad.
Lesen und hören Sie den Original-Text „37 Übungen der Bodhisattvas“ von Togme-Sangpo.