Gegenüberstellung von Bodhisattvas mit gewöhnlichen Wesen
Der Text „Das Rad scharfer Waffen“ beginnt damit, dass Dharmarakshita Bodhisattvas gewöhnlichen Wesen gegenüberstellt. Bodhisattvas praktizieren Tonglen, das Geben und Nehmen, indem sie die drei giftigen störenden Geisteszustände oder Emotionen anderer auf sich nehmen und ihnen die Gegenmittel dafür geben. Die toxischen Geisteszustände beziehen sich auf sehnsüchtiges Verlangen, Wut und Naivität. Bodhisattvas nehmen auch die Leiden anderer auf sich, die darauf zurückzuführen sind, auf der Grundlage dieser Gifte zu handeln. Der Kontrast zu gewöhnlichen Wesen besteht darin, dass sie, anstatt die drei giftigen Emotionen anzunehmen und umzuwandeln, dadurch verletzt werden und dann auf destruktive Weise handeln.
Pfauen und Krähen
Bodhisattvas werden mit Pfauen verglichen, die sich von giftigen Pflanzen ernähren und diese in Nährstoffe umwandeln, die ihnen Kraft verleihen, während gewöhnliche Wesen wie Krähen sind, die sterben würden, wenn sie so etwas versuchten. Der entscheidende Punkt ist, dass auch wir in der Lage sein werden, die drei Gifte aller Wesen auf uns zu nehmen und ihnen die Gegenmittel und Glück zu schenken, wenn wir stark genug sind und ausreichend als Bodhisattvas geschult wurden. Dazu ist es notwendig, uns selbst von unseren egoistischen Wünschen zu befreien, die aus dem Greifen nach einem wahrhaft begründeten Selbst kommen. Wir müssen unseren Glauben an ein wahres Selbst überwinden.
Einleitende Verse
In diesen ersten Versen schreibt Dharmarakshita:
(1) Im Falle der Pfauen, die durch den Dschungel der giftigen Pflanzen stolzieren, findet die Mehrzahl der Pfauen die Medizingärten, obwohl (diese) herrlich herausgeputzt worden sind, nicht angenehm. Vielmehr leben Pfauen gut dadurch, dass sie sich von giftigen Pflanzen ernähren. In eben dieser Weise verhält es sich
(2) Im Falle der unerschrockenen (Bodhisattvas), die sich im Dschungel des wiederkehrenden Samsara betätigen, obwohl die prächtigen Gärten der Freuden und Vergnügungen herausgeputzt worden sind, fühlen sich die Unerschrockenen davon niemals angezogen. Vielmehr blühen die mutigen Herzen im Dschungel des Leidens auf.
(3) Daher verhält es sich so: obwohl wir gerne die Freuden und Vergnügungen annehmen, bescheren wir uns durch die Kraft unserer Feigheit (selbst) Leiden. Aber jene Unerschrockenen nehmen das Leiden freudig auf sich und sind dabei durch die Kraft ihrer Tapferkeit stets glückselig.
(4) Hier nun, das sehnsüchtige Verlangen ist gleich den giftigen Pflanzen des Dschungels. Die Unerschrockenen können es, gleich den Pfauen, unter Kontrolle bringen, wohingegen es das Leben der Feiglinge tödlich gefährden könnte, wie im Falle der Krähen. Wie könnten jene, die von den selbstsüchtigen Begehren erfasst sind, dieses Gift unter Kontrolle bekommen?
(5) Und wenn sie in gleicher Weise versuchen würden, (diese Methode) auf die anderen störenden Emotionen anzuwenden, würde es ihnen den Lebensweg zur Befreiung verbauen, genauso wie im Falle der Krähen.
(6) Daher verhält es sich so, dass die unerschrockenen (Bodhisattvas), gleich den Pfauen, die störenden Emotionen – die wie ein Dschungel aus Gift sind – in Nahrung verwandeln und sich (dadurch) selbst im Dschungel des sich wiederholenden Samsara betätigen. Dadurch, dass sie es freudig selbst eingenommen haben, sind sie in der Lage, dieses Gift zu zerstören.
(7) Wir müssen also jetzt, während wir ohne Kontrolle (in Samsara) umherkreisen, unsere selbstsüchtigen Begehren, unser Begehren nach Vergnügungen und unsere Freuden ablegen, – diese Boten des Dämons des Greifens nach einem „wahren Selbst" – und freudig, zum Dienste anderer, das auf uns zu nehmen, was schwierig zu bewerkstelligen ist.
(8) Auf (dieses) „wahre Selbst", das sich nach Vergnügungen sehnt, müssen wir die Leiden aufhäufen, die jedem der neun Arten von Wesen entsprechen, gemäß dem Antrieb ihrer karmischen Impulse und ihrer Gewöhnung an störende Emotionen.
Die Betonung auf das Annehmen des sehnsüchtigen Verlangens anderer
Obgleich Dharmarakshita in Vers 5 auch die anderen störenden Emotionen erwähnt, legt er die Betonung auf das Annehmen des gewöhnlichen sehnsüchtigen Verlangen anderer, insbesondere des sexuellen Verlangens, wie es in so vielen indischen Schriften getan wird. Shantideva weist in „Eintritt in das Verhalten eines Bodhisattvas“ (tib. sPyod-’jug, Skt. Bodhicharyavatara) insbesondere darauf hin, dass die Begierde das größte Hindernis ist, wenn wir die Vollkommenheit der Konzentration erlangen wollen. Sie ist die stärkste Triebkraft des Geistes, wie im Falle der Flatterhaftigkeit des Geistes, die dazu führt, dass unsere Aufmerksamkeit davonfliegt, um sich mit diesen hormongesteuerten Wünschen zu befassen. Sie steckt tief in uns und allen Wesen, die einen sexuellen Drang haben. Die Tatsache, dass es die biologischen Bestimmungen und Dränge zu überwinden gilt, um nicht nur durch unsere Hormone und Instinkte gesteuert zu werden, ist etwas, das uns in Bezug auf die buddhistischen Lehren ein unwohles Gefühl verleiht.
Die Praxis von „Tonglen“, auf die in „Peacocks’ Destruction of Poison“ angespielt wird
Dharmarakshita erklärt in diesen einleitenden Versen nicht, wie man „Tonglen“ praktiziert, sondern sagt nur, dass es wirklich gefährlich und schwierig ist, und wir die Hindernisse überwinden müssen, die uns davon abhalten, es erfolgreich zu praktizieren. In seinem anderen Text: „Peacock’s Destruction of Poison“ beschreibt Dharmarakshita jedoch, was es bedeutet, die drei giftigen Emotionen anzunehmen, aber er erklärt auch hier nicht, wie man sie umwandelt oder was man anderen gibt. Er schreibt:
(12) Haben wir die andere Person nicht mit einem Vortäuschen von sehnsüchtigem Verlangen nachgeahmt, besteht angesichts des kochenden giftigen Tranks der Impulse des sehnsüchtigen Begehrens (von jemandem) die Gefahr, dass die begierige Person schlecht durchdachte Handlungen begeht. Aber durch (unser) Vortäuschen des sehnsüchtigen Verlangens, wird (ihr) Gift überwunden werden.
(13) Haben wir kein kraftvolles Verhalten wie Yamantaka gezeigt, so besteht angesichts der giftigen Ausstrahlung der Blume der Wut (von jemandem) die Gefahr, dass durch die wütende Person Störungen verursacht werden. Aber durch (unser) Vortäuschen von Wut wird das Hindernis des Feindes aufgelöst.
(14) Haben wir nicht die Geduld wie die einer Leiche entwickelt, so besteht angesichts der Verfestigung des giftigen Treibsandes der engstirnigen Naivität (von jemandem) die Gefahr, dass die Person mit schwachem Charakter ein Verhalten an den Tag legt, durch das negative Kraft aufgebaut wird. Aber durch (unser) Vortäuschen von Naivität werden wir die Gewohnheit der Besonnenheit geschaffen haben.
„Vortäuschen“ bedeutet so zu tun, als würden wir jede dieser giftigen Emotionen besitzen. Ohne durch sie gestört zu sein, können wir dies nur tun, wenn wir sie bereits selbst in beträchtlicher Weise in uns überwunden haben und großes Mitgefühl gegenüber jenen hegen, die durch sie leiden. Befinden wir uns dann beispielsweise in der Gemeinschaft von jemandem, der lustvoll über Frauen oder Männer spricht, können wir an dem Gespräch teilnehmen, ohne uns mitreißen zu lassen, und der Person von unangemessenem sexuellen Verhalten abraten. Sind wir mit jemandem zusammen, der äußerst wütend ist und sich selbst oder andere verletzen will, können wir so tun, als würden wir ebenfalls wütend werden und sie auf energische Weise vom Handeln abhalten. Und sind wir mit einer Person zusammen, die naiv in Bezug auf die Auswirkung ihrer unbedachten Weise des Handelns oder Sprechens ist, können wir sie mit klarem Kopf darauf hinweisen, was sie gerade tut, indem wir selbst ruhig bleiben und uns deswegen nicht aufregen, als wären wir naiv und würden nichts Falsches mitbekommen.
Dharmarakshitas Darstellung in „Peacocks’ Destruction of Poison“ ist Teil des Bodhisattva-Verhaltens und scheint eine Vorstufe zur vollständigen Praxis des Tonglen zu sein. Wenn wir Tonglen praktizieren, ist es nicht so, dass unsere Handlung des Annehmens der störenden Emotionen anderer sie tatsächlich davon befreit. Es geschieht äußerst selten, dass man mit Tonglen eine Verletzung von jemandem annimmt und selbst einen blauen Fleck bekommt, wie es im Falle Maitriyogis passiert ist.
Nehmen wir zum Beispiel die giftigen Emotionen wie die Dummheit aller anderen an, macht uns das nicht vollkommen unfähig, weil wir nun selbst dumm geworden sind. Wir haben bereits die nachteiligen Auswirkungen der Dummheit überwunden und wollen von anderen auf konzeptuelle Weise etwas annehmen, was mit Dummheit vergleichbar ist, und ihnen mit Mitgefühl das Gegenmittel für ihren verwirrten Geisteszustand geben. Das ist der Rat, den Dharmarakshita in „Peacocks’ Destruction of Poison“ gibt.
Hier, in „Das Rad scharfer Waffen“, erklärt Dharmarakshita etwas deutlicher, wie man die nachteiligen Auswirkungen der störenden Emotionen überwindet, die man von anderen annimmt, ohne jedoch explizit auf die eigentliche Praxis des Tonglen einzugehen.
Zwei Reihenfolgen des Entwickelns von konventionellem und tiefstem Bodhichitta
Sobald wir uns vorstellen, die giftigen Emotionen von anderen anzunehmen und somit zu beseitigen, indem wir sagen: „Mögen alle Wesen frei von diesen Ursachen des Leidens sein, sowie von den Leiden, die dadurch hervorgerufen werden“, stellt sich die Frage, wie man sie zerstört. Die Methode besteht darin, es mit Bodhichitta zu tun. Bodhichitta ist ein Geist, der auf unsere eigene Erleuchtung ausgerichtet ist, die noch nicht stattgefunden hat, aber auf der Basis unserer Faktoren der Buddha-Natur stattfinden kann. Dies baut auf Liebe und Mitgefühl auf und wird von der Absicht begleitet, diese Erleuchtung zu erlangen und dadurch allen Wesen nützlich zu sein. Bodhichitta ist insbesondere auf unseren noch nicht stattfindenden Dharmakaya, einen alles umfassenden Körper, ausgerichtet.
Der Dharmakaya hat zwei Aspekte: Jnanadharmakaya, den Dharmakaya des tiefen Gewahrseins, der allwissende Geist eines Buddha, und Svabhavakaya, den Körper der essentiellen Natur, die Leerheit dieses allwissenden Geistes und die wahren Beendigungen, die dessen Zuschreibungen sind. Dementsprechend gibt es zwei Aspekte von Bodhichitta: konventionelles und tiefstes. Konventionelles Bodhichitta ist auf unseren noch nicht erlangten Jnanadharmakaya gerichtet, während tiefstes Bodhichitta auf unseren noch nicht erlangten Svabhavakaya gerichtet ist.
Es gibt zwei Reihenfolgen in Bezug auf das Entwickeln dieser zwei Aspekte von Bodhichitta. Für die meisten Menschen ist es einfacher, eine enorme Fürsorge für andere und, durch Liebe und Mitgefühl, zunächst einmal konventionelles Bodhichitta zu entwickeln: „Ich muss zum Wohle aller Erleuchtung erlangen, und dafür benötige ich Disziplin, Konzentration und das unterscheidende Gewahrsein der Leerheit.“ Danach beginnen wir dann mit der Entwicklung von tiefstem Bodhichitta. Diese Herangehensweise kann man in vielen Schriften finden.
Die andere Reihenfolge in Bezug auf das Entwickeln der zwei Bodhichittas wird in Nagarjunas Text: „Kommentar zu (den zwei) Bodhichittas“ (tib. Byang-chub-sems-kyi ’grel-pa; Skt. Bodhichittavivarana) dargelegt. Er weist darauf hin, dass jene mit einer scharfen Auffassungsgabe zuerst tiefstes Bodhichitta entwickeln. Der Grund dafür ist folgender: Wenn wir zu der Überzeugung gelangen, dass es möglich ist, den Geist von störenden Emotionen und Schleiern zu reinigen und mit anderen Worten die Leerheit des Geistes verstehen und uns somit bewusst darüber werden, dass die so genannten „Verunreinigungen“ oder „Bedrängnisse“ (Unwissenheit, Nicht-Wissen usw.) kein wesentlicher Bestandteil der Natur des Geistes sind und für immer beseitigt werden können, werden wir von der Möglichkeit der Erleuchtung überzeugt sein.
Nur wenn wir durch das Verständnis von tiefstem Bodhichitta vollkommen davon überzeugt sind, dass Erleuchtung möglich ist, würden wir sie mit konventionellem Bodhichitta auch anstreben. Andernfalls beruht die Entwicklung von konventionellem Bodhichitta auf Glauben. Es ist zum Beispiel so: „Ich werde Erleuchtung anstreben. Ich weiß nicht genau, ob es möglich ist, aber ich werde versuchen, trotzdem diese Richtung einzuschlagen, weil ich darauf vertraue, dass Buddha eine gültige Quelle von Informationen in Bezug darauf ist, dadurch allen begrenzten Wesen bestmöglich helfen zu können.“
Laut Könchog Gyaltsan (tib. dKon-mchog rgyal-msthan), dem Sakya-Meister, der die Anthologie „Hunderte Arten des Geistestrainings“ (tib. Blo-sbyong brgya-rtsa) zusammengestellt hat, lehrte Dharmarakshita zuerst tiefstes und dann konventionelles Bodhichitta zu entwickeln. Dies wird in „Das Rad scharfer Waffen“ belegt, denn Dharmarakshita erwähnt konventionelles Bodhichitta lediglich im letzten Vers vor der Schlussformel.
Anwendung von Tonglen auf die drei Gifte im Geistestraining in sieben Punkten
Mehrere Jahrhunderte nach Dharmarakshita erklärt Geshe Chekawa in seinem Geistestraining in sieben Punkten ebenfalls in Punkt 2, dem „Entwickeln von Bodhichitta“, zuerst tiefstes Bodhichitta und dann das Entwickeln von konventionellem Bodhichitta durch Tonglen, das Annehmen der drei giftigen Geisteshaltungen. Er schrieb:
In Bezug auf die drei Objekte, nimm die drei giftigen Geisteshaltungen und die drei Wurzeln dessen, was konstruktiv ist, während du dich mit Worten auf allen Pfaden des Verhaltens übst. Was die Reihenfolge des Annehmens angeht, beginne bei dir selbst.
Die drei Gifte sind, wie bereits erwähnt, sehnsüchtiges Verlangen, Wut und Naivität; die drei konstruktiven Wurzeln beziehen sich auf Loslösung, Unerschütterlichkeit – was bedeutet, sich nicht durch Wut stören zu lassen – und fehlende Naivität.
An dem Punkt in der Meditation, an dem wir unser Objekt der Ausrichtung verlieren, üben wir uns mit Worten. Es ist überaus hilfreich, sich entweder im Stillen oder laut mit Stichworten daran zu erinnern, die Aufmerksamkeit auf das Objekt der Ausrichtung zurückzubringen. Bei diesen Worten mag es sich um „Mitgefühl“, „Liebe“, „Unbeständigkeit“ oder etwas anderes handeln, über das wir gerade meditieren, wobei dies keine Form des geistigen Abschweifens ist.
Was die Reihenfolge des Annehmens betrifft, so beginnen wir mit uns selbst. Es ist notwendig, die eigenen Leiden anzunehmen und mit ihnen zu beginnen, denn nur auf der Grundlage von Entsagung – der Entschlossenheit, frei von unseren eigenen Leiden zu sein – können wir dann den Fokus auf andere richten. „So wie ich frei davon sein will, wollen auch alle anderen frei davon sein, denn wir alle sind gleich.“ Die Basis für Mitgefühl ist diese Entschlossenheit, selbst frei von Problemen zu sein, die sich auf alle ausweitet.
Vielleicht begehren wir eine Person, oder es könnte sich um irgendeine andere Art von sehnsüchtigem Verlangen handeln, wie das Verlangen nach Information, also sehen zu wollen, was die anderen auf Facebook, Instagram oder Snapchat tun. Wenn wir so empfinden, erinnern wir uns daran, dass alle anderen ebenfalls große Probleme mit dieser Sucht haben, anstatt uns, wie eine Krähe, völlig darin zu verfangen und zu verlieren, weil wir durch den ständigen Blick auf unser Telefon unsere Konzentration und Aufmerksamkeit verlieren. Wir stellen uns also vor, all das selbst auf uns zu nehmen.
Sich in Alaya, die alles umfassende Basis zu entspannen
Hier nutzen wir als Gegenmittel tiefstes Bodhichitta, indem wir uns in die grundlegende Natur des Geistes entspannen. Geshe Chekawa drückt es in Sakya-Terminologie aus und nennt dies den „Zustand der alles umfassenden Basis“, was man auch unter dem Sanskrit-Begriff alaya kennt. Er schreibt:
Reflektiere darüber, dass Phänomene wie ein Traum sind. Erkenne die grundlegende Natur des Gewahrseins, die kein Entstehen hat. Das Gegenmittel selbst befreit sich selbst an seinem eigenen Ort. Die essentielle Natur des Pfades ist es, sich in einem Zustand der alles umfassenden Basis zu entspannen. Handle zwischen den Sitzungen wie eine illusorische Person.
Es gibt zwei Traditionen, in denen die grundlegende Natur des Geistes als das Objekt tiefsten Bodhichittas, der tiefsten Wahrheit unseres noch nicht erlangten erleuchteten Geistes, erklärt wird. In einer Erklärung bezieht sich die alles umfassende Basis auf die Natur des Geistes als „bloße Klarheit und Gewahrsein“. Es in diese grundlegende Natur des Geistes entspannen und auflösen zu lassen, ähnelt dem, was wir in „Ein Konzert der Namen Manjushris (’Jam-dpal mtshan-brjod, Skt. Manjushri-nama-sangiti) finden. Dort lesen wir:
(30) In seinem großen Opferfest ist großes sehnsüchtiges Verlangen die Freude begrenzter Wesen; in seinem großen Opferfest ist massive Wut der mächtige Feind aller störenden Emotionen.
(31ab) In seinem großen Opferfest ist große Naivität der Vertreiber von Naivität des naiven Geistes;
Wie in einem großen Opferfest bringen wir unsere störenden Emotionen in einem Fest der Natur des Geistes dar. Wir lassen diese Emotionen zur Ruhe kommen und sich auflösen, indem wir sie auf Mahamudra-Weise einfach als „Wellen im Ozean dieser Klarheit und des Gewahrseins des Geistes“ sehen. Geshe Chekawa deutet auf diese Methode mit der Zeile: „Das Gegenmittel befreit sich selbst an seinem eigenen Ort.“ Der Geist ist wie ein großer Ozean und die emotionalen Störungen sind wie Wellen, aber die Wellen können nichts anderes tun, als wieder zur Ruhe zu kommen. Wir lassen sie einfach in die grundlegende Klarheit und den Gewahrsein des Geistes, insbesondere in den subtilsten Geist klaren Lichts, entspannen. Das ist eine Möglichkeit, diese störende Emotionen anzunehmen. Wir lassen sie einfach in die grundlegende Klarheit und den Gewahrsein des Geistes klaren Lichts entspannen. Wenngleich einige spätere Meister die Klarheit und das Gewahrsein des Geistes des klaren Lichts als dessen konventionelle Natur ansehen, wird es innerhalb der Sakya-Schule von Mangto Ludrub Gyatso (Mang-thos Klu-gsrub rgya-mtsho), einem Meister des Tsar- (Tshar) Zweiges im Sakya, als tiefste Natur betrachtet. Gemäß seiner Interpretation wären Klarheit und Gewahrsein somit der Fokus des tiefsten Bodhichitta.
Eine zweite Tradition besagt, dass man die störenden Emotionen in die leere Natur dieser Klarheit und des Gewahrseins hinein entspannt, und diese Leerheit ist als die tiefste Natur des Geistes das Objekt des tiefsten Bodhichittas. Der vierte Teil von „Das Rad scharfer Waffen“ legt nahe, dass Dharmarakshita diese Interpretation vorzieht, da er große Betonung auf die leere Natur des Geistes legt.
Wie sehnsüchtiges Verlangen Leiden hervorruft
Um sehnsüchtiges Verlangen und Begierde anzunehmen, ist es zunächst notwendig zu erkennen, dass dadurch beeinflusstes Handeln zu Leiden führt. Nur das Empfinden von Begierde löst Leiden aus. Der Geist wir dadurch sehr gestört und daher lehrt Geshe Chekawa im „Geistestraining in sieben Punkten“, dass wir mit uns selbst beginnen müssen. Wir sollten versuchen, die Störung dieses sehnsüchtigen Verlangens als das zu erkennen, was es tatsächlich ist: Leiden.
Dafür gilt es, einen Blick auf die Definitionen zu werfen, die wir in der Abhidharma-Literatur (den Themen des Wissens) finden. Dort wird jeder dieser Geistesfaktoren ganz klar definiert. Da es unterschiedliche Traditionen und Texte des Abhidharma gibt, ist es hilfreich, die in ihnen enthaltenen Informationen zusammenzufügen, um ein Gesamtbild der verschiedenen Betrachtungsweisen zu bekommen und zu erkennen, worum es bei diesem Geisteszustand wirklich geht. Das Hauptmerkmal des sehnsüchtigen Verlangens ist, die guten Eigenschaften eines Objektes übermäßig hervorzuheben, weitere Eigenschaften zu projizieren, die gar nicht da sind, und die Mängel oder negativen Eigenschaften zu ignorieren.
Sehnsüchtiges Verlangen, Anhaftung und Gier
Wir können diesen störenden Geisteszustand in drei unterschiedliche Varianten unterteilen. Wenn wir das Objekt nicht besitzen, haben wir zunächst sehnsüchtiges Verlangen es zu bekommen. So denken wir beispielsweise: „Er oder sie ist der schönste Mensch in der ganzen Welt. Wenn ich diese Person als meine Freundin oder meinen Freund haben könnte, wäre alles vollkommen.“ Wir heben die guten Eigenschaften der Person übermäßig hervor und machen sie zu einem Prinzen oder einer Prinzessin auf einem weißen Pferd. Wir begehren ihn oder sie und das ist sehnsüchtiges Verlangen.
Weiter geht es mit Anhaftung: ist diese Person dann unser Partner, wollen wir sie nicht loslassen und sagen: „Verlass mich nicht; ich kann ohne dich nicht leben.“ Bei der dritten Variante geht es dann um Gier. Auch wenn die Person unser Partner ist und egal wie viel Zeit sie mit uns verbringt, ist es doch nie genug. Wir sagen: „Warum rufst du mich nicht an? Warum bleibst du nicht länger? Warum musst du schon gehen? Du hast mir nicht geschrieben und mir nicht sofort geantwortet.“ Das ist Gier. Wir wollen stets mehr und sind nie zufrieden. All diese Dinge gehören zu dieser einen störenden Emotion, je nachdem, ob wir das Objekt noch nicht besitzen, ob wir es bereits haben und nicht loslassen wollen oder nicht zufrieden sind, weil wir immer noch mehr wollen.
Es gibt viele verschiedenen Möglichkeiten, sich mit sehnsüchtigem Verlangen zu befassen. Wir können unser Verlangen von einem extremen Blickwinkel betrachten und erkennen, wie absurd es ist. Wollen wir wirklich, dass diese Person ständig an uns klebt und immer bei uns ist, wohin wir auch gehen? Halten wir zum Beispiel die Hand von jemandem, fängt sie nach einer Weile an zu schwitzen und ganz feucht zu werden, was ziemlich unangenehm ist. Wollen wir das immer so haben? Wir beginnen, uns mit den Nachteilen auseinanderzusetzen. Eng umschlungen schlafen wir ein, aber dann schläft unser Arm ein, was wirklich wehtut, und wir können uns nicht bewegen, weil wir den anderen nicht aufwecken wollen.
Analysieren wir all diese Dinge, erkennen wir, dass wir die guten Eigenschaften überbewerten und die Mängel des Objektes unseres Verlangens ignorieren. Das ist sehnsüchtiges Verlangen. Wir messen konventionellen Qualitäten, wie der Schönheit einer Person, zu große Bedeutung bei. Wir denken, wie wunderbar es ist, mit ihr zusammen zu sein und bewerten die Qualitäten der tiefsten Natur in Bezug darauf, wie sie existiert, übermäßig hoch. Beispielsweise zu denken, eine Person würde ewig jung, schön und attraktiv bleiben, ist ganz offensichtlich ein Mythos und eine Überbewertung. Aufgrund unseres Greifens nach einer Existenz eines falschen unmöglichen Selbst, dass es so nicht gibt, haben wir irgendwie das Gefühl, wir könnten dem falschen Selbst eine Sicherheit verleihen, indem wir dieses Objekt unserer Wünsche besitzen, es niemals loslassen und immer mehr von dem haben wollen, was auch immer es sein mag.
Tonglen in die Praxis umsetzen
Lasst uns versuchen, diese Tonglen-Praxis in Bezug auf sehnsüchtiges Verlangen auszuführen, um zu sehen was passiert, wenn wir diese Art von Tonglen tatsächlich in die Praxis umsetzen. Um den Rest des Textes zu verstehen, ist es hilfreich, wenn wir erkennen, wie schwer es ist wirklich ernsthaft in der Praxis zu sein, und was uns daran hindert, diese Störungen anzunehmen.
Denkt an all die Leiden, die Menschen durchgehen, wenn sie nach etwas süchtig sind, und dabei geht es nicht nur um sexuelle Objekte, sondern auch um Smartphones, Drogen und diesen unfassbaren Materialismus, mit dem wir nach immer mehr Objekten und immer mehr Dingen trachten. Im Englischen gibt es diese Redensart: „Wer das meiste Spielzeug hat, wenn er stirbt, gewinnt.“ Wir sammeln mehr und mehr Dinge um uns herum an, aber was tun wir dann mit ihnen? Wollen wir sie in unserer Pyramide einlagern, oder was? All das führt zu einem großen Maß an Leid; Menschen sind nie zufrieden. Wollen wir wirklich solch einen unstetigen, bedürftigen Geist haben und uns mit ihm auf einer globalen universalen Ebene, mit all dem Leid, den er mit sich bringt, auseinandersetzen? Uns geht es vielmehr darum, diese Dinge, die wir annehmen, aufzulösen.
Wie schaffen wir nun den Übergang, vom Denken daran, wie furchtbar es ist, dass alle leiden, hin dazu, tatsächlich in der Lage zu sein, ihnen durch das Heilmittel all dessen Glück zu schenken? Ist es uns möglich, all diese Leiden und störenden Geisteszustände in die natürliche, reine Natur des Geistes aufzulösen, werden sie sich beruhigen.
Je nachdem, wie wir es betrachten, können dann die natürlichen positiven Eigenschaften, die natürliche Freude auf der tiefsten Ebene des Geistes, ausstrahlen. Auf diese Weise können wir eine Umwandlung bewirken. Haben wir viel positive Kraft aufgebaut, erlaubt uns das auch, diese positive Kraft als Glück und Freude auf andere auszustrahlen, was nur erreicht werden kann, wenn wir uns entweder in die Natur des Geistes als Klarheit und Gewahrsein hinein beruhigen, oder als Leerheit, der natürlichen Reinheit. Dann sind wir in der Lage, diesen Übergang zu bewirken und Freude und Glück auf andere auszustrahlen.
Es handelt sich um eine wahrhaft tiefgreifende Methode, die augenscheinlich recht fortgeschritten ist. Aber versuchen wir, einen kleinen Geschmack davon zu bekommen. Wie gesagt denke ich, dass es hilfreich ist dies zu tun, bevor wir in den Rest des Textes einsteigen, in dem erklärt wird, was diese Praxis-Form so schwierig macht, und woran wir arbeiten müssen, um dies auf einer ernsthaften Ebene zu üben.
In ausführlichen Darstellungen von Tonglen wird gelehrt, dass wir alle störenden Geisteszustände, die wir selbst haben, wie Verlangen, Wut, Stolz, Neid, Arroganz, Eifersucht oder anderes, für alle anderen annehmen sollten. Denn jeder ist gleich, wir alle haben die gleichen Probleme; niemand ist immun. Diese störenden Emotionen führen für jeden, der sie hat, zu Leiden.
Laut Shantideva hat das Leiden keinen Besitzer. Wir versuchen nicht davon loszukommen, weil es unsere oder eure Leiden sind. Leiden müssen beseitigt werden, weil sie leidvoll sind und wehtun.
Das ist ein hilfreicher Punkt, den wir beachten sollten: Leid hat keinen Besitzer.
Praktische Anweisung und Tonglen-Meditation
Praktizieren wir Tonglen, folgen wir für gewöhnlich den Anweisungen von Geshe Chekawa in seinem „Geistestraining in sieben Punkten“ und tun es zusammen mit dem Atem und in Verbindung mit Liebe und Mitgefühl. Mit Mitgefühl nehmen wir beim Einatmen die Leiden der anderen an; und mit Liebe, dem Wunsch, andere mögen glücklich sein, atmen wir aus und senden ihnen, was immer sie glücklich macht. In diesem Fall senden wir das Verständnis der wahren Natur des Geistes, was ihnen helfen wird, diese störenden Emotionen zu überwinden und nicht durch sie erschüttert zu werden.
Lasst uns das ein paar Minuten lang üben.
[Pause]
Mögliche Hindernisse
Wie Dharmarakshita in „Peacock’s Destruction of Poison“ aufzeigte, besteht ohne die Praxis von Tonglen die Gefahr, in der Gemeinschaft von anderen, die unter dem Einfluss von Abhängigkeiten, wie Verlangen, Wut oder was auch immer es sein mag, handeln, von diesen Dingen davongetragen zu werden. In solchen Situationen gilt es stark zu bleiben und das ergibt wirklich Sinn. Befindet sich beispielsweise ein Teenager in einer Gruppe von Menschen, die alle rauchen, Bier trinken und Drogen nehmen, üben sie Druck auf ihn aus uns sagen: „Komm schon! Warum trinkst du nicht mit uns?“ Ist er nicht stark genug, wird er mitmachen, weil er dazugehören und cool sein will, wie alle anderen auch.
Eine ähnliche Gefahr besteht, wenn wir uns in einem aufgewühlten und aggressiven Menschengedränge befinden, in dem die Meinung herrscht, den „Feind töten“ zu wollen. Wir werden in diese Mob-Mentalität hineingezogen und in solchen Situationen, in denen so viele Menschen einer Sache verfallen sind und von ihr davongetragen werden, sollten wir in der Lage sein, die störenden Emotionen der anderen auf uns zu nehmen, uns mit ihnen auseinanderzusetzen, uns nicht durch die Kraft der anderen davontragen zu lassen und natürlich auch selbst nicht unter den Einfluss dieser störenden Emotionen zu gelangen. Wir müssen wie Pfauen sein, nicht wie Krähen.
Wir sollten diese störenden Emotionen in uns selbst erkennen können, denn wir sein ein Teil von allen anderen. Zu denken, wir hätten sie nicht und würden sie nur von anderen annehmen, zeigt, dass wir sie nicht in uns selbst erkannt haben. Können wir sie in uns selbst erkennen und dann jene aller anderen hinzufügen, befassen wir uns, wenn wir uns um das Leiden und die störenden Geisteszustände der anderen kümmern, auch mit unseren eigenen.
Eine Schwierigkeit in dieser Tonglen-Praxis besteht darin, wirklich ernsthaft etwas zu empfinden. Es ist leicht, sich einfach nur vorzustellen: „Es kommt rein und geht raus, annehmen, aussenden“ etc., und nichts dabei zu fühlen. Die kraftvollen Praktiken des Tonglen umfassen einige ziemlich furchterregende Visualisierungen. Wir stellen uns vor, wie all die Leiden und Schwierigkeiten anderer in Formen zu uns kommen, die normalerweise völlig abstoßend wären, wie Durchfall, Erbrochenes, Eiter, Blut usw. Wir können mit wirklich unsauberen Substanzen wie Öl, Teer und so weiter arbeiten, Dinge, die wir nicht haben wollen. Die stärksten Visualisierungen bestehen darin, sich die Leiden anderer in Formen vorzustellen, vor denen wir uns am meisten fürchten, wie Spinnen oder ähnliches. Wenn wir uns vorstellen, die störenden Geisteszustände und Leiden anderer anzunehmen, müssen wir augenscheinlich emotional stabil und reif sein. Hierbei handelt es sich um äußerst fortgeschrittene Praktiken.
Arbeiten wir mit diesen furchterregenden Visualisierungen, kommt unsere starke Selbstbezogenheit ganz klar zum Vorschein. Wir denken: „Ich will das nicht. Ich habe Angst davor. Ich will das nicht tun, ich will mit dem Erbrochenen und den Durchfall der anderen nichts zu tun haben. Ich will das nicht alles saubermachen müssen.“ Es gibt viele Ebenen dieser Tonglen-Praxis und daher sollten wir nicht nur meinen, es wäre eine Art Spiel, sich vorzustellen, wie schwarzer Rauch einströmt und weißen Licht ausströmt. Es ist kein Spiel. Wir müssen tatsächlich etwas fühlen, auch wenn wir es uns nur vorstellen. Es ist das sehnsüchtige Verlangen oder die Wut, die andere haben, aber dennoch versuchen wir, den Schmerz zu empfinden. Aus diesem Grund sagt Geshe Chekawa, dass wir mit uns selbst beginnen. Wir fühlen unseren eigenen Schmerz.
Das ist so wichtig, wenn wir uns mit unseren Problemen auseinandersetzen: wir müssen sie wirklich erkennen und eingestehen. Wir müssen sie fühlen, um uns tatsächlich damit zu befassen. All das tun wir mit der Tonglen-Praxis.
Fragen
Kraftvoll sein
Wie würde man aus der Perspektive eines eher friedliebenden Menschen eine kraftvolle oder, wie sie oftmals genannt wird, zornvolle Haltung kultivieren? Vielleicht ist es wie beim Krafttraining, dass man mit leichten Gewichten beginnt, aber ich habe immer das Gefühl Menschen zu verletzen, wenn ich streng mit ihnen rede. Wie würde man als eher friedliebender Mensch etwas kraftvoller handeln?
Hier geht es nicht zwangsläufig darum, gegenüber anderen kraftvoll zu sein, aber in manchen Situationen ist das notwendig. Wenn unser Kind zum Beispiel über eine vielbefahrene Straße laufen will, sagen wir nicht: „Mein Liebling, tu das bitte nicht.“ Wir müssen es schnappen und vielleicht anschreien, um einen Unfall zu vermeiden. Was das Bildnis Yamantakas betrifft, so besteht hier der Schwerpunkt darin, gegenüber uns selbst kraftvoll zu sein. Benehmen wir uns also wie ein Kleinkind, sollten wir damit aufhören und uns sagen: „Hör endlich auf, dich wie ein Baby zu benehmen!“
In dieser Sangha gibt es ein paar energische und kraftvolle Personen, die in der Lage sind, sehr schnell und entschlossen zu agieren, um sich selbst und anderen zu helfen. Sie sind in der Lage, einen Schnitt zu machen und Dinge nicht immer so langsam und vorsichtig auszubessern. Da Sie es gerade ansprechen, würde ich auch gern gegenüber mir selbst etwas kraftvoller sein.
Geschickte Mittel
Buddha war ein Meister der geschickten Methoden und wir sollten zumindest versuchen, unser Verhalten auf andere abzustimmen. Ich hatte das Glück, für viele der großen Lamas als Übersetzer tätig zu sein. Wenn man für sie übersetzt, ist es bemerkenswert zu sehen, wie sie auf völlig unterschiedliche Weise mit den verschiedenen Menschen umgehen, die sie treffen. Mit manchen sind sie überaus feinfühlig und mit anderen ziemlich streng. Auf diese Weise lernen wir, unser Verhalten anzupassen und nicht einfach zu denken: „So bin ich nun einmal und jeder sollte es akzeptieren, wie ich bin.“ Vielmehr sollte unser Verhalten von anderen abhängen. Das versteht man unter abhängigem Entstehen.
Es gibt verschiedene Trainingsmethoden. So ging ich beispielsweise zu einem Kampfsport-Training eines Freundes und am Ende des Unterrichts gab ich den Schülern dann ein Lektion in Meditation.
Es ging um Ninjutsu, eine recht kraftvolle Tradition der Kampfkunst. Um solche Arten des Kampfsportes erfolgreich zu üben, ist es notwendig, äußerlich stark und kraftvoll, aber innerlich vollkommen friedvoll und still zu sein. Dieses Bild haben wir auch im Buddhismus, mit kraftvollen und friedlichen Gottheiten-Mandalas, einer äußeren Buddha-Gestalt Yamantaka mit Manjushri in seinem Herzen. Die Struktur ist also ähnlich. Ich bat die Studenten zu üben, äußerlich kraftvolle Gesten zu machen und dabei zu versuchen, innerlich ruhig zu bleiben, und dann laut zu schreien, aber innerlich Frieden und Stille zu bewahren. Sie fanden heraus, dass sie ziemlich kraftvoll und gleichzeitig sehr ruhig sein konnten. Es war nur eine Übung, aber für die Leute schien sie recht hilfreich zu sein.
Ich glaube das Wichtigste ist, sich nicht mit einem festen Selbstbild zu identifizieren und zu meinen, wir wären ein friedliches kleines Reh, wie Bambi. Manchmal können wir auch ganz anders sein. Nur wenn wir uns an einen Stereotypen festnageln, werden wir unflexibel.
Schwierigkeiten in der Tonglen-Praxis
Tonglen wurde auf verschiedenste Weise gelehrt und ich betrachte diese Praxis als ausgesprochen schwierig und fortgeschritten. Oftmals wird sie aber auch ganz einfach gelehrt, ohne wirklich etwas annehmen zu müssen, oder es gibt verschiedenartige andere Methoden. Manchmal wird empfohlen, unsere Buddha-Natur als ein weißes Licht im Herzen zu visualisieren und dann alles dort hineinfließen zu lassen und von dort auszuatmen. Dann wieder gibt es härtere Methoden, in denen wir alles aufnehmen, bis unser hartes Herz gebrochen wird, damit die liebevolle Güte aus unserem Herzen herausfließen kann.
Ich selbst habe Tonglen nicht viel praktiziert, aber ich habe mich einige Jahre darin versucht. Ich denke, man muss ziemlich vorsichtig damit sein, denn wenn man gleich beginnt alles aufzunehmen, besteht die große Gefahr, sich davon deprimieren zu lassen und es abzulehnen, sich mit den Problemen anderer zu befassen, anstatt sie anzunehmen. Das ist auch etwas, was ich im normalen Leben beobachten kann. Wenn ich von Leiden und geistigen Giften umgeben bin, will ich nichts damit zu tun haben. Ich weiß, dass es wichtig ist, sie tatsächlich anzunehmen, um diese Selbstbezogenheit zu brechen. Haben Sie einen guten Rat, wie man dies schrittweise angehen kann?
Laut Dharmarakshita ist es dies, was wir anstreben: in der Lage zu sein, Tonglen zu praktizieren. Aber nur, wenn wir wie ein Pfau, wie ein Bodhisattva sind, können wir es wirklich tun. Ansonsten sind wir wie Krähen, wenn wir es versuchen ohne ausreichend geübt zu sein und dann wird es uns umbringen.
Versuchen wir also diese Tonglen-Praxis ohne die nötige Reife auszuführen und meinen, all die Leiden annehmen zu können und dann in uns behalten, ohne zu wissen, was wir damit anstellen sollen, wird das verheerend für uns sein. Es ist einfach zu viel. Dharmarakshita gibt uns schrittweise Anweisungen dazu, was die Hindernisse sind, die uns davon abhalten, die Praxis ausführen zu können. Das Erste ist unser destruktives Verhalten. Wir kommen in diese furchtbaren Situationen und handeln auf zwanghafte Weise wie ein Scheinheiliger. All diese verschiedenen Situationen werden wir im zweiten Teil des Textes durchgehen.
Zunächst ist es jedoch wichtig, unser Verhalten zu ändern. Sobald wir unser Verhalten ändern und nicht mehr so sehr von unseren negativen Gewohnheiten eingenommen sind, beginnen wir darüber nachzudenken, dieses Greifen nach einem Selbst zu zerstören. Da gibt es diesen Klumpen in unserem Herzen, der sagt: „Ich will nichts damit zu tun haben.“ Das ist das Greifen nach einem Selbst.
Wir rufen die Gestalt Yamantakas an, um es zu zerschmettern. Wir denken: „Ich will es zerschmettern“ und um das tun zu können, müssen wir selbst ein Yamantaka werden. Wir müssen es erkennen und in der Lage sein, mit der reinen Natur des Geistes zu arbeiten. Diese reine Natur ist etwas, mit dem wir uns vertraut machen und von dem wir überzeugt sein sollten. Es ist notwendig, das Erkennen als eine Gewohnheit aufzubauen, damit wir unsere Aufmerksamkeit, unser Bewusstsein, dorthin lenken und es als Gegenmittel anwenden können. Dann können wir uns damit befassen, die Leiden anderer anzunehmen. Sind wir nicht in der Lage diese Leiden aufzulösen, indem wir unser Verständnis der Leerheit nutzen, um zu durchschauen und zu beseitigen, was uns davon abhält, und damit die Umwandlung zu bewirken und anderen Glück zu schenken, können wir diese Praxis nicht ausüben.
Wir können damit beginnen, sie auf einer sehr leichten Ebene zu üben und ich denke, dass uns das helfen kann, Folgendes anzustreben: „Ich wünschte, ich könnte es auf einer echten Ebene tun. Im Moment mache ich es so, aber ich bin mir bewusst, dass es nicht gerade wirkungsvoll ist. Ich strebe an, es auf einer höheren und ernsthaften Ebene ausführen zu können, damit ich anderen wirklich helfen kann.“ Es ist hilfreich, diesen anstrebenden Geisteszustand zu entwickeln. Aber wir sollten erkennen, dass wir im Grunde wie ein kleines Kind sind, das mit der Puppenstube spielt, wenn wir auf dieser Ebene praktizieren.
Solange wir erkennen, dass es sich dabei um eine vereinfachte Version handelt und es nicht als das Echte bezeichnen, ist es in Ordnung. Das gilt für alles im Buddhismus. Es gibt eine vereinfachte Version und dann gibt es eine echte Version. Eine vereinfachte Version ist hilfreich, solange wir erkennen, dass es sich um eine vereinfachte Version handelt und nicht meinen, dies wäre alles, was es im Buddhismus gibt. Dann ist es in Ordnung und ausgesprochen hilfreich.
Der Begriff „Voidness“ (Leerheit)
Ich habe eine Frage zur Übersetzung des Wortes Leerheit (engl. „emptiness“). Sie übersetzen es mit „voidness“ (Leerheit, Leere) und ich frage mich, warum sie dieses Wort wählen.
Ich glaube nicht, dass es diese Unterscheidung in allen Sprachen gibt, aber zumindest im Englischen deutet das Wort „emptiness“ vielleicht mehr auf die Svatantrika-Sichtweise oder eine frühere Sichtweise hin, in der wir meinen, es gäbe auf der konventionellen Ebene tatsächlich etwas Auffindbares. So gibt es beispielsweise tatsächlich ein Glas, aber etwas fehlt in diesem Glas und daher ist es leer. Es ist ein leeres Glas.
Gemäß dieser Sichtweise haben wir konventionell gesehen dieses „Ding“, das selbst-begründet ist, und mit dem es etwas Auffindbares gibt, aber auf der tiefsten Ebene ist es nicht so. „Emptiness“ bezieht sich darauf – etwas Selbst-begründetes ist leer von etwas Unmöglichem, das es nie gab. Es gibt also etwas Auffindbares und wir nehmen etwas davon weg – wir leeren es – aber dann gibt es nach wie vor etwas Selbst-begründetes.
Betrachten wir jedoch die Prasangika-Sichtweise, so passt der Begriff „voidness“ viel besser. Das Sanskrit-Wort für „voidness“ oder „emptiness“ ist shunyata, was mit dem Sanskrit-Wort für „Null“ oder „nichts“ verbunden ist. Es gibt nichts auf Seiten des Objektes, das es begründet.
Es ist nicht so, als gäbe es da etwas und wir würden ihm etwas überstülpen, was es nicht gibt und müssen es dann einfach wegnehmen, worauf uns das bleibt, was schon immer da war. Sogar aus der Sichtweise der konventionellen Wahrheit gibt es da nichts, was man tatsächlich finden kann. Dennoch funktioniert alles und Ursache und Wirkung sind nach wie vor gültig.
Was das Beispiel des Ganzen betrifft, so kann man zum Beispiel das Ganze nicht finden. Chandrakirti benutzt dafür das Beispiel eines Wagens und wir könnten es auf ein Auto übertragen: In keinem der Teile des Autos können wir ein Auto finden. Kein Teil ist das Auto und auch wenn wir alle Teile zusammensetzen, ist das noch immer nicht das Auto. Das Ding muss funktionieren, es muss eine Interaktion zwischen all diesen Teilen geben. Es handelt sich nicht nur um eine Ansammlung all der Teile auf dem Boden, auch nicht wenn sie zusammengesetzt wurden. Wir können das Ganze nicht finden. Es ist nicht so, dass das Ganze existiert und wir nehmen etwas davon weg, das es zunächst nicht gab.
Aus diesem Grund funktioniert „voidness“ meiner Meinung nach besser. Es gibt eine völlige Abwesenheit von allem, was dem in unserer Vorstellung entspricht. Wir projizieren nichts Eingebildetes auf etwas Konkretem und Realem. Das ist die eigentliche Bedeutung und daher ziehe ich den Begriff „voidness“ vor. Ich denke, er ist viel passender. „Empty“ setzt immer voraus, dass es etwas gibt, das leer ist. Das ist jedoch nicht die Prasangika-Sichtweise, die mir beigebracht wurde und das ist der Grund, warum ich das Wort „voidness“ dem Wort „emptiness“ vorziehe.
In der Meditation über Leerheit ist es notwendig, zunächst zu erkennen, dass Dinge auf falsche Weise erscheinen und dann, dass diese falsche Weise auf nichts zutrifft, mit nichts übereinstimmt. Wenn wir diesen Irrglauben ausräumen, scheinen Dinge jedoch nach wie vor auf diese falsche Weise zu existieren. Aber wenn sie erscheinen, verstehen wir, dass sie nur so aussehen und dies wie eine Illusion ist. Wir bestätigen nicht, dass es etwas gibt und nehmen dann etwas davon weg. Ungeachtet dessen erkennen wir aber auch, dass trotz dieser trügerischen Erscheinung alles auf der Grundlage von Ursache und Wirkung sowie abhängigem Entstehen funktioniert. So meditieren wir im Grunde über die Leerheit.
Egal welchen Begriff wir benutzen, für mich ist es verwirrend. Leerheit bezieht sich auf etwas, was leer ist, aber es ist nicht leer? Und wenn Sie den Begriff „voidness“ benutzen, so bezieht er sich doch auf „Nichts“.
Genau.
Aber es ist kein Nichts.
Ja, es ist kein Nichts.
Aber warum benutzen wir dann den Begriff „void“? Ich hatte begonnen, das Wort shunyata zu benutzen, um diese anderen Begriffe zu vermeiden, die schon eine bestimmte Bedeutung für mich hatten. Aber dann las ich etwas über shunyata, was sich für mich auf den nichtkonzeptuellen Geist, den Weisheitsgeist zu beziehen schien. Mit dem Weisheitsgeist gibt es kein Objekt, kein Subjekt, keinen Fokus, nichts. Es ist jedoch recht schwierig, sich das vorzustellen. Könnten Sie etwas dazu sagen, ob es sich dabei um die Natur des Geistes handelt?
Shunyata bedeutet die völlige Abwesenheit; etwas, das vollkommen abwesend ist. Es ist nicht so, dass alles vollkommen abwesend ist, aber etwas Bestimmtes ist abwesend. Abwesend ist, dass etwas dem in unserer Vorstellung entspricht.
Der Geist – mit anderen Worten die Vorstellung – lässt eine Erscheinung von etwas entstehen, die von sich aus selbst-begründet ist. Das entspricht aber nicht der Realität. Es gibt nichts, was seine Existenz aus eigener Kraft von Seiten des Objektes begründet. Es wird so ausgedrückt, dass „etwas unser Objekt der Ausrichtung stützt“. Betrachten wir es zum Beispiel im Sinne eines Bühnenbildes, so gibt es von Seiten des Bühnenaufbaus etwas wie eine Stütze, welche die Kulisse am Stehen hält. Auch in einem Kino gibt es etwas auf Seiten der Erscheinung, also die Leinwand, das eine Stütze oder ein Träger dessen ist, was darauf erscheint. In der Realität ist es jedoch anders: es gibt nicht auf Seiten der Erscheinung, was es stützt oder trägt. Alles wird abhängig vom Geist begründet.
In der Quantenphysik fragen wir uns auch, ob das Teilchen hier oder dort ist, doch nur durch die Interaktion mit dem Beobachter erscheint es an einem Ort. Das verstehen wir unter Nichtdualität. Der Beobachter und die Objekte sind nicht selbst-begründet, getrennt voneinander, und treffen sich dann, um miteinander zu interagieren. Vielmehr ist es so, dass der beobachtende Geist und dessen beobachtete Objekte in Abhängigkeit voneinander entstehen. Auf Seiten eines unbeobachteten Teilchens gibt es nichts wirklich Auffindbares, was irgendwo seinen Standort begründet. Wo befindet es sich denn tatsächlich? Im Grunde ist es nirgends wirklich da.
Reden wir über eine Abwesenheit, handelt es sich dabei nicht um das Extrem des Nihilismus, dass da nichts ist. Betrachten wir einmal folgendes Beispiel: „Da gibt es eine Abwesenheit eines Apfel auf diesem Tisch.“ Was sehen wir, wenn wir bemerken, dass es keinen Apfel auf dem Tisch gibt? Wir sehen nichts auf dem Tisch; aber dieses Nichts ist nicht nur nichts, oder? Es ist die Abwesenheit eines Apfels. Da ist kein Apfel. Wir wissen, was abwesend ist. Es handelt sich nicht um die Abwesenheit von absolut allem, obgleich es wie die Abwesenheit von allem aussieht, weil es wie nichts aussieht. Es gibt da nichts.
Richten wir uns auf die Leerheit, so gibt es keine Erscheinung, aber das heißt nicht, dass es sich um das nihilistische Extrem handelt, bei dem nichts existiert und es nichts gibt. Konventionell existieren Dinge, sie sind aktiv.
Ich denke, am ehesten kann man es mit dem Wort „Abwesenheit“ beschreiben, die Abwesenheit von etwas Unmöglichem, das nicht existiert und nie existieren könnte. Würde es existieren, so könnten wir beispielsweise eine ganze Hand irgendwo in dieser Masse von Atomen finden, aber das können wir nicht. Da gibt es keine ganze Hand. Betrachten wir es einmal genauer, so haben wir die Konvention einer Hand. Wir alle stimmen darin überein, dass es eine Hand ist. Aber was ist es aus der Sichtweise eines winzigen, mikroskopischen Insektes? Wie wird es von ihm wahrgenommen? Dinge sind für ein kleines Bakterium innerhalb eines Blutgefäßes der Hand völlig anders. Was ist eine Hand für dieses kleine Bakterium?
Sprechen wir von Nichtdualität, wie der Nichtdualität des Weisheitsgeistes und der Leerheit, bedeutet das nicht, dass sie identisch oder eine einheitliche Suppe sind. Das meinen wir ganz gewiss nicht, wenn es darum geht, dass etwas „nichtdual“ ist. Es bedeutet, dass wir keine zwei voneinander getrennten Entitäten haben, die unmöglich miteinander agieren können. Der Weisheitsgeist – der Geist, der Leerheit nichtkonzeptuell wahrnimmt – und die Leerheit, die von ihm wahrgenommen wird, entstehen in Abhängigkeit voneinander und das kann natürlich auf vielen verschiedenen Ebenen verstanden werden.